Comptes-rendus d'événement
Die drei Säulen der islamischen Justiz sind erstens Schlichtung, zweitens finanzielle Wiedergutmachung und drittens Selbstjustiz, führte Journalist und Kriminologe Dr. Joachim Wagner aus. Nach einer Straftat gilt zunächst Vergeltung ("Auge um Auge") oder Schlilchtung mit Wiedergutmachung. Hierauf aufbauend schildert Wagner aus seinem Buch "Richter ohne Gesetz - Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat" anschauliche Fälle, die er in Hessen, Berlin und Bremen recherchiert hat. Insbesondere treten Clanchefs und Familienälteste in einigen radikal-religiösen Millieus als sog. Streitschlichter auf. Dies geschehe teils offen, teils verdeckt, weil sie oft auch Teil einer organisierten Kriminalität seien. Zwar machte Wagner deutlich, dass die Mehrheit der hier lebenden Muslime dem deutschen Rechtsstaat folge, aber nach Expertenschätzungen rund 30% der sog. religiös-konservativen und der stammesstrukturellen Millieus die islamische Rechtsordnung vorziehen - zum Schaden der deutschen Rechtsordnung, seiner Anwendung und Durchsetzung.
In Hessen, Berlin und Bremen sind nach Wagners Recherchen 75% der untersuchten Fälle, bei denen Friedensrichter Einfluss ausgeübt haben, mit Freispruch oder Einstellung des Verfahrens geendet, in nur 25% der Fälle konnte sich die deutsche Justiz durchsetzen. Ferner Wagners These: 90% der Streitschlichtungen bekomme die deutsche Justiz gar nicht mit, z.B. aufgrund von Aussageänderungen oder Repressalien gegenüber Zeugen und Maßnahmen der nicht öffentlichen Selbstjustiz. Wagner schlägt als Maßnahme bei Straftaten die schnellere richtliche Vernehmung der Beteiligten vor, dies werde zum Teil, aber längst nicht überall, so praktiziert. Außerdem fordert Wagner eine politische Diskussion über die Rolle der deutschen Rechtsordnung. Die Akzeptanz unserer Rechtssprechung bei Muslimen habe wesentliche Bedeutung bei einer gelingenden Integration und beim Funktionieren des Rechtssystems, das von einer Aushöhlung bedroht sei.
Wagner untermauerte seine Thesen auch am Beispiel islamischer Familiengerichtsbarkeit. Diese fuße auf Schlichtung, Selbstjustiz (Beispiel Ehrenmord) und Scharia, also der informellen Gerichtsbarkeit. Diese werde auch in Deutschland zum Teil so praktiziert, wie in den Heimatländern, so wie die Zwangsverheiratung von 14- und 15-jährigen. Auch schilderte Wagner anhand der Polygamie die Probleme für die deutsche Politik. So werden 10-20% der Ehen in Neukölln religiös geschlossen (Kinderehen, Mehrehen), bis zu vier Ehefrauen seien möglich, so Wagner - darüber gebe es eben kein zentrales, nachvollziehbares Register wie bei deutschen Eheschließungen. Probleme des deutschen Unterhaltsrechtes sind an dieser Stelle vorprogrammiert, mahnt Wagner, da viele muslimische Frauen als nicht verheiratet gelten, Kinder haben, den Vater nicht benennen und so der Staat finanziell dafür aufkommen müsse. Wagner fordert eine gesetztliche Änderung mit dem Vorrang der staatlichen Heirat vor der religiösen Heirat, aber die zur politischen Durchsetzbarkeit äußerte er sich skeptisch.
Insgesamt handelte es sich für viele Zuhörer um eine "aufrüttelnde Veranstaltung", was die Fragen und Statements in der Diskussionsrunde mit Dr. Joachim Wagner und die anschließenden Gespräche in kleinen Runde beim KAS-Mittagsgespräch in Braunschweig noch einmal ausdrücklich bezeugten. Sein Buch fand im Anschluss jedenfalls regen Absatz, die Zuhörer wollten mehr über Thema Streit- und Friedenschlichter nachlesen und ließen sich das Buch vom Autor signieren.