Comptes-rendus d'événement
Wie geht es mit der Hochschulfinanzierung in Deutschland und Niedersachsen weiter und was ist mittel- und langfristig zu tun? Diese eher perspektivisch gestellten Fragen hinsichtlich der Jahre 2025/2030 standen im Mittelpunkt eines dreistündigen Zusammentreffens von Hochschulvertretern, wissenschaftspolitisch Interessierten und landespolitischen Akteuren aus Niedersachsen. Neben einer Bestandsaufnahme standen der Meinungsaustausch und das Gespräch zwischen den Teilnehmern im Vordergrund.
Bei hochsommerlichen Temperaturen diskutierten in Hannover nach zwei Impulsvorträgen von Dr. Ulrich Schreiterer, Wissenschaftszentrum Berlin, und des ehemaligen niedersächsischen Staatssekretärs des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, Dr. Josef Lange, die Teilnehmer unter der Moderation von Jörg Jäger, dem Leiter des Politischen Bildungsforums Niedersachsen.
Schreiterer stellte im ersten Impulsvortrag fest, dass in Deutschland zwischen 2000 und 2010 die Ausgaben für die Lehre von 11,5 auf 20 Mrd. Euro gestiegen seien, preisbereinigt um fast 50%. Zwei Drittel dieser Summe steuerten zwar die Länder bei, allerding sei bemerkenswert, dass der Finanzierungsanteil des Bundes und der der Privaten deutlich schneller gestiegen sei als der Länderanteil. Deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) variierten allerdings erheblich. Relativ konstant sei allerdings der mit 5 % (2008) der Anteil der Studiengebühren an der HS-Finanzierung gewesen.
Trotz dieses rasanten Aufwüchse erreicht der Anteil der HS-Ausgaben am BIP 2011 nach OECD-Berechnungen mit 1,3 % nicht einmal den Durchschnittswertes aller Mitgliedsstaaten (1,6%) oder der der EU (1,4%). Deutschland bewege sich auf demselben Niveau wie Spanien oder Polen. Die drei OECD-Mitgliedsländern mit den höchsten Hochschulausgaben führe Kanada an mit 2,8 % (1,6% private, 1,2% staatliche Quellen), gefolgt von den USA (2,7%) und Korea (2,6%).
Im internationalen Vergleich sei hinsichtlich der Struktur der HS-Finanzierung eine eindeutige Tendenz zu beobachten: In Afrika, Lateinamerika, Süd- und Südostasien sei eine rasante Privatisierung der Hochschulausbildung zu beobachten. Die vormals ganz überwiegend öffentlich geförderten und finanzierten Hochschulen verlagerten ihre Einnahmen immer mehr auf die Erhebung von Studiengebühren und stellten vor allem im anglo-amerikanischen Raum auf rein private Studienfinanzierung um.
Damit würde deutlich, dass Deutschland mit der Abschaffung der Studiengebühren im internationalen Vergleich europa- und weltweit einen Sonderweg beschreite. Großbritannien z.B. ginge genau in die entgegengesetzte Richtung. Dort seien die Kosten des Studiums nun weitestgehend allein von den Studierenden zu tragen. Auch das australische Modell der nachgelagerten Studiengebühren und noch höheren Studiengebühren für ausländische Studierende ziele auf eine bemerkenswerte Beteiligung der Studierenden an den Kosten des Studiums.
Dr. Schreiterer vom WZB skizzierte im weiteren Verlauf die Komplexität des deutschen Systems der HS-Finanzierung, das durch verzweigte Zuständigkeiten und unentwirrbare Verantwortungsbereiche und Kompetenzen im Bereich Forschung gekennzeichnet sei. Dabei werde der Wettbewerb der Hochschulen überwiegend über Forschungsvorhaben und Exzellenzinitiativen initiiert und gesteuert, während die Lehre hinsichtlich der finanziellen Steuerungsbereiche ein Schattendasein führe.
Zwar habe die Änderung von Art. 91 GG (Wegfall des Kooperationsverbotes von Bund und Ländern) Raum geschaffen für neue strukturwirksame Maßnahmen, jedoch erfordern Finanzierungen des Bundes im Hochschulbereich die Zustimmung ALLER Bundesländer, was politischen Kopplungsgeschäften Tür und Tor öffne. Inhaltliche wissenschaftspolitische Erkenntnisse oder Strategien würden so oft unterlaufen.
Dr. Schreiterer vertrat aber die Meinung, dass die Vielfalt der Einkommensquellen für die Hochschulen grundsätzlich eine positive Wirkung entfalte, da sie eine Grundvoraussetzung für institutionelle Handlungsfähigkeit und strategische Positionierung sei. Eine staatliche Grundfinanzierung sei unerlässlich, um ein Mindestmaß an Planungssicherzeit zu garantieren. Eine „Rekalibrierung und Flurbereinigung" projektbezogener Programme und wettbewerblicher Anreize sei angeraten, um die Balance zwischen Grundfinanzierung und Projektmitteln zu erreichen. In diesem Zusammenhang zeigte er exemplarisch komplexe Finanzierungsquellen und -programme auf, die nicht originär aufeinander abgestimmt seien, sondern zum Teil historisch gewachsen nebeneinander her existieren. Dies berge die Gefahr erhöhter Transaktionskosten und nicht intendierte Lenkungsfolgen in sich.
Im zweiten Impulsvortrag: „Bildung lohnt sich“, stellte Staatssekretär a.D. Dr. Josef Lange, eingangs fest: Bildungsstand und Beschäftigungschancen als auch künftiges Einkommen hängen nach wie vor eng zusammen. Akademiker und beruflich Qualifizierte sind signifikant weniger von Arbeitslosigkeit betroffen als Personen ohne berufliche Qualifikation. Daher sei auch für die Zukunft von einer hohen Attraktivität der Hochschulausbildung auszugehen und damit auf Studentenzahlen auf hohem Niveau.
In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, dass in anderen Ländern die Studiengebührendiskussion eher als „Gerechtigkeitsdebatte“ geführt worden sei, ganz anders als in Deutschland. Hierzulande finanzierten alle Steuerzahler das HS-System, also auch diejenigen, die davon in keiner Weise profitierten. Diejenigen jedoch, die am meisten von dem zum Teil teuren Hochschulstudium durch hohe Erwerbseinkommen und Beschäftigungschancen profitierten, trügen vergleichsweise wenig bis gar nichts zur Finanzierung bei. Gerecht sei eben nicht immer, was kostenlos sei. Ob es jedoch neue Vorschläge in Deutschland für nachgelagerte Studienfinanzierungsmodelle im Sinne einer Gerechtigkeitsdebatte gäbe, sei fraglich. Wenn es dazu käme, müssten z.B. Fragen der Sozialverträglichkeit, Inländer-Ausländer-Behandlung, Gebührenfreiheit bis zum Bachelorabschluss, Rückzahlungsmodalitäten etc. gründlich diskutiert werden. Dr. Lange zeigte sich mit den Teilnehmern einig in der Einschätzung, dass aufgrund der zunehmend „schwierigen“ Entwicklung staatlicher Haushalte in Bund und Ländern sowie der internationalen Herausforderungen die Diskussion um die Wiedereinführung von Studiengebühren in Deutschland wohl nicht dauerhaft ad acta zu legen sei.
Im Folgenden skizzierte Dr. Lange skizzierte die historische Entwicklung der Hochschulfinanzierung seit Ende der 1960er Jahre und die einhergehenden politischen Diskussionen in Bund und Ländern über die Aufgaben des Hochschulbaus bis hin zur Rolle des Wissenschaftsrates. Einen größeren Diskussionsbedarf hatten die Teilnehmer zur leistungsorientierten Mittelverteilung. Dabei zeigten sie sich einig darin, dass Evaluierungen einschließlich der Zielvereinbarungen mit der Ministerialebene dürften nicht zu Innovationshemmnissen führen. Vor allem Einzelmaßnahmensteuerung, wie sie inzwischen in Niedersachsen eingeführt worden seien, seien kontraproduktiv, verursachten einen enormen Arbeitsaufwand bei geringem Nutzen, hieß es in der Gesprächsrunde. Grundtenor: Steuerung auf Abstand ‚ja‘, bürokratische Gängelung und Erzeugung von ministerieller Wohlverhaltenserwartung ‚nein‘.
Darüber hinaus müsse die Lehre bei der Finanzverteilung stärker in den Fokus rücken, dies wurde von Teilnehmern betont, die selbst keine wettbewerbsrelevanten Forschungsbereiche an den Hochschulen haben. Eine gesonderte Situation sei ebenso an den Universitätskliniken mit erheblichem Infrastruktursanierungsbedarf gegeben.
Dr. Lange erwartet perspektivisch mehr Eigenverantwortlichkeit im Wettbewerb zu Qualitäts- und Leistungssteigerung mit zum Teil einschneidenden Entscheidungen über Prioritäten und Posterioritäten. Eine bessere strategische Planung für Forschung, Lehre, Infrastruktur, Innovationen und Vernetzung in und zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Wirtschaft und Gesellschaft sei erforderlich. Maßgeblich seien „für Individuen und Institutionen“ Aspekte wie „Sich-was-trauen“, Vertrauen und Zutrauen im Hinblick auf das innerorganisatorische Zusammenspiel der Hochschulen, aber vor allem auch bezüglich des Verhältnisses von Staat und Hochschulen. Dabei sei die Entwicklung einer „gesunden Fehlerkultur“ sehr zu begrüßen. Es würden freie und verantwortungsvolle Hochschulen gebraucht. Verantwortungsvolles Handeln und Transparenz in der Rechenschaftslegung dringend geboten, nicht jedoch staatliche, engmaschige Regulierung oder ideologisch motivierte Gängelung, die für den Verlust von Innovationsfähigkeit, Risikobereitschaft und kreative Wissenschaftler verantwortlich sei. Lobende Erwähnung fand der Freistaat Thüringen, dem es gelungen sei, Planungssicherheit und die Formulierung zukunftsoffener Ziele im Wissenschaftsbereich miteinander zu vereinbaren.
Äußerst kritisch setzten sich die Teilnehmer damit auseinander, dass die meisten Bundesländer die Mittel aus der Übernahme des Länder-BaföG-Anteils durch den Bund gar nicht oder nur unvollständig den Hochschulen zukommen lassen, sondern zum Beispiel ressortfremd für die Kita-Versorgung oder andere Zwecke ausgeben würden. Vorbildlich seien diesbezüglich vor allem die Länder Hessen, Bayern und Sachsen, die nahezu oder vollständig die eingesparten Mittel für die Hochschulfinanzierung nutzen würden.
In den Schlussworten wurde wiederholt deutlich, dass die Hochschulen mit Verwaltung und Politik gerade auf Landesebene in Niedersachsen einen engeren Dialog auf Augenhöhe wünschen. „Die Veranstaltung des Politischen Bildungsforum Niedersachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung war auf jeden Fall ein guter Beitrag in diesem Sinne dazu“, so KAS-Landesbeauftragter Jörg Jäger zum Abschluss.
Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Hochschulfinanzierung in Deutschland findet sich im Kontextlink in der rechten Spalte Hochschulfinanzierung (Publikation).