Comptes-rendus d'événement
Im Rahmen seiner Einführung wies Karl-Heinz B. van Lier, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Rheinland-Pfalz und Leiter des Landesbüros, auf den im Sommer 2013 in der Allgemeinen Zeitung erschienenen Artikel „Es ist zum katholisch werden!“, verfasst von Prof. Jentsch, hin. Dieser sei Anlass gewesen, sich mit dem Thema Ehe und dem Wertewandel, dem sie offenbar in vielerlei Hinsicht unterliegt, näher auseinanderzusetzen. Die in dem Artikel enthaltenen Aussagen fasste van Lier zusammen: Die Ehe sei eine lebenslange Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, das ihr zugestandene grundrechtliche Privileg würde jedoch sukzessiv abgebaut. Zu den Kräften, die der Ehe beistehen könnten, könne Jentsch zufolge die evangelische Kirche nicht zählen, da sie hier nur noch als nur eine von vielen Lebensformen gesehen werde, so die neue Orientierungshilfe der EKD. In der katholischen Kirche hingegen werde die Stellung der Ehe (noch) nicht angetastet. Kardinal Lehman, der zu den Kritikern der evangelischen Position zählt, hat diese an der Ideologisierung von Ehe und Familie festgemacht. Eine Klärung mit einem der Verfasser, Dr. Jung, herbeizuführen und ins Gespräch zu kommen, sei van Lier zufolge das erklärte Ziel dieser Veranstaltung.
Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, wies im Rahmen seiner Stellungnahme zur umstrittenen Orientierungshilfe der EKD, die die Position der evangelischen Kirche zum Thema Ehe verdeutlichte, darauf hin, dass die EKHN - in der Nachfolge ihres ersten Kirchenpräsidenten Martin Niemöller - für ihre politische Liberalität bekannt sei. Die Orientierungshilfe der EKD, so Dr. Jung, habe für viel Wirbel gesorgt, was ihn überrascht habe. „Die Kontroverse hat mich jedoch auch gefreut“, so der Kirchenpräsident weiter, „denn man muss sich Veränderungen stellen und Debatten führen, um sich neu orientieren zu können“.
Die Veränderung der Familie sei soziologisch und juristisch wahrnehmbar, daher müsse gefragt werden, wie die evangelische Kirche den Familien in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen helfen könnte. „Durch den demografischen Wandel sind beispielsweise auch die Pflegesituationen in den Familien wichtig zu beachten. Die gesellschaftliche Realität besteht oft in multilokalen Mehrgenerationenfamilien“.
Dies alles sei der Horizont der Orientierungshilfe der EKD, die im Kern versuche, die Frage zu beantworten, was in einer Gesellschaft passieren müsse, um Menschen darin zu bestärken Familie zu leben. Am Rande war dies auch auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften bezogen, ergänzte Jung. Abschließend hielt er fest: „Eine Aufwertung gleichgeschlechtlicher Paare ist keine Abwertung der Ehe im herkömmlichen Sinn“.
Prof. Dr. Hans-Joachim Jentsch, Bundesverfassungsrichter a.D., führte die Thesen seines eingangs erwähnten Artikels in seinem Vortrag näher aus.
Erstens: Einigkeit herrsche hinsichtlich der Erkenntnis, dass es heute eine große Vielfalt von Lebensformen gebe. Der Staat dürfe hierbei niemanden bevormunden, müsse aber die Ehe unter seinen besonderen Schutz stellen, da sie eine bevorzugte Stellung innehabe, so Jentsch.
Zweitens: Die biblische Schöpfung gehe davon aus, dass der Mensch auf einen Gegenüber angewiesen sei. „Das Bild von der Frau als der Gehilfin des Mannes ist selbstverständlich überholt, aber die Schöpfung begründet die Ehe von Mann und Frau, die nicht im Zeitgeist aufgegeben werden muss“, erörterte der ehemalige Oberbürgermeister von Wiesbaden. Auch wenn laut evangelischer Kirche nicht die Lebensform entscheidend sei, sondern die Art wie sie gelebt werde, würdige dies seiner Auffassung zufolge andere Lebensformen herab.
Drittens: Wenn die Art und Weise der Umsetzung entscheidend sei und nicht die Form der Lebensgemeinschaft selbst, so stelle sich Jentsch zufolge die Frage, warum einige Lebensformen geächtet sind (z.B. die Polygamie).
Viertens: Prof. Jentsch sieht langfristig keine Perspektive für den Widerstand gegen das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare, da am Ehehindernis der Gleichgeschlechtlichkeit nicht festzuhalten sei. Der Appell des Juristen lautet daher: „Ein klares Wort der Kirchen wäre notwendig, da der Gesetzgeber hier zögert“.
Fünftens: Die Position der EKD zur Ehe werde sehr stark – auch aus den eigenen Reihen – kritisiert. So habe sich beispielsweise Bischof Huber dahingehend geäußert, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau stets im Zentrum stehe, ihr gleichzeitig alle anderen Lebensformen nachgeordnet seien. Prof. Jentsch mahnte an, dass der generative Aspekt der Debatte zunehmend in den Hintergrund gerate.
Sechstens: Die Kirche sollte weniger soziologisch und verfassungsrechtlich argumentieren, weil dies die eigentliche Eigenschaft des Staates sei. Und weiter: „Die Kirche scheint sich erst einmal zu vergewissern, was der Staat zur Thematik sagt, aber die Staatsordnung trennt Kirche und Staat!“.
Siebtens: Einem Verfassungsgerichtsurteil zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft aus dem Jahr 2002 folgend, sei das Rechtsinstitut der Ehe nicht abstrakt, sondern folge den jeweiligen Anschauungen. Eine grundrechtliche Festlegung sehe das Bundesverfassungsgericht demnach nicht, so Jentsch. Daher müsse es das Ziel der christlichen Kirchen sein, hier Einfluss auf die Anschauung zu nehmen. Letztlich aber bekenne sich das Urteil zur christlich fundierten und traditionellen Ehe zwischen Mann und Frau, referierte der Jurist. Er folgerte: Die eingetragene Lebenspartnerschaft aber sei keine Ehe, und stehe deswegen nicht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes.
Zusammenfassend hielt Prof. Jentsch fest, dass Unterschiedlichkeit in einem freiheitlichen Staat auch gleich gelebt werden kann, aber nicht zwangsweise gleichgemacht werden müsse.
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels OP, Dominikaner und Professor für Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Trier, hielt aus Sicht der katholischen Kirche fest, dass der Artikel 6 des Grundgesetzes von einer naturgegebenen Pflicht, von Ehe und Familie spreche. Und Ockenfels ergänzte: „ Die Tradition des Grundgesetzes lässt Ehe und Familie nicht als Kulturvariable verstehen“. Ein anderes Verständnis würde die diesbezügliche Ethik auf eine normative Kraft des Faktischen reduzieren.
Prof. Ockenfels äußerte die Auffassung, dass ein normativer Wertbegriff von Ehe und Familie notwendig sei, die Ehe zudem in der Schöpfungsordnung zur Weitergabe des Lebens angelegt sei. Besondere Formen der Sexualität seien hierbei ausgeschlossen und nach christlichem Verständnis nicht denkbar. „Ohne religiöse Prämisse ist das Lebensrecht späterer Generationen nicht möglich. So sollte die Ehe verstärkt als gemeinschaftliche Verantwortung für Kinder verstanden werden“, hielt der Dominikaner fest.
Im Kern gehe es mit Blick auf die Ehe aus katholischer Sicht um die Heranbildung von Kindern, die für die nächste Generation reziprok geradestünden. Folgerichtig sei für die sozialethische Definition der Ehe der Zweck des Gemeinwohls für die Familie selbst und die Gesellschaft, z.B. das Erlernen von verantwortlicher Freiheit, Gerechtigkeit, etc., entscheidend. Und Ockenfels weiter: „Grundwerte also, die den Staat erhalten“. Hieraus leite sich auch eine relative rechtliche Autonomie der Familie - erst kommt die Familie, dann der Staat - ab, die der Staat akzeptieren müsse und die den Familien originär zustünden. Da Familien ihr eigenes Gemeinwohl zu realisieren hätten, würde ein Zerfall der Familie den sittlichen Verfall des Staates bedeuten, so der Theologe. Abschließend fasste er zusammen: „Wer Privilegien verallgemeinert, schafft diese letztlich ab!“.
Die im Anschluss vom Chefredakteur der Allgemeinen Zeitung, Friedrich Roeingh, moderierte Diskussionsrunde wurde kontrovers geführt. Kirchenpräsident Jung hielt dabei noch einmal fest, dass es bei der Orientierungshilfe der EKD vor allem darum ging, die Lebenswirklichkeit der Menschen wahrzunehmen und eine Bestandsaufnahme zu vollziehen. „Ein zunächst einmal untheologischer Vorgang“, so Jung.
Der ehemalige Verfassungsrichter Jentsch bekräftigte seine Forderung nach einer klaren Positionierung der Kirchen: „Die Kirchen haben sich einen Reim darauf zu machen, wie sie heute mit den vielen Lebensformen umgehen. Hier muss ein Kern der christlichen Botschaft gefunden werden, der nicht verlorengehen darf, und auch der generative Aspekt muss erhalten bleiben“. Dr. Volker Jung entgegnete, dass die Generativität in Beziehungen allerdings nicht alles sei: „Es besteht die Gefahr einer biologistischen Abwertung von Beziehungen. Das Thema muss daher in einem größeren Horizont gesehen werden, in den auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingebunden werden können. Das Ziel ist die Akzeptanz für alternative Lebensformen, die oftmals auch nicht selbst gewählt sind, wie beispielsweise bei Alleinerziehenden“. Prof. Ockenfels unterstützte diesen Ansatz. Seiner Meinung nach könne die Frage nach einer ‚Ehe für alle‘ nicht einzig eine Fixierung auf Homosexualität hervorbringen: „Die Betrachtung wirft auch die Frage auf, wie vor allem die Kirchen mit gescheiterten Ehen und Alleinerziehenden umgeht“.
Der abschließende Appell Jentschs richtete sich an die christlichen Kirchen: „Laut Bundesverfassungsgericht war die Familie früher über die Ehe definiert. Das ist sie heute nicht mehr. Der Staat wird schlecht leben, wenn keine einheitliche Definition von Ehe und Familie vorherrscht. Wir brauchen die Prägekraft der christlichen Kirchen!“.