Rapports pays
„Einen Meilenstein“ markierte es für den EU-Sondergesandten für den Golf, den ehemaligen italienischen Außenminister Luigi Di Maio, dass am Ende 21 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) sowie Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit sechs hochrangigen Vertretern des Golf-Kooperationsrats (GCC), unter ihnen Katars Emir Tamim bin Hamed, der derzeitige GCC-Vorsitzende, und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, zusammentrafen.
Tatsächlich hatte es ein Treffen auf dieser Ebene zuvor nie gegeben – obwohl bereits seit 1989 ein Kooperationsabkommen zwischen den arabischen Golf-Staaten Bahrain, Katar, Kuwait, Saudi-Arabien, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie der EU existiert. Neuen Auftrieb hatten die EU-Bemühungen mit den Golf-Staaten erst 2022 erhalten, als Europa am Golf unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine neue Energiepartnerschaften und geostrategischen Rückhalt gegenüber Russland suchte. Seitdem – über zwei Jahre lang – war das jetzige Gipfeltreffen in der Mache. Seine Umsetzung ist ein Erfolg, doch inhaltlich bleibt wenig übrig.
Bundeskanzler fehlt beim EU-GCC-Gipfel
Die „Gemeinsame Erklärung zu einer Strategischen Partnerschaft mit dem Golf“, welche die EU im Mai 2022 verkündet hatte, startete über die vergangenen Jahre ein Geflecht unterschiedlichster Gesprächsformate zwischen der EU und dem GCC, unter ihnen einen Strukturierten Sicherheitsdialog, eine Energie-Expertengruppe oder ein Hohes Forum für Sicherheitskooperation auf Ebene der Außenminister. Ein solcher Ausbau der Austauschformate und Gesprächskanäle ist richtig und wichtig und zeigt, auch Europa hat inzwischen verstanden, dass die Golf-Staaten längst zentrale Gestaltungsakteure in ihrer erweiterten Nachbarschaft sind und in vielen Regionen inzwischen über mehr Macht und Einfluss verfügen, als die EU selbst.
Mitunter krankt das EU-Engagement am Golf jedoch vor allem an der für die Union typischen technokratischen Ausgestaltung und der kleinteiligen, dezentralen Implementierung. In Staaten, in denen persönliche Beziehungen zwischen Staatsführern zentrale Triebfedern der internationalen Politik bleiben und schwerer wiegen als Paragrafen in Vertragstexten, muss die EU daher auch auf Spitzenebene ihrer deklarierten Partnerschaft Ausdruck verleihen und damit strategisches Gewicht geben. Ein Gipfeltreffen zwischen EU und GCC war daher längst überfällig.
Umso größer ist die verpasste Gelegenheit für Deutschland. Anders als seine Amtskollegen aus Frankreich oder Italien blieb Bundeskanzler Olaf Scholz dem EU-GCC-Treffen fern – obwohl er am darauffolgenden Tag ohnehin zum EU-Gipfel nach Brüssel reisen musste. Die deutsche Abwesenheit wurde von den Golf-Staaten als entsprechendes Signal aufgefasst und bestärkt unter ihnen solche Stimmen, die Deutschland ohnehin schon eine zurückhaltende und rein transaktionale Politik gegenüber dem Golf unterstellen. Einer strategischeren Partnerschaft zwischen Deutschland und dem Golf hat Scholz durch seine Abwesenheit einen Bärendienst erwiesen.
Doch auch seitens der Golf-Staaten offenbarten sich Differenzen. Während Bahrain, Katar, Kuwait und Saudi-Arabien ihre Staats- oder Regierungschefs nach Brüssel schickten, entsandten die VAE mit Maktoum bin Mohammed lediglich einen von insgesamt vier Vize-Premierministern, die formell an vierter Stelle im Staat stehen. Zudem stammt Maktoum aus dem Emirat Dubai – obwohl in den VAE eigentlich Abu Dhabi in der Außenpolitik den Ton bestimmt. Dass die VAE weniger hochrangig vertreten waren, ist einen Dämpfer für den Gipfel – sind die VAE doch der zweitwichtigste Wirtschaftspartner der EU am Golf. Es zeigt nicht nur die Präferenz der VAE, strategische Partnerschaften auf bilateraler Ebene selbstständig voranzutreiben, sondern könnte auch mit einer aufziehenden intraregionalen Konkurrenz mit Riad zu tun haben, die dazu führt, dass Abu Dhabi häufig Formate meidet, die vermeintlich von Saudi-Arabien dominiert werden.
Geopolitische Differenzen belasten Gipfelerklärung
Mit besonders viel Spannung war auf den Teil der Gipfelerklärung gewartet worden, in der sich EU und GCC gemeinsam zu geopolitischen Fragen, regionalen Konflikten und ihrem gemeinsamen Ansatz in Drittländern positionieren wollten. Insbesondere hier hat Europa ein zentrales Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit dem Golf, dessen Bedeutung in diesem Kontext in vergangenen Jahren erheblich gestiegen ist. Mit Katar, Saudi-Arabien und den VAE hatte sich jüngst etwa eine ganze Reihe von Golf-Staaten in Kriegen von der Ukraine bis Gaza als Mediatoren ins Spiel gebracht. Mit diplomatischem Geschick und guten Beziehungen zu allen Seiten erzielten verschiedene Golf-Staaten Verhandlungserfolge wie eine temporäre Waffenruhe in Gaza und die Freilassung von israelischen Geiseln oder auch Gefangenenaustausche zwischen der Ukraine und Russland. Mit Wirtschaftsinvestitionen und als bedeutende Geber von humanitärer und Entwicklungshilfe ist der Einfluss der Golf-Staaten zudem im Jemen, in Nord- und Ostafrika oder Afghanistan und Pakistan immens.
Die konkrete Ausarbeitung von Positionen zeigte jedoch, dass EU und Golf-Staaten trotz der Erkenntnis, sich stärker abstimmen und gemeinsame Herangehensweisen definieren zu müssen, im Detail noch fremdeln. Während die EU beim Umgang mit dem Krieg in der Ukraine Unterstützung am Golf sucht, konnte sie sich auf dem Gipfel mit Forderungen, Russland nicht länger zu unterstützen und die Umgehung der Sanktionen einzudämmen, nicht durchsetzen. Eine Verurteilung Russlands im Text der Erklärung gelang beispielsweise nur durch den Kunstgriff, die einschlägige UN-Resolution ES-11/1 zu zitieren, in der Russlands Aggression gegen die Ukraine benannt wird und welche die Golf-Staaten 2022 mitangenommen hatten.
Im Kapitel zu Israel, dem Gaza-Streifen und Westjordanland wiederum sprachen sich EU und GCC zwar gemeinsam für palästinensische Selbstbestimmung sowie gegen Angriffe auf Zivilisten im Gaza-Streifen und Siedlungsaktivitäten im Westjordanland aus. Eine kritischere Formulierung, die sich Verhandler der Golf-Staaten wohl insbesondere im Hinblick auf die Benennung Israels gewünscht hatten, wurde aber von europäischen Gesprächspartnern verhindert. In seinen Eröffnungsworten zum Gipfel bemängelte der katarische Emir Tamim daher auch demonstrativ eine „Politik der Doppelstandards“ im internationalen System.
Auch mit Blick auf Iran blieb das EU-GCC-Gipfeltreffen bemerkenswert vage. Hier hatten sich EU und Golf-Staaten in den vergangenen Jahren in unterschiedliche Richtungen bewegt. Europa blickt vor dem Hintergrund iranischer Waffenlieferungen an Russland, direkter Angriffe Irans auf Israel und der Attacken seiner Stellvertreter auf die internationale Schifffahrt im Roten Meer weit kritischer als in der Vergangenheit in Richtung Teheran. Die GCC-Mitglieder, allen voran das einst notorisch Iran-kritische Saudi-Arabien, haben sich seit Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen mit Teheran im Frühjahr 2023 zunehmend aber damit abgefunden, eine pragmatische Verständigung und Deeskalationspolitik mit Iran voranzutreiben – auch um das Risiko weiterer iranischer Angriffe auf das eigene Staatsgebiet zu reduzieren.
Die Wichtigkeit eines diplomatischen Engagements mit Iran – auch im Nuklearbereich – wird daher wiederholt im Gipfeltext herausgestellt, eine Verurteilung von Irans Waffenlieferungen an Russland hatte es hingegen nicht in die finale Erklärung des Treffens geschafft. Hier wollten die Golf-Staaten, insbesondere Saudi-Arabien, ihre jüngste Détente-Politik offensichtlich nicht durch zu scharfe Verurteilungen konterkarieren. Zumindest einigten sich beide Seiten aber darauf, einen gemeinsamen Ansatz im Bereich maritimer Sicherheit, insbesondere im Roten Meer zu entwickeln – ohne Details dazu, wie dieser ausgestaltet werden könnte.
Keine Visa-Liberalisierung, kleine Hoffnung auf Handelsabkommen
Vor dem EU-GCC-Gipfel knüpften sich die größten Erwartungen der Golf-Staaten an konkrete Fortschritte im Bereich der Handelskooperation, Investitionsbemühungen sowie bei der Zusammenarbeit im Bereich erneuerbarer Energien. Die EU bleibt zwar zweitgrößter Handelspartner der Golf-Staaten, schon längst verschiebt sich jedoch deren ökonomischer Gravitationspunkt in Richtung Asien. China ist – teils mit erheblichem Abstand – größter Wirtschaftspartner der Golf-Staaten. Die für das Geschäftsmodell des Golfs so zentralen Energieexporte gehen heutzutage beinahe ausschließlich nach Asien.
Dem gegenüber steht, dass Brüssel seit nunmehr 35 Jahren an einem Freihandelsabkommen (FTA) mit den Staaten des Golf-Kooperationsrats verhandelt, deren Gespräche bereits offiziell seit 2008 auf Eis liegen. Dies ist zwar kein spezifisches Problem der Beziehungen zwischen Europa und dem Golf – auch die Verhandlungen anderer regionaler Freihandelsabkommen stocken und selbst der GCC kommt in seinem Versuch, ein FTA mit seinem größten Handelspartner China abzuschließen, seit Jahren nicht voran. Dennoch gibt es wenig Forderungen, die so konsistent aus dem Golf erhoben werden, wie die nach einer Wiederaufnahme der EU-Handelsgespräche.
Zumindest hier signalisierte das Gipfeltreffen, wenngleich recht schwammig, man „werde darauf abzielen, Diskussionen auf regionalem Level voranzubringen“ mit dem Ziel, letztendlich ein regionales GCC-EU FTA abzuschließen. Eine Roadmap dafür existiert jedoch weiterhin nicht. Und genau hier liegt die Crux aus Sicht der Golf-Staaten: Trotz guter Intentionen bleibt das strategische Engagement der EU mit dem Golf oft konkrete Ergebnisse schuldig. Auch in anderen Bereichen – etwa dem Ausbau des Handels mit erneuerbaren Energien, wie grünem Wasserstoff – münden Absichtserklärungen und strategischen Planungsdokumente oft in behäbiger Umsetzung. Für die Machthaber am Golf, die mit ambitionierten Wirtschaftsreformen, wie Vision 2030 in Saudi-Arabien, aber auf einen rapiden Umbau ihrer Volkswirtschaften und eine rasante Transformation ihrer Geschäftsmodelle drängen, geht es letztendlich um konkrete, bestenfalls schnelle Ergebnisse.
Diese Kritik ist aus dem Golf auch in puncto Visa-Liberalisierung, dem zweiten großen Anliegen mit dem GCC-Vertreter nach Brüssel gereist waren, zu vernehmen. Obwohl Kuwait, Katar und Oman bereits seit Jahren die Kriterien für eine visumsfreie Einreise in die Europäische Union erfüllen – für die VAE gilt diese schon seit 2015 – wird diese immer wieder aufgeschoben. Auch wenn das Risiko irregulärer Migration aus diesen Ländern gegen null geht, blockiert das Europäische Parlament mit Verweis auf die Menschenrechtslage weiterhin eine Umsetzung. Jenseits des Versprechens „die Bestrebungen fortzusetzen“ lässt auch der EU-GCC-Gipfel auf diesem Feld konkrete Ergebnisse vermissen.
Fazit: Kleinster gemeinsamer Nenner statt großem Wurf
Hierin besteht das große Manko des gleichwohl wichtigen Gipfeltreffens zwischen EU- und GCC-Mitgliedstaaten. Hohen Erwartungen des Golfs, mit konkreten Erfolgen aus einem solchen Treffen zu gehen – gerade, weil es auf Spitzenebene stattfindet – steht die bürokratische und institutionelle Vielschichtigkeit der Europäischen Union gegenüber, die sich trotz der Erkenntnis, dass die Golf-Staaten wichtige Partner sind, noch schwer damit tut, politische Vorbehalte zu überwinden und mehr Zugzwang in zentralen Feldern (wie den Verhandlungen eines Freihandelsabkommens) zu entwickeln.
Dies hängt auch mit der öffentlichen Perzeption in Europa zusammen, die zwischen „Qatar-Gate“ und der Tötung Jamal Khashoggis in einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Golf verhaftet bleibt. Doch alle Kritik ändert wenig daran, dass sich beide Regionen eine gemeinsame Nachbarschaft teilen und die EU in Zeiten aufkeimender Großmachtrivalitäten, Kriege auf dem eigenen Kontinent und hartnäckiger wirtschaftlicher Stagnation neue starke Partner benötigt. Mit dem GCC gibt es eine Staatengruppe, mit der Europa seine Zusammenarbeit ausbauen sollte und damit letztendlich eigenen Interessen Rechnung tragen würde. Der EU-GCC-Gipfel ist dafür ein wichtiger Anfang. Doch jetzt braucht es den politischen Mut, diesem auch konkrete Schritte folgen zu lassen.