Comptes-rendus d'événement
Mehrere Staaten Europas wurden in den letzten Jahren von islamistisch motivierten Terroranschlägen erschüttert. Doch Gewalt und Terrorismus dürfen nicht unser Leben bestimmen – die Demokratie muss stets die Oberhand behalten. Dies betonte Frank Bannert (Landrat des Saalekreises) bei seinem Grußwort zu einer Kooperationsveranstaltung des Politischen Bildungsforums Sachsen-Anhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. mit dem Landkreis Saalekreis. Neben dem Leid der Opfer seien Angst und die Verwundung der Seelen der größte Schaden durch den Terrorismus. Dabei erinnerte Bannert an einen Neujahrsempfang im Januar 2015, der nur wenige Stunden nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ in Paris stattfand und wo es schwer fiel, seine Gefühle in Worte zu fassen.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung in Merseburg stand die Frage, ob und wie Terroristen die Not der Flüchtlinge für ihre Ziele nutzen. Der Journalist und ehemalige Regierungssprecher Dr. Franz Kadell moderierte das hochrangig besetzte Forum. Einen Impulsvortrag hielt Stefan Damke, Abteilungsleiter im Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt. Er erinnerte an 9/11 als Ausgangspunkt für den islamistischen Terrorismus. Erst damit kam die Auseinandersetzung mit dieser Bedrohung auf die Agenda von Politik und Sicherheitsorganen. Zwar gab es in Deutschland noch keinen großen Anschlag, aber mehr als 100 Deutsche wurden bei Attacken im Ausland getötet. In der Bundesrepublik scheiterten indes mehrere Versuche, einen Anschlag zu verüben – sei es durch das Wirken von Sicherheitsorganen, sei es durch technisches Versagen von Bomben. Diese Versuche wurden alle von kleinen Gruppen oder Einzeltätern verübt, worin die größte Gefahr besteht. In dschihadistischen Online-Magazinen fanden sich längst Aufrufe zu terroristischen Aktionen und aufgrund konkreter Warnungen wurden bereits Großveranstaltungen abgesagt, z.B. ein Fußball-Länderspiel in Hannover, eine Karnevalsveranstaltung in Braunschweig sowie Pegida-Demonstrationen sowie Gegendemos in Dresden.
Viele potenzielle Täter werden in salafistischen Szenen rekrutiert – in Deutschland gibt es etwa 9.200 Salafisten. Nach aktuellem Stand reisten 870 Personen aus Deutschland in die Kriegsgebiete nach Syrien oder in den Irak – von den Rückkehrern geht indes eine besonders große Gefahr aus. Ebenso wirken Radikalisierungsmoscheen, bedeutsame Islamisten oder Kampagnen wie „Lies!“ auf unsichere junge Muslime. Im Internet, wo die Szene vielfältig vernetzt ist, finden sich zudem Anleitungen für Bombenbau. Aus Sachsen-Anhalt sind keine ausgereisten Kämpfer bekannt, so dass auch keine Rückkehrer befürchtet werden. Wohl aber sind zwei junge Mädchen ins Kriegsgebiet ausgereist.
Szenarien für Terrorattacken sind einerseits komplexe Anschläge, die von gut ausgerüsteten Zellen vorbereitet werden (z.B. Paris), mit dem Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. Andererseits gibt es Einzeltäter mit einfachen Tatmitteln, die oftmals gesteuert sind oder deren Taten sich anschließend Terrororganisationen wie der IS für sich vereinnahmen. Der Täter von Würzburg schien gut integriert, wurde jedoch durch ein belastendes Erlebnis radikalisiert. Für die Sicherheitsbehörden ist es eine umso größere Herausforderung, mit der Verschmelzung von Terror und Amok umgehen zu können.
Das Internet ist die zentrale Plattform für die Radikalisierung. Mit Netzwerken wie Facebook, Whatsapp und vielen anderen erfolgen Rekrutierung, Kommunikation, Aufrufe zu Anschlägen, Steuerung von Dschihadisten (auch Fernsteuerung von Einzeltätern) sowie die Planung und Vermarktung von Anschlägen (z.B. Reklamierung von ins Bild passenden Tätern für die eigenen Zwecke). Das Netz ist fast nicht mehr zu durchschauen, zumal die meisten Täter viele unterschiedliche Accounts benutzen. Besonders die Altersgruppe 14-Ende 20 bereitet große Sorgen. Auch ergeben sich durch das Internet Formen von „Turboradikalisierung“. Zudem erhalten die Sicherheitsbehörden über das Internet viele Hinweise auf potenzielle Täter, viele davon unspezifisch.
Ein weiteres Problem ist die Nichtüberschaubarkeit der vielen Kriegsparteien in Syrien, die oftmals auch die Bündnisse wechseln und aus deren „Dunstkreisen“ weitere Hinweise und Täter kommen. Daneben gibt es einen säkularen Ausländerextremismus (z.B. Kurden), auch mit Ablegern in Magdeburg. Bedrohlich ist überdies die Wechselwirkung von Extremisten, etwa die Zunahme des Rechtsextremismus (z.B. Anschläge auf Flüchtlingsheime) und die Reaktion von Linksextremisten, was eine Hass- und Gewaltspirale nach sich zieht.
Jürgen Schmökel, Direktor des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt, erinnerte daran, dass Anschläge von Gruppenzellen noch nicht stattgefunden hatten, wohl aber Attacken von Einzeltätern. Leider besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dies zu verhindern. Der „Islamische Staat“ hat 2014 das Kalifat in Syrien und im Irak ausgerufen und verfügt in zahlreichen Staaten der Welt über virtuelle Provinzen. Dies ist ein Netzwerk des Terrors. Daneben gibt es noch Al-Kaida, die aber keinen territorialen Sitz mehr haben und an Einfluss verloren, sich aber weiterhin als gleichwertigen Konkurrenten sehen. Die Bedrohungslage in Deutschland für Anschläge sieht Schmökel als sehr hoch an, aber es gibt keine konkreten Hinweise für einen Anschlag. Sachsen-Anhalt ist relativ sicher, aber aufgrund des Stroms der Zuwanderer sei eine angespannte Sicherheitslage und die Hinweise auf Attacken sind dynamisch nach oben geschnellt. Genannte Hinweise (z.B. von Zuwandereren oder Betreuern) sind ernst zu nehmen und bedürfen einer sorgfältigen Bearbeitung, was zusätzliches Personal bindet. Des weiteren verwies Schmökel auf die bundesweiten Strukturen der Gefahrenabwehr und den Austausch auch auf europäischer Ebene. Der operative Austausch muss aber intensiviert werden.
Laut Holger Stahlknecht MdL (Minister für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt) „kann es in Deutschland jeden Moment einen Anschlag geben. Das müssen wir ehrlich sagen.“ Das Thema begleitet Deutschland seit Jahren, aber Intensität und Verdichtung haben zugenommen. Die Flüchtlingslage hat dazu mit beigetragen, denn mit ihr kamen auch Menschen nach Deutschland, die nicht den Frieden suchen. Aber ein 100prozentiges Wissen über mögliche IS-Anhänger dazu ist nicht vorhanden, zumal im Herbst 2015 der Staat eine „temporären Kontrollverlust“ für einige Wochen hatte, als einwandernde Personen nicht kontrolliert und registriert worden. Bis heute ist teilweise nicht bekannt, wo sie sich aufhalten, auch weil zahlreiche Personen über gefälschte Pässe verfügen. Während es vor wenigen Jahren noch Bestrebungen zur Abschaffung des Verfassungsschutzes gab, zeigt sich heute, wie wichtig die Sicherheitsarchitektur in Deutschland ist.
Auch Stahlknecht benannte zwei Szenarien: 1. Multiple Einsatzlage aufgrund eines großen Angriffs in einem oder zeitgleich in mehreren Bundesländern. Hierbei kann er nicht nur als Minister für sein zuständiges Bundesland denken, sondern muss bundesweit in Vernetzung mit Amtsträgern aus Bund und Ländern agieren. Auf dieses Szenario muss die Polizei vorbereitet sein, zumal sie bislang auf ein solches laufendes Gefecht nicht vorbereitet und nicht ausgebildet sei, auch nicht mental. Auch sollte ein Einsatz der Bundeswehr in einer solchen Situation möglich sein und sie nicht aufgrund der beengten Struktur des Grundgesetzes außen vor gelassen sein. 2. Selbstradikalisierende Amoklagen – hierauf sei die Polizei gut vorbereitet (z.B. bei Amokläufen in Schulen), aber eine solche Situation sei nicht leicht vorhersehbar. Während das erstgenannte Szenario in Sachsen-Anhalt als eher unwahrscheinlich gilt, ist Szenario 2 mit einer amokähnlichen Lage (z.B. in Supermärkten oder auf Volksfesten) nicht ausgeschlossen. Deutschland hat – abgesehen von der RAF – kaum Erfahrung mit Terroranschlägen. Falls ein Anschlag passiert, würde diese Lage Deutschland sehr lange beschäftigen, zumal wir auch mental nicht darauf vorbereitet sind. Deshalb ist es wichtig, sich mit unserer Erfahrung auf eine solche Lage vorzubereiten und ehrlich zu sein.
Dr. Sylvia Winkelmann-Witkowsky (Orient-Archäologin und Integrationscoach) stellte die Ausgangslage der Zuwanderer dar, die aus Bürgerkriegsländern wie Syrien kommen, in denen kein Mensch mehr leben kann. Diese Kriege beruhen oft auf innerreligiösen Konflikten um die Auslegung des Islam, denn jeder will seine Wahrheit als die einzig richtige verkaufen. Im Vergleich zum Westen ist im Islam eine völlig konträre Wertegesellschaft zu sehen. Die Aggressionen richten sich dabei gegen alles im Westen, z.B. individuelle Freiheit, Gewaltenteilung, Pluralismus. Der Koran gibt die Religion vor, die aus Sicht der Muslime mehr wert ist als alle anderen Religionen. Der Islam ist mehr als Religion, sondern auch politisches Konzept und umfasst alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Er wird definiert als die allerletzte Wahrheit und es darf keine Zweifel geben. Er diktiert das ganze Leben und erlaubt keine Individualität. Und vor allem kann er auf die Fragen des 21. Jahrhunderts nicht antworten.
Junge Muslime in Westen schätzen zwar die hier verbreitete Freiheit, aber sie bedeutet das Gegenteil von dem, was im Koran steht. Dieser ist in einem völlig anderen historischen Zusammenhang entstanden und muss unter den gegenwärtigen Prämissen betrachtet werden – hier liegt der Konflikt. Viele junge Zuwanderer zerbrechen an diesem Konflikt und fallen auf die vermeintlichen Antworten der Salafisten hinein. Im Koran findet jeder Fundamentalist die passende Stelle für seine Argumentation. Für unsere Gesellschaft ist es wichtig, jene Muslime zu unterstützen, die sich im westlichen Sinne entwickeln. Wenn dies nicht geschieht, besteht die Gefahr weiteren Fundamentalismus‘.
Johann Michael Möller (MDR-Programmchef) erinnerte an den Herbst 2015, in dem der Staat wochenlang die Kontrolle über seine Grenzen abgegeben hat. Bzgl. des Islam warnte er vor einem Kurzschluss und appellierte, Islam und Islamismus nicht in einem Atemzug zu nennen und die Begriffe nicht zu vermischen. Die bisherigen Terroristen stammten aus bestimmten Milieus, z.B. in Molenbeek. Auch in Deutschland gibt es entsprechende Viertel in Großstädten – aus diesen Milieus könnte Terror wachsen. Ein Teil der Zuwanderer will sich nicht integrieren; zudem strömen Muslime mit der niedrigsten Integrationsstufe auch nach Deutschland. Zehn Prozent der Einwanderer sind als gewaltbereit einzustufen; eine Ghettobildung macht empfänglich für Gewalt, jedoch wird der Hang zu Gewalt mitgebracht und nicht hier erworben. Eine besondere Problemgruppe sind dabei junge Männer ohne familiäre Bindung, die ebenfalls in großer Zahl nach Deutschland kamen. Das Bekenntnis zum Islam ist oft eine leere Hülle und füllt sich mit Provokation und Begrenzung. Terrorismus ist viral geworden und nicht mehr auf bestimmte Regionen begrenzt. Es ist nicht bekannt, was latent schlummert. Notwendig ist eine kulturelle Prävention, doch es ist es fraglich, mit unseren bekannten Möglichkeiten den Konflikten beizukommen.
In der anschließenden Diskussion wurde die öffentliche Sicherheit angesprochen, ebenso die Reaktion auf eine multiple Terrorlage. Stahlknecht sieht Sachsen-Anhalt durch eigene Polizeikräfte sowie durch die Unterstützung aus anderen Bundesländern hierfür gerüstet, doch ist zudem auch in der Lage, anderen Bundesländern Unterstützung zu geben. Auch auf Situationen wie bei einem Amoklauf ist die Polizei bestens geschult und vorbereitet. Angesprochen wurde des weiteren die Religiösität junger Zuwanderer – die als Integrationscoach erfahrene Dr. Winkelmann-Witkowsky berichtete hierzu, dass diese trotz religiösen Hintergrunds unserer Demokratie gegenüber teils sehr aufgeschlossen sind, aber es gibt auch ablehnende Haltungen. Durch die Zuwanderung religiöser Menschen erhielt auch Deutschland einen Impuls, sich stärker mit der eigenen Religion zu beschäftigen, wie Möller ausführte.