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Rapports pays

Diplomatische Krise im Tschad

Auch ein Test für die deutsch französischen Beziehungen?

Diplomatische Krise zwischen Deutschland und Tschad: Der Sahelstaat wies den deutschen Botschafter nach Kritik an demokratischen Defiziten am 07.04.23 aus. Dessen Kritik war dabei durchaus gerechtfertigt, denn die Militärregierung von Präsident Mahamat Déby geht hart gegen die Opposition vor und verschleppt die geplanten Präsidentschaftswahlen. Der Fall wirft auch ein Schlaglicht auf das Verhältnis Frankreichs zu seinen früheren Kolonien.

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Tschad ist ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen Dschihadisten in einer volatilen Region:  Das Land ist umgeben von den Krisenstaaten Libyen, Sudan und der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). Während in der ZAR russische Söldner der Wagner-Gruppe aktiv sind, brachen im April im Sudan in der Hauptstadt Khartum und in der an Tschad angrenzenden Region Darfur schwere Kämpfe aus. Zudem grenzt Tschad an Afrikas bevölkerungsreichsten Staat Nigeria sowie Kamerun, wo ebenfalls Dschihadisten ihr Unwesen treiben. Tschads Armee ist außerdem wichtig für die Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen in Nord-Mali. Tschad ist einer der größten Truppensteller, und die tschadischen Truppen wurden bereits 2013 bei der Rückeroberung Nord-Malis durch die französische Armee eingesetzt. Vor allem aber für Frankreich hat der Sahel-Staat eine zentrale Bedeutung in der Region: Das europäische Land unterhält seit der Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonie 1960 am Flughafen der Hauptstadt N’Djamena einen seiner größten Militärstützpunkte in Afrika und das Hauptquartier seiner Anti-Terror-Mission in der Sahelregion.

Das erklärt auch, warum Frankreich, die Europäische Union und andere westliche Nationen wie die Vereinigten Staaten Tschad immer unterstützt haben, obwohl das Land seit Jahrzehnten autoritär regiert wird. Die Weltbank und andere Geldgeber finanzieren immer wieder Projekte wie z.B. den Bau einer Erdölpipeline, wenngleich die Regierung die Einnahmen aus dem Ölgeschäft für den Kauf von Waffen nutzte und nicht wie vereinbart für eigene Infrastrukturprojekte. Zu groß ist die Sorge, dass Tschad mit seinen dutzenden ethnischen Gruppen auseinanderbrechen könnte - wie schon Libyen nach dem Sturz von Muammar Gaddafi 2011. Präsident Idriss Déby hielt das Land 31 Jahre mit eiserner Faust zusammen.

 

Fragiler Staat und politische Clanwirtschaft

Seit der Unabhängigkeit wurde das Land – das fast viermal so groß wie Deutschland ist -- immer wieder von Rebellionen erschüttert. Gaddafi zettelte in den 80er Jahren einen Grenzkrieg an und unterstützte verschiedene Rebellengruppen. Seit seinem Sturz nutzen Rebellen das Chaos in Libyen, um im abgeschiedenen Süden des Landes Stützpunkte zu errichten. Idriss Déby und seine Vorgänger nutzten stets große Anteile der staatlichen Mittel für den Kampf gegen die Rebellen – entweder um Waffen zu kaufen oder um Rebellen-Anführern Regierungsposten anzubieten und deren Kämpfer in die Armee einzugliedern. 

Tschad bleibt trotz seiner Öl- und Goldvorkommen eines der unterentwickeltesten Länder der Welt, das am untersten Ende von globalen Entwicklungsindizes steht. Der Dauerkonflikt hat dazu geführt, dass der Staat außerhalb der Hauptstadt und den Städten im Süden kaum präsent ist. In den nördlichen Regionen, die fast die Hälfte des Territoriums ausmachen, gibt es nach Angaben von Analysten fast gar keine Präsenz staatlicher Einrichtungen. Die Folge: Die meisten Menschen haben keinen Zugang zu Dienstleistungen, sofern sie nicht nach N’Djamena fahren. Auch die Goldvorkommen finden sich vor allem im Norden und werden von Rebellen und Banditen ausgebeutet.

Das Hauptproblem ist dabei, dass sich die ethnischen Gruppen im Tschad nie auf eine einvernehmliche Machtverteilung einigen konnten. Auch Déby bevorzugte bei der Verteilung von Staatressourcen stets seinen Zaghawa-Clan. Dadurch hat sich viel Frust aufgestaut, der sich jetzt entlädt. Der Déby - Clan gilt zudem als in sich gespalten.

Nach der Tötung von Idriss Déby 2021 bei Kämpfen gegen Rebellen übernahm sein Sohn Mahamat Déby die Macht und versprach eine demokratische Transition und Wahlen innerhalb von 18 Monaten. Damals hatten Zivilaktivisten auf demokratische Reformen gehofft, auch weil der damals erst 37 Jahre alte Déby sich zunächst konziliant gab.

Doch auch Mahamat Déby zeigt in letzter Zeit - wie schon sein Vater - zunehmend autoritäre Züge. Die Regierung hielt zwar letztes Jahr den vereinbarten nationalen Dialog mit Vertretern von Opposition, ehemaligen Rebellengruppen und der Zivilgesellschaft ab. Doch kurz vor dem Ende des Dialogprozesses im Oktober 2022 verfügte die Regierung als „Ergebnis“, dass die Wahlen nun um zwei Jahre verschoben werden würden und dass Déby als Kandidat antreten dürfe – Opposition und westliche Diplomaten waren schockiert. Die Opposition hatte sich auf den Dialog schließlich nur unter der Bedingung eingelassen, dass eine Kandidatur Débys ausgeschlossen wird. Als Aktivisten und Oppositionsparteien im Oktober 2022 gegen die Verschiebung der Wahlen demonstrierten, wurden Dutzende Menschen – vermutlich von den staatlichen Sicherheitskräften – erschossen. Offizielle gaben die Zahl der Opfer mit 50 an, Menschenrechtsgruppen sprechen aber von mehr als 100 Toten.

Die Regierung trieb das Narrativ daraufhin auf die Spitze und bezeichnete die Demonstranten als bewaffnete Rebellen. Hunderte Menschen wurden darauf in Schauprozessen zu Haftstrafen verurteilt und in das Hochsicherheitsgefängnis Koro Toro gebracht. Einige der Verurteilten überlebten nach Aussagen von Menschenrechtsgruppen den Transport dorthin nicht oder starben im Gefängnis. Mehr als 260 Inhaftierte wurden inzwischen nach Kritik aus dem Ausland per Amnestie wieder freigelassen, doch die Atmosphäre im Land bleibt angespannt. Oppositionelle sollen sich im Hausarrest befinden, und es gibt immer noch keinen Wahltermin.

 

Kritik unerwünscht

Der deutsche Botschafter Gordon Kricke hatte, wie schon andere EU-Staaten, bei der tschadischen Militärregierung immer wieder auf die demokratischen Defizite hingewiesen, die sich aus der verschleppten Transition ergeben. Das kam nicht gut an, die Regierung warf Kricke „unhöfliches Verhalten“ vor und wies den deutschen Botschafter schließlich aus. Diplomaten werten die Ausweisung als „Warnschuss“ an andere Länder, sich mit Kritik zurückzuhalten. Auch die Art und Weise, wie die Ausweisung geschah, stieß sehr unangenehm auf: Die Entscheidung wurde am Abend zu Beginn der Osterferien per Mitteilung in den sozialen Medien veröffentlicht. Kopien von Krickes Reisepass und seiner Bordkarte für den Rückflug wurden an Lokalmedien weitergegeben. Aus Solidarität kamen Vertreter anderer Botschafter zum Flughafen in N’Djamena, um Kricke zu verabschieden. Die EU verurteilte die Ausweisung Krickes als bedauerlich und feindliche Geste.

Tschad hatte wohl erst gehofft, dass Deutschland nicht auf die Ausweisung reagieren würde. Ein tschadischer Regierungsvertreter betonte noch unmittelbar nach der Aufforderung zur Ausreise, dass die Regierung keinen Bruch mit Deutschland wünsche und die Akkreditierung eines neuen deutschen Botschafters prüfen wolle. Als Reaktion forderte das [1]Auswärtige Amt allerdings wenig später die tschadische Botschafterin in Berlin, Mariam Ali Moussa (eine ehemalige Ministerin unter Idriss Déby) auf, ebenfalls innerhalb von zwei Tagen aus Deutschland auszureisen.

 

Doppelspiel Frankreichs

Der Konflikt zwischen Deutschland und Tschad hat auch offengelegt, dass Frankreich hier ein Doppelspiel spielt. Die frühere Kolonialmacht hat zwar Erklärungen der Europäischen Union mitgetragen, die Tschads verschleppte Transition und die Unterdrückung von Protesten kritisieren. Nach deutschen Medienberichten hat der französische Botschafter auch Kritik an der Regierung geübt – Beobachter bestätigen dies allerdings nicht. Allenfalls habe es sehr diskrete Kritik gegeben, während Kricke deutlich geworden sei, heißt es. Deutschland hatte schon im Vorfeld des Dialogs mit anderen EU-Staaten Déby treffen wollen, um auf einen konkreten Wahltermin zu drängen – Frankreich stand aber nicht hinter dieser Idee, sagt ein Diplomat in N‘Djamena. Paris hat seit der Unabhängigkeit des Landes immer an der Seite des jeweiligen Autokraten gestanden. Französische Jets mussten Idriss Déby zweimal retten, indem sie Rebellenangriffe Richtung Hauptstadt stoppten – dies wurde von Paris als Anti-Terror-Mission bezeichnet, obwohl es sich bei den Rebellen nicht um Dschihadisten wie in Mali handelte.

Zuviel steht für Paris im Tschad auf dem Spiel: Die französische Armee unterhält mehrere Militärbasen in dem Land. Als Frankreich seine Soldaten aus Nord-Mali und Burkina Faso im Streit mit den Militärregierungen dort abzog, wurden einige von ihnen nach Tschad und Niger verlegt. Im Niger regt sich allerdings Widerstand gegenüber den etwa 2.200 stationierten Soldaten. Die genaue Zahl der Truppen dort ist geheim ebenso wie die französische Truppenstärke im Tschad – so heikel ist das Thema in beiden Ländern. Tschad war bisher eine Art Rückfalloption für die französische Armee, allerdings gibt es auch dort eine starke antifranzösische Stimmung. Diese wird angefeuert von pro-russischen Trollen in den sozialen Medien, aber die enge Beziehung zur Regierung ist auch vielen Einheimischen ein Dorn im Auge. Tschad ist das Paradebeispiel von „Franceafrique“ – damit wird der Einflussbereich Frankreichs in ehemaligen Kolonien bezeichnet.

Frankeich wirkt dabei meist im Einklang mit den Vereinigten Staaten, die im Tschad ebenfalls einen wichtigen Stabilitätsanker sehen. Beide haben bei der Weltbank und anderen internationalen Institutionen immer wieder Hilfen für das Land durchsetzt. Letztes Jahr bekam Tschad trotz seiner demokratischen Defizite als erstes Land im Rahmen der G20-Initiative einen Schuldenerlass vom Pariser Club[2] und die Weltbank hat eine Zahlung von US$ 570 Millionen vom Internationen Währungsfonds IMF freigegeben. Vergessen war, dass Öleinnahmen für Waffen ausgegeben wurden.

Die US-Regierung versucht derzeit als Schwerpunkt ihrer Afrika-Politik, den Einfluss Russlands und der Wagner-Söldner einzudämmen – so etwa bei den Nachbarn Zentralafrikanische Republik, Libyen und Sudan. Es halten sich Gerüchte, dass Wagner tschadische Rebellen unterstützen könnte. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass die USA auf Tschad oder Frankreich Druck ausüben werden, demokratische Reformen in dem Sahelstaat vorzunehmen. Im Gegenteil - die aktuell ausgebrochene, neue Krise im Nachbarstaat Sudan dürfte die Ängste vor einer Destabilisierung Tschads neu anfachen. Allerdings zeigt das Beispiel Sudans, wo sich die reguläre Armee und eine paramilitärische Truppe bekämpfen, auch, dass Militärs letztlich auch kein Garant sind für Sicherheit und Entwicklung.

Das Doppelspiel Frankreichs im Tschad zeigt auch, dass Deutschland sich im Sahel zwar mit Paris weiter abstimmen muss, aber auch innerhalb der EU über eine eine Strategie nachdenken sollte, die nicht automatisch deckungsgleich mit der französischen ist. Frankreich ist bei der Bevölkerung in der Sahelregion zunehmend unbeliebt. In Mali und Niger, wo die Bundeswehr stationiert ist, ist Deutschland – wie auch die anderen EU-Staaten – Frankreich stets gefolgt. Beide Sahel-Staaten haben bereits den Wunsch geäußert, dass Deutschland künftig eine größere Rolle in der Region spielen sollte. Deutschland gilt als ehrlicher Makler ohne koloniale Vergangenheit – daraus ergibt sich eine Chance für Berlin.


[1] Idriss Déby starb offiziell bei einem Frontbesuch durch Kämpfe mit Rebellen, die genauen Umstände sind aber ungeklärt. Einige Analysten haben Zweifel an der offiziellen Todesursache geäußert und eine Intrige innerhalb der Armee vermutet.

[2] Club de Paris - informelles Gremium, in dem staatliche Gläubiger mit einem in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Schuldnerland zwecks Umschuldungsverhandlungen oder Schuldenerlass zusammentreffen (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Pariser_Club)

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Interlocuteur

Ulf Laessing

Ulf Laessing

Directeur régional Sahel

ulf.laessing@kas.de 00223-20 23 00 36

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