kas.de: Immer wieder schüren rivalisierende Bevölkerungsgruppen, organisierte Verbrecher, Aufständische und Islamisten den Konflikt in Nordmali. Zwischen November 2018 und März 2019 wurden 547 Zivilisten Opfer von bewaffneter Gewalt im Land, bis Mai 2019 fielen knapp 200 UN-Blauhelm-Soldaten. Herr Schiller, Sie sind jetzt seit fast zwei Jahren vor Ort. Wie gestaltet sich aus Ihrer Perspektive die Lage im Land und in der Sahel-Region?
Thomas Schiller: Die Lage in Mali und in der gesamten Sahelregion ist kritisch. Es geht schon längst nicht mehr nur um die Stabilisierung des Nordens von Mali. Das Zentrum des Landes ist seit längerem Brennpunkt terroristischer und interethnischer Gewalt. Darüber hinaus sind auch große Teile Burkina Fasos und Nigers regelmäßig von Anschlägen betroffen. In Europa wird zudem sehr wenig über die überaus problematische Sicherheitslage in der Tschadseeregion berichtet. Insgesamt kann mal also sagen: wir stehen vor einem Problem, dass sich schon lange nicht mehr auf Mali beschränkt.
Um zu einer langfristigen Friedenslösung zu kommen, bräuchte es eine Aussöhnung zwischen der Regierung und den Rebellengruppen. Eigentlich gab es 2015 das Abkommen über Frieden und Versöhnung in Mali, 2018 einen Friedenspakt zwischen Vereinten Nationen und Malischer Regierung. Doch es gibt bewaffnete Gruppen, die sich nicht daran halten. Wie verläuft aus Ihrer Sicht der Friedensprozess?
Der Friedensprozess in Mali ist wichtig, aber er stockt. Erst jüngst hat eine der unterzeichnenden bewaffneten Gruppen ihre Beteiligung an weiteren Gesprächen ausgesetzt. Man muss aber auch festhalten, dass die Instabilität der gesamten Region tiefer liegende Ursachen hat: es fehlt an Perspektiven für die jährlich anwachsende Zahl junger Menschen, die Staaten sind vielfach nicht in der Lage Vertrauen zu schaffen, es fehlt der Zusammenhalt, Infrastruktur und Bildungswesen sind katastrophal. Die Liste der Herausforderungen ließe sich fortsetzen.
Was braucht es aus Ihrer Sicht an Unterstützung, um diese Herausforderungen anzugehen?
Deutschland unterstützt die Sahelstaaten seit längerem in erheblichem Umfang, zivil und militärisch. Ein konkretes Beispiel ist die Lieferung minengeschützter Truppentransportfahrzeuge an die malischen Streitkräfte. Damit sollen diese in die Lage versetzt werden, ihre Präsenz auch in extrem unsicheren Regionen wie dem Zentrum des Landes zu verstärken. Wer die schlechte Ausstattung der Streitkräfte des Sahel kennt, weiß, dass gerade der Eigenschutz häufig ein zentrales Problem für die Soldaten darstellt.
Seit etwas über sechs Jahren unterstützt die Bundeswehr die Stabilisierung Malis. Welche Rolle spielen unsere Einheiten im Verbund mit den UN- und EU-Missionen bei der Herstellung von Sicherheit in der Region, der Bekämpfung von Fluchtursachen und der Durchsetzung von Menschenrechten?
Die deutschen Soldatinnen und Soldaten sind Teil des internationalen Engagements zur Stabilisierung der Region, sei es im Rahmen der VN-Mission MINUSMA, sei es als Teil der europäischen Mission EUTM. Darüber hinaus engagiert sich Deutschland aber auch bilateral, beispielsweise bei der Unterstützung der nationalen Streitkräfte Malis und Nigers im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative. Nicht zu vergessen ist aber auch das erhebliche entwicklungspolitische Engagement Deutschlands. Aber lassen Sie mich sehr deutlich sagen: eine nachhaltige Entwicklung der Region kann es nur geben, wenn alle Instrumente ineinander greifen und wenn die Sahelstaaten selbst mehr tun, beispielsweise bei der Reform des Sicherheitssektors.
Herr Schiller, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Stefan Stahlberg von der Online-Redaktion der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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