Comptes-rendus d'événement
Die meisten machten sich heute nicht bewusst, was es für ein Segen sei, dass Europa über Jahrzehnte so zusammenwachsen konnte, sagte Jens Gieseke in seinem Grußwort. Vielmehr werde immer wieder Kritik an ‚denen da in Brüssel’ geübt, die unser aller Leben mit allzu vielen kleinlichen Vorschriften zu Normen und Größen bürokratisierten. „Doch Hans-Gert Pöttering hat immer wieder erklärt und aufgezeigt, dass Europa mehr ist – nämlich der Gegenentwurf zu zwei zerstörerischen Weltkriegen“, so der Leiter des Brüsseler Büros des Flughafenverbandes ADV und Kandidat bei den Europawahlen. Dieses Erbe gelte es heute zu verteidigen.
“Wenn wir es nicht schaffen, wird Europa schwächer“
Oft sei gesagt worden, dass die Frage von Krieg und Frieden heute als Legitimation für ein weiter zu integrierendes Europa ausgedient habe, so Gieseke. Doch blicke man heute auf die Krim, werde klar, dass Frieden nicht selbstverständlich sei. Dafür müsse Europa aber an einem Strang ziehen. „Deutschland alleine ist zu klein, um sich gegenüber Russland und der Welt zu behaupten. Aber die Stimme eines geeinten Europas hat Gewicht.“ Umso problematischer sei es, wenn Umfragen dieser Tage zeigten, dass 72 Prozent der Deutschen den in 49 Tagen stattfindende Wahlen zum Europäischen Parlament keine große Bedeutung beimessen. Dabei müsse man doch nur nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden blicken, um zu sehen, dass dort Rechtspopulisten erstarken, die sich gegen Europa wenden. „Wenn wir es nicht schaffen, den Menschen klarer zu machen, worum es geht, wird Europa schwächer.“
Die Krim-Krise sei ernst, so Hans-Gert Pöttering, doch Angst sei ein schlechter Ratgeber. „Denn wenn man Angst hat, ist man in seinen Entscheidungen nicht mehr frei. Wir sollten daher keine Angst haben, auch wenn die Situation gefährlich ist.“ Niemand wolle eine militärische Lösung, aber wenn solch ein Fall wie in der Ukraine eintritt, müsse die internationale Staatengemeinschaft darauf reagieren. „Daher bin ich froh, dass sich die 28 EU-Regierungen auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt haben.“ Vor allem müsse jetzt den Balten und Polen gezeigt werden, dass sie nicht alleine sind. Eine verstärkte militärische Kooperation, wie sie dieser Tage demonstrativ eingeleitet werde, sei daher richtig.
Europäisches Parlament statt Bundestag
Gemeinsam mit Dr. Michael Reitemeyer, dem Direktor des Ludwig-Windthorst-Hauses, warf Pöttering einen Blick zurück auf seinen Weg und wichtige Scheidepunkte der europäischen Einigung. Eine besonders große Herausforderung sei es gewesen, als im Mai 2005 in Frankreich und im Juni 2005 in den Niederlanden Referenden zum europäischen Verfassungsvertrag scheiterten. „Doch Konrad Adenauer hat einmal gesagt, dass die Arbeit erst richtig anfängt, wenn die meisten die Hoffnung schon aufgegeben haben“, so der heutige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung. Fortan sei nach Alternativen gesucht worden und am Ende habe die „Berliner Erklärung“ gestanden, die am 25. März 2007 in Berlin unterzeichnet wurde und die den Weg ebnete für den Vertrag von Lissabon.
Als er sich 1979 entschieden habe, für das Europäische Parlament zu kandidieren, hätten ihn viele Parteifreude gefragt, warum er für dieses Parlament und nicht den Bundestag antreten wolle, schließlich habe Brüssel nichts zu entscheiden. „Ich war jedoch davon überzeugt, dass wir uns unsere Rechte erstreiten würden und mit dem Vertrag von Lissabon kam für das Europäische Parlament der Durchbruch.“
“Die Psychologie muss stimmen“
In seiner Arbeit als Fraktionsvorsitzender habe er für sich einen wichtigen Grundsatz für die Arbeit im Europäischen Parlament herausgearbeitet. „Man darf die Großen nie gegen sich haben, aber man muss die Kleinen hinter sich haben – die Psychologie muss stimmen, sonst droht vieles in Europa, schnell kaputtzugehen.“ Er habe das Glück gehabt, einige Wegbegleiter gehabt zu haben, denen er vertrauen konnte und die ihm in schwierigen Fragen zur Seite gestanden hätten. „Fleiß und Hartnäckigkeit sind unabkömmlich, aber bei der Europapolitik braucht es immer auch ‚Fortune’“, so der scheidende Europapolitiker.
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