Neue Dynamik in Nahost: Abraham Accords, Biden und Corona
Zum Leidwesen Jordaniens hatte US-Präsident Trump mit seiner einseitig an Israel orientierten Haltung jegliche Fortschritte im israelisch-palästinensischen Konflikt unmöglich gemacht. Doch im Sommer 2020 gelang ihm mit den „Abraham Accords“ doch noch ein nahostpolitischer Verhandlungserfolg. Die Normalisierung diplomatischer Beziehungen Israels mit arabischen Staaten, zunächst mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, wurde in Washington parteiübergreifend und auch von den europäischen Verbündeten der USA begrüßt. Dieser Schritt bekräftigt die sich seit Jahren abzeichnende Entkopplung der israelisch-arabischen Beziehungen von der Palästinenserfrage (jedenfalls auf Regierungsebene).
Jordanien tat sich zunächst schwer mit dieser Entwicklung, die alte Ängste weckt: Dass nämlich der Nahostkonflikt ohne die Einbeziehung Jordaniens und damit letztlich auf seine Kosten bearbeitet wird. In Amman fürchtet man vor allem, dass Palästinenser aus dem Westjordanland – angesichts der Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat – nach Jordanien übersiedeln bzw. von Israel dorthin verdrängt werden. Das fragile demographische und machtpolitische Gleichgewicht im Haschemitischen Königreich würde damit gefährdet. Mittlerweile hat sich Jordanien indes auf die neue Situation eingestellt und versucht, sich als Mittler zwischen den Golf-Staaten und den Palästinensern zu etablieren. Vor allem will es die neue diplomatische Dynamik in der Region für einen neuen Anlauf nutzen, die Zwei-Staaten-Lösung doch noch voranzubringen. Das jordanische Königshaus setzt dabei große Hoffnungen auf den neuen US-Präsidenten Biden, zu dessen Administration es gute Beziehungen unterhält. So war etwa der neue CIA-Direktor, William Burns, Ende der 1990er Jahre US-Botschafter in Amman.
Zugleich erhöht die Corona-Krise mit ihrem wirtschaftlichen Flurschaden den Druck auf das ressourcenarme und von internationaler Hilfe abhängige Jordanien. Eine regionale Entspannung und Stabilisierung der Nachbarländer würde dem Land lang erhoffte neue ökonomische Chancen bringen.
Deutsche Interessen in Jordanien
Die Bedeutung Jordaniens für die deutsche Außenpolitik ist in den letzten Jahren gestiegen. Das Haschemitische Königreich, ein traditioneller Verbündeter des Westens, präsentiert sich als Stabilitätsanker in der unruhigen Nahostregion. Zu Recht ist die Stabilität des Landes oberste Priorität deutscher Jordanien-Politik. Ein weiterer Staatszerfall im Herzen der arabischen Welt würde erneute Migrationsbewegungen auslösen und ein Machtvakuum schaffen, das die Ausbreitung terroristischer Gruppen begünstigen könnte. Jordanien ist zudem ein wichtiger Partner im Kampf gegen islamistischen Terror: sowohl ideologisch, da das Königshaus mit seiner historisch-religiösen Legitimation für einen moderaten Islam und konfessionelle Toleranz eintritt, als auch sicherheitspolitisch. Jordaniens Armee sichert die Grenzen zu den konfliktgeplagten Nachbarstaaten Syrien und Irak sowie zu Israel, mit dem seit 1994 ein Friedensvertrag besteht. Seit 2017 operiert die Bundeswehr im Anti-Terror-Kampf von Jordanien aus. Im Luftwaffenstützpunkt Al-Azraq sind derzeit noch über 200 deutsche Soldaten stationiert.
Hinzu kommt, dass Jordanien ein wichtiges Aufnahmeland für Flüchtlinge ist. Hatten dort zuvor vor allem Palästinenser und Iraker Zuflucht gesucht, so hat das Haschemitische Königreich seit 2011 über eine Million Syrer aufgenommen. Das von den Vereinten Nationen betriebene Flüchtlingscamp Zaatari ist mit 80.000 Bewohnern eines der größten weltweit. Knapp 80 Prozent der syri-schen Flüchtlinge leben jedoch außerhalb der Lager, vor allem in den größeren Städten des Landes, wo die Infrastruktur entsprechend zusätzlich belastet wird.
Schließlich muss Deutschland Interesse an einer demokratischen Entwicklung des Landes haben. Die arabische Welt wird erst zur Ruhe kommen, wenn es ihr gelingt, der trügerischen Dichotomie von Autoritarismus oder Chaos zu entkommen. Dafür bedarf es positiver Beispiele, die zeigen, dass Reformen in Richtung eines inklusiven politischen Prozesses und der Respekt vor Menschenrechten eben nicht unbedingt zu gesellschaftlichen Verwerfungen oder der Schwächung staatlicher Strukturen führen.
Jordanien außenpolitisch eng einbinden
Die Verlegung der Bundeswehr von der Türkei nach Jordanien und, wenige Monate später, der Besuch von Angela Merkel im Juni 2018 markierten die wachsende Rolle Jordaniens für die deutsche Nahostpolitik. Bereits seit 2016 ist Jordanien eines der Schwerpunktländer der deutschen „Ertüchtigungsinitiative“ und hat in diesem Rahmen militärisches Gerät und Ausbildung erhalten.
Stand damals die Bewältigung der Flüchtlingskrise sowie die sicherheitspolitische Kooperation im Mittelpunkt, so zeichnet sich seit Sommer 2020 auch eine stärkere diplomatische deutsch-jordanische Zusammenarbeit ab. Sowohl Berlin als auch Amman lehnten die israelischen Annexionspläne im Westjordanland ab und veröffentlichten, gemeinsam mit Paris und Kairo, dazu mehrere Erklärungen. Die Jordanier setzen große Hoffnungen in dieses informelle Viererformat (manchmal auch Kleeblatt- oder Munich-Format genannt) als ein weiteres Element, um den israelischen-palästinensischen Konflikt multilateral zu bearbeiten. Die vier Länder haben in dieser Konstellation bisher (einigermaßen erfolgreich) gegen eine weitere Verschlechterung des Status Quo gekämpft. Sie müssten nun gemeinsam konstruktive Ideen entwickeln und vorantreiben – gegebenenfalls im Einklang mit anderen Foren wie dem Nahost-Quartett (USA, Russland, Vereinte Nationen und EU) – wie die regionale Dynamik und die neue Kooperationsbereitschaft in Washington für Fortschritte bei der Lösung des Nahost-Konfliktes fruchtbar gemacht werden können.
Deutschland sollte dabei darauf achten, dass Jordaniens Interessen in der Palästinenserfrage berücksichtigt werden. Das Haschemitische Königreich ist als Nachbarland mit einer Mehrheit an palästinensisch-stämmiger Bevölkerung unmittelbar betroffen und hat eine im Friedensvertrag von 1994 festgeschriebene Rolle bei der Verwaltung der muslimischen und christlichen Stätten in Jerusalem, die es zu respektieren gilt. Jordanien kann eine Brücke zu den Palästinensern sein, die sich von den arabischen Golf-Staaten und anderen internationalen Akteuren übergangen fühlen. Jeglicher Lösungsansatz wird zudem eine regionale Verankerung und Legimitation brauchen, die eine aktive Beteiligung Jordaniens voraussetzt.
Jordaniens Entwicklung konditioniert unterstützen
In der deutschen Entwicklungspolitik weist Jordanien eine erstaunliche Karriere auf. In der vergangenen Dekade haben sich die Mittel für das (inklusive Flüchtlinge) zehn Millionen Einwohner zählende Land vervielfacht. Heute gehört Jordanien zu den Top-Empfängern deutscher Entwicklungshilfe und erhält zwischen 500 und 700 Millionen Euro an jährlicher Unterstützung (einschließlich Kredite) aus Deutschland. Nach den USA ist die Bundesrepublik damit der zweitwichtigste Geber Jordaniens.
Gerade auch angesichts der Leistungen Jordaniens bei der der Flüchtlingsaufnahme und der ökonomischen Verwerfungen durch die Covid-19-Pandemie ist diese Unterstützung besonders wichtig. Sie sollte aber mit einer klaren Botschaft verbunden werden: Eine Verstetigung der deutsch-jordanischen Partnerschaft kann es nur geben, wenn das Land weitere ernsthafte Schritte in Richtung Rechtsstaat und Demokratie unternimmt.
Einige Reformerfolge, die Jordanien im Zuge des „Arabischen Frühlings“ erzielt hatte, wurden in den letzten Jahren zurückgedreht. So lösten die Behörden Ende 2020 den Lehrerverband auf und die Parlamentswahlen im vergangenen November wurden unter anderem vom staatsnahen Nationalen Zentrum für Menschrechte als unfair kritisiert. Im Vorfeld der Wahlen war es aus dem Umfeld des Sicherheitsapparates zur Einschüchterung von Kandidaten gekommen.
Anlässlich des dieses Jahr zelebrierten hundertjährigen Staatsjubiläums hat jüngst König Abdallah II. selbst die Notwendigkeit demokratischer Fortschritte angemahnt. Er lancierte eine Überprüfung des Wahlgesetzes und forderte in einem offenen Brief die Sicherheitsorgane auf, sich auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren. Deutschland sollte diese Bemühungen anerkennen – und das Staatsoberhaupt beim Wort nehmen. Jordanien hat das Potenzial, sich zu einem Wertepartner der deutschen Außenpolitik zu entwickeln. Bei allem Verständnis für sein schwieriges regionales Umfeld und seine mannigfachen innenpolitischen Herausforderungen müsste es dafür aber demonstrieren, dass Demokratie mehr ist als ein Lippenbekenntnis.
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