Der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel bildete den Ausgangspunkt für die Wahl des diesjährigen Themas „Helmut Kohl und die deutsch-israelischen Beziehungen“. Etwa 250 Gäste nahmen an der Veranstaltung am vergangenen Freitag im Vortragssaal des Steigenberger Grandhotels auf dem Petersberg bei Bonn teil.
Prof. Dr. Hanns-Jürgen Küsters, der Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, verwies in seiner Begrüßung zunächst auf die Fundamente der Politik Helmut Kohls und der Unionsparteien gegenüber Israel, die in der Zeit der Kanzlerschaft Konrad Adenauers gelegt wurden. Zusammen mit seinem israelischen Partner Premierminister David Ben Gurion und zunächst gegen die Mehrheitsmeinung in beiden Völkern habe sich Adenauer in der Nachkriegszeit der Aufgabe gestellt, „Brücken zu bauen, ohne zu vergessen“. Für den Prozess der Versöhnung, der angesichts des Völkermords und der unfassbaren Verbrechen der Nationalsozialisten eine, so Küsters, „fast übermenschliche“ Herausforderung dargestellt habe, sei das am 10. September 1952 in Luxemburg getroffene Wiedergutmachungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel ein Meilenstein gewesen. Die Bundesrepublik sehe sich seither in einer besonderen Verpflichtung für die Existenz und Sicherheit des Staates Israel und sei ihr bis heute nachgekommen.
Politik des „Sowohl als Auch“
Helmut Kohls Israelbild als „Historisches Erbe und politische Verpflichtung“ widmete sich anschließend der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München/Berlin, Prof. Dr. Andreas Wirsching. Trotz der weltgeschichtlichen Veränderungen in seiner sechzehnjährigen Amtszeit als Kanzler sei die Israelpolitik Kohls, argumentierte Wirsching, von einer weitgehend konsistenten Haltung geprägt gewesen. Diese habe sich aus vier Grundlagen zusammengesetzt. Erstens sei Kohls „emotional unterlegte“ Empathie mit den Opfern des Nationalsozialismus zu betonen, aus dieser habe sich seine Position der Verantwortungsübernahme und der uneingeschränkten Solidarität mit Israel abgeleitet. Zweitens: Pauschale Urteile über die Haltung der Deutschen in den Jahren des „Dritten Reiches“, wie die Annahme einer „Kollektivschuld“ habe der Kanzler stets abgelehnt. Stattdessen habe Kohl regelmäßig auf den Widerstand des „Anderen Deutschland“ und den erfolgreichen Neuaufbau der Demokratie nach 1945 verwiesen. Realpolitisch gesehen konnte er damit, so der dritte Punkt Wirschings, seiner Regierung Handlungsspielräume, insbesondere gegenüber den arabischen Staaten, verschaffen. Viertens: Kohls Position des „Sowohl als Auch“ – Solidarität mit Israel, gleichzeitig aber auch freundschaftliche Beziehungen zu den arabischen Staaten – präge die deutsche Außenpolitik bis heute, sei dabei aber „nicht ohne Brisanz“. In den 1990er Jahren, einer Zeit des besonders erfolgreichen Ausbaus der deutsch-israelischen Kontakte im politischen wie im Bereich der Zivilgesellschaft, sei die Politik des „Sowohl als Auch“ durch den Nahost-Friedensprozess erleichtert worden.
Intensivierung der bilateralen Beziehungen seit 1982
Gegen Wirschings These der Kontinuität der Kohlschen Israelpolitik wandte sich der Diplomat und Zeitzeuge Mordechay Lewy in seinem Vortrag. Lewy, der von 1991 bis 1994 das Amt des israelischen Generalkonsuls in Berlin innehatte, beschrieb eine dynamische Entwicklung der Israelpolitik Helmut Kohls. Zunächst erinnerte er daran, dass die deutsch-israelischen Beziehungen unter Kohls Amtsvorgänger im Bundeskanzleramt Helmut Schmidt (SPD) auf einem Tiefpunkt angelangt waren. Schmidts öffentliche Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und seine Befürwortung von Waffengeschäften mit Saudi-Arabien hatte 1981 eine scharfe Reaktion des israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin ausgelöst. Kohl, der sich als Nachfolger Adenauers sah, habe dagegen von Beginn seiner Kanzlerzeit an das Ziel verfolgt, die Versöhnungspolitik des ersten Bundeskanzlers fortzusetzen. Ein wichtiges Signal in dieser Hinsicht sollte seine Reise nach Israel im Januar 1984 setzten, die in Israel wie in der Bundesrepublik jedoch als Misserfolg bewertet wurde. Aus israelischer Sicht habe sich die staatsmännische Größe Kohls erst nach dem Fall der Berliner Mauer offenbart. Lewy zitierte in diesem Zusammenhang ein Schreiben Kohls, mit dem er im November auf Aussagen des israelischen Premierministers Yitzhak Schamir reagierte. Gegenüber der amerikanischen Presse hatte Shamir seiner Sorge vor einer deutschen Wiedervereinigung und der möglichen „Rückkehr Deutschlands zu NS-Taten“ Ausdruck gegeben. „Höflich, aber klar in der Sache“ habe Kohl Shamir daraufhin in seinem Brief auf den Willen der Deutschen zu „Freiheit und Selbstbestimmung“ hingewiesen. Von einem demokratischen und rechtsstaatlichen Deutschland werde keine Bedrohung ausgehen. Dass sich die Bedenken der Israelis gegenüber der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren zerstreut und die Beziehungen der beiden Länder deutlich enger wurden, so das Resümee Lewys, sei das Verdienst der Politik Helmut Kohls. Zum Ausdruck kam dies auch bei der zweiten offiziellen Reise Kohls nach Israel im Juni 1995, die nach Ansicht von Beobachtern von einer ausgesprochen herzlichen und offenen Gesprächsatmosphäre geprägt war.
„Normalisierung“ trotz besonderer Belastung
In einem mit persönlichen Erlebnissen unterlegten Vortrag schilderte Johannes Gerster, Mitglied des Deutschen Bundestages zwischen 1972 und 1994 und von 1997 bis 2006 Leiter des Auslandsbüros Israel der Konrad-Adenauer-Stiftung, abschließend die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen in der Ära Kohl aus seiner Sicht. Der langjährige Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe verdeutlichte insbesondere die Bedeutung dieses Gremiums für die positive Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen in der Ära Kohl. Die zunehmend anti-israelische Stimmung in Deutschland beobachtet Gerster mit großer Sorge. Zwar habe in den vergangenen Jahrzehnten eine deutliche Normalisierung der deutsch-israelischen Beziehungen stattgefunden, die Wunden der Shoa seien allerdings „nur vernarbt, nicht verheilt“.
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