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Verfassungsreform in Kuba

Die kubanische Regierung setzt auf wirtschaftliche Öffnung, während politische Reformen auf der Strecke bleiben

Das Jahr 2018 war in Kuba nicht nur von der Übergabe des Präsidentenamtes von Raúl Castro auf Miguel Díaz-Canel geprägt, sondern brachte auch eine Reform der aus dem Jahr 1972 stammenden Verfassung auf den Weg. Trotz der Verfassungsreformen von 1992 und 2002 stammt die kubanische Verfassung essentiell aus Zeiten des Kalten Krieges, als Kuba sich noch wirtschaftlich auf die UdSSR stützte, der Zuckeranbau eine dominante Rolle spielte, und Privatpersonen keinerlei Privateigentum besitzen oder private Unternehmen führen durften. Seitdem hat sich auf Kuba viel geändert: Der Tourismus ist zu einer Haupteinnahmequelle geworden, die schrittweise wirtschaftliche Öffnung unter Raúl Castro ermöglicht internationale Investitionen, und die Anzahl kleiner Privatunternehmen wächst ständig. Die kubanische Regierung will nun die Verfassung an die neue Realität und absehbare Zukunft Kubas anpassen. Auf den ersten Blick fällt auf, dass der von der Nationalversammlung vorgelegte Verfassungsentwurf die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt, das Recht auf Privateigentum einführt und die wirtschaftliche Öffnung nach außen sowie den Privatsektor stärkt. Allerdings wird tiefgreifenden politischen Reformen kein Platz eingeräumt. So wird der Sozialismus als irreversible Grundlage des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems verankert und die Kommunistische Partei als höchste Führungskraft über Staat und Gesellschaft bestätigt, während politische und zivile Rechte kaum Eingang finden.

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Eine Straße in Havana, Kuba Flickr/Pedro Szekely/CC BY-SA 2.0
Eine Straße in Havana, Kuba

Der Reformprozess

Die Arbeit zum sogenannten Verfassungsprojekt wurde von einer Arbeitsgruppe der Kommunistischen Partei unter Vorsitz von Raúl Castro initiiert. Im Juni 2018 setzte die Nationalversammlung – nach Genehmigung durch das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei – eine Kommission zur Vorbereitung des Verfassungsprojekts ein, welche wiederum unter dem Vorsitz von Raúl Castro tagte.[i] Diese Kommission erstellte einen Entwurf für den neuen Verfassungstext, welcher der kubanischen Bevölkerung zur Konsultation vorgelegt wurde. Vom 13. August bis 15. November 2018 wurde der Verfassungsentwurf in etwa 135.000 Versammlungen und Foren auf der gesamten Insel diskutiert sowie Anmerkungen und Änderungsvorschläge eingereicht. Auch die Exilkubaner im Ausland durften ihre Vorschläge online einreichen. Die Nationalversammlung ist nun mit der Einarbeitung der Vorschläge und Erstellung eines finalen Verfassungsentwurfes betraut. Im Februar 2019 soll schließlich eine Volksabstimmung über den modifizierten Entwurf stattfinden und die neue Verfassung angenommen werden.[ii] Allerdings wird diese Volksabstimmung bereits von Teilen der Opposition als illegitim angesehen, da keine unabhängige Wahlaufsicht, Präsenz von internationalen Wahlbeobachtern oder die Möglichkeit zur Führung von Kampagnen gegeben sind.[iii]
 

Kosmetikeingriffe in alte Strukturen

Aufmerksamkeit erlangt der Verfassungsentwurf der Nationalversammlung in der internationalen Debatte insbesondere dadurch, dass die gleichgeschlechtliche Ehe, das Recht auf Privateigentum sowie eine wirtschaftliche Öffnung nach Außen und Förderung des Privatsektors vorgesehen sind. Dies sind zweifelsfrei wichtige Themen für Kubas zukünftige Entwicklung. Auch die zeitliche Begrenzung des Präsidentenamts auf höchstens zehn Jahre, die Trennung des Präsidentenamts vom Amt des Vorsitzenden des Staatsrats und die Einführung des Amtes eines Ministerpräsidenten sind zu begrüßende Neuerungen. Allerdings sieht der Verfassungsentwurf keine tiefgreifenden politischen Reformen oder eine Stärkung der politischen und zivilen Rechte der kubanischen Bevölkerung vor.

Obwohl im neuen Verfassungsentwurf erstmals auf den Begriff des ‚Kommunismus‘ verzichtet wird, etabliert Art. 3 eindeutig, dass der Sozialismus obligatorisch und irreversibel als politisches System fortbestehen wird.[iv] Die Präambel stellt zudem klar, dass die politisch-gesellschaftlichen Ideen von Marx, Engels und Lenin als ideologische Richtlinien dienen und der Sozialismus sowie die Kommunistische Partei grundlegende Pfeiler der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung seien. So bestätigt Art. 5 des Verfassungsentwurfes, dass sich die politische Macht allein auf die Kommunistische Partei als höchste Führungskraft über Staat und Gesellschaft konzentriert. Kuba bleibt also ein grundlegend sozialistischer Ein-Partei-Staat. Dissidenten haben ernsthafte Folgen zu befürchten: Art. 3 räumt den Bürgern (wörtlich: los ciudadanos!) das Recht ein, mit allen Mitteln – wenn nötig mit Gewalt – jegliche Umsturzversuche gegen die bestehende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zu bekämpfen. Dies kann und muss als Drohung gegen Mitglieder der politischen Opposition, Aktivisten und Journalisten verstanden werden.

Eine weitere Neuerung besteht darin, dass Art. 21 nun explizit Privateigentum von Einzelpersonen als eine der möglichen Formen von Eigentum anerkennt. Zudem legt Art. 28 eine Öffnung gegenüber ausländischen Investitionen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung fest. Allerdings wird auch sehr deutlich gemacht, dass die wirtschaftliche Ordnung auf sozialistischen Prinzipien beruht, die sozialistische Planwirtschaft und staatliche Unternehmen die Grundpfeiler der kubanischen Wirtschaft sind (Art. 26 und 27) und der Staat regulierend eine Konzentration von Eigentum auf nicht-staatliche natürliche oder juristische Personen verhindern wird (Art. 22). Damit wird wiederum die vermeintlich intendierte Öffnung der Wirtschaft ad absurdum geführt.

Titel IV des Verfassungsentwurfes behandelt in sechs Kapiteln die Rechte, Pflichten und Garantien aller kubanischen Bürger. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hier jedoch auf den in Kapitel III aufgeführten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten, wohingegen den in Kapitel IV aufgeführten politischen und zivilen Rechten nur wenig Platz eingeräumt wird. Zwar spricht Art. 92 den kubanischen Bürgern das Recht zu, sich an Wahlen, Volksabstimmungen und Volksbefragungen zu beteiligen, jedoch schlägt sich dies aufgrund des Ein-Partei-Systems, des Mangels an unabhängiger Wahlaufsicht und des Verbots politischer Kampagnen nicht in echter demokratischer Teilhabe nieder. Die durch den Verfassungsentwurf zugesprochenen politischen und zivilen Rechte werden auch nicht maßgeblich durch die in Art. 39 als gültig anerkannten ratifizierten Völkerrechtsverträge zu Menschenrechten komplementiert. Die von Kuba ratifizierten Menschenrechtsverträge regeln vornehmlich Kinderrechte sowie den Schutz vor Folter und Diskriminierung.

Das Abkommen zu politischen und zivilen Rechten oder die Amerikanische Menschenrechtskonvention hat Kuba gar nicht erst ratifiziert.[v]

Individuelle Rechte (Kapitel II, Titel IV) wie das Recht auf einen fairen Rechtsprozess, Schutz vor willkürlicher Festnahme und Eingriff in die Privatsphäre (Unversehrbarkeit der Wohnung, Briefgeheimnis), Schutz vor willkürlicher Konfiszierung von Eigentum sowie Reisefreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit werden zwar formell gewährleistet, jedoch unverhältnismäßig eingeschränkt. Der Verfassungsentwurf legt fest, dass diese individuellen

Rechte jederzeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und durch Entscheidung der zuständigen Behörden eingeschränkt werden können. In Kuba, wo das gesamte System von der Kommunistischen Partei reguliert wird, werden gerade ebendiese individuellen Rechte von Oppositionellen und Dissidenten oft massiv eingeschränkt. Auch hier klafft von daher wieder ein massiver Unterschied bzw. Widerspruch zwischen der oberflächlich propagierten Öffnung und Gewährung von Freiheiten im Rahmen dieser Verfassungsreform und der tatsächlich praktizierten und auch explizit erlaubten selektiven und massiven Einschränkung dieser Freiheiten für Bürgerinnen und Bürger, die mit der Staats- und Parteimeinung nicht konform gehen.

Fazit und Ausblick

Insgesamt kann und muss man feststellen, dass die im Verfassungsentwurf festgehaltenen Neuerungen nicht mit tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Reformen einhergehen werden. Trotz der vordergründig zugesprochenen Freiheiten und Rechte wird die Verfassungsreform den kubanischen Bürgern nicht die Möglichkeit geben, in ihrer Funktion als Bürger die Regierung zur Verantwortung zu ziehen und sich an einer demokratischen Entscheidungsfindung zu beteiligen. Fraglich ist zudem, inwieweit die kubanische Nationalversammlung die Kommentare und Vorschläge der Bevölkerung in den finalen Verfassungsentwurf aufnehmen wird. Zu erwarten sind oberflächliche Anpassungen, welche eine Berücksichtigung des Volkswillens suggerieren, wohingegen grundlegende Prinzipien bezüglich des wirtschaftlichen und politischen Systems wohl kaum angetastet würden.

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Stattdessen scheint es sich bei diesem Verfassungsprojekt eher um den Versuch der kubanischen Regierung zu handeln, sich gegenüber ihrer Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft zu legitimieren und die grundlegende Basis des politischen und wirtschaftlichen Systems zu festigen. Sollte der neue Verfassungsentwurf im Februar per Volksabstimmung angenommen werden – was derzeit als wahrscheinlich gilt – kann die

kubanische Regierung auf den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung verweisen. Sollte der Verfassungsentwurf abgelehnt werden, bleibt die alte Verfassung mit den dort festgeschrieben Prinzipien des Kommunismus, Verbot von Privateigentum und Konzentrierung der politischen Macht auf dem Präsidenten in Kraft.

Unabhängig von den Resultaten der Volksabstimmung wird der „demokratische“ Prozess der Verfassungsreform der kubanischen Regierung in Zukunft die Möglichkeit geben, jegliches Hinterfragen des Systems und Kritik von Seiten der Opposition von sich zu weisen.

 

[i]       Gámez Torres, N. 2018. Proyecto de nueva Constitución en Cuba es un “fraude”, dicen opositores. El Nuevo Heraldo, 30. Juli 2018. Online verfügbar unter https://www.elnuevoherald.com/noticias/mundo/america-latina/cuba-es/article215441640.html (21.11.2018).

[ii]      N.N. 2018a.

        Nellmann, A. 2018. Verfassungsreform in Kuba. Ein kleines bisschen Debatte. Tagesschau, 17. August 2018. Online verfügbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/kuba-verfassung-107.html (21.11.2018).

[iii]     Gámez Torres, N. 2018.

[iv]     Proyecto de Constitución de la República de Cuba, Parlamento Cubano. Online verfügbar unter http://www.parlamentocubano.cu/wp-content/uploads/Tabloide-Constituci%C3%B3n.pdf (22.11.2018).

[v]      OHCHR. Ratification Status of International Human Rights Treaties.  Ratification Status for Cuba. Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR). Online verfügbar unter https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx (22.11.2018).

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Hans Blomeier

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