Bereits zum dritten Mal (2016, 2019, 2021) führte die Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit dem zivilgesellschaftlichen Bündnis „Gemeinsam gegen Menschenhandel (GGMH)“ und in diesem Jahr erstmalig auch mit dem Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE/ODIHR) eine Konferenz zum Thema Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung durch.
Von größerer tagespolitischer Aktualität hätte die Diskussion der digital durchgeführten Fachkonferenz dann auch nicht sein können: Am zweiten Konferenztag, dem letzten Sitzungstag der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, beschlossen die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der SPD am vergangenen Freitag (25. Juni), Prostituierte besser zu schützen und den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung zu stoppen - mit Verschärfungen im Strafrecht und neuen Ausstiegshilfen für Prostituierte, in Höhe von 20 Millionen EUR. Hierdurch sollen auch Schwächen im seit 2016 geltenden Prostituiertenschutzgesetz korrigiert werden. Weitgehend legalisiert worden war die - zuvor als sittenwidrig geltende - Prostitution erst im Jahr 2002 durch das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Bundesregierung. Noch 1965 hatte sie dem Bundesverwaltungsgericht sogar als „Berufsverbrechertum“ gegolten. Seitdem hat sich Deutschland zum sogenannten „Bordell Europas“ entwickelt und bietet damit auch für die Organisierte Kriminalität und den Menschenhandel im Bereich der sexuellen Ausbeutung - insbesondere von Frauen und Kindern - milliardenschwere Einnahmemöglichkeiten. Frauenrechtsorganisationen, Kriminalitätsbekämpfung und Politik haben daher in den vergangenen Jahren auf diese dramatische Entwicklung aufmerksam gemacht, die sich zuletzt in der Covid19-Pandemie nochmals verschärft hat.
Insbesondere werden im Kontext der Pandemie die Stimmen lauter, die die Bordelle dauerhaft geschlossen halten wollen und die analog zum Prostitutionsverbot in Schweden, Frankreich, Israel und in weiteren Staaten, auch in Deutschland ein Sexkaufverbot und eine Bestrafung der Freier – explizit jedoch nicht der Prostituierten - fordern. Damit soll die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen deutlich reduziert werden und für Menschenhändler das Geschäft mit der sexuellen Ausbeutung unattraktiv gemacht werden. Das sogenannte „Nordische Modell“ wurde auch auf der Konferenz intensiv diskutiert. Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte die Mid Universität Schweden hierzu eine aktuelle Studie erstellt, die die schwedischen Erfahrungen mit der Verhinderung von Prostitution und Menschenhandel seit der Einführung des Sexkaufverbots („Sex Purchase Act“) im Jahre 1999 untersucht hat und hier abrufbar ist: KAS-Report - Perspectives on the Swedish Model
Neben der Studienautorin, Wanjiku Kaime-Atterhög, stellte auch die schwedische Sonderbotschafterin für die Bekämpfung des Menschenhandels, Anna Ekstedt, das schwedische „Nordische Modell“ vor, das die Prostitution in Schweden erheblich reduziert habe und auch eine Aufgabe für die schwedische Außenpolitik geworden sei.
Bereits im Jahr 2007 hat die Konrad-Adenauer-Stiftung damit begonnen, dem Thema Menschenhandel in ihrer Arbeit breiten Raum zu geben. In den letzten Jahren ist diese Aufgabe immer stärker in den Mittelpunkt der politischen Diskussion getreten. Hochrangige Kooperationspartner, wie der Europarat, der Ostseerat, das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE, das Familienministerium und die Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, verdeutlichen die enorme gesellschaftspolitische Relevanz der offen und oft sehr kontrovers geführten Debatte.
So betonte auch der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Norbert Lammert - mit Blick auf unsere internationalen Kooperationspartner und das Thema der Konferenz „Die Bekämpfung des Menschenhandels und aller Formen der sexuellen Ausbeutung – Aufkommende Trends und langfristige Strategien“:
„Menschenhandel ist ein schwerwiegendes Verbrechen, dessen transnationale Auswirkungen nicht fernab, sondern auch in Deutschland zu spüren sind. Die Konrad-Adenauer-Stiftung widmet sich deshalb bereits seit Jahren der Bekämpfung des Menschenhandels und dem Opferschutz. Dabei haben wir insbesondere die europäische Zusammenarbeit in den Blick genommen, die bei dieser grenzüberschreitenden Problematik eine entscheidende Rolle spielt. Es freut mich sehr, dass wir dieses Jahr mit dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE und dem Bündnis Gemeinsam gegen Menschenhandel zusammenarbeiten. Gemeinsam wollen wir gesellschaftspolitische Impulse zur Bekämpfung der kriminellen Menschenhändler geben und dazu beitragen, die Unterstützung der Opfer in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken.“
Wie groß das öffentliche Interesse an dem Thema ist, zeigte auch die Konferenz selbst: Über 30 Referentinnen und Referenten aus zahlreichen Ländern innerhalb und außerhalb Europas gaben sich die digitale Klinke in die Hand und informierten über die aktuellen Herausforderungen und Perspektiven. Allein am ersten Konferenztag folgten über 1.250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung via Zoom und auf den beiden Live-Streams auf Deutsch und Englisch bei Facebook.
Diese große Reichweite und Sichtbarkeit ist bei dem Thema auch besonders wichtig, denn es findet einerseits hochgradig in einem „Dunkelfeld“ statt, welches durch die sexuelle Ausbeutung durch Menschenhändler und die zum Teil hochprofessionellen Strukturen der Organisierten Kriminalität geprägt ist, andererseits wird es auf der gesellschaftlichen Diskursebene von zahlreichen Tabus um das angeblich „älteste Gewerbe“ der Welt - wie die Prostitution manchmal verharmlosend genannt wird - beeinträchtigt.
Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Annette Widmann-Mauz, die sich auf der Fachtagung - in ihrer Funktion als Vorsitzende der Frauen Union - besonders engagiert für einen diesbezüglichen Perspektivwechsel und ein Sexkaufverbot aussprach, brachte den Nexus von Menschenhandel, Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung in ihrer Hauptrede mit einem drastischen Vergleich auf den Punkt: „Der Menschheit ist es gelungen, die Sklaverei abzuschaffen und zumindest formell zu ächten. Es würde mich freuen, wenn es der Menschheit im 21. Jahrhundert gelingt, die Prostitution zu ächten!“ https://twitter.com/ggmh_de/status/1408057852409704456
Die ÖVP-Nationalratsabgeordnete und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Gudrun Kugler, diskutierte den Zusammenhang von Flucht, Asyl und Prostitution und sprach die extreme Notlage von sich prostituierenden, besonders verletzlichen Frauen an: „Wer als Asylbewerber nach Österreich kommt, kann legal nur in der Prostitution arbeiten, nicht in anderen Jobs – das ermöglicht Ausbeutung!“ https://twitter.com/ggmh_de/status/1408180819873652743
Bei derzeit weltweit über 82 Millionen Menschen auf der Flucht – mit jährlich steigender Tendenz – wird dem Teufelskreis aus Flucht, Armut und sexueller Ausbeutung künftig noch viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden müssen, um ihn zumindest in den Ländern zu durchbrechen, die -aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage - den Opfern einen Neuanfang ermöglichen können.
Die Konferenz hat – trotz der Unterschiedlichkeit der 30 Redebeiträge – eines deutlich gemacht: Die Bekämpfung von sexueller Ausbeutung und der dahintersteckenden hochkriminellen Strukturen und die Hilfe für die davon betroffenen Menschen – zu 90 Prozent sind das Mädchen und Frauen - sind zwei Seiten einer Medaille.
Die Verantwortung von Politik und Gesellschaft ist hoch und die Aufgabenliste ist entsprechend lang: Verstärkte Aufklärung an den Schulen über sexuelle Ausbeutung von Kindern und Frauen, eine verbesserte soziale Absicherung für Frauen in sozialen Notlagen, insbesondere Geflüchtete, die das Risiko von Zwangsprostitution reduziert, die Bekämpfung der professionellen, kriminellen Strukturen hinter dem international operierenden Menschenhandel und dem oft in einem illegalen Dunkelfeld agierenden Prostitutionsgewerbe, noch stärkere Strafverfolgung von Freiern, die sexuelle Dienstleistungen von Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen, mehr Ausstiegshilfen für Prostituierte, die den Ausstieg zu rund 90 Prozent auch wünschen – sind nur einige der dringendsten Punkte in der komplexen Diskussion.
Daher ist es besonders erfreulich, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE in Warschau, dem deutschen Bündnis Gemeinsam gegen Menschenhandel und der Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahr 2022 mit einer Konferenz in der Akademie der KAS in Berlin fortgesetzt werden soll.
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