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Országbeszámolók

Wählerregistrierung in Ungarn

Frank Spengler, Bence Bauer, LL.M

Analyse

Am 26. November 2012 verabschiedete die Ungarische Nationalversammlung ein von der Opposition vehement kritisiertes Gesetz über ein neues Wahlverfahren. Das neue Recht sieht eine Reihe von Änderungen hinsichtlich der Wahlen auf kommunaler, nationaler und europäischer Ebene vor. Die wohl wichtigste und umstrittenste Neuerung ist die Einführung der sog. Wählerregistrierung. Künftig ist die Ausübung des Wahlrechts von einer vorherigen Anmeldung abhängig.

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Hintergrund: Ein kompliziertes Wahlsystem

Das ungarische Wahlrecht gilt im internationalen Vergleich als äußerst komplex. Die noch 1989 vom sog. „Runden Tisch“ von antikommunistischer Opposition und Reformkommunisten ausgehandelten Wahlgesetze sahen eine Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahl vor. Sie vereinbarten eine überproportionale Begünstigung des Wahlsiegers durch ein starkes Element des Mehrheitswahlrechts. Im ersten Wahlgang war eine absolute Mehrheit zur Erlangung eines Direktmandats erforderlich, im zweiten Wahlgang reichte dann die einfache Mehrheit. Von den insgesamt 386 Parlamentssitzen waren 176 Direktwahlkreise, 210 Sitze wurden über ein kompliziertes Geflecht von Parteilisten auf regionaler (Komitate) und nationaler Ebene vergeben.

Erdrutschsieg für die FIDESZ im April 2010

In den beiden Wahlgängen der Parlamentswahlen vom 11. und 25. April 2010 siegte die damalige Oppositionspartei „Allianz junger Demokraten - Ungarische Bürgerliche Union“ (FIDESZ), die in einer Listenverbindung mit der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) angetreten war. Beide konnten 52,73% der Zweitstimmen auf sich vereinen. In Kombination mit den gewonnen Direktmandaten in 173 der 176 Wahlkreise und dem Zweitstimmenanteil konnten FIDESZ und KDNP schließlich 263 der 386 Parlamentsmandate erringen. Damit zeigte sich auch die den Sieger begünstigende Wirkung des ungarischen Wahlrechts: 52,73% der (Zweit-) Wählerstimmen brachten so 68,14% der Mandate und damit die Zweidrittelmehrheit in der Ungarischen Nationalversammlung.

Zweidrittelmehrheit ein Meilenstein in der ungarischen Politik

Der „Runde Tisch“ von 1989 sah zudem einen besonderen Schutzmechanismus gegen Änderungen wichtiger Gesetze vor: Die Etablierung dutzender sog. „Zwei-Drittel-Gesetze“. Dies war damals im Wesentlichen wohl dem gegenseitigen Misstrauen aller Beteiligten geschuldet. Die Änderung dieser Gesetze war nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich. Oftmals erwies sich diese Hürde aber als unüberwindbar: Seit den ersten freien Wahlen im Jahre 1990 konnten Regierungen und Oppositionen sich hinsichtlich der Veränderung dieser wichtigen Gesetze häufig nicht einigen, so dass die ungarische Politik von einer permanenten Blockade gekennzeichnet war. Die sozial-liberale Regierung von 1994 bis 1998 verfügte zwar über eine 72%-Mehrheit im Parlament, führte aber eine für die Legislaturperiode geltende Selbstverpflichtung in die Geschäftsordnung des Parlaments ein, dass nur mit 80% der Stimmen der Nationalversammlung die „Zwei-Drittel-Gesetze“ und die Verfassung geändert werden können. Erst der klare Sieg von FIDESZ-KDNP im Jahre 2010 schaffte wieder die Voraussetzung für eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Die Regierung setze sofort grundlegende Gesetzesänderungen und am 1. Januar 2012 auch ein neue Verfassung (Grundgesetz) in Kraft. Ferner wurden die „Zwei-Drittel-Gesetze“, nun Grundlagengesetze genannt, neu normiert und legalisiert.

Ein zentrales Wahlversprechen von FIDESZ: Verkleinerung des Parlaments

Den Reigen der Änderung wichtiger Wahlgesetze eröffnete das Gesetz zur Reduzierung der Abgeordnetenzahl der Ungarischen Nationalversammlung von 386 auf 199. Dies war ein zentrales Wahlversprechen von FIDESZ. Dies stieß allgemein auf eine große Zustimmung. Das neugewählte Parlament entschied dies im Mai 2010, also noch vor der offiziellen Konstituierung der Regierung am 29. Mai. Damit reduzierte Ungarn die Anzahl der nationalen Parlamentsitze auf ein Normalmaß.

Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn als ein wichtiges Element der FIDESZ-Politik

Im Zusammenwirken mit der im Juni 2010 verabschiedeten Parlamentserklärung „Es sei Friede, Freiheit und Eintracht“, die in allen öffentlichen Gebäuden ausgehängt werden muss und der Einführung des „Tages des nationalen Zusammenhalts“ - am 4. Juni, dem Jahrestag des Vertrages von Trianon - setzte FIDESZ ein weiteres zentrales Wahlversprechen um: die stärkere Betonung patriotischer Elemente im öffentlichen Leben. In diesem Kontext muss auch die Gewährung der Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn gesehen werden. Dieses Gesetz sah aber noch kein Wahlrecht für diese Personengruppe vor. Erst die ein Jahr später verabschiedete Verfassung beinhaltet ein Wahlrecht für die im Ausland lebenden Bürger ungarischer Nationalität. Massiv kritisiert wurde dies von dem ungarischen linken Parteienspektrum.

Neues Wahlgesetz vom Dezember 2011

Das am 23. Dezember 2011 verabschiedete Gesetz Nr. 203 (2011. évi CCIII. tv.) veränderte das Wahlrecht zur Ungarischen Nationalversammlung in wesentlichen Teilen, ohne jedoch die (komplizierten) Grundsätze anzutasten. Die Verknüpfung von Mehrheits- und Verhältniswahl und Kompensationsstimmen haben weiter rechtlichen Bestand. Die den Wahlsieger begünstigende Wirkung wird durch die stärkere Gewichtung der Direktmandate und die Abschaffung der Notwendigkeit einer absoluten Mehrheit für ein Direktmandat im ersten Wahlgang sowie durch die neue Zählweise der sog. „Bruchstimmen“ befördert.

Die wichtigsten Gesetzesänderungen:

  • Absenkung der Direktmandate von 176 auf 106.
  • Absenkung der Listenmandate von 210 auf 93.
  • Abschaffung der zweiten Wahlrunde, einfache Mehrheit in der ersten Runde reicht für das Erringen des Direktmandats.
  • Neuzuschnitt der Wahlkreise nach folgenden Gesichtspunkten: keine Überschreitung der Komitatsgrenzen; zusammenhängendes Gebiet; maximale Standardabweichung in der Wählerschaft von 15%.
  • Einführung von Wahllisten und einer Parlamentsvertretung für ethnische Minderheiten („Nationalitäten“).
  • Implementierung des Wahlrechts für Auslandsungarn ohne Wohnsitz im Mutterland; diese haben nur eine Zweitstimme, keine Erststimme für Direktkandidaten in den Wahlkreisen (es gibt also keine „Auslandsungarn-Wahlkreise“).
  • Anhebung der minimalen Anzahl sog. „Wahlempfehlungszettel“ für Direktkandidaten von 750 auf 1.000
  • Ausweitung der sog. „Bruchstimmen“ (Kompensationsstimmen) auch für den Sieger. Nach bisheriger Rechtslage wurden nur die Wahlkreis-Verlierer-Stimmen sowie die nach dem Hagenbach-Bischoff-Verfahren (Zwei-Drittel-Regelung) „ungebrauchten“ Stimmen auf die Kompensationsliste übertragen (diese war eine landesweite, jedoch direkt nicht wählbare Liste, die nur der Akkumulation dieser sog. Bruchstimmen diente); nun werden auch die überschüssigen Erststimmen des direkt Gewählten hinzu addiert, die für den Mandatserwerb nicht mehr notwendig waren (d.h. Differenz der Stimmenzahl des Erstplatzierten zum Zweitplatzierten abzüglich einer Stimme, die ausschlaggebend für den Wahlsieg war).
  • Abschaffung der Komitatslisten, die Bruchstimmen werden nun den Stimmen der jeweiligen landesweiten Liste zugeschlagen.

„Jacke zum Knopf“

Bei der Festlegung von exakt 199 Mandaten und 106 Direktwahlkreisen sei die Regierung, so die Kritiker, wohl nach dem Grundsatz „Jacke zum Knopf“ vorgegangen. Als Argument wird vorgebracht, dass die Zahl der Abgeordneten festgelegt worden sei, ohne sich vorher viel Gedanken hinsichtlich des Wahlverfahrens gemacht zu haben. Beachtung fand eine Studie der „Ungarischen Akademie der Wissenschaften“ (MTA), die besagt, dass bei Berücksichtigung der tragenden Prinzipien der Wahlkreiseinteilung (siehe oben) 130 Wahlkreise notwendig wären. Belegt wurde diese Untersuchung anhand des Komitats Tolna, in der die Bevölkerungsabweichung in einzelnen Wahlkreisen erheblich die 15%-Grenze überschreitet.

Wahlverfahrensgesetz: Kommunal-, Parlaments- und Europawahlen

Die Durchführung der Wahlen auf allen drei Ebenen wird traditionell im ungarischen Wahlverfahrensgesetz geregelt, zuletzt in dem vom Jahre 1997. Am 26. November 2012 wurde ein neues Wahlverfahrensgesetz mit 251 gegen 91 Stimmen, bei einer Enthaltung, verabschiedet.

Dies sieht eine Reihe von Neuregelungen vor:

  • Einführung der sog. „Wählerregistrierung“ durch jeden Wahlbürger von neun Monaten bis zu 15 Tage vor dem Urnengang zu den nationalen Wahlen (gültig für Nationalversammlungs-, Europa- und Kommunalwahlen im Jahre 2014).
  • Einführung der Briefwahl für Auslandsungarn.
  • Abschaffung der sog. „Wahlempfehlungszettel“, stattdessen sind nunmehr 500 Unterstützerunterschriften von einem Kandidaten beizubringen.
  • Abkürzung des Wahlkampfes auf 50 Tage, keine „Wahlkampfruhe“ mehr (diese statuierte von dem Wahltag vorausgehenden Tag 0.00 Uhr bis am Wahltag bis 19.00 Uhr die Einstellung jeglicher Wahlkampf- und Wahlwerbeaktivitäten).
  • Verbot der Wahlwerbung durch private Rundfunkanstalten.

Verfassungsänderung zur Absicherung des Wahlverfahrensgesetzes

Um das Wahlverfahrensgesetz gegenüber einer möglichen Überprüfung durch das Verfassungsgericht abzusichern, wurde am 29. Oktober 2012 das neue Grundgesetz – zum zweiten Mal seit dem Inkrafttreten am 01. Januar 2012 – in den Übergangsbestimmungen geändert. Nunmehr heißt es dort in § 23 Abs. 3: „Ein Grundlagengesetz kann die Ausübung des Wahlrechts an einen Antrag auf Registrierung in ein Namensregister vorsehen.“ Damit soll gewährleistet werden, dass die Wählerregistrierung nicht verfassungswidrig ist. Allerdings merkte der ehemalige ungarische Staatspräsident und Verfassungsrichter László Sólyom in Bezug auf diese Novelle an, dass eine Vorgabe auch dann noch verfassungswidrig sein könne, obwohl dafür in der Verfassung explizit Vorsorge getroffen worden sei.

Im Mittelpunkt der Kritik: Verpflichtende Anmeldung der Wähler

Kernelement des Gesetzes ist die Wählerregistrierung. Sie bedeutet, dass jeder am Wahltag wahlberechtigte Bürger sich in einer Zeitspanne von neun Monaten bis zu 15 Tagen vor der Wahl bei der örtlich zuständigen Wahlbehörde für die Wahlen „anmelden“ muss. Alle Anmeldungen bilden die Gesamtheit der Wahlliste, d.h. diejenigen Bürger, die eine Anmeldung versäumen, haben am Wahltag kein Wahlrecht. Sie können sich jedoch nach den Parlamentswahlen immer noch für die Europa- und Kommunalwahlen anmelden. Die Anmeldung kann entweder persönlich oder aber über ein e-government-Konto vollzogen werden und bleibt für alle drei Wahlen gültig (Parlamentswahlen im April 2014, Europawahlen im Juni 2014, Kommunalwahlen im Oktober 2014). Die Auslandsungarn ohne Wohnsitz in Ungarn können sich per Brief registrieren.

Argumente für die Registrierung

Die Regierung begründete die Einführung der Wählerregistrierung mit dem Grundsatz der „Freiwilligkeit“ von Wahlen und dass die nicht interessierten Bürger so auch nicht durch die Wahlen „belästigt“ würden. Sie erhielten z.B. keine Werbepost, da sie ja auf den Wahllisten nicht erscheinen würden. Zudem beinhalte das neue System „mehr Vertrauen in die Registrierten, da nun ein viel stärkeres Bewusstsein vorausgesetzt wird“, so Tamás Lánczi, Századvég Stiftung. Auch sei die Wahldurchführung kostengünstiger (Druck der Wahlzettel, Entlastung der Wahllokale). Ferner wäre eine Registrierung notwendig, da mehrere hunderttausende neue Wahlbürger hinzugekommen seien: die mit ungarischer Staatsangehörigkeit ausgestatteten Auslandsungarn, die sich auf jeden Fall erst noch anmelden müssten, da sie ja nicht im Einwohnermelderegister Ungarns aufgeführt würden. „Die Venedig-Kommission schreibt die Verabschiedung solcher Gesetze vor, die für alle Staatsbürger gleichermaßen gelten; es müssen sich die Nationalitäten sowie Auslandsungarn und auch im Ausland arbeitende Ungarn registrieren, damit also auch die mit einem ständigen Wohnsitz ausgestatten ungarischen Staatsangehörigen“, erklärte Gábor Kubatov, Generalsekretär von FIDESZ. Auch sei die Registrierung einfach und könne jedem mündigen Bürger abverlangt werden, die Demokratie werde gestärkt, „es gibt zahlreiche Länder, in denen das Wahlsystem so funktioniert, wie in den USA, England oder Belgien“, ergänzte Antal Rogán, Fraktionsvorsitzender von FIDESZ. Schließlich sollten nur mündige und verantwortungsbewusste Bürger, die sich aktiv einbringen, wählen können und nicht die unpolitischen, die sich kurz vor der Wahl meist aus emotionalen Motiven zur Stimmabgabe entschliessen, so die Befürworter der neuen Regelung.

Argumente gegen die Registrierung

Kritiker der Neuregelung sehen in der verpflichtenden Wählerregistrierung einen Verstoß gegen demokratische Grundregeln und befürchten, dass die regierende FIDESZ-Partei erheblichen Nutzen daraus ziehen könne. Sie verfüge über besonders disziplinierte Wähler, während die Oppositionsparteien vor allem an die große Zahl der Unentschlossenen appellieren würden, die – so wird befürchtet – eine mit zeitlichem Aufwand einhergehende Registrierung scheuen könnten. Auch führe die Registrierung zu einem „Quasi-Bildungszensus“, da zu erwarten sei, dass gerade bildungsferne Bevölkerungsschichten eine solche Prozedur nicht absolvieren könnten. Die oppositionelle sozialistische MSZP und deren Vorsitzender Attila Mesterházy appellierten an Staatspräsident János Áder, das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Sie argumentierten, dass die Wählerregistrierung mit internationalem Recht nicht vereinbar und auch wegen des vorhandenen Einwohnermelderegisters schlicht überflüssig sei. Zudem seien die Regeln zu rigide, die Registrierung könnte auch noch bis zu zwei Tage vor den Wahlen erfolgen, so Mesterházy.

Die Grundsätze der freien, geheimen, gleichen und unmittelbaren Wahlen bleiben, so sind sich fast alle politischen Beobachter einig, unstrittig und unangetastet. Fraglich sei jedoch, so die Kritiker, ob die Wählerregistrierung dem Erfordernis des Prinzips allgemeiner Wahlen standhielte. Falls Staatsbürger wegen eines geringeren Bildungsniveaus nicht anmelden würden, wäre der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl dann wohl nicht mehr gewährleistet.

Abschließende Bemerkung

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind alle Überlegungen, welche Parteien von den Neuregelungen besonders profitieren würden, reine Spekulation. Tatsache ist, dass auch die neuen Wahlgesetze weiterhin den Sieger begünstigt. Diese sind für die Regierungskoalition also nur dann vorteilhaft, wenn sie stärkste Kraft bliebe. Ob es den oppositionellen Gruppierungen gelingen wird, sich zu einigen und auch gemeinsame Wahlkreiskandidaten aufzustellen, bleibt abzuwarten. Letztlich werden wohl erst nach den Wahlen die Auswirkungen der neuen gesetzlichen Regelungen erkennbar werden. Voraussetzung ist jedoch, dass das Gesetz einer möglichen Überprüfung durch das ungarische Verfassungsgericht standhält. Politische Beobachter gehen davon aus, dass die Opposition oder auch Staatspräsident János Áder das Verfassungsgericht diesbezüglich anrufen werden.

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