Առանձին հրապարակում
Der schwerwiegendste Konflikt während meiner Amtszeit als Präsident des Europäischen
Parlaments entwickelte sich mit der Volksrepublik China. Dies bedauerte ich
außerordentlich, aber es war unvermeidlich. Als Vorsitzender der EVP-ED-Fraktion
hatte ich Peking mehrfach auf Einladung der Regierung und der Kommunistischen
Partei besucht und den Gesprächen mit der chinesischen Führung immer große Bedeutung
beigemessen. Diese Einschätzung habe ich auch heute. China ist ein wichtiges
Land mit einer – wie wir hoffen – guten Zukunft. China sollte immer auch ein
guter Partner der Europäischen Union sein. Es ist unverkennbar, dass das Land seit
der Reformpolitik Deng Xiaopings, die dessen Nachfolger fortsetzten, große Fortschritte
gemacht hat. Es bleibt zu wünschen, dass China sich zu einer freiheitlichen
und demokratischen Gesellschaft weiterentwickelt. Natürlich ist dies ein mühsamer,
langer Weg. Aber ich bin zuversichtlich, dass China – ebenso wie die Sowjetunion –
den Kommunismus eines Tages überwinden wird. Das Freiheitsstreben der Menschen
kann für einige Jahrzehnte mit Gewalt unterdrückt werden, aber am Ende wird der Fluss der Freiheit sich seinen Weg bahnen. Dies war in Europa immer meine Überzeugung und ist es auch im Hinblick auf das heute kommunistische China. Auch im
Verhältnis zu China halte ich eine Doppelstrategie für notwendig: Dialog und Kooperation
einerseits, Verteidigung der Menschenrechte andererseits. Mit Blick auf die
Olympischen Spiele in Peking im Jahre 2008 entwickelte sich wegen der Tibetfrage
ein ernsthafter Konflikt zwischen der chinesischen Führung und dem Europäischen
Parlament, besonders auch mit mir als dessen Präsident.
Wenige Monate vor den Olympischen Spielen kam es in Lhasa zu massiven Protesten,
die durch chinesisches Militär und Polizei bekämpft wurden. Mit einer Verhaftungswelle
und dem Aufmarsch von Truppen versuchten die kommunistischen Machthaber, die Proteste unter Kontrolle zu bringen. Das kommunistische Parteiorgan
Renmin Ribao („Tageszeitung des Volkes/Volkszeitung“) rief zur „Niederschlagung
der Verschwörung und Sabotage der Unabhängigkeitskräfte in Tibet“ auf. Dem
Dalai Lama und den Exiltibetern warf das Blatt vor, die Unruhen von langer Hand
geplant und organisiert zu haben, „mit der bösartigen Absicht, die Olympischen Spiele
zu untergraben und Tibet vom Vaterland abspalten zu wollen“.
Der Parteiführer der Kommunistischen Partei in Tibet, Zhang Qingli, bezeichnete
den Dalai Lama als „Wolf in Mönchskutte“. Das hielt ich für eine bösartige Propaganda.
Der Dalai Lama seinerseits wies diese Vorwürfe zurück. „Die Proteste waren
nicht koordiniert, niemand hatte sie unter Kontrolle“, sagte sein Sprecher im indischen
Dharamsala. Es wäre zu bedauern, dass die Proteste in Gewalt ausgeartet waren. Der
Dalai Lama wäre immer gegen Gewalt gewesen, fügte dessen Sprecher hinzu. Persönlich
hatte ich mehrmals die Möglichkeit gehabt, dem Dalai Lama zu begegnen
und hatte in langen persönlichen Gesprächen feststellen können, dass er ein Mann des
Friedens war.
Nach Angaben der tibetischen Regierung kamen in Lhasa 19 Menschen ums Leben,
600 wurden verletzt. Exiltibeter hingegen gingen von einhundert Toten in Lhasa
und anderen Orten aus. Den Protesten in Lhasa und anderen Gebieten in Tibet
schlossen sich Exiltibeter überall in der Welt, insbesondere in den USA und Europa,
an. Angesichts dieser Entwicklung hielt ich es für meine Pflicht, mich zu den Vorgängen
in Tibet zu äußern. Dabei ist von Bedeutung, dass ich mit dem französischen
Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, der wegen der am 1. Juli 2008 beginnenden französischen
Präsidentschaft Präsident des Europäischen Rates werden sollte, verabredet
hatte, gemeinsam die Olympischen Spiele in Peking zu besuchen. Nicolas Sarkozy
hatte mir zugesichert, mich in seiner Präsidentenmaschine mit nach Peking zu nehmen.
Ich hätte es begrüßt, wenn auch der Präsident der Europäischen Kommission,
José Manuel Durão Barroso, im wahrsten Sinne des Wortes mit an Bord gewesen
wäre, aber er hatte daran weniger Interesse. Die Absicht, dass die drei Präsidenten der
europäischen Institutionen – Europäischer Rat, Europäische Kommission und Europäisches
Parlament – gemeinsam zur Eröffnung der Olympischen Spiele nach Peking reisten, hielt ich für eine schöne Geste gegenüber China. Nun jedoch kam die Entwicklung in Tibet dazwischen. Ich folgte meinen Grundsätzen.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 18. März 2008 und in einer
Stellungnahme in der Bild am Sonntag vom 23. März 2008 sprach ich mich für Reaktionen
im Hinblick auf die Vorgänge in Tibet aus. Ich forderte dazu auf, dass Politiker
nicht an der Eröffnungsfeier in Peking teilnehmen sollten: „Das, was gegenwärtig in
Tibet geschieht, kann niemals unsere Zustimmung finden und das müssen die Chinesen
erkennen“, sagte ich im Deutschlandfunk. Wenn die Olympischen Spiele ein
Erfolg werden sollten, müssten Repressionen sowie Einschränkungen von Meinungsund
Pressefreiheit aufhören. „Dieses Signal müssen wir jetzt an Peking geben.“
In der Bild am Sonntag erklärte ich:
„Peking muss sich entscheiden. Es sollte unverzüglich mit dem Dalai Lama verhandeln. Bleiben Signale der Verständigung aus, halte ich Boykottmaßnahmen für gerechtfertigt.“
Ich fügte hinzu: „Wir wollen erfolgreiche Spiele – aber nicht zum Preis des kulturellen
Völkermords an den Tibetern, von dem der Dalai Lama spricht.“
Ich kündigte an, dass sich das Europäische Parlament mit der Situation in Tibet befassen
werden würde. Als dessen Präsident war ich im Übrigen in der sehr zufriedenstellenden
Situation, dass die Position des Europäischen Parlaments und meine
persönlichen Auffassungen identisch waren. Dies verlieh mir auch Rückhalt für meine
eigene Argumentation in der Öffentlichkeit. Am 10. April 2008 verabschiedete das
Europäische Parlament mit großer Mehrheit (580 Ja-Stimmen, 24 Nein-Stimmen,
45 Enthaltungen) eine Entschließung zur Lage in Tibet und den damit im Zusammenhang
stehenden Fragen der Olympischen Spiele.40 Im Text der Entschließung
hieß es:
„Das Europäische Parlament ... verurteilt nachdrücklich das brutale Vorgehen der chinesischen Sicherheitskräfte gegen tibetische Demonstranten und alle Gewaltakte, die – unabhängig von welcher Seite – in den Straßen von Lhasa und andernorts in Tibet verübt wurden, und bekundet den Familien der Opfer seine aufrichtige Anteilnahme“.
Das Parlament forderte die chinesische Regierung auf, den verletzten Tibetern eine
angemessene medizinische Versorgung zu ermöglichen und den inhaftierten Tibetern
Rechtsbeistand zu gewährleisten. Auch sollte eine Liste der Inhaftierten vorgelegt
werden. Alle diejenigen, die friedlich protestiert und ihr Recht auf Meinungsfreiheit
ausgeübt hätten, sollten freigelassen werden. Das Europäische Parlament kritisierte die
häufig diskriminierende Behandlung der nicht zu den Han-Chinesen zählenden ethnischen
Minderheiten. China sollte seine Verpflichtungen in Bezug auf Menschenrechte,
Minderheitenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten und
„die Olympischen Spiele 2008 nicht durch die Inhaftierung von Dissidenten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ... missbrauchen, um Demonstrationen und eine Berichterstattung zu verhindern, die die Behörden als für sie unangenehm empfinden“.
Darüber hinaus wurde die unverzügliche Freilassung von Hu Jia, einem prominenten
Menschenrechtsaktivisten, der wegen Subversion zu einer dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe
verurteilt worden war, gefordert. Ferner sollte es eine offene und unabhängige
Untersuchung der jüngsten Unruhen und der Unterdrückung in Tibet unter
der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen geben.
Das Europäische Parlament würdigte ausdrücklich die Haltung des Dalai Lama,
der die Tibeter aufgerufen hatte, gewaltfrei zu protestieren, und Forderungen nach der
Unabhängigkeit Tibets zurückgewiesen hatte. Darüber hinaus würdigte das Parlament
auch, dass der Dalai Lama einen Mittelweg zwischen kultureller und politischer Autonomie
sowie der freien Religionsausübung vorgeschlagen hatte. Ausdrücklich bekräftigte
das Europäische Parlament, dass es an der territorialen Integrität Chinas
festhalten würde. Es forderte die chinesischen Regierungsstellen auf, jede Zensur, auch
des Internets, aufzugeben und alle Journalisten, Internetnutzer und Cyberdissidenten,
die in China wegen der Ausübung ihres Rechts auf Information inhaftiert waren, freizulassen.
Auch wurde China aufgefordert,
„seine Zusagen in Bezug auf die Menschen- und Minderheitenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit einzuhalten, die es öffentlich verkündet hatte, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) beschloss, die Olympischen Spiele an China zu vergeben“.
Das Parlament bedauerte,
dass die sechs Gesprächsrunden zwischen den chinesischen Behörden und dem Dalai Lama zu keinem Erfolg geführt haben, und fordert die Einleitung eines konstruktiven Dialogs ohne Vorbedingungen im Hinblick auf die Erzielung einer umfassenden politischen Einigung, einschließlich einer nachhaltigen Lösung für die kulturelle und politische Autonomie Tibets sowie die freie Religionsausübung und wirklicher Minderheitenrechte für die in benachbarten chinesischen Provinzen lebenden Tibeter“.
Das Parlament wiederholte im Übrigen seine Forderung, einen Sondergesandten für
Tibet zu ernennen. Es unterstützte die Erklärung des Dalai Lama, dass die Olympischen
Spiele eine große Chance mit Blick auf die Freiheit des gesamten chinesischen
Volkes wären und drückte seine Freude darüber aus, dass sein Besuch im Europäischen
Parlament für Ende 2008 geplant wäre. Die amtierende slowenische EU-Präsidentschaft
wurde aufgefordert,
„sich um eine gemeinsame Position der Europäischen Union im Hinblick auf die Teilnahme der Staats- und Regierungschefs und des Hohen Vertreters der Europäischen Union an der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele zu bemühen und sich die Option der Nichtteilnahme offen zu halten, falls es nicht zu einer Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den chinesischen Regierungsstellen und dem Dalai Lama kommt“.
Deutlicher konnte das Europäische Parlament sich nicht äußern. Ich war froh darüber,
dass meine persönlichen Überzeugungen absolut identisch waren mit der großen
Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament. Ich wäre in
große Schwierigkeiten gekommen, hätte ich eine andere Position, als sie meinen
Überzeugungen, ja meinem Gewissen entsprach, vertreten müssen. Glücklicherweise
aber war dies nicht der Fall.