Dr. Peter Fischer-Bollin, Leiter der Hauptabteilung Analyse und Beratung, bezeichnete Einsamkeit in seiner Begrüßung als eine gesellschaftliche Herausforderung, die sowohl durch die Corona-Pandemie als auch durch Megatrends wie den demographischen Wandel oder die voranschreitende Urbanisierung verschärft werde. Insbesondere aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Gesundheit sei Einsamkeitsprävention wichtig.
Laut der Politikerin und Publizistin Diana Kinnert können Mehrgenerationenhäuser, Nachbarschaftsgenossenschaften sowie verbesserter Internetzugang in Altersheimen Einsamkeit im Alter entgegenwirken. Außerdem machte die Autorin des Buches „Die neue Einsamkeit“ darauf aufmerksam, dass zunehmend auch junge Menschen von Einsamkeit, jedoch in einer neuen Form, betroffen seien. Die heutige Jugend sei vernetzter und erreichbarer denn je, doch im digitalen Zeitalter von sozialen Medien und Smartphones fehle es den jungen Menschen oft an tiefgreifenden Freundschaften und damit an Geborgenheit und Verlässlichkeit. „Nicht nur die Abwesenheit der Anderen macht Einsamkeit aus.“ Diana Kinnert beobachtet, dass durch eine zunehmende „Digitalität“ und „Vereinzelung“ in der Gesellschaft die Beziehungsfähigkeit und Qualität sozialer Bindungen unter jüngeren Menschen abnehme. Zudem identifiziert sie drei zentrale Gründe für Einsamkeit in der heutigen Zeit: Die Abwesenheit der Anderen, infrastrukturelle Entkopplung sowie – als neue Form – Überforderung und Rückzug aufgrund eines steigenden Leistungsdrucks. Mögliche Maßnahmen zur Eindämmung von Einsamkeitserfahrungen bei jungen Menschen seien z.B. die Möglichkeit zur Selbstverwaltung von Jugendzentren und Seelsorge-Angebote per Chat, um Jugendliche niedrigschwellig zu erreichen.
Die Einsamkeitsforscherin Dr. Susanne Bücker von der Ruhr-Universität Bochum bezeichnete Einsamkeit als ein hochgradig subjektives Gefühl. Eine gängige in der Psychologie verwendete Definition sei, dass es sich bei Einsamkeit um die „Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlich bestehenden sozialen Beziehungen“ handelt. Vereinsamung begünstige u. a. Herz-Kreislauf- und demenzielle Erkrankungen und trage zu einer geringeren Lebenserwartung bei. Die Einsamkeitsforscherin verwies auf wissenschaftliche Erkenntnisse, laut denen sich die Herausforderung während der Corona-Pandemie verschärft habe und Einsamkeit in allen Altersgruppen deutlich gestiegen sei. Eine wichtige Maßnahme wäre daher ein kontinuierliches Einsamkeits-Monitoring mit einem besonderen Augenmerk auf vulnerable Bevölkerungsgruppen. Um Politik evidenzbasiert informieren zu können, gäbe es Bedarf an mehr personellen und finanziellen Ressourcen in der Einsamkeitsforschung. Sie empfiehlt die Etablierung eines Deutschen Zentrums für Einsamkeitsforschung.
Uwe Müller, Leiter der Kirchlichen TelefonSeelsorge Berlin, berichtete von täglichen Berührungspunkten mit dem Thema. Einige Anrufer beklagten eine tiefe Einsamkeit, die sie zu Suizidgedanken triebe. Andere riefen vordergründig wegen anderer Probleme an, während die eigentliche Motivation oftmals das Fehlen sozialer Kontakte sei. Müller bestätigte den Eindruck, dass nicht nur Hochaltrige sondern auch viele junge Menschen von Einsamkeit betroffen seien. Laut Müller schränke Einsamkeit Menschen in ihrer Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit ein. Das Angebot der Kirchlichen TelefonSeelsorge spreche einsame Menschen an, da sie dort die Möglichkeit erhielten, anonym und zu jeder Uhrzeit mit geschulten Ehrenamtlichen zu sprechen.
Nach den Input-Vorträgen gab es eine Diskussion zwischen den Panelistinnen und dem Panelisten, die von Lara Jäkel, Stipendiatin der journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung (JONA) moderiert wurde. Zum Begriff „Epidemie Einsamkeit“ äußerte sich Frau Dr. Bücker zurückhaltend, da die Forschungslage noch keine empirische Evidenz für eine Rechtfertigung dieser drastischen Bezeichnung liefere. Aber es sei sehr zu begrüßen, dass das Thema verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit rücke. Auf die Frage, ob zunehmende Einsamkeit eine Gefahr für Demokratie und Gesellschaft darstelle, verwies Frau Kinnert sowohl auf die finanziellen Kosten für die Sozialsysteme als auch auf die wissenschaftlich nachgewiesene steigende Anfälligkeit für radikale Positionen und Strömungen bei fehlenden sozialen Beziehungen und Zukunftsperspektiven. Darüber hinaus stelle die zunehmende Individualisierung das Gemeinwesen auf die Probe. Als Gegenmaßnahme müsse die Gesellschaft insgesamt inklusiver werden, eine „Willkommenskultur“ im Ehrenamt und der politischen Parteiarbeit etablieren und mehr Offenheit in den öffentlichen Debatten zeigen. Im Umgang mit der zunehmenden Digitalisierung empfiehlt Kinnert, dass durch zielgruppenspezifische Angebote die digitale Kompetenz sowohl älterer als auch junger Menschen erhöht wird. „Alles ist möglich, aber nicht alles ist gut.“ Hinsichtlich der Frage aus dem digital zugeschalteten Publikum, ob der Rückgang religiöser Bindungen sich auf das Einsamkeitsempfinden auswirke, erläuterte Uwe Müller, dass die Beheimatung im Glauben gegen Einsamkeit helfen könne. Durch die Bindung und sozialen Kontakte in der Gemeinde sei man weniger einsam. Frau Dr. Bücker bestätigt, dass soziale Beziehungen in einem strukturierten Umfeld, ob durch Mitgliedschaft in einer kirchlichen Gemeinde oder in einem Verein, Einsamkeit entgegenwirken. Anstelle eines Einsamkeitsministeriums sprach sich Diana Kinnert für die Schaffung einer institutionellen Stelle für die ressortübergreifende bundesweite Koordinierung verschiedener Projekte, den Austausch mit Wohlfahrtsverbänden und zur Leitung einer Entstigmatisierungskampagne aus. Gegen das Stigma von Einsamkeit helfen laut Dr. Bücker auch Unterrichtselemente in Schulen sowie gesellschaftliche Multiplikatoren. Allgemein, so der Tenor aller Panelistinnen und des Panelisten, müsse mehr Fokus auf die Prävention gelegt werden. Jede und jeder einzelne müsse mehr auf sich und ihr bzw. sein soziales Umfeld achten.
Zum Abschluss stellte der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg, familienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, die bundespolitischen Entwicklungen vor und gab einen Ausblick über mögliche Maßnahmen. Es sei eine nationale Strategie mit konzentrierten Aktionsprogrammen sowie die Schaffung einer koordinierenden Stelle auf Bundesebene vorgesehen. Weinberg betonte, dass die Politik jedoch nur einen Teil zur Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung beitragen könne und darum bedürfe es einer Einbindung aller relevanten gesellschaftlichen Akteure wie Kirchen, Vereine, politische Parteien und Familien.
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