Brigadegeneral a.D. Reiner Schwalb, von 2011 bis 2018 Militärattaché an der deutschen Botschaft in Moskau, betonte in seinem Eingangsstatement, dass die Zukunft aktiv gestaltet werden müsse. Die entscheidende Frage sei, welchen Frieden streben wir eigentlich an, wie soll die Sicherheitsordnung zukünftig aussehen? Die Ukraine habe sich offenbar das Ziel der vollständigen Rückeroberung der durch russische Truppen besetzten Gebiete gesetzt. Russland habe zugleich den Kulminationspunkt seiner Kraft in diesem Krieg überschritten, zu größeren Angriffen scheint es nicht mehr in der Lage zu sein. Wladimir Putin setze nun offenbar eher auf Konsolidierung, unterstützt durch Terrorattacken gegen zivile Ziele und beabsichtige, den Zusammenhalt der USA und Europas zu sprengen. Es seien in nächster Zeit Vorstöße Russlands zur Aufnahme von Verhandlungen denkbar. Kurzfristig sei zwar eine Normalisierung der Beziehungen der westlichen Welt mit Russland unwahrscheinlich, wünschenswert sei jedoch die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland auf allen Ebenen und unter Beteiligung der Ukraine. So könne ein neuer „kalter Krieg“ wenigstens unter Beachtung gewisser Regeln geführt werden. Als Beispiel für die Wichtigkeit weiterer Beziehungen nannte Schwalb etwa den Jugendaustausch, der mit Blick auf die Zeit nach Wladimir Putin nicht eingestellt werden sollte. Europa müsse geschlossen auftreten. In seiner Erfahrung seien Russen einer entschlossen und stark vertretenen Position durchaus zugänglich. Und Europa müsse erkennen, dass Sicherheitspolitik eben auch Militärpolitik sei. Hier seien in der Vergangenheit Fehler begangen, vor allem der Faktor militärische Abschreckung vernachlässigt worden. Ein Beispiel dafür sei die Äußerung von US-Präsident Joe Biden im Dezember 2021, der zwar mit Maßnahmen drohte, aber zugleich einen Einsatz von US-Streitkräften zum Schutz der Ukraine ausschloss.
Dr. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zitierte als Auftakt aus einer Rede des Bundespräsidenten vom 28. Oktober 2022 den Satz, dass Putin nicht nur Regeln gebrochen, sondern das Schachbrett umgeworfen habe. Mit Blick auf das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland äußerte der Bundespräsident: „Unsere Länder stehen heute gegeneinander.“ Auch er sehe wenig Anlass für positive Erwartungen. Derzeit sei eine Rückkehr klassischer Geo- und imperialer Ordnungspolitik in Osteuropa zu beobachten, insofern gebe es wenig Handlungsoptionen, denn im Hintergrund stünden grundlegende Differenzen zwischen Werteordnungen. Solange Russland durch Wladimir Putin regiert werde, gebe es wenig Hoffnung auf einen Wandel. Auch ein Waffenstillstand wäre im Zweifel nur Episode, da man dem Präsidenten nicht mehr trauen könne. Die traditionelle Vorstellung, dass es eine europäische Sicherheitsordnung nur mit, nicht gegen Russland geben könne, sei überholt. Zukünftig werde es wohl nur eine minimale Kooperation noch geben. Kaim zitierte den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz mit den Worten, Putin müsse den Krieg verlieren - die Ukraine gewinnen. Für einen Waffenstillstand seien Sicherheitsgarantien unerlässlich, sonst würde die Ukraine dem nicht zustimmen. Verhandlungen seien zwar vorstellbar, er warne aber vor einer Sehnsucht nach einem Friedensvertrag. Auch in der Bundesregierung sei offenbar unklar, was Deutschland erreichen wolle. Entweder würden die Kriegsparteien nun ermüden oder eine die Oberhand gewinnen. Zudem sei die Zusammenarbeit Chinas mit Russland ordnungspolitisch denkbar gefährlich, positiv hingegen das weiter starke Engagement der USA in Europa.
Dr. Thomas Kunze, Leiter des Moskauer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, beschrieb zunächst jüngste Erfahrungen mit der Schließung des Büros und der weitgehend alltäglich wirkenden Atmosphäre in Moskau. Noch gebe es eine relativ hohe Unterstützung für den russischen Präsidenten, vor allem bei älteren Russen. Als ein Ursprung für den Krieg müsse der Zerfall der Sowjetunion und die folgenden Entwicklungen begriffen werden. Etwa die Verweigerung von Einflusszonen für Russland durch den Westen, was jedoch in keiner Weise den jetzigen Angriffskrieg entschuldigen könne. Derzeit gehe es um nichts weniger als eine Neuordnung der Welt. Die Suche nach Verhandlungslösungen sei zwar gefährlich, aber das Denken dürfe in dieser Frage nicht eingeengt und allein als naiv diskreditiert werden. Denn die Alternative zu einem gerechten Frieden wäre eventuell ein endloser Krieg. Zumal es wenig vielversprechend sei, Hoffnungen auf einen etwaigen Nachfolger des amtierenden Präsidenten Wladimir Putins zu setzen. Angesichts der Zusammensetzung der russischen Administration und der Apparate sei nämlich nicht auszuschließen, dass ein Nachfolger eine noch extremere Politik verfolgen könnte.
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