Laporan negara
Nach der ersten Phase der Wahlen zum ägyptischen Parlament (Unterhaus) steht fest, dass islamistische Parteien in fast allen der bislang zur Abstimmung stehenden Wahlbezirke die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnten. Die der als gemäßigt islamistisch geltenden Muslimbruderschaft nahestehende Partei für Freiheit und Gerechtigkeit („Freedom and Justice Party“, FJP) und die radikalislamische (salafistische) „Nour-Partei“ liegen sowohl bei den Wahlen von Parteilisten als auch von Direktkandidaten vor dem säkular-liberalen Wahlbündnis „Ägyptischer Block“. Insbesondere in Alexandria, in der Halboase Fayoum und in weiten Teilen des Nildeltas konnten die islamistischen Parteien punkten. Lediglich in den touristisch geprägten Bevölkerungszentren am Roten Meer und in Luxor behauptete sich der Ägyptische Block gegen die Dominanz der Islamisten.
Vieles spricht dafür, dass sich der jetzt aufgezeigte Trend in den nächsten Wahlgängen fortsetzt. Obwohl das offizielle Wahlergebnis aufgrund des komplizierten Wahlverfahrens erst Mitte Januar bekanntgegeben wird, ist folgende Zusammensetzung des zukünftigen ägyptischen Parlaments absehbar. FJP und Nour-Partei verfügen mit rund 60 Prozent der Stimmen über knapp zwei Drittel der Mandate. Die neuen liberalen und säkularen Parteien sowie einige der älteren „Oppositionsparteien“ kommen zusammen maximal auf ein Viertel der Sitze. Der Rest der Mandate geht an Vertreter des „alten Regimes“ und an politisch schwer einzuordnende Direktkandidaten.
Der Wahlerfolg der FJP war von vielen Beobachtern in dieser Höhe vorhergesagt worden. Der große Erfolg der Nour-Partei hat aber vor allem im Ausland viele Beobachter völlig überrascht. Auch das schwache Abschneiden der neuen säkularen Parteien, darunter der parteipolitisch organisierten revolutionären Jugendbewegungen, war in diesem Ausmaß nicht erwartet worden. Wie ist der Wahlsieg der Islamisten zu erklären?
Wohltäter mit weißer Weste
Wichtige Variablen zur Erklärung des Wahlerfolgs von FJP und Nour-Partei sind deren breite Vernetzung innerhalb der Bevölkerung und ein auffällig konventionell geführter Wahlkampf. Beide Parteien investierten vergleichsweise geringe Ressourcen in ausgefeilte Internet- und Medienkampagnen und setzten stattdessen auf persönliche Kontakte und unmittelbare Zuwendungen. Nicht Facebook und Twitter sondern Geld- und Sachgeschenke, Hausbesuche, Telefonate, eine massive Plakatwerbung und Predigten in den vielen Moscheen der Armenviertel prägten den Wahlkampf der Islamisten. Vor allem die FJP konnte hierbei auf jahrzehntelange Erfahrung in der Wohltätigkeitsarbeit, auf eine breite soziale Infrastruktur und auf große finanzielle Ressourcen zurückgreifen. Seit Jahren sind viele ärmere Ägypter auf Lebensmittelspenden und medizinische Grundversorgung der Muslimbrüder angewiesen. Beide Parteien nutzten zudem die Feiertage des Opferfestes Anfang November, um mit Lebensmittelspenden ärmere Bevölkerungsteile an sich zu binden. Vor allem die Strategie der FJP, nach gemeinsam veranstalteten Massengebeten Grundnahrungsmittel (mit Parteilogo) zum halben Preis zu verkaufen, verfehlte seine Wirkung nicht. Die FJP präsentierte sich hierdurch nicht nur als fromm, integer und gut organisiert, sondern auch als in der Lage, den Preisanstieg für Grundnahrungsmittel in den Griff zu bekommen. Aber auch bei der Mittelschicht konnte die FJP punkten. Hier überzeugten vor allem ihre jahrzehntelange Opposition gegen das Mubarak-Regime und ihr in den vergangenen Monaten gezielt aufgebautes Image als moderate und demokratische Reformpartei.
Auch die Salafisten konnten mit ihrer Opposition zum bisherigen Regime bei den Wählern überzeugen. Fast sprichwörtlich ist mittlerweile die Antwort eines Sprechers der Ultrareligiösen auf die Frage eines bekannten säkularen Oppositionellen, wo die salafistischen Gruppen gewesen seien, als die ägyptische Jugend im Januar und Februar auf dem Tahrir-Platz ihr Leben riskierte: „Wir waren im Gefängnis!“ (vgl. The Egyptian Gazette vom 4.12.2011). Wichtiger als die Opposition zum Mubarak-Regime war im Wahlkampf der Nour-Partei aber die religiöse Karte. In Predigten und auf Wahlkampfveranstaltungen stellten salafistische Prediger eine Stimmabgabe für die Nour-Partei vielfach als religiöse Pflicht der Gläubigen dar. Vor allem das uneingeschränkte Bekenntnis zur Scharia bzw. zu deren sukzessiven Einführung in möglichst vielen Rechtsbereichen wurde als Abgrenzungs- und Alleinstellungsmerkmal gegenüber der FJP genutzt (vgl. Asharq Al-Awsat vom 6.12.2011)
Gegen die massive Selbstinszenierung der Islamisten als fromme Wohltäter und Gegner des Mubarak-Regimes konnten die säkularen Parteien wenig ausrichten. Auch wenn das wichtigste Mitglied des Ägyptischen Blocks, die von dem reichen christlichen Bau- und Telekommunikationsunternehmer Naguib Sawiris gegründete „Partei der Freien Ägypter“ („Free Egyptians Party“ FEP) über erhebliche finanzielle Ressourcen und, so wird zumindest vermutet, über die landesweite Infrastruktur der vielen Handy-Läden des Sawiris-Konzerns verfügt, konnten die Säkularen in der breiten Bevölkerung nicht annähernd den Bekanntheitsgrad und das Mobilisierungspotenzial der Islamisten erzielen. Vor allem machte den säkularen Parteien aber der Vorwurf (bzw. in einigen Fällen die Tatsache) zu schaffen, dass in ihren Reihen Vertreter des alten Regimes, sogenannte „Feloul“, eine neue politische Heimat gefunden hätten. In den Wochen vor der Wahl setzte in Ägypten eine regelrechte Kampagne gegen tatsächliche oder vermeintliche „Feloul“ in verschiedenen säkularen Parteien ein, die schließlich auch der FEP viele Wählerstimmen gekostet haben dürfte. Die vom Mubarak-Regime ausgegebene Losung „Wir oder die Islamisten“ zeigte hier eine späte und unintendierte Wirkung: viele Ägypter trauen einen wirklichen politischen Wechsel nur denjenigen politischen Kräften zu, die jahrelang als politischer Gegner des bisherigen Regimes aufgebaut und präsentiert wurden.
Einfache Botschaften
Die inhaltliche Programmatik der islamistischen Parteien spielt im Wahlkampf nur eine nachgeordnete Rolle. Die FJP bemüht sich allerdings, durch öffentlichkeitswirksame Bekenntnisse zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sowie durch eine deutliche Abgrenzung von der Nour-Partei auch Säkulare und Christen anzusprechen bzw. deren Sorgen vor einer weiteren „Islamisierung“ der Politik des Landes zu entkräften. Dennoch wird eine Reihe von Elementen der Wahlplattform der FJP in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Gegenstand der Kritik sind vor allem Hinweise auf Geschlechtertrennung, auf Einschränkungen der künstlerischen Freiheiten und auf eine gesetzliche Regulierung von Bekleidungsgewohnheiten an Badestränden. Die FJP ist allerdings in starkem Maße darum bemüht, tourismusschädigende Themen wie ein Bikini- und Alkoholverbote zu vermeiden.
Die Nour-Partei ist hier weniger zurückhaltend. Stärkere Geschlechtertrennung, Zinsverbot, die Einschränkung der Religionsfreiheit und die Einführung der muslimischen Pflichtsteuer („Zakat“) gehören hier selbstverständlich zu den Wahlkampfthemen. Außerdem will die Nour-Partei einen Rat der Religionsgelehrten konstituieren, der Gesetze auf ihre Übereinstimmung mit der Scharia überprüft (vgl. Al-Ahram vom 30.11.2011). Einzelne Vertreter der Nour-Partei gehen in Medienauftritten mit zum Teil skurrilen Forderungen noch über diese Programmpunkte hinaus. Insbesondere der prominente Alexandriner Prediger Abdelmonem Al-Shahat sorgt immer wieder für Medienrummel. Nach seiner vielbeachteten Auffassung müssten beispielsweise die Werke des ägyptischen Literatur-Nobelpreisträgers Naguib Machfus als „unislamisch“ verboten werden. Außerdem seien die Statuen altägyptischer Pharaonen und Gottheiten als heidnische Götzen anzusehen und landesweit mit Wachs zu bedecken (vgl. Masry Al-Yawm vom 9.12.2011).
Machtfaktor Militär
Das unerwartet gute Abschneiden der Nour-Partei hat in Ägypten Spekulationen über mögliche Koalitionsabsichten der FJP genährt. Waren Beobachter bislang davon ausgegangen, dass sich die Muslimbrüder als „dritte Kraft“ zwischen Säkularen und dem Militär positionieren und auf flexible Kooperationen mit beiden Seiten einlassen würden, spekulieren Kommentatoren angesichts des sich abzeichnenden Wahlergebnisses nun auch über eine Zusammenarbeit der beiden islamistischen Parteien im neuen ägyptischen Parlament. Der Erfolg der Nour-Partei bringt die FJP in jedem Fall in Zugzwang. Eine Zusammenarbeit mit den Salafisten würde der FJP zwar eine komfortable Mehrheit im Parlament verschaffen, aber gleichzeitig den eigenen Wahlversprechen zuwiderlaufen und eher säkulare und moderate Wählerschichten der FJP vergraulen. Andererseits würde eine offensichtliche Kooperation mit den säkularen Parteien die FJP von islamischer Seite angreifbar machen und damit in ihrem „Markenkern“ gefährden. Das starke Abschneiden der Nour-Partei schadet daher nicht nur den säkularen Parteien, es schadet auch der FJP.
Nutznießer dieser Entwicklung ist vor allem das machthabende Militär. Unmittelbar nach Bekanntwerden des guten Abschneidens der Salafisten machten Armeevertreter deutlich, dass sich der herrschende Militärrat weitgehende Einspruchsrechte bei der Zusammenstellung der verfassungsgebenden Versammlung vorbehalten wolle. Außerdem deuteten die Generäle an, dass die ägyptische Regierung und der Premierminister auch weiterhin vom Präsidenten ernannt und nicht vom Parlament gewählt werden sollten (vgl. Al-Ahram vom 8.12.2011). Die FJP hatte demgegenüber immer wieder betont, dass nach ihren Vorstellungen sowohl die verfassungsgebende Versammlung als auch die zukünftige Regierung vom Parlament bestellt werden sollte (vgl. International Herald Tribune vom 2.12.2011). Während die Ankündigung militärischer Vorbehaltsrechte noch kurz vor den Wahlen zu erneuten Massendemonstrationen auf dem Tahrir-Platz geführt hatten, werden sie angesichts einer möglichen Zweidrittelmehrheit der Islamisten im neuen ägyptischen Parlament mittlerweile von vielen Säkularen Kräften hingenommen. Nicht wenige werden sie sogar stillschweigend begrüßen.
Schlussfolgerungen
Die ersten freien Wahlen des Landes seit mindestens sechzig Jahren sind für Ägypten ein wichtiger Schritt auf einem langen Weg hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Der sich abzeichnende Wahlerfolg der Islamisten und insbesondere der Nour-Partei stellt allerdings einen harten „Reality Check“ für die säkularen politischen Kräfte im Land dar. Das unerwartete Abschneiden der Nour-Partei bringt aber auch die siegesgewisse Partei der Muslimbrüder in Bedrängnis. Mit den Salafisten hat neben Muslimbrüdern, Säkularen und Militärs ein vierter Spieler weitgehend unerwartet die politische Bühne des Landes betreten. Die Polarisierung zwischen Säkularen und Religiösen wird hierdurch weiter verschärft und die Aussichten auf pragmatische Kompromisse und flexible Koalitionen innerhalb des politischen Kräftefeldes eingeschränkt. Vor dem Hintergrund von Islamisierungsängsten, Populismus, wirtschaftlichem Niedergang und einer problematischen Sicherheitslage könnten die ersten freien Wahlen des Landes daher letztendlich denjenigen Kräften nützen, die eigentlich abgewählt werden sollten: den Militärs.
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