Albanien
Das Jahr 2024 stand in Albanien im Zeichen der EU-Integration: Am 15. Oktober erfolgte die offizielle Aufnahme der Beitrittsverhandlungen und Eröffnung der Kapitel 23 und 24 des gemeinsamen Besitzstandes. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Rechtsstaatlichkeit, Verbesserung der Strafverfolgung, wirksamer Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität sowie der Förderung der Grundrechte, einschließlich der Medienfreiheit, Eigentumsrechte und Minderheiten.
Der Eröffnung der Verhandlungskapitel war der Abschluss einer Justizreform und eines Vetting-Prozesses vorhergegangen, was zu einigen relevanten Verbesserungen in der Arbeitsweise der Justiz führte. Das sog. Vetting-Verfahren wurde vor acht Jahren auf Druck der Europäischen Union und der USA eingerichtet, um die tief verwurzelte Korruption im albanischen Justizsystem zu bekämpfen. Eine unabhängige Kommission überprüfte in dieser Zeit rund 800 Richter und Staatsanwälte, wobei in vielen Fällen ungeklärtes Vermögen festgestellt wurde, das mit dem Durchschnittsgehalt eines Staatsbediensteten nicht ansatzweise in Einklang gebracht werden konnte. Nur 373 der Amtsträger blieben nach Abschluss des Vetting-Verfahrens auf ihren Posten. 430 wurden entweder entlassen oder zogen es vor, zurückzutreten oder in den Ruhestand zu gehen, um einer Überprüfung zu entgehen. Dies kann als ein bedeutender Erfolg bei der Gewährleistung von Rechenschaftspflicht und Integrität im Justizsystem gewertet werden. Die Kehrseite des Prozesses ist allerdings, dass eine erhebliche Zahl der Stellen bisher nicht nachbesetzt werden konnte, es fehlen weiterhin zahlreiche Richter und Staatsanwälte. Das führte zu einem massiven Verfahrensrückstau, weshalb der Zugang zur Justiz derzeit nicht hinreichend gewährleistet werden kann und die Dauer von Gerichtsverfahren möglicherweise mehrere Jahre betragen wird.
Die positiven Befunde werden auch durch den anhaltenden Konflikt zwischen dem Parlament und dem Verfassungsgericht konterkariert, der sich zu einer regelrechten Verfassungskrise entwickeln kann. Das von der regierenden Sozialistischen Partei (PS) dominierte Parlament (74 von 140 Mandate) hat sich wiederholt geweigert, einen Beschluss des Verfassungsgerichts umzusetzen. Dieses hatte das Parlament verpflichtet, einen formellen Antrag auf Überprüfung der Integrität der Abgeordneten Olta Xhaçka dem Verfassungsgericht zu übermitteln. Xhaçka wird vorgeworfen, während ihrer Amtszeit als Außenministerin (2021-2023) in einen Interessenkonflikt verwickelt gewesen zu sein, da ihr Ehemann, ein ehemaliger Abgeordneter der SP, von der Regierung rechtlich zweifelhafte Baugenehmigungen für Großprojekte erhalten haben soll. Die Venedig-Kommission des Europarats gab im Dezember 2024 eine kritische Stellungnahme zu diesem Vorgang ab und betonte, dass die Einhaltung der Urteile und Anordnungen des Verfassungsgerichts für die Rechtsstaatlichkeit von wesentlicher Bedeutung sei, dass auch Abgeordnete das Recht zu achten haben und die staatlichen Institutionen, einschließlich des Parlaments, die Urteile des Verfassungsgerichts als Eckpfeiler der Rechtsstaatlichkeit respektieren müssen. Kritik gab es ferner von der EU und der internationalen Gemeinschaft.
Schließlich gab es weiterhin Defizite im Bereich der Medienfreiheit, die 2024 oftmals unverhältnismäßig eingeschränkt wurde. Darauf wies unter anderem die EU-Kommission in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht hin.
Bosnien und Herzegowina
Im März 2024 stimmte der Europäische Rat auch der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina (BiH) zu. Die EU-Kommission hatte ihre Empfehlung unter anderem mit der Anerkennung der Bemühungen des Landes in Bereichen wie Migrationsmanagement und bei Reformen zur Integrität der Justiz und zur Korruptionsbekämpfung begründet. Sichtbare Erfolge bei der Umsetzung konnte das Land indessen nicht vorweisen. Da allerdings die letzten Bedingungen zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen 2024 von BiH nicht erfüllt wurden, konnten die Verhandlungen bisher nicht beginnen.
Eines der drängendsten Probleme war die politische Blockadehaltung der Regierung und des Parlaments der Republika Srpska (RS) in Bezug auf alle wichtigen Entscheidungen in BiH. Dies betrifft zunächst die Ernennung neuer Richter für das Verfassungsgericht von BiH, die die RS nicht vornahm, weil sie das Gericht nicht anerkennt. Am 27. Juni 2023 verabschiedete das Parlament der RS ein Gesetz, wonach die Entscheidungen des Verfassungsgerichts nicht mehr vollstreckt werden. Der Präsident der RS, Milorad Dodik, fordert eine Reform des Gerichts, um unter anderem die drei gesetzlich vorgesehenen ausländischen Richter auszuschließen. Das Gericht ist weiterhin nur mit sieben Richtern besetzt, es fehlen zwei von der RS zu ernennenden Richter. Dieser Umstand hat zu einem erheblichen Rückstau von Fällen geführt und gefährdet die Arbeit und Autorität des Gerichts, das ansonsten in der Region als nahezu vorbildlich gilt.
Ein weiteres Problem ist das Fehlen klarer Qualifikationskriterien und die große Bedeutung der ethnischen Kriterien bei der Richterwahl. Um klare Voraussetzungen wie bestimmte Berufserfahrung für die Ernennung zum Richter festzulegen und Anti-Blockade-Mechanismen zu implementieren, wäre eine Verfassungsänderung nötig, die aktuell nicht umsetzbar wäre. Die Venedig-Kommission empfahl daher zumindest eine Übergangslösung: Das Gericht könnte seine Regeln ändern, damit Fälle an das Plenum übertragen werden können, und ermöglichen, dass Entscheidungen mit einer geringeren Anzahl von Richtern getroffen werden können. Immerhin wurde im Mai 2024 bereits eine Regelung eingeführt, um den Verbleib von Richtern nach Erreichen der Altersgrenze bis zur Wahl eines Nachfolgers im Amt zu ermöglichen.
Die Blockade durch die RS beeinträchtigt auch unmittelbar die für den EU-Beitritt wichtigen Entscheidungsprozesse. Am 24. und 25. Dezember 2024 beschloss die Nationalversammlung der RS, den Beitrittsprozess des gesamten Landes zu untergraben. Dies deuteten Beobachter als Zeichen im Lichte des laufenden Ermittlungsverfahrens gegen Milorad Dodik, das wegen seiner Missachtung der Beschlüsse des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina (OHR) eingeleitet wurde. Die Strafverfolgung gegen den RS-Präsidenten kam 2024 nicht voran.
Die Spannungen im Land wurden ferner auch am Rande der 2024 durchgeführten Verhandlungen im Fall Kovačević vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) deutlich. Obwohl das Urteil noch nicht ergangen ist, erklärten einige Entscheidungsträger in BiH bereits vorsorglich, dass das erwartete Urteil nicht umgesetzt werden könne. Es wird erwartet, dass der EGMR – wie in seiner ersten Entscheidung in diesem Fall – das ethnisch dominierte Verfassungssystem in BiH schwächen und die liberal-bürgerliche Komponente stärken könnte. Das endgültige Urteil wird in der ersten Hälfte des Jahres 2025 erwartet.
Eine positive Entwicklung im Jahr 2024 war, dass der Gesetzesentwurf über die Registrierung von aus dem Ausland finanzierten Nichtregierungsorganisationen als „ausländische Agenten“ im Parlament der RS zurückgezogen wurde. Es bestehen jedoch weiterhin Bedenken hinsichtlich möglicher Einschränkungen für die Zivilgesellschaft.
Kosovo
Für das Kosovo begann am 1. Januar 2024 mit der EU-Visaliberalisierung ein neues Kapitel im Grenzverkehr, und wie schon in den Vorjahren folgten weitere Gesetze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften mit dem EU-Recht. Auch in einem weiteren Bereich gab es einen Meilenstein: Im Juni 2024, genau 25 Jahre nach dem Ende des Krieges, wurde eine neue Strategie für die Übergangsjustiz (transitional justice) verabschiedet. Sie zielt darauf ab, das schwere Erbe des bewaffneten Konflikts mit Serbien aufzuarbeiten und Wahrheitsfindung und Versöhnung zu fördern. Zu den wichtigsten Aspekten der Strategie gehören das Sammeln, Einordnen und Bewahren von Informationen über den Krieg, um ein offizielles staatliches Narrativ zu etablieren. Im Fokus stehen außerdem die Einbeziehung verschiedener Bereiche der Übergangsjustiz, einschließlich des Rechts auf Wissen, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, die Verbesserung der interinstitutionellen Koordinierung bei der Aufarbeitung der Vergangenheit, und Vermittlung des öffentlichen Wissens über die Übergangsjustiz durch Bildungs- und Öffentlichkeitmaßnahmen. Die Initiative steht vor zwei großen Herausforderungen: dem Umgang mit heiklen politischen Themen und der angestrebten Suche nach einer Balance zwischen den Ansichten der verschiedenen Gemeinschaften im Kosovo.
Im Übrigen gab es nur geringe Fortschritte. Einen positiven Impuls lässt die im Oktober 2024 verabschiedete neue Reformagenda erwarten, die darauf abzielt, die öffentliche Verwaltung zu verbessern und die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Positive Entwicklungen gab es auch bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Verbesserung der wirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen. Diese Bemühungen werden allerdings in der Umsetzung durch politische Spaltungen konterkariert. Fortschritte bei wichtigen legislativen Vorhaben und insbesondere bei der Anwendung und Umsetzung von Rechtsvorschriften werden oft behindert und es gibt teilweise auch Rückschritte. So verabschiedete das Parlament im Juli 2024 ein umstrittenes Gesetz über die „Unabhängige Medienkommission“ (IMC). Der Europarat, die Europäische Union, die OSZE und andere internationale Organisationen kritisierten das Gesetz als einen Angriff auf die Medien und äußerten die Befürchtung, dass die Regierungspartei Lëvizja Vetëvendosje! (LVV) dieses Gesetz nutzen könnte, um eine Zensur zu etablieren. Die sich in der Opposition befindende Demokratische Partei des Kosovo (PDD) und Demokratische Liga des Kosovo (LDK) fochten das Gesetz vor dem Verfassungsgericht an und auch der Journalistenverband des Kosovo (AJK) forderte die Annullierung bestimmter Artikel. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts steht noch aus. Die größten Bedenken hinsichtlich des Gesetzes gelten den potenziellen Auswirkungen auf den Medienpluralismus, die Unabhängigkeit der Medien und die Möglichkeit einer engen Regulierung von Medienunternehmen. Die umstrittensten Bestimmungen betreffen die Ausweitung der Zuständigkeit der IMC auf Online-Medien, die Lizenzierungspflicht für Online-Medien, die Videoinhalte produzieren, die Möglichkeit der Verhängung von Geldbußen von bis zu 40.000 Euro bei Verstößen sowie die Erhöhung der Zahl der politisch ernannten Mitglieder der Kommission.
Republik Moldau
Im Jahr 2024 erlebte die Republik Moldau wichtige politische, soziale und rechtliche Veränderungen, die ihre zukünftige Ausrichtung der Integration in die EU prägen werden. Es gab dabei drei entscheidende Momente: Zum einen erfolgte die offizielle Aufnahme der Beitrittsverhandlungen im Rahmen der ersten Beitrittskonferenz in Luxemburg am 25. Juni 2024. Überdies wurde am 20. Oktober parallel zu der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen ein Referendum abgehalten, bei dem 50,38 Prozent der Wahlbeteiligten sich dafür aussprachen, die EU-Integration als ein strategisches Ziel in die Verfassung aufzunehmen. Eine Klage der Kommunistischen Partei gegen das Referendum hat das Verfassungsgericht am 31. Oktober 2024 abgewiesen. Mit dieser Verfassungsänderung soll der Kurs in Richtung EU rechtlich abgesichert werden. Und schließlich gewann die amtierende proeuropäische Präsidentin Maia Sandu die Stichwahl, was ein Zeichen dafür ist, dass das Land weiter auf dem EU-Kurs bleibt. Eine Besonderheit und sowohl praktische als auch rechtliche Herausforderung in diesem Wahlprozess waren die im Land bis dahin beispiellosen Desinformationskampagnen aus Russland, die darauf abzielten, die Gesellschaft zu destabilisieren und die Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft im Land zu mindern. Es wurde ein System der illegalen Finanzierung des Wahlkampfes und des Stimmenkaufs aufgedeckt, bei dem nach Angaben der Ermittler ca. 15 Millionen Euro an 130.000 Wahler gezahlt worden waren. Das von Russland aus gesteuerte Netzwerk umfasste dabei mehrere zehntausend Personen und stellt einen der bedeutendsten Fälle von Wahlkorruption in der Geschichte der Republik Moldau dar. Es wird erwartet, dass die Wählermanipulation bei den im Sommer anstehenden Parlamentswahlen weiter zunimmt.
Auch auf der einfachgesetzlichen Ebene wurde die Integration in das System des internationalen Rechts fortgeführt. Bereits im Februar wurde eine Änderung der Zivilprozessordnung beschlossen, um Bestimmungen aus dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 zu übernehmen (Gesetz 30/15.02.2024). Dieses internationale Abkommen legt die Zuständigkeitsregeln für Fälle mit ausländischen Bezügen fest und betrifft unter anderem die Rechtsdurchsetzung. Am 30. Mai 2024 verabschiedete das Parlament zudem eine bedeutende Reform zur Neuordnung der Justiz des Landes. Sie sieht eine Zusammenlegung und Neuordnung mehrerer (Bezirks)Gerichte vor, um die Effizienz und den Zugang zur Justiz zu verbessern. Darüber hinaus wurde das Überprüfungsverfahren für Richter (Gesetz Nr. 65/2023), das sog. Vetting, fortgesetzt. Die Überprüfungskommission beurteilt die Vermögensverhältnisse und Integrität der amtierenden Richter und Bewerber, um die Korruption in der Justiz zu bekämpfen. Das rigorose Verfahren führte seit Jahresbeginn 2024 zum Rücktritt von 21 Richtern des mit 40 Richtern besetzten Berufungsgerichts von Chișinău und von 15 Richtern (darunter zwei amtierende Vizepräsidenten) anderer Berufungsgerichte, die sich so einer Überprüfung entzogen haben. Noch ausgeprägter war die Situation am Obersten Gerichtshof, wo 88 % (22 von 25) der Richter zurücktraten. Dies wirft ein Schlaglicht auf ein umfassenderes Problem: Seit Beginn der Überprüfung traten etwa 70 % der Richter des Landes zurück. Der Oberste Richterrat konzentriert sich nun darauf, diese Vakanzen zu besetzen, was eine große Herausforderung darstellt.
Das Jahr ging mit der Ausrufung eines 60-tägigen Ausnahmezustandes wegen der Gefährdung der Energiesicherheit des Landes am 12. Dezember 2024 zu Ende. Damit soll eine beschleunigte Beschaffung von Strom und Gas sowie ihre Rationierung ermöglicht werden. Nicht nur im Rechtsstaatsbereich bleiben die Herausforderungen weiterhin groß.
Montenegro
Montenegro machte trotz einer umfassenderen Regierungsumbildung im Sommer 2024 Fortschritte beim EU-Integrationsprozess. Dem Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission aus dem Sommer 2024 kann darin zugestimmt werden, dass Montenegro zwar das fortgeschrittenste Beitrittsland in der Region blieb, jedoch andauernden Herausforderungen ausgesetzt war, die die Rechtsstaatlichkeit und das Vertrauen in politische Institutionen schwächen.
Am 25. Juni 2024 bescheinigte die EU-Kommission Montenegro als erstem Land des Westlichen Balkans, die Hürde des IBAR[1] genommen zu haben. Die Entscheidung wurde in Montenegro als ein positives Signal aus Brüssel aufgenommen. Einige Experten äußerten jedoch Bedenken hinsichtlich der im Berichtsverfahren angelegten Maßstäbe und mahnten weitere Reformen an.[2] Bei Justizreformen und Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung erzielte das Land moderate Fortschritte und passte die gesetzlichen Rahmenbedingungen an EU-Standards an. Im Justizwesen wurden ein neuer strategischer Rahmen und bedeutende Änderungen an zentralen Gesetzen wie dem Gesetz über den Justizrat sowie dem Gesetz über den Staatsanwaltsdienst umgesetzt. Den Reformen lagen die Empfehlungen der EU- und der Venedig-Kommission zu Grunde. Sie erhöhen die Transparenz und fördern das Leistungsprinzip bei der Ernennung von Amtsträgern in der Justiz. Trotz Polarisierung gelang es dem Parlament, den Obersten Staatsanwalt, Mitglieder des Justizrats und einen Richter des Verfassungsgerichts zu ernennen – Stellen, die lange vakant waren und damit die Funktionsfähigkeit dieser bedeutenden Institutionen beeinflusst hatten. Allerdings steht die Ernennung eines Präsidenten des Obersten Gerichtshofs noch aus. Im Kampf gegen Korruption machte Montenegro Fortschritte von einem grundlegenden zu einem moderaten Vorbereitungsstand. Die Annahme der Antikorruptionsstrategie 2024-2028 hat den strategischen Rahmen gestärkt, indem Prävention, Repression und internationale Zusammenarbeit adressiert wurden. Gesetzliche Novellen, darunter das Gesetz zur Korruptionsprävention, Änderungen des Gesetzes zur Beschlagnahme von Vermögenswerten und ein neues Gesetz über Lobbying, schlossen bestehende Lücken. Diese Entwicklungen stellen bedeutende Fortschritte dar, auch wenn weitere Anstrengungen erforderlich sind, um die Dynamik aufrechtzuerhalten. Der vorläufige Abschluss von drei Verhandlungskapiteln mit der EU im Dezember 2024 markierte einen bedeutenden Schritt vorwärts und spiegelte Montenegros erneutes Engagement für die EU-Integration wider.
Die politische Polarisierung bleibt indessen ein zentrales Risiko für die langfristige Stabilität und für Fortschritte im EU-Beitrittsprozess. Die Wahlen in der Hauptstadt Podgorica am 29. September 2024 deuteten ein Erstarken der Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) des ehemaligen Präsidenten Milo Đukanović (bis 2023) an. Die Fragmentierung der politischen Landschaft erschwert die Bildung stabiler Regierungen. Diese Instabilität bremste die Umsetzung dringend benötigter Reformen und führte zu Verzögerungen im Gesetzgebungsprozess und zur Blockade der Parlamentsarbeit durch die Opposition Ende 2024. Dadurch wurde unter anderem die Verabschiedung des Haushalts für 2025 und die Ernennung eines weiteren Verfassungsrichters blockiert.
Nordmazedonien
Nach der Amtsübernahme im Juni 2024 hat die neue Regierung (VMRO-DPMNE, ZNAM und albanische VLEN) in Nordmazedonien eine strategische Neuorganisation eingeleitet, um die Effizienz und Effektivität der Regierungsführung zu steigern. Diese Reform war auch notwendig, um die in den vergangenen Jahren stagnierenden Bemühungen im Bereich der Korruptionsbekämpfung auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Umstrukturierung zielt darauf ab, die Verwaltung zu verschlanken, die Ressourcenallokation zu verbessern und den Bedürfnissen der Bürger besser gerecht zu werden. Die neue Regierung hebt sich durch ihre Entschlossenheit von der vorangegangenen SDSM-DUI-Koalition deutlich ab und strebt an, die strategische europäische Ausrichtung des Landes im EU-Integrationsprozess zu stärken.
Neben dem potenziellen Nutzen birgt die Reorganisation auch Risiken. Die finanziellen und praktischen Herausforderungen einer solchen Reform, wie die Restrukturierung von Ministerien und Personal, könnten kurzfristig zu Instabilität und erhöhten Kosten führen. Kritisiert wurde zudem der Umstand, dass die Reform in einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren beschlossen wurde. Das Eilverfahren stellt allerdings kein einmaliges Phänomen dar, sondern wurde von der Vorgängerregierung viel zu oft zur Umsetzung ihrer Gesetzesvorhaben genutzt. Bei der vorliegenden Reform war die Dringlichkeit hingegen nachvollziehbar, denn nicht alle der Vorgängerregierung loyalen Amtsträger in der Verwaltung und im Regierungsapparat waren und sind reformbereit. Die neu zugeschnittenen Ministerien waren Ende 2024 dabei, ihre Rollen und Verantwortlichkeiten zu definieren und zu organisieren. Die kommenden Monate werden entscheidend dafür sein, dass die strategische Reorganisation zu einer nachhaltigen Verbesserung der Regierungsführung führt.
Parallel dazu übernahm die neue Regierung die Bearbeitung der für den EU-Beitritt erforderlichen Reformvorhaben. Insbesondere in Bereichen wie Justizreform und Korruptionsbekämpfung hatte die Vorgängerregierung nur begrenzte Fortschritte erzielt. Immerhin hatte sie eine Strategie zur Justizreform (2024-2028) verabschiedet und eine Roadmap für Kapitel 23 des Besitzstandes der EU (Justiz und Grundrechte) erstellt. Die Ankündigung der neuen Regierung, die für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten zuständigen Justizräte aufzulösen, sorgten für Kritik. Die Zweifel an der Integrität der Räte sind allerdings nicht unbegründet, die EU-Kommission hatte in ihren Rechtsstaatlichkeitsberichten darauf hingewiesen. Zusätzlich verschärfte ein wachsender Personalmangel in der Justiz die Bedenken hinsichtlich ihrer Effektivität.
Im Bereich der Korruptionsbekämpfung gab es lange Zeit wenig Fortschritte, obwohl ein institutioneller Rahmen vorhanden war, der präventive Maßnahmen umfasst. Die noch 2023 von der Vorgängerregierung vorgenommenen Änderungen im Strafgesetzbuch erschweren die Korruptionsbekämpfung. Unter anderem die Verkürzung von Verjährungsfristen und die Streichung einiger Straftatbestände, wie zum Beispiel des Missbrauchs öffentlicher Aufträge, hatten dazu geführt, dass Ermittlungen in einigen hochrangigen Korruptionsfällen eingestellt werden mussten. Die neue Staatskommission zur Prävention von Korruption (SKPK) begann ihr Mandat erst im Februar 2024. Durch den Regierungswechsel im Juni 2024 und die anschließende Sanktionierung einiger hochrangiger Personen, unter anderem eines Mitglieds der Vorgängerregierung, das die US-Botschaft auf die schwarze Liste setzte, wurde der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und Korruption im zweiten Halbjahr wahrnehmbar verstärkt. Um wieder effektiv arbeiten zu können, benötigen die SKPK, die Staatsanwaltschaft und andere Ermittlungsbehörden mehr Ressourcen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Rahmenbedingungen für die Korruptionsbekämpfung sich deutlich verbessert haben.
Serbien
Die rechtsstaatliche Entwicklung in Serbien im vergangenen Jahr hat nicht den Erwartungen entsprochen. Nach den im Dezember 2023 durchgeführten Parlamentswahlen stockte die legislative Tätigkeit bis zur Neubildung der Regierung, die erst im Mai abgeschlossen war. Dies beeinflusste den Reformprozess insbesondere in den Bereichen Justiz und Korruptionsbekämpfung. Zuvor verabschiedete Reformprogramme, insbesondere zur Stärkung der lokalen Verwaltung, zeigten nur begrenzt Wirkung. Die Fortschritte bei der Justizreform, die schon Anfang 2022 in einem Referendum mit einer Verfassungsänderung beschlossen wurde, können weiterhin nur als begrenzt bewertet werden. Zwar wurden einige weitere Verordnungen zur Umsetzung der Verfassungsreform verabschiedet, doch grundlegende strukturelle Probleme blieben bestehen. So wurde die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten nach wie vor durch politische Einflussnahme geprägt. Zudem blieben vier Positionen am Verfassungsgericht unbesetzt. Es wurden noch keine grundlegenden Reformen des Systems zur Rekrutierung, Versetzung und Beförderung von Justizpersonal vorgenommen, die auf dem Leistungsprinzip basieren sollte. Weiterhin aktuell war die Kritik an der Gestaltung der Justizakademie, die die einzige Ausbildungseinrichtung für Richter und Staatsanwälte ist und deren Abschluss für diese Berufe zwingend ist. Besondere Bedenken bestehen hinsichtlich der Unabhängigkeit der Akademie und der Möglichkeit einer unzulässigen Einflussnahme durch die Exekutive, die dadurch ermöglicht wird, dass der Justizminister in den Vorstand der Akademie aufgenommen wurde.
Positiv hervorzuheben ist die Einführung einer neuen Antikorruptionsstrategie für den Zeitraum 2024–2028. Allerdings wurde die zugehörige Aktionsplanung noch nicht abgeschlossen. Während die Zahl neuer Ermittlungen und Anklagen in hochrangigen Korruptionsfällen gestiegen ist, blieb die Zahl der abschließenden Verurteilungen gering. Die Arbeit der Ermittlungsbehörden blieb insbesondere bei Fällen schwierig, die politische und wirtschaftliche Eliten betreffen.
Für eine landesweite Diskussion und einige Kritik hat der im Oktober veröffentlichte Entwurf der Änderungsgesetze zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung gesorgt. Anlass zur Sorge gab die Möglichkeit der Einschränkung der Meinungsfreiheit durch neue Straftatbestände, unter anderem durch die recht vage Bestimmung über Verleumdung und Hassrede auf Social Media oder die Kriminalisierung von Publikationen, die als „Empfehlung oder Ermutigung zu strafbaren Handlungen“ interpretiert werden könnten. Zudem könnte die Streichung des Verbotes der „Erzwingung von Aussagen“ als Gefahr für die Rechte von Beschuldigten im Ermittlungsverfahren gesehen werden. Die bisher nur kurze öffentliche Konsultation ermöglichte keine ausreichende Debatte. Immerhin wurde vorerst davon Abstand genommen, sog. „aktivistische Aktivitäten“ zu kriminalisieren, was zu Einschränkungen der Versammlungsfreiheit genutzt werden könnte. Die Pläne wurden von zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch international als eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht scharf kritisiert. Die Regierung ließ jedoch offen, ähnliche Vorschläge in Zukunft erneut einzubringen. Der Einsturz des Vordachs des Bahnhofs von Novi Sad am 1. November 2024 mit mehreren Todesopfern führte landesweit zu studentischen Protestaktionen, denen sich weitere Bevölkerungsgruppen anschlossen. Die Protestierenden fordern eine ausnahmslose Aufarbeitung dieses tragischen Vorfalls, mehr Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und einen stärkeren Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Auch die Anwaltskammer Serbiens hat sich für eine mehrwöchige Arbeitsniederlegung entschlossen, um die Anliegen der Proteste zu unterstützen. Die Ereignisse in Serbien zeigen den Bedarf an fundamentalen Reformen im Rechtsstaatsbereich ganz unabhängig vom Beitrittsprozess zur Europäischen Union.
EU: Bulgarien
Im Jahr 2024 sah sich Bulgarien auf seinem Weg in den Schengen-Raum und zur Einführung des Euro mit politischer Instabilität und Herausforderungen konfrontiert. Der EU-Rat hat auf seiner Sitzung am 12. Dezember 2024 die Aufhebung der Kontrollen an den Landgrenzen beschlossen, so wie auch für Rumänien. Seit dem 1. Januar 2025 ist Bulgarien also ein vollwertiges Mitglied der Schengen-Zone. Auf die Einführung des Euro muss das Land allerdings noch warten. Zwar verabschiedete das Parlament am 7. August 2024 ein entsprechendes Gesetz, das einen wichtigen Schritt in Richtung Eurozone darstellt. Das Datum für den Beitritt zur Eurozone wird aber vom EU-Rat festgelegt. Davor muss Bulgarien noch einige Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört unter anderem die Verbesserung der finanziellen Stabilität (das Haushaltsdefizit könnte 2025 aufgrund steigender Ausgaben ca. 8 % des BIP erreichen, die Regierung versucht es allerdings auf unter 3 % zu bringen).
Auch im Bereich der Rechtsstaatlichkeit war die Bilanz im vergangenen Jahr durchwachsen. Positiv zu erwähnen sind die Erfolge bei der Angleichung der Gesetzgebung an die EU-Richtlinien in verschiedenen Sektoren, darunter die legislative Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern (2019/1937) sowie Änderungen des Gesetzes zur Verhinderung von Geldwäsche, um den Empfehlungen des Expertenausschusses des Europarates für die Bewertung von Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (MONEYVAL) nachzukommen und so die von der Europäischen Kommission geäußerten Bedenken auszuräumen.
Es gab allerdings auch Rückschläge. Die im Dezember 2023 verabschiedete und in einer Änderung der bulgarischen Verfassung manifestierte Justizreform musste 2024 teilweise rückabgewickelt werden. Die Änderungen, die die Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht der Justiz verbessern sollten, wurden im Juli 2024 vom Verfassungsgericht weitgehend außer Kraft gesetzt. Es entschied, dass wichtige Reformen wie die Aufteilung des Obersten Justizrats in zwei getrennte Organe sowie die Einschränkung der Befugnisse des Generalstaatsanwalts verfassungswidrig seien. Dieses Urteil wurde von unabhängigen Beobachtern als ein Zeichen der anhaltenden interessengeleiteten Einflussnahme in der Justiz gewertet und sorgte für weitere Frustration in der Öffentlichkeit. Diesen Herausforderungen zum Trotz gibt es immerhin im Parlament Bestrebungen, die Reformen erneut anzugehen und die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Sie berufen sich unter anderem auf die Empfehlungen im Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission. Unter anderem soll die Inspektion des Obersten Justizrats reformiert und ihre institutionelle Unabhängigkeit gestärkt werden, um potenzielle politische Einflussnahme abzuschwächen. Auch soll die Einhaltung europäischer Governance-Standards, insbesondere bei der Ernennung von hochrangigen Richtern, gewährleistet werden. Im Bereich der Korruptionsbekämpfung, eines weiterhin problematischen Bereichs, sollen die institutionellen Kapazitäten zur Verfolgung von Korruptionsdelikten auf hoher Ebene verbessert werden.
EU: Kroatien
Kroatien blieb im Jahr 2024 ein stabiler Akteur in der Region. Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit zeigt das jüngste EU-Mitgliedsland weiterhin Verbesserungsbedarf. Zwar hat Kroatien bei der Anpassung an EU-Vorgaben in Bereichen wie Klimaschutz und Digitalisierung Fortschritte erzielt, in der Verwaltung blieb die Transparenz allerdings weiter unzureichend. Die Medienlandschaft, insbesondere bei öffentlichen Rundfunkanstalten, litt unter politischer Einflussnahme, was zu Einschränkungen der Pressefreiheit führte. Das resultierte unter anderem in der Aufforderung der EU-Kommission an Kroatien, die Unabhängigkeit und finanzielle Stabilität der Medien zu stärken, um ein vielfältigeres und transparenteres Informationsumfeld zu gewährleistet.
Ein nach wie vor signifikantes Problem stellt die Korruption bei der öffentlichen Auftragsvergabe dar. Den Fokus auf dieses Thema hat im November öffentlichkeitswirksam die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) gelenkt. Es kam sogar zu einem Konflikt der EPPO mit den kroatischen Behörden. Der Streitpunkt war die Zuständigkeit für die Ermittlungen im Zusammenhang mit der sogenannten „Mikroskop-Affäre“, einem komplexen Fall von mutmaßlicher Korruption und Betrug bei EU-geförderten Projekten in Kroatien, im konkreten Fall bei der Beschaffung von Medizintechnik mit einem siebenstelligen Euro-Betrag. Die kroatische Generalstaatsanwaltschaft hatte entschieden, die Ermittlungen an das Amt zur Unterdrückung von Korruption und organisierter Kriminalität (USKOK) zu übertragen. Die EPPO hingegen kritisierte diese Entscheidung und warf der kroatischen Seite vor, die EU-Rechtsordnung verletzt zu haben. Die europäische Behörde argumentierte damit, dass die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft voreingenommen war und dass USKOK es versäumt habe, die EPPO über die laufenden Ermittlungen zu informieren. Die EPPO sah in der Entscheidung der kroatischen Behörden eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips. Sie kritisierte insbesondere und grundsätzlich die Zuständigkeitsregelung, die der kroatischen Generalstaatsanwaltschaft die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Verteilung von Ermittlungsverfahren einräumt. Die EPPO bemängelte zudem, dass ihre eigene Position bei der Entscheidung nicht berücksichtigt wurde und legte eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein. In seiner offiziellen Stellungnahme vom 6. Dezember 2024 verteidigte der Generalstaatsanwalt Ivan Turudić die Entscheidung der kroatischen Generalstaatsanwaltschaft und wies die Vorwürfe der EPPO zurück. Er betonte, dass die kroatischen Behörden in der Lage seien, den Fall unparteiisch und effizient zu untersuchen. Der Ausgang des Beschwerdeverfahrens ist noch offen.
Seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Premierminister Andrej Plenković im Jahr 2016 sind mehr als 30 Ministerinnen und Minister unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen ausgetauscht worden. Zahlreiche Gerichts- und Ermittlungsverfahren sind in diesem Zusammenhang noch nicht abgeschlossen. Auf der einen Seite kann dies als Folge der Mängel im Rechtsstaatlichkeitsbereich ausgelegt werden. Andererseits kann der Umstand, dass die Minister ihre Posten räumen mussten, auch als ein Zeichen für die Existenz funktionierender rechtsstaatlicher Korrekturmechanismen in Kroatien betrachtet werden.
EU: Rumänien
Im vergangenen Jahr gab es in Rumänien eine Reihe von Ereignissen, die sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit im Lande ausgewirkt haben. Umstrittene Verordnungen der Regierung, unsouveräner Umgang des Verfassungsgerichts mit ihnen und seine verfassungsrechtlich fragwürdigen Entscheidungen haben zu einem großen Vertrauensverlust in seine Unabhängigkeit und Kompetenz sowie in das System der gegenseitigen Kontrolle demokratischer Institutionen insgesamt geführt.
Das Debakel begann mit einer am 8. März 2024 erlassenen Dringlichkeitsverordnung der Regierung, die den Termin der Kommunalwahlen im ganzen Land auf den 9. Juni 2024 festlegte. Die so kurzfristig erlassene Verordnung enthielt einige unerwartete Änderungen der Wahlgesetzgebung, die grundsätzlich nur durch ein formelles Parlamentsgesetz vorgenommen werden dürfen. Da die Amtszeit der am 27. September 2020 gewählten kommunalen Amtsträger erst am 30. November 2024 endete, bewirkte die Verordnung eine erhebliche und auch deshalb unzulässige Vorverlegung der Wahl. Zudem fiel diese mit den Wahlen zum EU-Parlament zusammen, was im Ergebnis zu einem – für die Regierung absehbaren – Chaos am Wahltag führte. Die Entscheidung selbst stand im Widerspruch zu einem früheren Urteil des Verfassungsgerichts, das enge Grenzen für Situationen gezogen hatte, in denen die Regierung eine Dringlichkeitsverordnung erlassen dürfte. Keine der engen Voraussetzungen wie zum Beispiel eine außergewöhnliche Situation oder Gefahr für die öffentliche Ordnung lag vor. Überdies darf das Wahlrecht nur durch ein Gesetz und mit einem größeren zeitlichen Abstand (grundsätzlich ein Jahr) geändert werden. Dennoch entschied das Verfassungsgericht am 14. Mai 2024 (Urt. 252/2024) entgegen seiner früheren Rechtsprechung und mit zahlreichen methodischen Fehlern in der Entscheidungsbegründung, dass die Verordnung rechtmäßig gewesen sei. Die Entscheidung fiel mit fünf von neun Richterstimmen knapp aus, wobei die fünf von der Regierungskoalition ernannten Richter dafür, zwei dagegen und zwei gar nicht abstimmten. Beobachter sehen in der Entscheidung einen Blankoscheck für den Erlass von Dringlichkeitsverordnungen durch jede künftige Regierung.
Am 5. Oktober 2024 folgte eine weitere Entscheidung, mit der das Verfassungsgericht der EU-Abgeordneten der rechtspopulistischen, EU-feindlichen Partei S.O.S. Diana Șoșoacă eine Kandidatur bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen untersagte. Das Gericht verzichtete nicht nur auf eine Anhörung der Betroffenen, sondern erfand im Wege einer unzulässigen Rechtsfortbildung eine Rechtsgrundlage für ihre Suspendierung, die es im Gesetz nicht gibt. Das Hauptargument bestand darin, dass Șoșoacăs öffentliche NATO- und EU-feindlichen und prorussischen Äußerungen den Schluss zuließen, dass sie im Falle ihres Wahlsiegs (nach Umfragen lag sie bei ca. 5 %) die Verfassung Rumäniens nicht schützen würde. Das Verfassungsgericht nahm hier allerdings eine Gesinnungsprüfung vor und griff unzulässig in den Wahlprozess ein.
Die dritte hoch umstrittene Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 6. Dezember 2024 betraf die Annullierung der am 24. November 2024 abgehaltenen ersten Runde der Präsidentschaftswahlen. In dieser Wahlrunde lag der rechtsradikale Nationalist („Souveränist“) Călin Georgescu, ein Kandidat ohne eigene Partei, der zuvor nicht öffentlich in Erscheinung getreten war, mit knapp 23 % an erster Stelle. Zudem war kein Kandidat der Regierungsparteien PNL (Nationalliberale Partei) und PSD (Sozialdemokratische Partei) in die zweite Runde eingezogen. In früheren Umfragen hatte Georgescu bei 5 % gelegen. Er gab zudem an, kein Geld in den politischen Wahlkampf investiert zu haben. Auf Social-Media-Plattformen, allen voran dem Videoportal TikTok, hatte allerdings eine massive Kampagne zu seinen Gunsten stattgefunden.
Auf eine Wahlbeschwerde unterlegener Kandidaten hin ordnete das Verfassungsgericht zunächst eine Neuauszählung aller Stimmen innerhalb von 24 Stunden an. Es handelte sich dabei nicht nur um einen präzedenzlosen Fall, für den es keine Rechtsgrundlage gibt, sondern eine Anordnung des Unmöglichen: Eine Neuauszählung von fast 9,5 Millionen Stimmen im In- und Ausland war nach Schließung der Wahllokale und Abtransport der Wahlzettel zur Wahlbehörde offensichtlich physisch gar nicht umsetzbar. Die dennoch begonnene Auszählung erfolgte hinter verschlossenen Türen ohne Wahlbeobachter und wurde nach einer Fristverlängerung vorzeitig abgebrochen. Als Grund wurde angegeben, dass keine ergebnisrelevanten Verstöße festgestellt werden konnten. In der Zwischenzeit hatte der Staatspräsident die Geheimdienste angewiesen, ihre Untersuchungen der TikTok-Aktivitäten im Zusammenhang mit Georgescu zu veröffentlichen, aus denen hervorging, dass die aus unklaren Quellen finanzierte politische Werbung auf Social Media nicht als solche gekennzeichnet war und damit gegen das Wahlgesetz verstieß. Es wurde über eine Vorgehensweise berichtet, die laut Autoren auf eine Einflussnahme eines staatlichen Akteurs hindeuten könnte. Genauere Ermittlungsergebnisse und Beweise fehlten.
Auf Grundlage dieser Berichte entschied das Verfassungsgericht, die Wahl komplett zu annullieren. In einem Zusatz erklärte das Gericht, dass der amtierende Staatspräsident bis zu den Neuwahlen, also über seine Amtszeit hinaus, im Amt bleiben sollte. Weder die Verfassung noch das Wahlgesetz enthalten indessen Rechtsgrundlagen für derartige Entscheidungen. Das Gericht darf nur eine Runde und nicht die Gesamtwahl annullieren. Zudem sieht das Gesetz vor, dass die Runde am zweiten Sonntag nach der Entscheidung durchzuführen ist. Auch die Verlängerung der Amtszeit des Staatspräsidenten ist nicht vorgesehen; in Fällen einer Vakanz übernimmt laut Verfassung der Präsident des Senats (Oberhaus des Parlaments) die vorübergehende Ausübung des Amtes des Staatspräsidenten. Das Gericht hat die Verlängerung der Amtszeit nicht rechtlich begründet.
[1] Der „Interim Benchmark Assessment Report“, ein Zwischenbericht über die Rechtsstaatlichkeit, dient als Maßstab für den Fortschritt eines EU-Beitrittskandidaten im Rahmen der Verhandlungskapitel 23 (Justiz und Grundrechte) und 24 (Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit) des Beitrittsverfahrens und ist wegweisend für den weiteren Reformweg.
[2] Usvatov/Muharemovic, IBAR: Der Zwischenbericht zur Rechtsstaatlichkeit im EU-Beitrittsprozess, https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/ibar-der-zwischenbericht-zur-rechtsstaatlichkeit-im-eu-beitrittsprozess.
Topik
Disediakan oleh
Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa
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