Für die kürzlich gebildete Regierung von Petr Fiala kam der Krieg mitten im politischen Übergang und bedeutete das Ende des ambivalenten Kurses gegenüber Russland und China, den zuvor Fialas Vorgänger Andrej Babiš und Präsident Miloš Zeman verfolgt hatten. Letzterer war ein langjähriger Verfechter einer pro-russischen und chinesischen Ausrichtung der tschechischen Außenpolitik, die erst im Mai 2021 durch die Zuschreibung der Anschläge auf Munitionsdepots in Vrbětice im Jahr 2014 an den russischen Geheimdienst GRU unterbrochen wurde.
In dieser Hinsicht brachte der Beginn der neuen Phase des russischen Krieges gegen die Ukraine einen tiefgreifenden strategischen und mentalen Wandel und war der endgültige Sargnagel für die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die den Kurs der tschechischen (und europäischen) Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber der Ukraine bestimmten. Zudem führte der Wandel Tschechien neben Polen oder den baltischen Staaten ins Lager der Ostflankennationen, was seither bei mehreren Gelegenheiten und auf verschiedenen politischen Ebenen demonstriert wurde.
Auf politischer und strategischer Ebene beschlossen die tschechische Regierung und ihre Vertreter, die Ukraine so gut wie möglich zu unterstützen. Der tschechische Premierminister Fiala war daher einer der ersten Politiker weltweit, der bereits am 15. März 2022 Kiew einen Besuch abstatteten, das zu diesem Zeitpunkt noch in den ersten Wochen des Angriffskrieges unter schwerem Bombardement der Russen stand. Der Großteil der tschechischen Regierung kam am 31. Oktober erneut nach Kiew, diesmal zu einer Reihe von bilateralen Beratungen, und war als erste unter den europäischen Nationen in einer derart hohen Zahl vertreten. Zu guter Letzt bezeichnete sogar der tschechische Präsident Miloš Zeman Wladimir Putin öffentlich als einen „Wahnsinnigen, der isoliert werden müsse“ und forderte, ihn „vor ein Kriegstribunal zu stellen“, womit er sich offiziell von seinem bisherigen außenpolitischen Kurs distanzierte.
Kurs in der Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik
Vor diesem Hintergrund war es nicht verwunderlich, dass die Tschechische Republik in der kritischen Anfangsphase des russischen Angriffs als erstes Land weltweit Panzer vom Typ T-72 an die Ukraine lieferte. Auch wenn es sich dabei um alte Fahrzeuge sowjetischer Provenienz handelte, kamen sie den Ukrainern umso gelegener, als sie diese ohne vorherige Ausbildung und Anpassung an den Einsatz modernerer Technologien bedienen konnten, die erst später im Verlauf der Kriegsoperationen hinzukamen.
Analog zu den Panzerlieferungen begann Tschechien mit einer massiven Ausfuhr von anderen militärischen Waffen, darunter u. a. Artilleriesysteme, Munition und andere Rüstungsgüter für die Streitkräfte der Ukraine. Nach der Anfangsphase, in der sich die tschechische Hilfe als entscheidend erwiesen hatte, befand sich das Land am Rande seiner militärischen Kapazitäten, die im Laufe der Zeit nahezu erschöpft waren, oder sah sich mit dem dringenden Bedarf der tschechischen Armee selbst konfrontiert.
Zugleich schloss sich die Tschechische Republik anderen gleichgesinnten Ländern an, die ukrainische Soldaten auf ihrem Territorium ausbildeten, als der erste Trupp Soldaten am 4. Dezember 2022 auf dem Militärgelände in Libavá eintraf. Insgesamt stimmte das tschechische Parlament der Aufnahme von bis zu viertausend ukrainischen Soldaten zu, was Tschechiens echtes Engagement für die militärische Partnerschaft verdeutlicht.
Die Tschechen begannen auch mit der Versorgung verletzter ukrainischer Soldaten und konnten auf der Grundlage des bilateralen Abkommens vom Februar 2022 einer großen Zahl ukrainischer Soldaten Hilfe leisten. Dieses Abkommen ist eine zusätzliche Maßnahme zu dem bereits funktionierenden MedEvac-Programm des Innenministeriums, mit dem die Tschechen seit 2014 Dutzende, wenn nicht Hunderte von verletzten Ukrainern medizinisch versorgt haben.
Innerhalb der NATO hat die Tschechische Republik – zum ersten Mal überhaupt – die Führung der NATO Mission Enhanced Forward Presence in der Slowakei übernommen, wo sie zusammen mit deutschen, US-amerikanischen und niederländischen Soldaten dabei hilft, das slowakische Gebiet vor einem möglichen Übergreifen des russischen Krieges gegen die Ukraine zu schützen. Diese neue Führung ist eine weitere Manifestation ihres Verhaltens und ihres Verantwortungsbewusstseins für die gemeinsame Sicherheit an der Ostflanke.
Innenpolitisch hat die Tschechische Republik eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die eigene Verteidigungsfähigkeit zu bewahren und die Widerstandsfähigkeit gegenüber schädlicher Einflussnahme zu erhöhen, u. a. im Bereich der hybriden Bedrohungen, der Cybersicherheit und der Desinformation, indem sie ein strategisches Kommunikationssystem errichtete und den russischen Einfluss durch den Abbau der Beziehungen und die Begrenzung des Raums für potenzielle russische Operationen einschränkte. Dies wurde beispielsweise deutlich, als die Tschechische Republik ihr eigenes Magnitski-Gesetz verabschiedete, das Verstößen gegen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsnormen sowie Korruption und Geldwäsche entgegenwirken soll und am 1. Januar 2023 in Kraft trat.
Im Bereich Außenpolitik spielte die Tschechische Republik sowohl bei der Unterstützung der Ukraine als auch bei der Bestrafung Russlands für seine Kriegsverbrechen und die laufenden Militäroperationen eine Schlüsselrolle. Auf internationaler Ebene setzte sich Tschechien für den künftigen euro-atlantischen Kurs der Ukraine ein, vor allem im Hinblick auf den Kandidatenstatus in der EU, übte aber auch weiterhin Druck auf Russland aus, z. B. bei der Übernahme seines Sitzes im UN-Menschenrechtsrat.
Am wichtigsten jedoch war die EU-Ratspräsidentschaft, während der die Tschechische Republik eine Reihe von Strafmaßnahmen gegen Russland anführte und erleichterte, z. B. die Aufhebung des Visumerleichterungsabkommens oder die Aushandlung mehrerer neuer Sanktionspakete. Während seines Vorsitzes im Rat der Europäischen Union ist es Tschechien gelungen, die Einheit der EU zu wahren und die Solidarität unter den EU-Mitgliedern in den Bereichen Energie, Verteidigung und Sicherheit oder bei der Unterstützung der Ukraine, einschließlich einer Makrofinanzhilfe in Höhe von 18 Milliarden Euro für 2023, bis Ende 2022 aufrechtzuerhalten. Trotz des fehlenden Konsenses gelang es den Tschechen auch, eine berichtspflichtige Zwischenbewertung der Fortschritte der Ukraine bei der Erweiterung und der Erfüllung der Vorbedingungen für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen auszuhandeln, damit die Ukraine ihren Weg in die Europäische Union antreten kann.
Innenpolitische Agenda
Innenpolitisch stießen die Hilfe und Unterstützung für die Ukraine und die ukrainischen Flüchtlinge, die ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreichte, bei der tschechischen Gesellschaft auf ein positives Echo. Unter den europäischen Nationen, auch in den von der Krise am stärksten betroffenen ostmitteleuropäischen Ländern, haben die Tschechen die meisten Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen und ihnen den Status von Personen mit vorübergehendem Schutz der EU zuerkannt. Bis zum 29. Januar 2023 haben tschechische Behörden 483310 ukrainischen Staatsangehörigen einen vorübergehenden Schutz gewährt, auch wenn einige von ihnen im Laufe der Zeit beschlossen, in die Ukraine zurückzukehren, sobald sich die Sicherheitslage entspannt hat.
Wenn man bedenkt, dass die Tschechische Republik ein Land mit 10,5 Millionen Einwohnern ist, wäre dies ohne eine Zusammenarbeit zwischen Staat und Bürgern nicht möglich gewesen. Letztere konnten in einer späteren Phase von staatlichen Hilfen und finanziellen Entschädigungen für die Aufnahme ukrainischer Familien profitieren, deren überwiegende Mehrheit aus Frauen und Kindern besteht, die vor dem Krieg geflohen waren. Auch wenn die Stadt- und Kommunalverwaltungen ebenfalls stark eingebunden waren, wäre dies ohne die freiwillige und beträchtliche Hilfe aus der Zivilgesellschaft kaum zu erreichen gewesen.
Darüber hinaus haben die Tschechen eine massive Welle der Sammlung von Ressourcen, humanitärer Hilfe sowie finanzieller Unterstützung für die Streitkräfte der Ukraine in die Wege geleitet. Dank der effizienten Zusammenarbeit zwischen der ukrainischen Botschaft in Prag, dem Verteidigungsministerium und der tschechischen Industriekammer, die es gemeinsam geschafft haben, die von der Öffentlichkeit gesammelten Gelder rasch in eine konkrete militärische Hilfe und Ausrüstung umzuwandeln, wurde ein einzigartiges Programm auf die Beine gestellt. In einer späteren Phase sammelten die Tschechen Spenden für einen Panzer namens „Tomáš“ oder Millionen von tschechischen Kronen für den Kauf von fünf gepanzerten Krankenwagen, mit denen verletzte Soldaten von der Front in den rückwärtigen Teil des Landes transportiert werden sollten, um dort eine bessere medizinische Versorgung zu erhalten.
Künftige Herausforderungen
Das Bild des gigantischen tschechischen Engagements im In- und Ausland hat jedoch zwei Seiten und könnte sich auf längere Sicht ändern. Das Hauptthema lautet Nachhaltigkeit, und das gilt nicht nur für militärische Lieferungen, sondern auch für finanzielle Hilfen und die allgemeine gesellschaftliche Unterstützung der ukrainischen Sache in der Zukunft.
Während es eine unumstößliche Tatsache ist, dass die Popularität Russlands nicht wiederhergestellt werden kann, ist es nicht offensichtlich, dass eine überwältigende Mehrheit der Tschechen die Ukrainer weiterhin unterstützen würde, sowohl im eigenen Land als Flüchtlinge als auch in deren Heimatland, wenn es beispielsweise um den Wiederaufbau nach dem Krieg und die massiven Investitionen geht, die zwangsläufig dorthin geleitet werden müssen. Ungeachtet dessen hat die Regierung zugesagt, bis 2025 jährlich 500 Millionen CZK (ca. 20 Millionen EUR) zu investieren, und einen neuen Sonderbeauftragten für dieses Gebiet ernannt.
Der Grund hierfür sind vor allem die sozioökonomischen Spannungen und die steigende Inflation, die im Jahresvergleich etwa 16 % erreicht hat, was einen Teil der tschechischen Gesellschaft in Bedrängnis bringt und zu gespannten Verhältnissen in der Gesellschaft führt. Für populistische Politiker und Manipulatoren, die die russische Aggression häufig übersehen und deren Folgen bewusst unterschätzen, ein gefundenes Fressen.
Dies gilt trotz der Tatsache, dass Tschechien massiv in die Transformation seines Energiesektors und die Verlagerung der Energieversorgung von Russland auf andere globale Partner investiert hat, was offiziell als strategisches Ziel festgelegt wurde. Für die bilaterale Zusammenarbeit mit Deutschland bedeutet diese Wende im tschechischen außenpolitischen Kurs eine gewisse Abweichung von der weniger entschlossenen Position der deutschen Regierung. Gleichzeitig hielten beide Staaten ein hohes Maß an Koordination und gegenseitigem Austausch über Punkte von beiderseitigem Interesse aufrecht, vor allem im Energiebereich, und setzten ihren Dialog auf hoher Ebene über einige kontroversere Fragen fort, etwa über die Beziehungen zur russischen Gesellschaft oder den Umfang der Unterstützung und des praktischen Engagements für die Ukraine, die nach wie vor umstritten sind.
Die ersten Schritte wurden bereits mit der Anmietung des LNG-Terminals in Eemshaven in den Niederlanden sowie der Planung künftiger Verbindungen und der Entwicklung von Energiebeziehungen zu Polen und Deutschland unternommen.
Trotz dieser Bemühungen, auch auf EU-Ebene, stehen das Land und seine Gesellschaft weiterhin vor der Herausforderung, dem Druck und den Manipulationen standzuhalten, die mit der Angst der Bürger einhergehen, welche angesichts der Folgen des Krieges einen Teil ihres Lebensstandards verloren haben. Wie der tschechische Motor am Laufen gehalten werden kann, bleibt eine offene Frage und eine Herausforderung für die Regierung, die sowohl im Inland als auch international wegen der Bedrängnis durch Russland und anderer schädlicher Einflüsse, die sich ihrer Kontrolle entziehen, unter Druck steht.
Pavel Havlíček, KAS Czechia Central Europe Fellow for Security Policy
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Disediakan oleh
Auslandsbüro Tschechische Republik
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