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Der amerikanische Einfluss
Der eingeladene Referent vom Bayerischen Rundfunk, Rüdiger Löwe, Redakteur für internationale Sicherheitspolitik und Amerika-Experte, zeigte sich erstaunt darüber, dass bei den ganzen Feierlichkeiten der amerikanische Einfluss auf die deutsche Politik so weit in den Hintergrund getreten ist.
Löwes Meinung nach sei der Einfluss der USA auf die Entstehung des Grundgesetzes heute immer noch ein Tabu-Thema. Die USA hätten mit sanfter Strenge auf den richtigen Weg geholfen. „General Lucius D. Clay und die amerikanische Regierung gaben nach dem Zweiten Weltkrieg einen engen Korridor vor, in dem sich die deutschen Gründungsväter bewegen konnten“, so Löwe. Der Redakteur zitierte aus mehreren, aktuellen Zeitungsartikeln, die seine These unterstützen. So heißt es in der Welt am Sonntag vom 10. Mai 2009: „Wie groß der Anteil der USA an der Wendung der westdeutschen Gesellschaft zu Demokratie und Marktwirtschaft tatsächlich war, wollen viele heute nicht mehr so recht wahrhaben.“
Nach diesen einleitenden Worten und vor der abschließenden Fragerunde, zeigte Löwe den von ihm produzierten ARD-Beitrag „Die Lust an der Freiheit“. Dieser wurde im Jahre 1987 zum 200. Jahrestag der amerikanischen Verfassung ausgestrahlt. Löwe hatte hierzu verschiedene amerikanische und deutsche Juristen, Akademiker und Politiker zur Bedeutung der amerikanischen Verfassung für Deutschland und Europa befragt.
Die Lust an der Freiheit
Die amerikanische Verfassung vom 17. September 1787 ist die älteste geschriebene und noch gültige Verfassung. Im Laufe der Jahre wurde sie nicht verändert, wurde jedoch um 27 weitere Artikel ergänzt. Im Fernsehbeitrag wird ausführlich auf die Gründungsväter Thomas Jefferson, Benjamin Franklin und James Madison eingegangen. Ihr von der Aufklärung bestimmtes Denken beeinflusste Ideen, wie beispielsweise die große Freiheit des Einzelnen und die Gewaltenteilung mit gegenseitiger Kontrolle, die sich in der amerikanischen Verfassung wiederfinden. Wichtig ist ebenfalls, dass diese Grundordnung eine föderale Republik im Stil eines Präsidialsystems vorsieht, in der der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef ist.
Die amerikanischen Ideale schwappten nach Europa über. Die Franzosen kämpften 1789 für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Einige Jahrzehnte später, im März 1848, erreichte die Revolution deutsches Territorium. Als Ergebnis dieser Märzrevolution tagte vom 18. Mai 1848 bis zum 31. Mai 1849 in der Paulskirche die Frankfurter Nationalversammlung – das erste frei gewählte Parlament für ganz Deutschland. Doch während die Amerikaner bereits den 50. Jahrestag ihrer Verfassung feierten, scheiterte in Deutschland das Vorhaben „Demokratie“. „Es gab noch zu viele Autokraten und zu wenig Demokraten“, so Löwe im Fernsehbeitrag. Die Folge: allein im Jahre 1849 wanderten 60.000 Deutsche in die USA aus.
Nach 1945: endlich eine „deutsche Demokratie“?
Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelingt es den Deutschen einen Weg zum Frieden und zur Demokratie zu finden.
Auf Anweisung der drei Westmächte Frankreich, Großbritannien und den USA bildete sich ein Gremium, das eine demokratische Verfassung ausarbeiten sollte. Zunächst tagten im August 1948 sachverständige Beamte auf der Insel Herrenchiemsee. Ihre Aufgabe war es einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten. Dieser sollte dem Parlamentarischen Rat als Unterlage dienen und bildete das Fundament für das Grundgesetz. Doch wie groß war dabei der Einfluss der Alliierten?
„Die Deutschen mussten sich gemäß den Spielregeln verhalten. Zudem hatte Militärgouverneur Clay ein beharrliches Durchsetzungsvermögen. Die Briten und die Franzosen sahen das pragmatisch. Sie waren froh, dass jemand ihnen die Arbeit abnimmt“, erklärte Löwe. Für den Amerika-Experten ist klar, dass der Einfluss von Clays persönlichen Beratern, James K. Pollock und Carl Joachim Friedrich, größer war als öffentlich zugegeben wird. Der wirkliche Einfluss hätte auf dem Spiel stehen können, wenn er offenkundig gemacht wäre, so Löwe. Vor allem die informellen Kontakte, Dialoge oder sogenannte Geschäftsessen waren von maßgeblicher Bedeutung. „Das nennt sich ‚soft policy’, deutete Löwe, „und das ist sehr typisch für demokratische, amerikanische Politik“.
Das amerikanische Modell des Föderalismus, beispielsweise, wurde von den Deutschen übernommen. Doch sie zogen ihre eignen Lehren aus der Weimarer Republik und dem Dritten Reich. Die Deutschen setzen sich gegen Clay durch und verankerten im Grundgesetz – anders als in der amerikanischen Verfassung – kein Präsidialsystem, sondern ein Kanzlersystem. Auch die Idee des Rechts- und Sozialstaats stehen im Grundgesetz eher im Vordergrund als in der 200 Jahre alten amerikanischen Verfassung.
Was genau hinter den Türen von Herrenchiemsee passierte, werden wir wohl nie genau erfahren. „Echte Politik bleibt unter vier Augen“, konstatierte Löwe abschließend. Eins ist sicher: Das Grundgesetz beschert der deutschen Bevölkerung nun schon seit 60 Jahren Frieden und Demokratie. Auf das es 200 werden. Und noch viel mehr.
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