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Bağış, der stellvertretende Vorsitzende der türkischen Regierungs-Partei AKP, gab zunächst einen Überblick über die Entwicklung der Außenpolitik unter Ministerpräsident Erdoğan. Das Wort Albtraum fand dabei keine Verwendung, waren es doch in erster Linie positive Veränderungen, die Bağış zu vermelden hatte. Mit den schwierigen Nachbarn Griechenland und Syrien habe sich die Zahl der Probleme verringert, nach Syrien sei sogar ein florierender Außenhandel aufgebaut worden. Die gute Beziehnung zu Russland sei durch zweimaligen Besuch von Präsident Putin untermauert worden, auch mit Rumänien und Bulgarien gebe es keine Schwierigkeiten. Anders sei die Situation im Verhältnis zum Iran, es sei stärker von Konkurrenz geprägt: „Wir müssen uns vor allem um einen offenen Dialog über das Atomprogramm des Iran bemühen", so Bağış. Mit der USA, einem historisch sicheren Verbündeten, sei erstmals schriftlich eine strategische Partnerschaft fixiert worde, in der auch die Bedürfnisse der Türkei Berücksichtigung gefunden hätten. Dazu zähle auch die Zusammenarbeit im Irak-Konflikt: „Die Türkei wollte diesen Krieg verhindern, und unsere Sorgen über die Situation im Land, die dadurch entstehen könnte, haben sich bestätigt." Der Irak war ein wichtiger Handelspartner für die Türkei.
Das wichtigste außenpolitische Ziel des einzigen muslimischen Landes in der NATO sei weiterhin die Vollmitgliedschaft in der EU. Auch deswegen bemühe sich die Türkei intensiv um eine Lösung im Zypern-Konflikt mit Griechenland. Als bedauerlich bezeichnete Bağış, dass der Kompromiss-Vorschlag von Kofi Annan im südlichen, griechischen Teil der Insel keine Zustimmung gefunden habe. Der außenpolitische Sprecher der AKP bezeichnete dies als ein Signal „gegen Zusammenleben und Integration". Deutliche Fortschritte mache die Türkei unter der AKP-Regierung dagegen mit ihrer Rolle im Nahen Osten. Sowohl politisch als auch in der Energiewirtschaft strebe die Türkei eine wichtige Verbindungsrolle zwischen dem Nahen Osten und den westlichen Ländern an: „Die Türkei soll mit den Pipelines, die durch sie führen, ein Energiezentrum werden." Zum Abschluss seiner Rede räumte Bağış ein, dass die Türkei auf eine Vergangenheit zurückblickt, in der „nicht alles perfekt ist", und nahm unter anderem auf die Putschversuche des Militärs Bezug. Doch als Vorsitzender der Islam-Konferenz und mit Istanbul als europäischer Kulturhauptstadt 2010 sei das Land gut gerüstet, um auch weiterhin Fortschritte zu machen und eine wichtige und vermittelnde Rolle in der internationalen Gemeinschaft zu spielen.
Die Aufgabe von Thomas Kossendey MdB war es dann, auf die Herausforderungen für die deutsche Türkeipolitik einzugehen. Zunächst betonte Kossendey die lange Tradition der deutsch-türkischen Beziehungen. Beide Länder sehen ineinander wichtige Wirtschaftspartner, Türken stellen den größten Anteil an Migranten in Deutschland, und auch die politische und militärische Zusammenarbeit ist eng. Die Frage der Integration betrachtete der Staatssekretär im Verteidigungsministerium als ersten Themenkomplex. Angeheizt durch die Wahlkämpfe gebe es hier zur Zeit eine Diskussion in Deutschland, die nicht zielführend sei: „Im Pulverdampf von Wahlkämpfen sind selten Lösungen gefunden worden." Als positiv bezeichnete Kossendey, dass Erdoğan der erste türkische Ministerpräsident ist, der seine Landsleute in Deutschland zur Integration aufruft. Als weniger konstruktiv betrachtet er die Rolle der türkischen Medien in Deutschland, die gerade jetzt im Wahlkampf wieder zu schnell mit Nazi- und Hitlervergleichen bei der Hand seien. Aufgrund der konstruktiven Gespräche und Veranstaltungen wie der Islam-Konferenz ist er sicher, dass Deutschland in der Integrationsfrage auf einem guten Weg ist, betonte aber auch, dass „dieser Weg nicht nur von einer Seite" gegangen werden kann. Zu der Diskussion um das Einwanderungsgesetz sagte Kossendey: „Ich denke, dass Kenntnisse in Sprache und Kultur für die Integration unverzichtbar sind." Allgemein regte er zu einem stärkeren kulturellen Austausch zwischen Deutschland und der Türkei an: „Nach meiner persönlichen Überzeugung ist der kulturelle Austausch von höchster Wichtigkeit. Vielen Deutschen ist die Kultur und Religion ihrer türkischen Mitbürger fremd. Und gerade in Krisenzeiten kann Fremdheit oft in Angst umschlagen." Das grundlegende Anliegen sollte es laut Kossendey sein, sachlich und konstruktiv über die Belange der Integration zu sprechen.
In einem zweiten Themenkomplex beschäftigte sich der Staatssekretär dann mit dem angestrebten EU-Beitritt der Türkei und deren Außenpolitik. Die großen Fortschritte der Türkei seien nicht in der vorgelegten Geschwindigkeit erwartet worden. Dennoch müsse es klar sein, dass die Verhandlungen zum EU-Beitritt ergebnisoffen sind. Weitere Reformen seien im bereich des Gesundheitssystems, der Meinungsfreiheit und der Akzeptanz von anderen Religionen notwendig, so Kossendey. „Diese Reformen müssen vor einem schwierigen innenpolitischen Hintergrund mit großer Heterogenität im Land durchgeführt werden." Offene innenpolitische Fragen seien unter anderem das Verhältnis von Staat und Religion, der Umgang mit den Kurden im Südosten des Landes und die Rolle des Militärs in der Demokratie. Zudem würden der Türkei Probleme daraus erwachsen, dass sie ein Transitraum für internationale Kriminalität ist. Diese Aufgaben müsse die Türkei jedoch nicht alleine angehen, so Kossendey in seinem Fazit: „Das Interesse an einer stabilen Türkei ist groß, und Deutschland will sie als Partner unterstützen."
Ganz im Zeichen des EU-Beitritts stand dann der abschließende Vortrag von Suat Bakır, dem stellvertretenden Vorsitzenden des RBB-Rundfunkrats. In seiner Analyse wies er darauf hin, dass sich die Türkei in einer schwachen Verhandlungsposition befinde. Auch wenn sie allen Reformwünschen der EU nachkommt, so könne es am Ende doch heißen: „Entschuldigung, wir sind an der Grenze unserer Aufnahmekapazität, die Türkei passt nicht mehr hinein." Dabei sei aus der Sicht der Türkei eine vollwertige Mitgliedschaft das einzige Ziel, eine im Falle des Scheiterns in Aussicht gestellte „stärkstmögliche Anbindung an die EU" sei nichts anderes als die privilegierte Partnerschaft, die die Türkei schon jetzt habe. „Viele Türken empfinden, dass die Spielregeln während des Spiels verändert werden", beschrieb Bakır die Stimmung im Bezug auf die EU. Statt dessen müsse aber das Spiel so zu Ende gespielt werden, wie es begonnen wurde. Beanstandet wurde von Bakır auch die zögerliche Eröffnung der Verhandlungskapitel: „Als Mann aus der Wirtschaft würde ich vorschlagen, dass die unproblematischen Kapitel vorgezogen werden, und die problematischen erst am Schluss verhandelt werden." Statt dessen seien in zwei Jahren gerade mal sieben der insgesamt 35 Kaitel eröffent worden, nur eines ist abgeschlossen. Kritik übte er vor allem an Frankreichs Blockade-Haltung, Lob gab es dagegen für Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Sie hat wiederholt erklärt, dass alle Abmachungen, die getroffen wurden, auch eingehalten werden."
Doch nicht nur die EU, auch die Türkei ist nach Ansicht von Bakır an dem gemütlichen Verhandlungstempo Schuld: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass es ein gentlemen's agreement gibt, dass keine der Seiten zu sehr drängt." Schließlich habe die Türkei beispielsweise im Bereich des freien Kapitalverkehrs ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht. "Seit 2006 fehlt eine umsetzungswillige Bürokratie", so Bakır. Als persönlichen Wunsch an die Türkei formulierte er am Ende, dass die Hilfe des Partners Deutschland angenommen werden sollte. Den deutschen rief er in Erinnerung, dass nicht jedes Türkei-Thema auch ein EU-Beitritts-Thema sei und verwies damit auf die Diskussion im Fall Marco. Auch Egemen Bağış warb in der abschließenden Diskussion nochmals für sein Land: „Wir wissen um Toleranz, für uns als Politiker geht es um das Heute und die Zukunft. Unseren Kindern soll nicht Hass, sondern Hoffnung übergeben werden."
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Berlin Deutschland
“Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020: Welche Agenda für Berlin?“ (Teil I)
“Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020: Welche Agenda für Berlin?“ (Teil II)
“Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020: Welche Agenda für Berlin?“ (Teil III)
„Die Seele des Europaprojekts neu entdecken“
Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert Europas sein