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Wir erfahren täglich von Kämpfen in der Ostukraine. Wie bewerten Sie die militärische Situation der Ukraine?
Gabriele Baumann: Die militärische Situation ist sehr angespannt. Die Ausrüstung, mit der sich die ukrainische Armee verteidigt, ist veraltet. Deswegen kommt auch immer wieder die Bitte nach westlicher Unterstützung. Dabei geht es um Waffen zur Verteidigung, um Drohnen und Funkgeräte. Dadurch könnte die Eskalation eingedämmt werden. Militärexperten haben die benötigten Waffen genau aufgelistet.
Kein offiziell erklärter Krieg
Sie haben von veralteter Ausrüstung gesprochen, wie wirkt sich das auf die Kampfmoral der ukrainischen Truppe aus?
Baumann: Die Kampfbereitschaft bei den Ukrainern ist seit Beginn des Konflikts sehr hoch. Deswegen haben sich unzählige Freiwilligenbataillone und die Nationalgarde gebildet. Die Kampfbereitschaft liegt nach Umfragen der vergangenen Wochen bei ungefähr 60 Prozent der Männer im wehrfähigen Alter.
Wie erklären sich die restlichen 40 Prozent?
Baumann: Es ist natürlich schwer, grundsätzlich einer Mobilisierung zuzustimmen, weil offiziell kein Krieg erklärt wurde und Fragen im Raum stehen wie: Wofür kämpfen wir? Welchen Status haben wir? Was ist, wenn man schwer verwundet zurückkommt? Entschädigungen und Hilfszahlungen sind beispielsweise nicht gänzlich geklärt.
"Ein Verteidigungskrieg"
Ist die Angst vor einer Niederlage zu groß?
Baumann: Darüber wird hier nicht debattiert. Es ist ein Verteidigungskrieg, sagt man hier. Klar ist den Menschen, dass die Aggression von Russland ausgeht. Russland unterstützt die Separatisten massiv mit Militär, dadurch sind die Separatisten technisch moderner ausgestattet. Die Ukrainer möchten in erster Linie ihr Staatsgebiet verteidigen.
Gibt es auch Kritik am Kurs der Regierung in Kiew?
Baumann: Der Krieg hat nach offiziellen Angaben 5500 Opfer gefordert und das sind nur offizielle Angaben sowie 15.000 Verwundete. Da ist es verständlich, dass man sich nicht ohne Weiteres zur Verfügung stellt. Es gibt viele junge Menschen, die gerade unter den jetzigen Bedingungen Reformen fordern und nicht Kanonenfutter sein wollen. Das ist nachvollziehbar, zumal die Rede davon war, dass Soldaten mit gewisser Erfahrung eingezogen werden. Doch jetzt gibt es auch genug Beispiele von Männern, die Bescheide bekommen, obwohl sie keine militärischen Vorkenntnisse haben. Daher wächst die Unzufriedenheit und die Angst, dass es alle betrifft, die im wehrfähigen Alter sind.
Reformen im Krieg
Wie wirkt sich das auf die Stimmung im Land aus?
Baumann: Insgesamt sind die Ukrainer seit der Annexion der Krim sehr stark zusammengerückt. Die Stimmung insgesamt ist aber sehr, sehr angespannt. Wir haben seit einem Jahr Krieg im Land. Es gibt einen eindeutig ausgemachten Aggressor, sagen die Menschen hier: Die russische Regierung und den russischen Präsidenten. Hinter Poroschenko stehen die meisten, auch wenn es Kritik an ihm gibt. Die Menschen hier hatten sehr hohe Erwartungen an die Reformen der neuen Regierung. Doch unter diesen Bedingungen sind sie sehr schwierig umzusetzen. Die Menschen sind verärgert und verunsichert. Dennoch betonen sie, dass sie optimistisch sind.
Die wirtschaftlichen Probleme der Ukraine sind enorm. Wie sehr leidet die Bevölkerung darunter?
Baumann: Die Gehälter sind aufgrund der Inflation plötzlich nur noch die Hälfte wert, trotzdem sind die Kosten für Strom, Gas und Wasser angestiegen. Die Rahmenbedingungen sind deutlich erschwert, das spüren die Menschen.
Geld fließt gegen Reformen
Das Land hofft auf einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF). Was wird von Poroschenko erwartet, damit er diesen Kredit bekommt?
Baumann: Der IWF ist zurzeit wieder in Kiew. Das ist ein gutes Zeichen. Die neuen Tranchen werden ausgehandelt. Sie werden sich nach dem Stand der Reformen richten.
Reformen sind dringend nötig. Doch wie will ein Land Strukturreformen durchführen, wenn es im Krieg ist?
Baumann: Natürlich sind die Rahmenbedingungen das Problem. Wenn der Krieg weitergeht, kann keiner sagen, wie es aussieht. Ich denke trotzdem, dass das Land durchhalten wird, im Westen der Ukraine gibt es sogar einen kleinen Aufschwung. Strukturreformen sind nötig, die Regierung geht vieles an: Steuergesetze, Reformen im Bereich des Innenministeriums, im Polizeiwesen, im Bildungsbereich. Aber leider sind diese Reformen nicht bis zum Ende durchdacht, da muss viel korrigiert werden.
Würde die Bevölkerung der Ukraine den Verlust eines Landesteils im Osten für den Preis des Friedens akzeptieren?
Baumann: Die Bevölkerung würde das zu großen Teilen nicht akzeptieren. Die Hoffnung ist, dass die Reformen greifen und die Ukraine sich positiv entwickelt. Die Menschen hoffen, dass die Ukraine als Erfolgsmodell dastehen kann und sich in einigen Jahren auch die jetzt annektierten Gebiete wieder zurückholt. Zunächst ist aber das Allerwichtigste, dass es zu erfolgreichen Friedensverhandlungen kommt. Das sehen allerdings viele sehr skeptisch - auch ich.
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