Brexit und Referendum
Den Sieg Boris Johnsons als „Sieg des Populismus“ abzutun wäre zu einfach. Seit hunderten von Jahren debattieren die Briten über ihr Verhältnis zum europäischen Kontinent. Churchill sah die Europäische Einigung als wünschenswert, jedoch ohne britische Beteiligung. Lediglich als es Großbritannien in den 1970er Jahren wirtschaftlich schlecht ging, traten sie bei und das auch nur mit „halbem Herzen“. Die Briten haben sich nie vollkommen zur EU gehörig gefühlt, haben sich mit der ‚ever closer union‘ stets schwer getan und immer wieder ‚opt-outs‘, Ausnahmeregelungen, ausgehandelt. Und dennoch haben sie sich ebenfalls gut eingebracht und die EU in gewissen Reformen und Politikfeldern entscheidend mitgeprägt. So sehr wir den Brexit oder die Umstände um das Referendum auch bedauern, so muss man dennoch anerkennen, dass es ein demokratischer Prozess war, dessen Ergebnis in diesen Wahlen bestätigt wurde. Der Wahlspruch der Tories „Get Brexit done“ hat die Stimmung im Land eingefangen, wobei es keinesfalls so ist, dass man sinnlos einfach raus will, sondern eben in geordneten Verhältnissen. Und da war Johnson der einzige, der genau das als Angebot mit in den Wahlkampf brachte.
Boris Johnson
Über die Person von Boris Johnson wurde viel geschrieben und spekuliert. Die Außenansicht verzerrt das Bild jedoch ein wenig. Im britischen Kontext ist Johnson durchaus charismatisch - und Humor gilt in der britischen Gesellschaft per se als ein hohes Gut. Diesen nutzt Johnson gewitzt in seinen politischen Reden und so werden ihm im Gegenzug dann auch sprachliche Entgleisungen verziehen. Auch hat Johnson die Gabe, sehr gute Mitarbeiter um sich zu scharen und von deren Know-how zu profitieren. Er gilt als konservativ-liberal, steht jedoch im Grunde nur für sich selbst. Johnson wollte immer Premierminister werden und wird nun alles daransetzten, dieses auch lange zu bleiben und in die Geschichte einzugehen, als einer der ganz Großen, auf einer Linie mit Winston Churchill, seinem großen Vorbild. Das ist nicht unmöglich, wird aber nur gelingen, wenn er jetzt auch weit mehr liefert, als nur den Brexit.
Tories und Johnson im Wahlkampf
Der Sieg der Konservativen hat aber nicht nur mit der Person von Boris Johnson zu tun. Die Partei konnte auf eine sehr gut getaktete Wahlkampfmaschine zurückgreifen, die Boris Johnson von Beginn seiner Amtszeit als Parteichef gleich auch noch einmal aufgestockt und über erfahrene Kampagnenmanager unter anderem aus Australien weiter professionalisiert hat. Sie alle haben dazu beigetragen, einen Wahlkampfslogan zu entwickeln, der die Stimmung im Land einfängt: „Get Brexit done“. Denn dass man endlich Klarheit um den Brexit haben möchte, egal ob man verbleiben oder austreten will, ist nach über drei Jahren des Debattierens, der aufreibenden Verhandlungen sowie Verlängerungen durchaus nachvollziehbar. Brexit hat das Land gelähmt, politisiert und gespalten und nun wollen sich die Briten wieder anderen Themen widmen. Das haben Johnson und sein Team verstanden. Ebenfalls verstanden haben sie, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Demokratie zu verlieren schien, denn das House of Commons, das britische Unterhaus, war nicht mehr in der Lage, Entscheidungen herbeizuführen, weder für einen geregelten Brexit, noch für ein zweites Referendum. Lediglich der ganz harte Brexit schien für das Parlament nicht annehmbar. Somit haben die Brexitdebatten das Land zwar hochgradig politisiert, aber ebenfalls das Vertrauen in die Politik minimiert. Johnson konnte sich geschickt als derjenige positionieren, der den Volkswillen verkörpert.
Vor allem aber hat Johnson auch von Beginn an skrupellos in seiner Partei durchgegriffen. Der Schritt, 21 Abgeordnete aus der Fraktion auszuschließen ist durchaus bedenklich. Bei genauerem Hinsehen hat er jedoch einige wiederaufgenommen, einige haben die Partei gewechselt und andere wiederum würden nicht ein weiteres Mal antreten wollen. Der Schritt selbst hat aber wieder zu mehr Parteidisziplin geführt, etwas, das sowohl bei den Tories wie auch bei Labour komplett verloren gegangen war. Die Partei konnte so nach dem letzten Parteitag deutlich geeinter dastehen, als noch kurz zuvor. Und alle Kandidaten, die sich für die Konservativen zur Wahl stellen wollten, mussten Johnson bestätigen, dass sie im Falle eines Wahlsiegs seinem Deal im Parlament zustimmen würden. Johnson hat also drei Dinge korrekt hinbekommen: eine klare Position zum Brexit verknüpft mit einem gelungenen Wahlkampfslogan, ein gutes Wahlkampfteam, sowie eine geeinte Partei. Honoriert wurde das mit dem besten Wahlergebnis der Tories seit Magret Thatcher 1987. Von den gewählten Tory-Abgeordneten sind 109 erstmals im Parlament vertreten.
Labour, Lib Dems und Brexit Party
Das hingegen sah bei Labour anders aus. Die Partei war bis in den Wahlkampf undiszipliniert und war alles andere als geeint. So gab es klare Remainer, die sich mit der Parteiführung überwarfen, ebenso wie Leaver, die von der Partei einen klaren Kurs für den Austritt verlangten, da ihre Wahlkreise vornehmlich im Norden des Landes Brexitwahlkreise waren. Die Position Labours zum Brexit, auf die man sich recht spät einigen konnte, lautete Neuverhandlungen, dann ein Referendum über den Austritt (mit dem neu ausgehandelten Deal oder gar nicht) und dann keine klare Positionierung der Parteiführung, wie man denn in dem Referendum abstimmen würde. Das war wenig überzeugend und ließ sich auch nicht in drei Worten als Slogan zusammenfassen. So haben sich klare Remainer darin nicht wiedergefunden, aber eben auch nicht die Leaver, die in Sorge waren, dass diese Position zu einem Verbleib in der EU führen konnte.
Mindestens genauso umstritten waren die extrem linken Vorstellungen, die britische Wirtschaft mit Verstaatlichungen und Enteignungen in die Zukunft führen zu wollen. Der Finanzplatz Londons betonte stets, dass man eine Regierung unter Corbyn mehr fürchte, als einen harten Brexit. Auch wurde Corbyn viel dafür kritisiert, dass er die Debatte um Antisemitismus in der Labourpartei nicht beenden konnte und zu wenig gegen diese Tendenzen in seiner Partei unternahm. So swar in den Medien noch wenige Wochen vor der Wahl zu lesen, dass viele Juden Großbritannien verlassen würden, sollte Corbyn an die Macht kommen - und das, obwohl viele britische Juden in der Vergangenheit oft Labour gewählt hatten. Und auch die Person von Jeremy Corbyn selbst war höchst umstritten; er kam bei vielen Wählern als verbitterter älterer Herr an und eben nicht als humorvoller dynamischer und energiegeladener Parteiführer. Die Kombination dieser Faktoren wurde für Labour zum Fiasko und sie wurden mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1935 abgestraft.
Die Liberaldemokraten wiederum haben im Wahlkampf nicht überzeugen können und sind deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. So erschienen sie noch im Sommer als diejenige Partei, die im Aufwind war und unter der neuen Parteivorsitzenden Swinson frischen Schwung zu bekommen schien. Ihre Position die Austrittsverhandlungen unter Artikel 50 einfach zu widerrufen, das Referendum zu ignorieren und in der EU verbleiben zu wollen, war vielen jedoch zu extrem. Das merkten die Liberaldemokraten und weichten diese Position während des Wahlkampfes auf. Allerdings hatte die Partei bereits derart stark mit diesem einen Thema für sich geworben, dass sie es nun nicht mehr schaffte, in anderen Themenbereichen zu punkten. Ihre Wahlklientel schien zu sehr in London verankert zu sein und die Liberaldemokraten haben wenig Gespür für die anderen Regionen Großbritanniens gezeigt. Am Ende wurde Swinson nicht mal in ihrem eigenen Wahkreis gewählt.
Die Brexitparty unter Farrage konnte insgesamt nicht überzeugen. Der propagierte harte Brexit war nicht das, was die Briten wollten. Auch Farrage selbst wurde viel dafür kritisiert, durch sein Antreten mit der Brexitparty den Tories stimmen vorzuenthalten und somit Labour zu helfen und damit den Brexit gar zu gefährden. Selbst innerhalb seiner Partei riss die Kritik nicht ab und diverse prominente Abgeordnete des Europäischen Parlaments tragen im Laufe der Kampagne wieder aus. Farrage und seine Partei konnten kein einziges Mandat gewinnen.
Schottland und Nordirland
Neben Boris Johnson ging Nicola Sturgeon und ihre Scotish Nationalist Party (SNP) als Sieger aus den Wahlen hervor. Sie schaffte es, 45 Prozent der Stimmen in Schottland zu gewinnen, was durch das Mehrheitswahlrecht zu 48 der 59 Sitze in Westminster führt. Sturgeon ist eine begnadete Politikerin, schlägt sich bestens in Debatten und wird dafür auch außerhalb Schottlands respektiert. Ihre Strategie, sich für den Verbleib in der EU aber für die Unabhängigkeit Schottlands einzusetzen ist aufgegangen. Unmittelbar nach der Wahl forderte sie ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum. Ob das gelingen wird ist jedoch fraglich, denn dafür benötigt sie eine Genehmigung aus Westminster und Johnson hat stets betont, dass Referenda zu grundsätzlichen Fragen nur einmal pro Generation gestellt werden sollten. Und seit den Wahlen fügt er hinzu, dass diese letzten Wahlen zeigen, dass man Referenda nicht einfach ignorieren kann und ständig wiederholen sollte. Insofern wird es Sturgeon schwer haben, die Unabhängigkeit Schottlands schnell in die Wege leiten zu können. Andererseits steht Johnson gegenüber Schottland unter enormem politischen Druck. Das Argument, dass man als Großbritannien über ein Referendum aus der EU austreten könne, Schottland aber genau dies in Bezug auf das Vereinigte Königreich zu versagen, wird schwer aufrecht zu erhalten sein.
Mit den Wahlen haben sich ebenfalls die Machtverhältnisse in Nordirland verschoben. Zum ersten Mal haben dort die nationalen Kräfte die Mehrheit, die sich von Westminster lossagen und der Republik Irland anschließen wollen. Durch das zu ratifizierende Austrittsabkommen mit der EU wird eine administrative Grenze zwischen Nordirland und dem Großbritannien entstehen. Gepaart mit den aufstrebenden nationalistischen Tendenzen Nordirlands könnte dies die Vereinigung Irlands beschleunigen. Allerdings muss gesagt werden, dass Nordirland an sich derart komplex ist, dass es einige Zeit dauern wird, bis die Richtung klar wird, die das Land einschlagen wird.
Wie weiter?
Mit einer derart komfortablen Mehrheit von 80 Sitzen kann Premier Johnson nun durchregieren. Er ist deutlich weniger auf die radikaleren Kräfte innerhalb seiner Partei angewiesen und erst recht nicht mehr auf die Nordirische DUP. Damit könnte Johnson einen weicheren Brexit ermöglichen, als dies noch vor einiger Zeit im Raum stand. Auch hat sich seine Partei durch die vielen neuen Parlamentarier stark verändert, denn die Abgeordneten aus dem Norden repräsentieren eher die sogenannte Arbeiterklasse. Diese Veränderungen zwingen Johnson aber umgekehrt auch, sich verstärkt um den Norden kümmern zu müssen. Darauf ist er mit erste Ankündigungen Industrie im Norden ansiedeln und die Infrastrukturanbindung in den Norden verbessern zu wollen, eingegangen. Sollte ihm dies gelingen und der Norden einen Aufschwung erleben, dann könnten diese Wahlkreise auf absehbare Zeit für die Labourpartei verloren sein. Und Boris Johnson hat bereits am vergangenen Wochenende diverse Wahlkreise des Nordens besucht und dort, ebenso wie in seinen ersten Ansprachen nach der Wahl immer wieder betont, dass nun der Heilungsprozess im Land beginnen müsse, dass er der Premier aller und ein Diener des Volkes sei. Auch spricht er stets von den „One Nation Conservatives“, ein Begriff, der im Laufe der Parteigeschichte seit 1837 (!) immer wieder neu definiert wurde. Grundsätzlich steht der Begriff innerhalb der Tories für die Vereinigung verschiedener Positionen wie Regionen oder sozialen Klassen oder verschiedenen Flügeln innerhalb der Partei und wird heute als ein eher liberal-konservativer Ansatz interpretiert. Johnson versucht also von Beginn an, alle Flügel der Partei zu binden und so das Land zu einen.
Zunächst wird der Premierminister noch diese Woche sein Regierungsprogramm vorlegen, was traditionell in der Queen’s Speech, also dem Verlesen des Regierungsprogramms durch die Königin geschieht. Auch wird er in dieser Woche einige kleinere Veränderungen in seinem Kabinett verkünden. Zu erwarten ist aber, dass er im Januar einen radikalen Umbau seines Kabinetts ankündigen wird. So will er Ministerien umstrukturieren, Aufgaben neu zuschneiden und Minister ernennen, die fachlich geeignet sind und nicht aufgrund ihrer Medientauglichkeit im Amt sind. Darüber hinaus will er auch die Strukturen und Einstellungsverfahren der Beamten verändern und mehr externes Fachwissen in die Ministerien bringen. Wie dieses „Aufrütteln des Systems“ (Shake-up of the system) funktionieren soll, lässt er bisher offen. Im Januar dürften aber erste Anzeichen erkennbar werden.
Mit Hochdruck wird Johnson aber vor allem noch alles daransetzen, noch vor Weihnachten das Austrittsabkommen wieder in das Parlament einzubringen, damit dieses dann im Laufe des Januar 2020 ratifiziert und der formelle Austritt aus der EU zum 31.01.2020 gelingen kann. Dann hätte er sein „Brexitversprechen“ geliefert. In der dann folgenden Transitionsphase wird das neue Verhältnis zur EU ausgehandelt. Es gilt als durchaus ambitioniert, dieses bis Ende 2020 abzuschließen. Da Johnson jedoch weniger von den extremen Kräften seiner Partei getrieben sein wird, könnte er durchaus in weiten Bereichen zu Zugeständnissen an die EU bereit sein und somit einen weicheren Brexit abschließen, als dieses noch vor kurzem denkbar war. Ein „weicher“ Brexit wäre deutlich rascher auszuhandeln, als eine distanziertere Version. Ob es dazu kommt, werden die Verhandlungen und die Dynamiken in Großbritannien zeigen.
Die wohl größten Vorhaben Johnson sind im Bereich der sogenannten Devolution, also dem Prozess, mehr Macht von Westminster in die Regionen Großbritanniens zu verlagern. Dies ist gerade auch ein Bestreben der nördlichen Teile Englands und könnte, in Kombination mit einem Wirtschaftsaufschwung dort, den Druck nach schottischer Unabhängigkeit mildern. Darüber hinaus hat der Premier angekündigt, bis 2030 die Offshore-Windendergiegewinnung zu vervierfachen und innerhalb der nächsten 30 Jahre Großbritannien in die Karbonneutralität zu führen. Sein Versprechen, massiv in das Gesundheitssystem NHS zu investieren haben höchste Priorität für ihn. Ob ihm all diese Vorhaben gelingen werden hängt maßgeblich auch davon ab, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Die Wirtschaftsentwicklung wiederum hängt nicht unwesentlich davon ab, wie die Brexitverhandlungen laufen. Johnson hat also hoch gepokert und ist ein entsprechendes Risiko eingegangen. Bei aller Kritik an seiner Person sind dies genau die Stärken, für die die Briten ihn schätzen und nun gewählt haben.argomenti
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