Reportage sui paesi
Glück scheint also mit der Höhe des Bruttosozialprodukts pro Kopf – Mexiko liegt bei 10.803 Dollar jährlich, Deutschland bei 44.556 Dollar – nur begrenzt zu korrelieren. In Lateinamerika lässt Mexiko Brasilien (30 Prozent „sehr Glückliche“) und Argentinien (23 Prozent) weit hinter sich, von der ehemaligen Kolonialmacht Spanien (11 Prozent) ganz zu schweigen. Weltweit kommt Mexiko in diesem „Glücksindex 2011“ auf den 23 Platz von 143 Nationen.
Zu den Glücklichen dürften aktuell auch die rund 10.000 Mitarbeiter der obersten mexikanischen Wahlbehörde IFE gehören: angesichts der zu erwartenden Mehrarbeit im aktuellen Superwahljahr genehmigte die autonome Institution allen Beschäftigten inklusive der Leitungsebene zwei zusätzliche Monatgehälter: Ein kollektiver Ausgleich für Überstunden.
Immerhin: zu tun dürfte es genug geben, hat doch die Wahlrechtsreform von 2007 das IFE mit erheblichen zusätzlichen Kontrollaufgaben ausgestattet, denen man nur schwerlich gerecht werden kann. Speziell das monitoring des Wahlkampfgebarens der Parteien und entsprechende Beschwerden häufen sich bereits jetzt. Zunehmen dürfte dies, wenn am 30. März der offizielle Startschuss für den neunzigtägigen Wahlkampf fällt. Verantwortlich ist die Behörde nicht zuletzt für die Verteilung von Sendezeiten in Hörfunk und Fernsehen – Privaten ist es inzwischen nicht mehr gestattet, Sendezeiten zu kaufen.
Verboten sind in Mexiko sogenannte „Negativkampagnen“, auch hier eröffnen sich umfangreiche Interpretationsspielräume. Mit der Überwachung der festgelegten Obergrenzen für Wahlkampffinanzierung zeigte sich die Wahlbehörde schon in der Vergangenheit überfordert, die Wahlgerichte verschiedener Instanzen kamen ins Spiel. Dies könnte auch diesmal so sein, auch wenn die großen Parteien versichern, ein Eklat wie 2006 werde sich nicht wiederholen.
Klarer Vorsprung für Peña Nieto
Nachdem nun alle Kandidaten der Parteien – Unabhängigen ist eine Kandidatur in Mexiko nicht gestattet - für das Präsidentschaftsrennen feststehen, hat auch der Kampf mit Umfragen und ihrer Interpretation begonnen. Einen Auftakt bildete die Erhebung von Consulta Mitofsky in der Zeitung La Crónica de Hoy schon am 10. Februar mit dem Ergebnis einer Wahlabsicht von 40,4 Prozent für Enrique Peña Nieto (EPN), von 24 Prozent für Josefina Vázquez Mota (JVM) und von 17 Prozent für Andrés Manuel López Obrador (AMLO). 56 Prozent der Befragten zeigten sich dabei von einem PRI-Sieg überzeugt.
Excelsior sieht nun, gut sechs Wochen später, am 26. März EPN bei 47, JVM bei 29, AMLO bei 23 und den Kandidaten der „Lehrerpartei“ Nueva Allianza, Gabriel Quadri de la Torre bei einem Prozent. Milenio wies am 21. März noch 30 Prozent unentschiedene Wähler aus, 33 Prozent hätten sich für EPN, 22 für JVM und 14 für AMLO ausgesprochen. Viel Unsicherheit also noch, allerdings auch ein klarer Favorit: Enrique Peña Nieto.
In den kommenden Wochen dürften von den Parteien auch kleinste Veränderungen als „Absturz“ oder „Aufholjagd“ interpretiert werden. Nach einer Umfrage von Maria de las Heras (El País vom 10. Januar 2012) glauben zwei Drittel der Mexikaner, es werde eine spannende und knappe Wahl geben, nur 24 Prozent sehen einen klaren Gewinner. Erst der Startschuss am 30. März wird nun zeigen, wie die Kandidaten dabei wirklich aus den Startlöchern kommen.
Die „Zwischenkampagne“
Vom 16. Februar bis 30. März galt nach dem mexikanischen Wahlgesetz die Zeit einer sogenannten „Zwischenkampagne“, in der den Kandidaten werbende Aktivitäten in eigener Sache verboten waren, wiederum eine interpretationstechnische Herausforderung für das IFE. Vielen Beobachtern dürfte es schwer gefallen sein, Unterschiede zwischen Vorwahl-, Zwischenwahl- und Wahlkampfzeiten anhand der Partei- und Kandidatenartikulationen sauber zu unterscheiden, zumal speziell auch im Internet und seinen sozialen Netzwerken um die Deutungshoheit gekämpft wurde. Die PAN-Kandidatin Josefina Vázquez Mota verschaffte sich ein Alleinstellungsmerkmal dadurch, dass ihr bei verschiedenen Auslandsreisen nette Foto-opportunities gelangen, etwa beim Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa – er outete einmal mehr die „perfekte Diktatur“ der PRI-Zeit und warnte vor Rückfällen in die Vergangenheit – oder bei Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández.
Interessant ist, welche Eigenschaften den Parteien von den Wählerinnen und Wählern zugemessen werden. Nach einer Umfrage von María de las Heras aus dem Februar schreiben sie der PAN Ordnung, Einheit, Arbeit und Vertrauen zu, aber auch fehlende Verantwortung, Unfähigkeit und Egoismus. Die PRI kann sich über Charakteristika wie Erfahrung, Stärke und Solidarität freuen, muss aber auch mit den Attributen Korruption, Betrug und Egoismus leben. Bei der PRD stehen Solidarität, Arbeit und Vertrauen auf der Habenseite, ihnen gegenüber werden Unordnung, Uneinigkeit und Egoismus genannt.
Für die Kandidaten sind die Zuschreibungen, nicht zuletzt in der veröffentlichten Meinung, weniger klar. Auch ist nach wie vor nicht sicher, wie sich die Tatsache auswirken wird, dass mit Josefina Vázquez Mota erstmals eine Frau für eine der großen Parteien ins Rennen gehen wird. Die Unsicherheit drückt etwa ein Kommentar der bekannten Publizistin Denise Dresser aus. Vázquez Mota sei eine fähige Politikerin, geschult nicht zuletzt im Umgang mit den Medien, gleichwohl könne man sich noch kein klares Bild über Absichten machen: „Ihre Kandidatur ist ein Rock, der mit guten Absichten zugeknöpft ist.“
Umfrage wie die in El Universal vom Februar sehen Vorteile für Enrique Peña Nieto bei seiner Nähe zu den Menschen und seiner Regierungserfahrung, auch bei der Frage nach der Ehrenhaftigkeit liegt er – bei einem für alle Kandidaten vergleichsweise niedrigen Niveau – vorn. Seine aktuelle Strategie scheint zu sein, nur nicht anzuecken und den komfortablen Umfragevorsprung möglichst ungestört ins Ziel zu bringen. Seine Partei wirkt nach wie vor geschlossen, auf einen exzellent organisierten Apparat gerade in der Fläche kann er sich ohnehin verlassen. Für ihn spricht auch die Unterstützung, die ihm die beiden Fernseholigopolisten in den zurückliegenden Jahren haben zuteil werden lassen.
Andrés Manuel López Obrador, derzeit eher der underdog – findet seine Anstrengungen gewürdigt, nicht aufzugeben. Er allerdings scheint sich mit seinem neuen Diskurs einer „liebenswürdigen Republik“ nicht wirklich wohl zu fühlen. Gleichwohl führt für ihn wohl an einer nicht nur sprachlichen Mäßigung kein Weg vorbei, will der nach den Erfahrungen der Nachwahlzeit von 2006 gerade bei wahlentscheidenden Mittelschichten noch einmal punkten. Kommentatoren wie Jorge Zepeda Patterson interpretieren dies allerdings auch als eine gewisse Müdigkeit des Kandidaten, bei dem Aufwand und Ertrag – alle mexikanischen Gemeinden hat er in den letzten sechs Jahren zweimal besucht und zum Teil vor sehr kleinen Auditorien „gepredigt“ – in einem schlechten Verhältnis stehen.
Viele alte Bekannte
Neben dem Präsidentenamt werden in Mexiko am 1. Juli auch Senat und Abgeordnetenhaus sowie sieben Gouverneure, Landtage, Stadtoberhäupter und Kommunalparlamente neu besetzt. Ein Blick auf Kandidaten und Kandidatenlisten erweist dabei einmal mehr, dass die sogenannte „Nicht-Wiederwahl“ in Mexiko längst eine Fiktion ist. Zwar ist es den Politikern zumeist nur verboten, sich direkt in ihrer aktuellen Funktion wiederwählen zu lassen, eine Elitenrotation aber ist damit nicht unterbunden. Munter wechselt man zwischen Abgeordnetenhaus und Senat, Landtag und Bürgermeisterposten, gutbezahlter Gemeinderatsstelle oder den diversen Parteivorständen.
Bei der PAN etwa führt der ehemalige Finanzminister Ernesto Cordero jetzt die Liste derer an, die über die Parteiliste sichere Plätze im Senat erwarten können. Ihm folgen die bisherige lokale Abgeordnete Mariana Gómez del Campo aus Mexikos Hauptstadt , der Wahlkampfleiter von Josefina Vázquez Mota, Roberto Gil und die Schwester des Präsidenten, Luisa María Calderon, gerade bei ihrer Gouverneurskandidatur im Bundesstaat Michoacan gescheitert. Sichere Plätze haben zudem die ehemaligen Minister Salvador Vega und Alonso Lujambio, die bisherige Abgeordnete Gabriela Cuevas, Laura Rojas vom Parteivorstand und der ehemalige PAN-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Hector Larios.
Zahlreich werden bisherige PAN-Senatoren ins neue Abgeordnetenhaus einziehen, unter ihnen Adriana González, Rubén Camarillo und Beatriz Zavala. Andere Senatoren bewerben sich um Bürgermeisterposten: Alberto Cardenas will es in Guadalajara schaffen, sein Kollege Guillermo Tamborell in Queretaro. Zu kämpfen hat die PAN mit zahlreichen internen Wahlanfechtungen und – aus Unzufriedenheit mit bestimmten Resultaten – Austritten auch prominenter PANistas.
Bei den anderen Parteien wird ebenfalls auf bewährte Kräfte zurückgegriffen – mit manchen Kandidaturen, die für Kopfschütteln sorgen. Bei der PRI etwa soll der ewige Chef der PEMEX-Gewerkschaft, Carlos Romero Deschamps in den Senat einziehen, Protagonist der illegalen Wahlkampffinanzierung im sogenannten PEMEXgate vor zwölf Jahren. Immerhin verzichtete die Partei darauf, einige ihrer umstrittensten Ex-Gouverneure in ihrer Listen aufzunehmen. Dafür wird der bisherigen Fraktionsvorsitzenden im Senat die Seiten wechseln: Manlio Fabio Beltrones dürfte künftig im Abgeordnetenhaus eine wichtige Rolle spielen.
Ein öffentliches Hauen und Stechen leistet sich das linke Bündnis von Andrés Manuel López Obrador: neben den drei es tragenden Parteien PRD, PT und Movimiento Ciudadano (ehemals Convergencia) muss auch AMLOs ureigenste „Nationale Erneuerungsbewegung“ MORENA bei den Kandidatenaufstellungen berücksichtigt werden, angesichts erheblicher inhaltlicher und persönlicher Differenzen keine leichte Aufgabe. Zudem gilt es, speziell die wichtigste Bastion, die Hauptstadt zu verteidigen. Hier liegt nach verschiedenen Umfragen Miguel Angel Mancera von der Linken zwar mit rund 45 Prozent die Präferenzen klar vorn, die ehemalige Parteivorsitzende Beatriz Paredes, die für ihre Partei im Bündnis mit den Grünen antritt, ist allerdings keinesfalls zu unterschätzen. Die PAN liegt mit der Menschen- und Bürgerrechtsaktivistin Isabel Miranda de Wallace mit derzeit rund 14 Prozent scheinbar abgeschlagen auf Rang drei. Klarheit wird allerdings auch hier erst der eigentliche Wahlkampf bringen.
Erfolgreicher Papstbesuch
Kritik hat die Nähe seines Besuchs zu Wahlkampfzeiten auch Papst Benedikt XVI eingebracht, der gerade für drei Tage Mexiko besuchte. Nicht zuletzt die Tatsache, dass er dabei ausschließlich die PAN-Stammlande im Bundesstaat Guanajuato bereiste – auch hier finden am 1. Juli Gouverneurswahlen statt – ärgerte manche Beobachter. Viele Kommentare zeigten auch das nach wie vor stark belastete Verhältnis von Kirche und Staat in Mexiko. Nur so erklärt sich auch der fast hysterische Unterton mancher Kommentatoren, wenn es um Kirche und ihre öffentlichen Meinungsäußerungen geht. Selbst Aussagen zu Kernthemen wie Bioethik, Ehe, Familie und Abtreibung werden Kirchenvertretern schnell als verbotene politische Aktivität ausgelegt.
Benedikt selbst konzentrierte seine Aussagen allerdings – rund drei Millionen Menschen waren bei seinen öffentlichen Auftritten dabei – auf das Thema des friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Immer wieder appellierte er an die Mexikaner, an der Beendigung der Gewalt zu arbeiten. Eindrucksvoll waren nicht zuletzt seine Begegnungen mit Gewaltopfern.
Der Papstbesuch fällt zudem in den Zeitraum einer engagierten Debatte um Verfassungsänderungen in Sachen Religionsfreiheit, die Beschränkungen aufheben sollen, denen Kirche in Mexiko unterliegt. Auch ist der Anteil der Katholiken unter den 112 Millionen Mexikanern inzwischen auf rund 85 Prozent gesunken, Freikirchen und evangelikale Gruppen sind auf dem Vormarsch.
Der Papstbesuch ist derzeit nicht der einzige, der Mexiko momentan international ins Blickfeld rückt. Die Vorbereitungen zum G20-Gipfel im Juni in Los Cabos – Mexiko hat den Vorsitz der Gruppe von Frankreich übernommen – laufen auf vollen Touren. Zahlreiche Ministertreffen begleiten den Prozess. Der Gipfel selbst wird dann, zwei Wochen vor den Wahlen, auch den Staats- und Regierungschefs die Gelegenheit geben, mexikanische Wahlkampfluft zu schnuppern.
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