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Reportage sui paesi

Polen als starker Sicherheitsgarant an der NATO-Ostflanke

di David Gregosz, Dr. Daniel Lemmen, Benjamin Urban

Was bedeutet eine erfolgreiche Modernisierung der polnischen Streitkräfte für Europa und Deutschland?

• Kernelemente der polnischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind eine ausgeprägte Bedrohungswahrnehmung gegenüber Russland, die starke Anbindung an die NATO und intensive bilaterale Beziehungen zu den USA. • Polen hat aufgrund seiner geographischen Lage und historischen Erfahrungen (z.B. sowjetische Besatzung) schon immer eine stark sicherheitsorientierte Politik verfolgt. Die aktuellen Maßnahmen sind eine Fortsetzung und Intensivierung dieser Politik, anstatt eine geplante radikale Änderung wie in Deutschland. • Diese Intensivierung wird trotz des Regierungswechsels konsequent verfolgt. Die radikale Modernisierung der Streitkräfte erfolgt durch eine erhöhte Finanzierung (Verteidigungshaushalt 2023 bei 3,8 Prozent des BIP), ein neues Konzept der allgemeinen Verteidigung, einem Truppenzuwachs und der Neuanschaffung größtenteils US-amerikanischen Geräts. • Für Polen kann auf dem Weg zu einem neuen Sicherheitsanker zur Herausforderung werden, gleichzeitig militärische Kapazitäten auf- und auszubauen, die Selbstbehauptung in der Europapolitik zu wahren und mangelnde Diversifikation durch neue europäische Bündnispartner zu überwinden. • Die Republik Polen wird mittelfristig nicht ohne ausländische Waffenimporte zum Sicherheitsgaranten für Osteuropa werden. Dazu bedarf es europäischer und amerikanischer Unterstützung, Koordinierung und Skalierung. Wenn dies gelingt, wäre die Ostflanke sicherer als jemals zuvor in der Geschichte.

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1. Das Sicherheitsumfeld der Republik Polen

Russische Föderation als Hauptsicherheitsrisiko

Aus polnischer Perspektive wurde die Außenpolitik Russlands (in all seinen historischen Formen) wiederholt als Hauptrisiko für Polens territoriale Unversehrtheit und Unabhängigkeit betrachtet. So war das russische Zarenreich als Teilungsmacht mitverantwortlich dafür, dass der polnische Staat Ende des 18. Jahrhundert für 123 Jahre von der europäischen Landkarte verschwand. Als Polen nach dem Ersten Weltkrieg als eigenständiger Staat wiedererstand, wurde es umgehend vom sowjetischen Russland bedroht. Die Sowjetunion unter Stalin wiederum marschierte wenige Wochen nach dem deutschen Überfall am 17. September 1939 in Ostpolen ein. Während des Kalten Krieges war Polen als sowjetischer Satellitenstaat seiner Souveränität beraubt. In den 1990er und den frühen nuller Jahren wurden Versuche einer Annäherung mit dem Westen unternommen, während Polen seine Westbindung mit dem NATO- und EU-Beitritt vollzog. Aber bereits lange vor der deutschen Zeitenwende war in Polen bekannt, welche Gefahr vom russischen Imperialismus ausgeht. So prägte der damalige polnische Staatspräsident Lech Kaczynski während des Kaukasuskrieges 2008 bei einer öffentlichen Ansprache in Tiflis den Satz: „Wir wissen sehr gut, dass heute Georgien, morgen die Ukraine, übermorgen die baltischen Staaten und danach vielleicht mein Land, Polen, dran sind“. Der polnischen Gesellschaft und Politik war die von Russland ausgehende Gefahr deutlich bewusst.

Die Suwalki-Lücke KAS
Die Suwalki-Lücke

Der russische vollumfassende Angriffskrieg auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 stellte für die polnische Staatsführung damit eine Bestätigung dieser zutreffenden sicherheitspolitischen Einschätzung dar. Polen erlebte damit anders als Deutschland keine Zeitenwende. Es musste damit seine geo- und vor allem sicherheitspolitische Ausrichtung nicht überdenken und neuausrichten, sondern vielmehr intensivieren. Der Fokus der polnischen Sicherheitspolitik liegt seit Februar 2022 auf der Eindämmung des russischen Einflusses und dem Schließen potenzieller Schwachstellen an der NATO-Ostflanke,[1] wobei Polen das wichtigste Transitland für humanitäre und militärische Hilfen für die Ukraine ist.[2]

 

NATO-Ostflanke und hybride Kriegsführung Russlands

Eine entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Suwalki-Korridor zu:[3] In einem potenziellen Kriegsfall müsste die gesamte militärische und humanitäre Versorgung der baltischen Republiken über diese
104 Kilometer lange Grenze des Dreiländerecks Litauen-Polen-Belarus zum Dreiländereck Litauen-Polen-Kaliningrad gewährleistet werden. In Folge einer militärischen Auseinandersetzung auf polnischem Territorium entlang dieser Grenze würden die baltischen NATO-Bündnispartner auf Luft und Seeversorgung angewiesen sein. Die NATO-Beitritte Schwedens und Finnlands sind für die Republik Polen somit eine risikominimierende Entlastung für ein solches Szenario.[4]

Russland nutzt eine Reihe von Instrumenten der hybriden Kriegsführung, um die sicherheitspolitische Lage der NATO-Ostflanke zu gefährden. Als Blaupause für ein solches Szenario muss auf die anhaltende Migrationskrise an der Grenze zwischen Polen und Belarus verwiesen werden. Diese fand im Herbst 2021 ihren bisherigen Höhepunkt.[5] Es kommt jedoch weiterhin zu wiederholten Grenzverletzungen durch vom Minsker Regime an die Grenze verfrachtete Migrantengruppen. Hierbei kam es allein in den letzten Wochen regulär zu Angriffen auf polnische Grenzbeamte. In Folge verstarb ein polnischer Soldat an den Folgen eines durch einen Migranten verübten Messerangriffs. Weitere polnische Sicherheitskräfte wurden im Zuge des Grenzschutzes schwer verletzt. Vereinzelt kam es bereits zum Einsatz von Schusswaffen im Grenzbereich. Aus diesen Gründen hatte die polnische Regierung Ende Mai verlautbart, dass eine bis zu 5 km breite Schutzzone im Grenzgebiet zu Belarus eingerichtet werde soll.  

Neben der somit anhaltenden Migrationskrise kam es in den letzten Wochen in Polen wiederholt zu Bränden. Mehrere dieser Vorfälle, darunter ein Feuer, das Warschaus größtes Einkaufszentrum am
12. Mai 2024 zerstörte, haben die Aufmerksamkeit der polnischen Behörden auf sich gezogen. Premierminister Donald Tusk wies öffentlich darauf hin, dass es wahrscheinlich sei, dass russische Dienste hinter diesen Bränden stecken. Insgesamt wurden neun Personen verhaftet, die im Verdacht stehen, im Auftrag des Kremls Sabotageakte durchgeführt zu haben​.

Am 31. Mai 2024 wurde in Polen eine Falschmeldung über eine Mobilisierung verbreitet, die angeblich am 1. Juli 2024 beginnen sollte. Diese Meldung erschien auf der Website der Polnischen Presseagentur (PAP) und wurde schnell als Cyberangriff identifiziert. Auch hier vermuten polnische Behörden, allen voran das polnische Digitalministerium, dass Russland hinter dieser Desinformationskampagne stecke.

In Folge versucht Polen auf diese zahlreichen Fälle hybrider Kriegsführung zu reagieren. Hierzu zählt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit russischer Diplomaten sowie das Einsetzen einer Expertenkommission durch die Regierung Tusk zur Ermittlung von russischem Einfluss auf dem Gebiet der Republik Polen.[6]

 

Ostschild

Zum Schutz vor dieser hybriden Kriegsführung sowie auch als Verteidigung vor einem konventionellen Angriff durch Russland soll nun ein Abschreckungs- und Verteidigungsplan namens „Ostschild“ (poln. Tarcza Wschód) initiiert werden.[7] Dieses ambitionierte Vorhaben wurde am 27. Mai durch Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz vorgestellt und umfasst den Bau physischer Barrieren wie Panzergräben und Betonhindernisse sowie die Integration moderner elektronischer Ausrüstung, einschließlich Drohnen- und Anti-Drohnen-Systemen. Zusätzlich sollen Frühwarn- und Aufklärungssysteme sowie Basen und Logistikknotenpunkte errichtet werden. An dem Projekt sind mehrere Ministerien sowie die lokale Verwaltung beteiligt. Durch die Maßnahmen soll die Frühwarn- und Aufklärungsfähigkeit gestärkt, die Mobilität des Gegners eingeschränkt, die eigene Truppenmobilität sichergestellt und die Sicherheit für Streitkräfte und Zivilbevölkerung erhöht werden. Der Baubeginn ist für dieses Jahr vorgesehen und die Fertigstellung ist bis 2028 geplant. Die Investitionssumme beläuft sich auf umgerechnet 2,2 Milliarden Euro, wobei die Finanzierung durch den Staatshaushalt und mögliche EU-Mittel erfolgen soll. Das Projekt fügt sich in die NATO- und EU-Strategien ein und ist vergleichbar mit geplanten Verteidigungslinien wie der baltischen Verteidigungslinie, die von den baltischen Staaten geplant wird.

 

NATO als Sicherheitsgarant

Neben diesen polnischen Maßnahmen zum Selbstschutz des eigenen Territoriums (aber damit auch des EU- und NATO-Territoriums) stellt die NATO weiterhin einen der Grundpfeiler der polnischen Sicherheitspolitik dar. Mit dem NATO-Gipfel 2016 in Warschau wurde der Aufbau einer militärischen Vorwärtspräsenz (enhanced Forward Presence, eFP) initiiert, welche die NATO Response Force (NRF) ersetzte. Weitere Bestandteile der NATO-Präsenz in der Republik Polen sind gekennzeichnet durch die Kampfgruppe der NATO Forward Land Forces on the Eastern Flank (FLF BG) in Bemowo Piskie (seit 2017) sowie der NATO Force Integration Unit (NFIU) 2015, dem 3. NATO-Kommunikationsbatallion, dem NATO Joint Training Centre und dem NATO-Militärpolizei-Expertenzentrum in Bydgoszcz.[8] Hinzu kommt ein Zentrum für Spionageabwehr in Krakau. Ein zweiter Bestandteil der NATO-Präsenz sind Sicherheitsinvestitionen. Dazu zählt eine sich im Bau befindliche Raketenabwehrbasis in Redzikowo sowie die Schaffung von Infrastruktur für den Einsatz der NATO Force Integration Unit (NFIU) in Bydgoszcz.

 

America First

Eine besondere Rolle nimmt neben der NATO vor allem auch Washington ein. Bereits am 15. August 2020 wurde zwischen Polen und den USA ein Abkommen zur Stärkung der ständigen Präsenz der US-Truppen in Polen unterzeichnet. Innerhalb dieses Abkommens nahm das Vorauskommando des 5. US-Armeekorps seine Aufstellung in Poznań auf.[9] Die Stärkung der künftigen Verteidigungszusammenarbeit, die Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten für alle Teilstreitkräfte, Verteidigungsplanung, militärische Ausbildung und der Aufbau einer langfristigen amerikanischen Präsenz und deren infrastrukturelle und logistische Unterstützung sind Teil dieses Verteidigungsabkommens.

Seit dem 21. März 2023 existiert die erste ständige Garnison amerikanischer Truppen in Polen.[10] Die weitere Unterstützung und Präsenz der USA in Polen äußert sich in zwei Milliarden US-Dollar Foreign Military Financing (FMF) sowie Kampf- und Logistikunterstützungskomponenten von stationierten US-Truppen.[11]

Auch die neue Regierungskoalition verfolgt eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Es ist jedoch abzuwarten, ob sich diese Kooperation auch bei einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus fortsetzen wird. Es muss nämlich betont werden, dass die von der PiS angeführte Regierung primär keine guten Beziehungen mit den USA unterhielt, sondern in erster Linie – aufgrund der ideologischen Nähe – gute Beziehungen zur Trump-Administration hatte. Somit steht mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr auch ein großes Fragezeichen über den polnisch-amerikanischen Beziehungen bzw. dem besonderen Fokus Polens auf Washington.

 

2. Die kontinuierliche Entwicklung der polnischen Streitkräfte

Erhöhung der Finanzierung

Vor dem Hintergrund der russischen Bedrohung wurden mit der Einführung des Heimatverteidigungsgesetzes im April 2022 die Verteidigungsausgaben für die folgenden Jahre drastisch angehoben – im Jahr 2023 betrugen die Verteidigungsausgaben über 32 Milliarden Euro, was circa 3,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Republik Polen entspricht.[12] Für das Jahr 2024 wurden die Verteidigungsausgaben Polens auf 25,99 Milliarden Euro festgelegt, was 3,1 % des geplanten BIP entspricht. Zusammen mit Mitteln aus einem Unterstützungsfonds der Streitkräfte durch die polnische Landesentwicklungsbank (Bank Gospodarstwa Krajowego) sollen die Gesamtausgaben für die Verteidigung jedoch nahe 34,98 Milliarden Euro betragen, was 4,2 % des BIP ausmacht.[13] Im Verteidigungsbudget sind über 50 Prozent für die Modernisierung der Streitkräfte eingeplant. Der technische Modernisierungsplan für 2021-2035 umfasst Finanzmittel von 120 Milliarden Euro für neues Gerät und Ausrüstung.[14]

Erhöhung der Truppenstärke der polnischen Armee

Derzeit verfügt die Republik Polen über eine Truppenstärke von 186.000 bewaffneten Soldaten, inklusive der Territorialverteidigungskräfte.[15] Ziel ist es, 250.000 Berufssoldaten und 50.000 Soldaten der Territorialverteidigungskräfte bis 2035 aufzustellen, um so über 300.000 Soldaten für die Landes- und Bündnisverteidigung befehligen zu können.[16] Mithilfe des Entwicklungsprogrammes der Streitkräfte für 2017-2026 soll eine beschleunigte Bildung der 18. mechanisierten Division (Abschluss im Jahr 2026), die Verstärkung der 16. Division und Neuaufstellung des Panzerabwehrregiments in Suwalki vorgenommen werden. Hinzu kommt seit dem Jahr 2022 die Gründung und der Ausbau der Cyberspace Defense Forces und der Aufbau einer weiteren Infanteriedivision.

Neues Gerät und neue Qualitäten

Die polnische Armee und alle enthaltenen Teilstreitkräfte werden neues Gerät aus US-amerikanischen aber auch südkoreanischen Werken erhalten. Dies wird mit der geplanten Neuanschaffung von 116 Panzern des Typs M1A1 Abrahams sowie 250 Panzern des Typs M1A2 SEP v.3. Abrahams unterstrichen. Die Auslieferung dieser Maschinen ist für die Jahre 2025 und 2026 geplant. Hinzu kommt die geplante Beschaffung von 1.000 K2-Panzern aus Südkorea, von denen 180 bis zum Jahre 2025 geliefert werden sollen sowie 820 K2PL in Polen produziert werden sollen. Zusätzlich wird die Truppe künftig um
96 KRAB-Kanonenhaubitzen aus heimischer Produktion und 672 selbstfahrende K9-Kanonenhaubitzen vom Typ K9A1 aus Südkorea verstärkt.[17] Der Beginn der heimischen Produktion ist für das Jahr 2026 geplant. Zudem erwartet das polnische Heer die Lieferung von 1.400 BORSUK-Schützenpanzern und 118 ZMIJA-Aufklärungsfahrzeugen aus heimischer Fertigung.[18] Bei der Beschaffung von neuem Gerät liegt ein starker Fokus auf den Landstreitkräften. Im Mai 2022 initiierte der damalige Verteidigungsminister Blaszczak den Erwerb von drei Staffeln, d.h. sechs Batterien des PATRIOT-Systems zusätzlich mit Radargeräten und Trägerraketen aus den USA.[19] Im September 2022 begann die Implementierung des US-amerikanischen Luft- und Raketenabwehrsystems im Rahmen des Wisla-Systems.[20] Auch hat Polen im April 2024 Interesse bekundet, der von Deutschland initiierten European Sky Shield Initiative (ESSI) beizutreten, die ein integriertes europäisches Luftverteidigungssystem aufbauen soll. Zusätzlich erwägt Warschau, sich am DIAMOND-Programm zu beteiligen, das vom Center for European Policy Analysis initiiert wurde und auf die Entwicklung modernster Luftverteidigungstechnologien abzielt. Des Weiteren wandten sich Premier Tusk gemeinsam mit seinem griechischen Amtskollegen Mitsotakis mit der Forderung an die EU-Kommission, die Entwicklung eines europaweiten Luftverteidigungssystems zu beschleunigen.

Ergänzend werden für die polnische Luftwaffe 32 Mehrzweckflugzeuge des Typs F35A aus den USA beschafft. In der zweiten Jahreshälfte 2023 begann zudem die Auslieferung von 48 südkoreanischen
FA-50 Flugzeugen. Ebenfalls ist der Erwerb von 16 M-346-Flugzeugen, 96 APACHE-Kampfhubschraubern und 32 AW 149-Hubschraubern geplant. Die polnischen maritimen Teilstreitkräfte erwerben drei Fregatten im Rahmen des MIECZNIK-Programms. Zwischen den Jahren 2026 und 2027 sollen ebenfalls drei moderne Mienenjäger des Projekts 258 (Typ KORMORAN 2) ausgeliefert werden.[21] Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Fokus auf das Heer gelegt wird und die Neuanschaffungen für die polnische Marine und Luftwaffe in ihrer Stückzahl deutlich überschaubarer ausfallen werden.

 

3. Einordnung dieser Entwicklungen

Die Betrachtung kurz, -mittel, - und langfristiger Zeitabschnitte kann genutzt werden, um die Bedeutung dieser Aufrüstung für die Zukunft Polens zu ergründen. In einer Frist von bis zu fünf Jahren ist davon auszugehen, dass die Entwicklung aller Teilstreitkräfte die Sicherheit und territoriale Integrität der polnischen Republik und ihrer Nachbarn sicherstellen kann. Der Zweck der Modernisierung und der gesamten Maßnahmen soll das Überleben des polnischen Staates und seiner Souveränität garantieren.[22] Der eingeleitete Modernisierungsprozess kann in diesem Fall als Maßnahme verstanden werden, sich auf alle militärischen und/oder hybriden Aktionen des revisionistisch und imperialistisch agierenden Russlands vorzubereiten.

Unter der Berücksichtigung, dass Polen fest im transatlantischen Bündnis integriert ist, stellt die polnische Zeitenwende das Bestreben dar, die Landes- und Bündnisverteidigung als potenzieller Frontstaat an der NATO-Ostflanke zuverlässig ausführen zu können.[23] Der starke Fokus auf die USA als bilateralen Partner in diesem Vorbereitungsprozess ist eine bewusste Entscheidung der polnischen Führung, da Tempo und Zuverlässigkeit in Lieferung und Planung für die Polen kurzfristig die wichtigsten Aspekte sind. Perspektivisch kann konsequentes Handeln und starker politischer Entscheidungswille in der polnischen Republik zu einer Entwicklung beitragen, welche die polnische Armee als die truppenstärkste und schlagkräftigste europäische Landstreitkraft zutage fördert. 

Angenommen die Republik Polen bildet durch eine erfolgreiche Modernisierung ihrer Streitkräfte die neue modernste Landstreitkraft Europas, dann könnten sich aus dieser Handlungsfähigkeit mittelfristig neue Rollen für Warschau ergeben. Historisch ist ein Zuwachs an militärischer Hardpower immer auch mit politischem Einfluss verbunden. Damit wäre erstens eine Rolle als Sicherheitsgarant für Osteuropa denkbar. Allerdings bräuchte es für solch eine Rolle eine stärkere Unabhängigkeit von Rüstungsimporten aus Südkorea oder den USA. Hintergrund ist, dass diese Staaten künftig mit Sicherheitsherausforderungen im Indopazifik mit Staaten wie der Volksrepublik China, Nordkorea und der Islamischen Republik Iran konfrontiert sein werden. In diesem Zusammenhang könnte eine Abhängigkeit von Rüstungsimporten die Rolle eines starken Sicherheitsgaranten unterminieren. Notwendig wäre eine starke polnische Rüstungsindustrie, um die umfassende Versorgung der eigenen Streitkräfte zu gewährleisten. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ist die Rolle eines autonomen Sicherheitsgaranten in absehbarer Zeit nicht denkbar. Angesichts dieser Tatsache und dem Umstand einer starken Abhängigkeit von US-militärischem Gerät und US-Truppen in Polen, gibt es Kritiker die von Polen als „Logistikzentrum der Vereinigten Staaten in Osteuropa“ sprechen. 

Die Modernisierung der polnischen Streitkräfte kann im Zeitraum von mehreren Dekaden vereinfacht in zwei Szenarien gedacht werden: Erstens, die Russische Föderation bleibt über mehrere Jahrzehnte als revisionistischer Akteur in der Region bestehen. Hier bleibt die Frage relevant, ob sich dieses Verhalten zu einem offenen Krieg an der NATO-Ostflanke zuspitzt. In jedem Fall, in dem die russische Aggression wie auch geartet bestehen bleibt, kann Polen sich mit der starken militärischen Handlungsfähigkeit und der geografischen Nähe zur Russischen Föderation und seinem Satelliten Belarus zu einer militärischen Führungsmacht im Ostseeraum etablieren. Damit die polnische Armee eine bedeutsame Landstreitmacht bilden kann, müsste der Modernisierungsprozess der polnischen Streitkräfte erfolgreich vollzogen werden. Zum anderen müsste es Polen gelingen, den Personalbedarf der polnischen Streitkräfte konstant zu decken und ebenfalls den Bedarf an Infrastruktur mit den sich veränderten Kapazitäten der polnischen Truppen zur Verfügung zu stellen. Eine große Schwierigkeit stellt hierbei eine seit Jahren geringe Fertilitätsrate (1,33 Kinder/Frau) und ein damit verbundener Bevölkerungsrückgang dar. Damit zusammenhängend müssten alle angeschafften Waffensysteme immer dem Gefechtsstandard entsprechen, die Finanzierung der Instandhaltung und Nachrüstung der modernisierten polnischen Streitkräfte ebenfalls gesichert sein.

Zusätzlich denkbar wäre die Rolle eines „faithful ally of the US“ innerhalb der EU. Die Etablierung einer „special relationship“ zwischen Polen und den Vereinigten Staaten würde eine Machtverschiebung von West nach Ost auf dem europäischen Kontinent manifestieren. Voraussetzung für solch eine langfristige Entwicklung wäre zum einen eine stärkere Kooperation Polens innerhalb der EU. Die
PiS-Vorgängerregierung ist – durch ihre Zusammenarbeit zunächst mit dem Vereinigten Königreich, danach mit Ungarn – an dieser Frage total gescheitert. Allerdings wurde von der neuen polnischen Regierung unter Donald Tusk der Versuch unternommen, das Weimarer Dreieck zwischen Polen-Deutschland-Frankreich wiederzubeleben.[24] In diesem trilateralen Gefüge könnte Polen sich zu dem Sprachrohr für die ostmitteleuropäischen Staaten entwickeln und eine neue Rolle innerhalb der Europäischen Union übernehmen. Dieser Anspruch wurde bereits von dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski kommuniziert, welcher äußerte, dass „Polen und die Polen“ es verdient hätten eine führende Rolle zu spielen, die Europäische Union zu einem geopolitisch ebenbürtigen Akteur zu machen.[25] Die Modernisierung des Militärs hat das Potenzial, Polen zu einem besonders potenten und damit einflussreichen Akteur in dem Politikfeld der Sicherheit- und Verteidigung zu machen. Mit der Einstellung des Rechtsstaatsverfahrens gegen Polen im Mai 2024 wird der Weg für eine stärkere Rolle Polens innerhalb der europäischen Institutionen geebnet.[26] Auf diese Weise hätte Polen die Möglichkeit, für die USA langfristig zu einem Ersatz für das Vereinigte Königreich innerhalb der Europäischen Union werden. Dies ist aber zum anderen abhängig von der zukünftigen geopolitischen Rolle der USA, insbesondere nach einem eventuellen Wahlsieg von Donald Trump.

Als zweites Szenario ist denkbar, dass die russische Föderation als Sicherheitsbedrohung in einem längerfristigen Zeitfenster wegfiele. Denkbar für eine solche Dynamik ist ein Regimewechsel oder ein Zerfall der russischen Föderation und des Entstehens von Nachfolgestaaten, welche keine revisionistische oder neo-imperiale Außenpolitik praktizieren. In diesem Fall würde der Zweck für die Rolle als Bollwerk/Frontstaat entfallen und die polnische Republik wäre womöglich ein starker, sicherheitspolitisch sehr selbstbewusster Staat mit vielen Fähigkeiten ohne ersichtliche Sicherheitsbedrohung. Diese Entwicklung würde womöglich zu einer Rollenkrise führen und zu einem Abbau der Streitkräfte, ähnlich wie es in der Bundesrepublik nach dem Zerfall des Warschauer Paktes mit der Bundeswehr geschah. Dieses Szenario wird in Fachkreisen hingegen als sehr unwahrscheinlich bewertet.

Aus diesem Grund stellt die angestrebte dynamische Umsetzung einer verteidigungspolitischen Zeitenwende in Polen, eine Vorbereitung auf Landes- und Bündnisverteidigung dar. Aus dieser Lage heraus ergeben sich für die polnische Republik mittelfristig eine Rolle zwischen Frontstaat und US-Logistikzentrum an der NATO-Ostflanke. Die Bundesrepublik sollte aber auch militärisch handlungsfähig werden, um in einem ausgelösten Bündnisfall an der NATO-Ostflanke jederzeit Unterstützung leisten zu können. Um dies zu gewährleisten, steht eine Modernisierung der Bundeswehr in Fragen der Finanzierung, des Personals, des Geräts und der Strukturen an oberster Stelle der Handlungsempfehlungen. Das verfolgte Ziel dieser Handlungsempfehlung sieht vor, dass die Bundesrepublik ihre Rolle als „Drehscheibe“ ergänzen kann. Das Ziel wäre, sich als größte europäische Landstreitkraft zu behaupten und eingebettet in einen gemeinsamen europäischen Kontext, selbstbewusst die Sicherheit der Europäischen Union und der NATO-Bündnispartner zu gewährleisten. Dieses Handeln sollte potenziellen Diskontinuitäten in der polnischen Europapolitik vorbeugen. In diesem Zusammenhang stellt die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen im Weimarer Dreieck aktuell höchste Priorität dar. Eine Handlungsempfehlung sieht eine stärkere Kooperation zwischen Polen und Deutschland unter dem Dach der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor, Ausgangspunkt hierfür stellt die militärische Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte dar.  


[1] Ministerium für Nationale Verteidigung (2022): Die Landenge von Suwałki ist dank des Soldatendienstes sicher, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/przesmyk-suwalski-jest-bezpieczny-dzieki-sluzbie-zolnierzy

[2] Ministerium für Nationale Verteidigung (2022): Polen gehört zu den Spitzenreitern bei der Unterstützung der Ukraine, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/polska-wsrod-liderow-wsparcia-dla-ukrainy

[3] Schmidt, Friedrich (2024): Mit Spitz durch die Suwałki-Lücke, in: Frankfurter Allgemeine, Abgerufen unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/suwa-ki-luecke-lukaschenko-droht-der-nato-19616204.html

[4] Deutschlandfunk (2024): Schweden und Finnland sollen die NATO stärken, Abgerufen unter: https://www.deutschlandfunk.de/schweden-finnland-nato-beitritt-100.html

[5] Deutschlandfunk (2021): Wie Belarus Geflüchtete als Druckmittel einsetzt, Abgerufen unter: https://www.deutschlandfunk.de/lukaschenko-gegen-die-eu-wie-belarus-gefluechtete-als-100.html

[6] Notes from Poland (2024): Poland restricts movements of Russian diplomats in response to “hybrid war”, Abgerufen unter: https://notesfrompoland.com/2024/05/28/poland-restricts-movements-of-russian-diplomats-in-response-to-hybrid-war/

[7] Notes from Poland (2024): Poland unveils details of €2.4bn fortification of eastern borders, Abgerugen unter: https://notesfrompoland.com/2024/05/27/poland-unveils-details-of-e2-4bn-fortification-of-eastern-borders/

[8] NATO (2024): NATO´s Joint Force Training Centre: Forging Operational Excellence, Abgerufen unter: https://www.act.nato.int/article/jftc-forging-op-excellence/

[9] Ministerium der Nationalen Verteidigung (2022): In Polen wird ein ständiges Kommando des V. Korps der US-Armee eingerichtet, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/w-polsce-powstanie-stale-dowodztwo-v-korpusu-armii-usa

[10] Ministerium der Nationalen Verteidigung (2023): Ständige Garnison der US-Armee in Polen, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/staly-garnizon-wojsk-usa-w-polsce

[11] Lang, K. O. (2023). Polens Außen-und Sicherheitspolitik im Angesicht des Kriegs im Osten Europas. Polen-Analysen, (310), 2-6.

[12] PolskieRadio (2024): Polen Spitzenreiter in NATO –Verteidigungsausgaben. Deutschland holt auf, Abgerufen unter: https://www.polskieradio.pl/400/7764/artykul/3334772,polen-spitzenreiter-in-nato-verteidigungsausgaben-deutschland-holt-auf

[13] Defense24 (2023): Rekordowe wydatki Polski na obronę. 118 miliardów z budżetu i nie tylko, Abgerufen unter: https://defence24.pl/polityka-obronna/rekordowe-wydatki-polski-na-obrone-118-miliardow-z-budzetu-i-nie-tylko

[14] Ministerium für Nationale Verteidigung (2022): Technische Modernisierung der Streitkräfte, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/modernizacja-techniczna-szrp

[15] Carbonaro, Giulia (2023): Poland said its army will soon be the strongest in Europa. But is that possible?, in: Euronews, Abgerufen unter: https://www.euronews.com/2023/09/06/poland-said-its-army-will-soon-be-the-strongest-in-europe-but-is-that-possible

[16] Mijnssen, Ivo: Reform, Aufrüstung und wachsender Einfluss: Polens Streitkräfte auf dem Weg zur stärksten Armee Europas, in: Neue Zürcher Zeitung, Abgerufen unter: https://www.nzz.ch/international/polens-armee-reform-aufruestung-und-wachsender-einfluss-ld.1753703 

[17] Ministerium für Nationale Verteidigung (2022): K2-Panzer, K9-Haubitzen und FA-50-Flugzeuge –die polnische Armee erhält leistungsstarke Waffen und die polnische Rüstungsindustrie erhält einen starken Entwicklungsimpuls, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/czolgi-k2-haubice-k9-i-samoloty-fa-50---wojsko-polskie-otrzyma-potezne-uzbrojenie-a-polski-przemysl-zbrojeniowy-silny-impuls-do-rozwoju

[18] Deutsche Welle (2022): Polen kauft massenhaft Militärgerät in Südkorea, Abgerufen unter: https://www.dw.com/de/polen-kauft-massenhaft-milit%C3%A4rger%C3%A4t-in-s%C3%BCdkorea/a-62619789

[19] RedaktionsNetzwerk Deutschland (2022): Polen bestellt sechs weitere Patriot-Batterien in den USA, abgerufen unter: https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-polen-bestellt-fuer-luftabwehr-sechs-weitere-patriot-batterien-in-den-usa-ZLVMLKABVB7U4MALCTBR7D5NYM.html

[20] Ministerium für Nationale Verteidigung (2023): Polnische Armee – neue Einheiten, größere Anzahl, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/wojsko-polskie--nowe-jednostki-wieksza-liczebnosc

[21] Ministerium der Nationalen Verteidigung (2022): Die polnische Marine wird weitere Minenjäger der Kormoran II-Klasse erhalten, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/marynarka-wojenna-rp-otrzyma-kolejne-niszczycieli-min-typu-kormoran-ii

[22] Ministerium für Nationale Verteidigung (2022): Eine große polnische Armee ist ein Garant für die Sicherheit Polens, Abgerufen unter: https://www.gov.pl/web/obrona-narodowa/liczebne-wojsko-polskie-to-gwarancja-bezpieczenstwa-polski

[23] Gregosz, David und Lemmen, Dr. Daniel (2023): Polen: Politische und gesellschaftliche Auswirkungen ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine, Abgerufen unter: https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/polen-politische-und-gesellschaftliche-auswirkungen-ein-jahr-nach-kriegsbeginn-in-der-ukraine

[24] Die Bundesregierung (2024): Treffen des Weimarer Dreiecks: „Unsere Einheit ist unsere Stärke“, Abgerufen unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/treffen-scholz-tusk-macron-2265384

[25] Tagesschau (2024): Polen will mehr, Abgerufen unter: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-eu-osterweiterung-100.html

[26] Tagesschau (2024): EU beendet Rechtsstaatsverfahren gegen Polen, Abgerufen unter: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-polen-rechtsstaatverfahren-ende-100.html

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