Unversöhnliche Positionen in der Plenardebatte
In seiner Rede in der Plenarsitzung stellte der Vorsitzende der LDK-Fraktion, Arben Gashi, den Misstrauensantrag vor und wies darauf hin, dass die Gründe, die dazu führten, mit der Weigerung Kurtis zu tun hatten, die 100%-Zölle auf Produkte aus Serbien sowie Bosnien und Herzegowina, wie von den Vereinigten Staaten und auch Deutschland sowie weiteren internationalen Partnern gefordert, ohne Auferlegung sogenannter reziproker Maßnahnahmen zeitnah aufzuheben. Diese stelle den eigentlichen Dissens mit der VV dar. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und somit als unmittelbarer Auslöser für den Misstrauensantrag angeführt wurde, war die Entlassung des Innenministers Agim Veliu (LDK) ohne vorherige Konsultation mit der LDK und somit in grober Verletzung des Geistes des Koalitionsvertrags, so Gashi weiter.
Premierminister Kurti, der einen Koalitionsbruch durch sein Verhalten provozierte hatte, argumentierte hingegen, dass der Antrag, die von ihm geführte Regierung zu stürzen, nichts mit den Zöllen oder der Entlassung von Veliu zu tun habe, sondern dass es bereits eine geheime Verständigung zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem kosovarischen Staatsoberhaupt Hashim Thaçi zur Lösung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina gebe. Da er, Kurti, dieser Übereinkunft im Wege stand, musste er politisch beseitigt werden, sodass die Vereinbarung nicht gefährdet wird. Obwohl er nicht namentlich erwähnte, wer ihn entfernen wollte, so spielte Kurti doch unmissverständlich auf Präsident Thaçi an. Er betonte auch den möglichen amerikanischen Einfluss in Person von Botschafter Richard Grenell, der den Sturz der Regierung zu diesem Zeitpunkt beeinflusst haben könnte. In Bezug auf die umstrittenen Zölle bestätigte er den Beschluss seiner Regierung, diese ab dem 1. April zu beenden und durch eine Gegenseitigkeitsmaßnahme gegenüber Serbien sowie Bosnien und Herzegowina zu ersetzen.
Die Debatte zwischen den Abgeordneten über den Antrag war lang und von schweren Vorwürfen zwischen den Parteien geprägt. In der Debatte wurde erneut deutlich, dass die Möglichkeit, unter diesen Umständen gemeinsam zu regieren, angesichts der Spannungen, aber auch des Misstrauens zwischen den Parteien unmöglich ist. Seit der Ankündigung des Misstrauensvotums war die Debatte in den vergangenen Tagen auch in den sozialen Medien von Polemik und großer Polarisierung geprägt. Klar scheint, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Schritt ablehnte, insbesondere angesichts der Umstände, unter denen dieser Misstrauensantrag gestellt wurde.
Unstimmigkeiten innerhalb der LDK
Die Entscheidung, die eigene Regierung durch einen Misstrauensantrag nach nur 52 Tagen zu stürzen, war innerhalb der der EVP-Partnerpartei LDK nicht unumstritten. Ob das Elektorat die Entscheidung goutieren wird, ist fraglich. Bei den Wahlen vom 6. Oktober 2019 hatte die LDK noch die meisten Mandate hinzugewinnen können und sich als zweitstärkste politische Kraft im Land behauptet. Spitzenkandidatin in einem sehr personenorientierten Wahlkampf war damals Vjosa Osmani. Diese ist mittlerweile Parlaments-präsidentin und hatte sich vehement gegen den Misstrauensantrag ausgesprochen. Gemeinsam mit zwei weiteren Abgeordneten der LDK hatte sie letztendlich gegen den Misstrauensantrag gestimmt. Die überwältigende Mehrheit der Mandatsträger der LDK folgte jedoch der Partei- und Fraktionsführung.
In ihrer Ansprache an das Plenum machte Osmani ihre Ablehnung eines Sturzes der Regierung deutlich. Ihrer Ansicht nach würde eine neue Mehrparteienregierung der LDK mit den Wahlverlieren die Interessen und Stimmen der Bürger nicht vertreten, da die Bürger für Veränderung gestimmt hätten. Der Sturz der Regierung VV-LDK sei rein „vom Ego zur Macht“ getrieben. Für ihre Minderheitsposition innerhalb der LDK-Fraktion erhielt Osmani breite Unterstützung in den sozialen Netzwerken. In der Bevölkerung genießt sie weiterhin ein hohes Ansehen.
Unklarheit über die weitere Entwicklung
Es bleibt unklar, wie sich die Situation von nun an entwickeln wird. Die Unklarheiten in der Verfassung eröffnen Interpretationsspielraum. Eines scheint klar: Aufgrund der sich dynamisch entwickelnden Corona-Krise wird es keine vorgezogenen Neuwahlen geben, zumindest nicht unmittelbar. Die LDK ist deklarativ an einer Allparteien-Regierung interessiert (d.h. einschließlich VV), aber dies erscheint wenig realistisch. Das wahrscheinlichste Szenario für eine neue Regierung bleibt eine Koalition zwischen LDK, AAK, NISMA und den ethnische Minderheitsvertretern (10 Abgeordnete der Serbischen Liste sowie 10 weitere Abgeordnete kleinerer Minderheiten), die eine fragmentierte absolute Mehrheit von mehr als 61 Stimmen schaffen würde. Das wahrscheinlichste Szenario scheint daher zu sein, dass Präsident Thaçi zunächst erneut Kurti das Mandat zur Regierungsbildung erteilen wird. Nach einem bereits absehbaren Scheitern würde das Mandat an einen Kandidaten weitergeben, der nachweist, dass er über die nötige Unterstützung von Abgeordneten verfügt, um die Regierung zu bilden. Zweitstärkste Fraktion im Parlament ist die LDK. Denkbar, dass deren Spitzenkandidat von 2017 demnächst neue Ministerpräsident des Kosovo wird: Avdullah Hoti.
Unklarheiten und Unsicherheiten bestehen auch hinsichtlich des Dialogs mit Serbien und einer möglichen Einigung in der Statusfrage. Es bleibt abzuwarten, wie die LDK reagieren wird, sollte sich herausstellen, dass die Behauptung Kurtis, dass zwischen den Präsidenten Vučić und Thaçi eine Vereinbarung besteht, die zudem auch einen Gebietsaustausch umfasst, richtig sind. Klar ist, dass ein Gebietsaustausch keine Unterstützung in der Bevölkerung des Kosovo findet. Und auch auf europäischer Ebene und in der Nachbarschaft stößt eine solcher Lösungsansatz auf Ablehnung.
Unmissverständliche Reaktionen
Während der US-amerikanische Botschafter Philip Kosnett via Twitter die Einbringung des Misstrauensantrags im Parlament begrüßte, hatte Deutschland im Vorfeld der Abstimmung unmissverständlich klar kommuniziert, dass man einen Koalitionsbruch und eine möglicherweise handlungsunfähige Exekutive angesichts der notwendigen Reformvorhaben und der Corona-Krise ablehne. So demarchierte der deutsche Botschafter in Pristina gemeinsam mit seiner französischen Kollegin an den zu dem Zeitpunkt noch stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoti, um den Sorgen von Berlin und Paris Ausdruck zu verleihen und auf einen Verbleib der LDK in der Regierung zu drängen – jedoch vergeblich.
Auch die EVP und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatten die Entwicklungen im Kosovo mit Sorge beobachtet. Nach dem Scheitern der Regierung infolge des erfolgreichen Misstrauensvotums erklärte der für Außenpolitik zuständige stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Johann Wadephul folgerichtig:
„Kosovo braucht in dieser schwierigen Zeit dringend eine handlungs- und entscheidungsfähige Regierung. Alle, die in Kosovo Verantwortung tragen –
Parlament, Regierung und Staatspräsident – sind aufgefordert, zur Stabilität des Regierungshandelns beizutragen. Die Regierung muss durch konsequentes Handeln das in der letzten Zeit verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen.“
Ob es gelingen wird, rasch eine neue, handlungsfähige Regierung zu bilden, darf zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden. Die Koalitionsverhandlungen zwischen VV und LDK nach der Wahl vom 6. Oktober 2019 dauerten vier Monate. Aufgrund der Corona-Krise könnte es jetzt aber deutlich schneller gehen. Aber nicht nur die Corona-Krise erfordert eine handlungsfähige Exekutive, auch wichtige Reformvorhaben müssen in Angriff genommen werden. Deshalb betonte einer der Kosovo-Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer:
„Priorität dabei muss die entschiedene Bekämpfung der Korruption und der Organisierten Kriminalität sein, um endlich die Wirtschaft im Land anzukurbeln und die soziale Lage zu verbessern. Dazu muss auch die Fortsetzung der rechtlichen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen gehören, ohne diese kein innerer Frieden und keine Vertrauensgrundlage geschaffen werden können. Dies umfasst insbesondere auch die verantwortlichen Institutionen zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Wir erwarten, dass umgehend und ohne Bedingungen die unter der Regierung Haradinaj erhobenen Zölle für Serbien und Bosnien-Herzegowina vollständig aufgehoben werden.“
Bei dem Thema Aufhebung der Zölle besteht Einigkeit zwischen den Positionen der Vereinigten Staaten, der EU und Deutschland. Dass eine nachhaltige, umfassende Lösung des Konflikts zwischen Belgrad und Pristina jedoch am besten durch einen EU-geführten Dialog erreicht werden kann und nicht durch Abkommen über einen Landtausch, betonte Bundesminister a. D. Christian Schmidt:
„Mit Serbien muss wieder ein substanzieller Dialog aufgenommen werden, so wie wir auch von Belgrad das umgehende Ende seiner Aktivitäten gegen die Anerkennung des Kosovo durch die internationale Gemeinschaft verlangen. Ohne eine solche Änderung ihrer politischen Strategien werden sich beide Länder weiterhin ihren Weg in Richtung Europäische Union verbauen. Nur die EU bietet diesen Ländern eine seriöse und verantwortungsbewusste Zukunftsperspektive an und hat gezeigt, dass sie auch tatkräftig dazu bereit ist.“
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