100 Jahre Weimarer Republik – mit dem runden Jubiläum erlebt die Erinnerungskultur der ersten deutschen Republik einen neuen Boom:
- Vergleiche zwischen Geschichte und Gegenwart,
- Beschwörung von Gespenstern und Geistern,
- Warnungen und Mahnungen wechseln sich ab mit Lob für politische und kulturelle Impulse.
Gründe genug für das Büro Bundesstadt Bonn der Konrad-Adenauer-Stiftung – gemeinsam mit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, dem Institut français und der Jakob-Kaiser-Stiftung – an 100 Jahre Weimarer Republik zu erinnern, mit einem Blick auf deren Innovationen, aber auch den Lehren, die sie für unsere politische Kultur und unser gesellschaftliches Miteinander bietet.
Den Auftakt machte am 15. April Dr. Sebastian Ullrich zum „Weimar-Komplex“. In der zweiten Sitzung eine Woche später gab Prof. Jürgen Falter einen fundierten Einblick in die Empirie und Wahlforschung und erläuterte die Zusammensetzung von NSDAP-Mitgliedern und –Wählern mit dem Fazit: Die NSDAP war eine sozial sehr heterogen zusammengesetzte „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“.
Nun also stand im dritten Teil der Vorlesung ein Ausflug in die Populärkultur an. Dr. Hanno Hochmuth (ZZF Potsdam) spürte dem Mythos der Weimarer Republik nach. In zehn Thesen näherte er sich mit einem Blick auf die realen Berliner Zustände der Darstellung der Weimarer Verhältnisse in der Serie „Babylon Berlin“:
1.) Der Mythos Berlin Babylon bezieht sich vor allem auf die Populärkultur.
Legendär ist das Nachtleben im Berlin der 1920er Jahre Der Tanz auf dem Vulkan ist das Topos – aber dazu gehört auch der Absturz. Der Mythos der Freiheit korrespondiert mit der Ambivalenz der Moderne.
2.) Zentrale Motive für die populärkulturelle Darstellung Weimars stammen aus der Zeit selbst.
In der zeitgenössischen Selbstinszenierung spiegelten sich Fortschrittsglauben und Zukunftsangst. Bildikonen z.B. in Kunst, Architektur und Film sind uns auch heute noch vertraut.
3.) Berlin Babylon ist ein internationaler Mythos.
Die NS-Diktatur zerstörte die internationale Stadt Berlin, aber nicht den Mythos. Dieser wurde nach Amerika getragen und kam nach Kriegsende wieder zurück; West-Berlin wurde zum Vorposten der Freiheit, die auch schon in der emanzipatorischen Zwischenkriegszeit eine große Rolle gespielt hatte.
4.) Der Mythos Berlin Babylon handelt von Berlin.
Berlin steht in der Populärkultur für die Weimarer Republik. Hier verdichtet sich alles – vom Vergnügen bis zum sozialen Elend.
5.) Der Erfolg von „Babylon Berlin“ verdankt sich der globalen Marke Berlin.
Von Berlin geht ein Signal für die internationale Bedeutung aus. Heute wird Berlin als „Rom des 20. Jahrhunderts“ vermarktet, was sich an 33 Millionen Übernachtungen 2018 zeigt.
6.) Die Serie verknüpft das Berlin der goldenen 1920er Jahre mit der Partyhauptstadt der Gegenwart.
Hedonismus, offen zur Schau gestellte sexuelle Freizügigkeit, Party und Glamour – aber die Stärke der Serie liegt auch in der drastischen Darstellung des proletarischen Milieus, von Licht und Schatten der ersten deutschen Republik.
7.) Die Serie erzählt ein neues Kapitel der deutschen Geschichte, das noch nicht auserzählt ist.
und 8.) „Babylon Berlin“ verwendet ein neues episches Erzählformat und bedient damit aktuelle Sehgewohnheiten.
Die Serie orientiert sich an amerikanischen Produktionen, spielt mit historischen Sujets und vermarktet deutsche Inhalte. Die Einschaltquoten zeigen ein lang anhaltendes Interesse an der Vergangenheit in einer Welt, die in Zeiten des Wandels den Glauben an die Zukunft manchmal zu verlieren droht.
9.) Der Erfolg von „Babylon Berlin“ ist ein Teil des anhaltenden Geschichtsbooms der vergangenen vier Jahrzehnte.
Der Takt der Jahrestage formt zwar die Erinnerungskultur, die Serie vermittelt aber mehr als bloße Nostalgie, sondern lädt zu kritischer Auseinandersetzung ein.
10.) „Babylon Berlin“ erzählt die Geschichte einer Demokratie in der Krise.
Auch in unseren Zeiten wird die Demokratie herausgefordert. Über der Serie liegt ein bedrohlicher Schimmer; die Feinde der Demokratie tauchen immer wieder auf.
Das Gute ist – so das Fazit von Hanno Hochmuth –, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Wir haben es in der Hand, die Demokratie zu bewahren. Aber als Historiker weiß man auch: Der status quo ist nicht sicher. Wenn die Serie hier sensibilisiert, dann lohnt sich schon die Auseinandersetzung mit dem Medium.
Unsere Ringvorlesung erfreut sich großen Zuspruchs. Glücklicherweise konnten wir in einen größeren Hörsaal ausweichen. Sie finden uns montags zwischen 18.15 und 19.45 Uhr in Hörsaal IX im Hauptgebäude der Universität Bonn. Sie sind herzlich eingeladen, an weiteren Terminen teilzunehmen.
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