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Reportage sui paesi

Der Kampf um Berlusconis politisches Erbe

di Michael Feth, Dr. Nino Galetti

Zwischen Aufräumen und Grunderneuern: Das Überleben der Forza Italia hängt nun von Antonio Tajani ab

Nach dem Tod von Silvio Berlusconi muss sich Forza Italia unter ihrem neuen Parteichef Antonio Tajani neu erfinden. Der hat offenbar eine klare Vorstellung: Der bisherige Politclub soll das historische Erbe der „Democrazia Cristiana“ antreten. Genau 30 Jahre nach ihrem Untergang gibt es in Italien die Sehnsucht nach einer neuen DC. Doch Tajani könnte mit seinen Plänen zu spät kommen: Giorgia Meloni ist mit ihren Fratelli d‘Italia bereits auf dem besten Wege, die Wählerinnen und Wähler des politischen Katholizismus einzusammeln. Sollte sie mit ihrer Strategie, Nationalkonservative und Christdemokraten unter einem gemeinsamen Dach zu versammeln, Erfolg haben, dürfte dies den schleichenden Tod von Forza Italia zur Folge haben und die Parteienlandschaft Italiens nachhaltig verändern.

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Als 1943 Benito Mussolini gestürzt wurde, stand Italien nach über 20 Jahren Faschismus und drei Jahren Krieg am Rande des Abgrunds. Und doch gab es im Verborgenen bereits kurz vor seinem Sturz einen Diskurs, wie das Land nach Ende der Diktatur aussehen, und wie eine demokratische Zukunft nach dem Krieg gesellschaftspolitisch gestaltet werden könnte. Am 21. Juli vor achtzig Jahren verabschiedete eine Gruppe katholischer Politiker im Kloster von Camaldoli östlich von Florenz den "Code von Camaldoli": einen Text mit ethischen Leitlinien für den politischen Neuanfang. Diese Ideen wurden fortan zur Grundlage einer Partei, die über Jahrzehnte hinweg zur bestimmenden Kraft Italiens werden sollte: die „Democrazia Cristiana“ (DC), die italienischen Christdemokraten.

Das Memorandum von Camaldoli wird mithin als eine Art Gründungsakt der Traditionspartei gesehen. Zwischen 1945 und 1993 prägte die DC Italiens Politik immens und stellte in diesem Zeitraum fast alle italienischen Ministerpräsidenten. Zu Beginn der 90er Jahre zerfiel die Partei jedoch, nachdem mehrere Korruptionsfälle hoher Amtsträger publik wurden und auch eine anschließende Umbenennung der Partei kein zufriedenstellendes Wahlergebnis mehr erzielen konnte. Doch ihre Werte, wie etwa die Orientierung am christlichen Menschenbild, die pro-europäische und pro-amerikanische Orientierung und die klare Absage an alle totalitären und autoritären Formen der Machtausübung, leben in der italienischen Gesellschaft fort. Wenn es einer Bestätigung bedurft hätte, so lieferte sie niemand anderes als Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella – er definiert sich bis heute stolz als Christdemokrat. Zum achtzigsten Jubiläum des „Codes von Camaldoli“ begab er sich gemeinsam mit dem Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Matteo Zuppi, sowie dem vatikanischen Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, in das abgelegene Kloster, um an die Denkschrift und ihre Unterzeichner zu erinnern.

Die öffentliche Debatte über eine politische Wiedergeburt der alten Democrazia Cristiana hat nicht zuletzt seit dem Tod von Silvio Berlusconi am 12. Juni 2023 weiter an Fahrt aufgenommen. Denn seine bürgerlich-konservative Partei „Forza Italia“ ist ohne ihren charismatischen Gründer und Übervater zum politischen Waisenkind geworden. Das Führungsvakuum konnte zwar mit der Wahl Antonio Tajanis zum Parteichef relativ rasch überwunden werden; der nennt sich übrigens nicht „Presidente“, wie sein Vorgänger, sondern nur „Segretario“; ein Begriff, den so auch die meisten anderen Parteien Italiens für den Parteivorsitz verwenden.

 

Politische Wiedergeburt der Democrazia Cristiana?

Der heutige Außenminister und ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments ist einer der meistgeschätzten italienischen Politiker im Ausland. Jedoch klafft zwischen seiner internationalen Anerkennung und der heimischen Wahrnehmung eine erhebliche Lücke: In Italien gilt er als Politiker, der sein ganzes Leben im Schatten seines Förderers Berlusconi verbracht und kaum eigenes politisches Profil entwickelt hat. Als „Mann ohne Eigenschaften“ beschrieb ihn eine Tageszeitung. Sorgte Berlusconi mit umstrittenen Bemerkungen (etwa über dessen Männerfreundschaft mit Putin) für heftige Empörung, ging Tajani bis an die Grenzen der Selbstverleugnung, um die Aussagen seines Parteichefs zurechtzubiegen, abzuschwächen und den Schaden zu begrenzen. Zudem hängt ihm das Etikett des Langweilers an; am Tiber, wo der Glamourfaktor fester Bestandteil des politischen Lebens ist, kein Kompliment. Sein Nachteil ist jedoch zugleich sein Vorteil: Er gilt als grundsolide, verlässlich und Mann der ruhigen Hand.

In jedem Fall hat Antonio Tajani eine ziemlich komplizierte, fast unmögliche Mission vor sich. Er selbst macht sich nichts vor. "Es ist nicht einfach, eine politische Bewegung zu führen, die Silvio Berlusconi seit fast dreißig Jahren an der Spitze geprägt hat", bekannte er nach seiner Wahl. Trotzdem ruhen ausgerechnet auf ihm nun viele Hoffnungen.

Dabei muss er gleich mit mehreren ärgerlichen Vermächtnissen Berlusconis aufräumen und Forza Italia grunderneuern. Da ist zuerst die notwendige Distanzierung von den dunklen Schatten, welche die vielen Skandale des Cavaliere auch posthum noch auf Forza Italia werfen. Die Gerichtsverfahren und Ermittlungen sind mit dem Tod des Medienmoguls mitnichten beendet; so manche gezielten Leaks aus der Justiz könnten in den kommenden Monaten und Jahren an die Öffentlichkeit gelangen und für Aufregung sorgen. Alte Weggefährten des Cavaliere könnten somit zur Belastung für die Partei werden; von diesem Zirkel hochbetagter Männer muss Tajani sich schleunigst trennen.

Außerdem muss er für eine neue, offene Diskussionskultur innerhalb der Partei sorgen, die seit drei Jahrzehnten ausschließlich auf die Kommunikation ihres Idols, nämlich vertikal von oben nach unten, zugeschnitten war. Es ist für das politische Überleben dringend notwendig, Dialogstrukturen zwischen den Amts- und Funktionsträgern der europäischen und nationalen sowie der regionalen und kommunalen Ebene aufzubauen. Auch die einfachen Parteimitglieder müssen stärker beteiligt werden und Gehör finden. Als wäre dies nicht schon Aufgabe genug für einen neuen Parteichef, wartet dahinter die Beantwortung der schwierigsten aller Fragen: Wie will sich Forza Italia künftig politisch positionieren? Wofür steht sie programmatisch? Warum sollte man sie wählen? Zugespitzt: Worin sieht sie ihre politische Existenzberechtigung?

 

Antonio Tajanis Plan: Neuausrichtung der Forza Italia

In dieser Fragestellung liegt nach Meinung politische Beobachter in Rom eine erhebliche Chance für die Zukunft der Partei. So scheint es auch Antonio Tajani zu sehen. Am Rande der Feierlichkeiten von Camaldoli zum Jubiläum der DC machte er eine Ankündigung, die aufhorchen ließ: Er wolle Forza Italia nach dem Vorbild der Christdemokraten als Schlüsselpartei des italienischen politischen Systems neu aufbauen. Noch vor kurzem wäre eine solche Ankündigung ein politischer Rohrkrepierer gewesen: Das politische Bewusstsein der „Zweiten Republik“ speiste sich lange Zeit vor allem aus einer anti-christdemokratischen Stimmungslage. Die DC galt als diskreditiert, verschlissen und korrupt, nur hoffnungslose Nostalgiker weinten ihr Tränen nach.

Nach den dramatischen Erfahrungen mit rechten, linken und anti-europäischen Populisten an der Macht, die das Land um ein Haar ruiniert hätten, hat sich die Sichtweise inzwischen dramatisch verändert: In Italien werden Wahlen heute wieder in der politischen Mitte entschieden. Tajani hat das erkannt und sich als Kandidat für ein „Remake“ der DC ins Spiel gebracht. „Er mag der politische Anführer von morgen sein, den keiner hat kommen sehen“, schrieb das liberale Blatt „Il Riformista“, das seit ein paar Monaten von Ex-Premier Matteo Renzi herausgegeben wird. Dem sozial-liberalen Renzi selbst wird nachgesagt, mit der post-Berlusconi Forza Italia politisch zu flirten. Schon gibt es von dort Angebote an seine Kleinpartei „Italia Viva“, sich zusammenzuschließen.

Die allgemeine politische Konstellation scheint günstig: Alle ernsthaften politischen Versuche, ein gemäßigtes politisches Zentrum quasi als dritte Kraft zwischen den Blöcken links und rechts zu etablieren, scheiterten entweder an persönlichen Zwistigkeiten oder am Dilettantismus der Hauptakteure. So verteilen sich die Christdemokraten in der italienischen Politik heute auf mehrere Parteien. Viele der aktuellen und früheren Politpromis verbindet eine gemeinsame Sozialisierung in den katholischen Jugendbewegungen und Laienverbänden: Das gilt etwa für alle vier Ex-Premiers Mario Draghi, Paolo Gentiloni, Matteo Renzi oder Enrico Letta – aber auch für den amtierenden Verteidigungsminister Guido Crosetto und Europaminister Raffaele Fitto von den Fratelli d‘Italia sowie für Mario Mantovani, Melonis engstem Berater. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Sie alle kann man ungeachtet ihrer gegenwärtigen Parteizugehörigkeiten als christdemokratische Politiker definieren.

 

Rolle der katholischen Wählerschaft

Auch innerhalb der katholischen Bischofskonferenz gibt es neuerdings den Willen, sich wieder stärker in die Tagespolitik einzumischen und Orientierung zu geben. In den vergangenen zehn Jahren hatten sich Klerus und Laienbewegungen Italiens auf Betreiben von Papst Franziskus weitgehend aus dem politischen Tagesgeschäft herausgehalten, von wichtigen ethischen Fragen und dem komplexen Thema Migration einmal abgesehen. Diese Strategie betrachtet man heute im Vatikan mit Blick auf die politischen Wechselbäder der vergangenen Jahre als gescheitert.

Zwar sind auch die katholisch gesinnten Wählerinnen und Wähler in Italien kein hermetisch geschlossener Block; und doch fühlen sich viele politisch interessierte Katholiken seit Jahren politisch heimatlos und sehen ihre Belange übergangen: Der sozialdemokratische „Partito Democratico“ gesellschaftspolitisch zu progressiv, der sozial-liberale „Terzo Pol“ zu laizistisch, die bürgerlich-konservative „Forza Italia“ zu korrupt, die rechtskonservative Lega zu populistisch, die linke Fünf-Sterne-Bewegung zu antiklerikal. Da schien vielen Wählern die konservative Ausrichtung der Fratelli d‘Italia durchaus attraktiv. Wie man aus den Wahlanalysen heute weiß, trugen wertkonservativ-orientierte Katholiken erheblich zum Wahlerfolg Giorgia Melonis im Herbst 2022 bei. Entsprechend umgarnt die Premierministerin heute die Kirche, zeigt sich gerne an der Seite von Papst und Kardinälen.

 

Meloni als wahre Erbin Berlusconis?

Für das DC-Urgestein, den ehemaligen Parlamentspräsidenten und Europa-Experten Pier Fernando Cassini, ist es schon jetzt klar: „Giorgia Meloni ist bereits jetzt die Erbin Berlusconis.“ Die geschickte Strategin werde alles dafür tun, mit ihren Fratelli d‘Italia zur neuen, großen bürgerlichen Volkspartei in der Tradition der Christdemokraten zu werden. Erkennbar ist, dass Meloni spätestens im Amt der Premierministerin begonnen hat, ihre Partei vom rechten Rand in Richtung Mitte zu schieben und auf diese Weise auch für bürgerliche Wähler attraktiv zu werden. Begünstigt wird ihre Strategie durch den Niedergang der rechtspopulistischen Lega auf nationaler Ebene: Die Partei von Matteo Salvini ist auf ihre frühere Größe geschrumpft und findet gegenwärtig nur noch bei knapp 10 Prozent der Italiener Zuspruch. Für Forza Italia sieht es noch düsterer aus: gerade einmal sieben bis acht Prozent der Bürger würden derzeit, so Demoskopen, der Partei ihre Stimme geben. Sollte Melonis Plan aufgehen, würde das zum Scheitern von Tajanis Projekt einer neuen, christlich-demokratischen „Forza Italia“ führen und deren schleichenden Tod zur Folge haben. Fest steht: Italiens Parteienlandschaft ist nach dem Tod Berlusconis weiter in Bewegung und wird sich mit Blick auf die Europawahlen im Juni 2024 weiter verändern.

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Dr. Nino Galetti

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