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Imago / ZUMA Wire

Reportage sui paesi

Roms Perspektive auf den Gaza-Krieg

di Michael Feth, Dr. Nino Galetti

Diplomatischer Drahtseilakt diesseits und jenseits des Tibers

Der Gaza-Krieg stellt in Rom zwei Machtzentren vor ein Dilemma: Die Regierung von Premierministerin Giorgia Meloni befindet sich mit ihrer eindeutigen Parteinahme für Israel erstmals seit Amtsantritt nicht im Einklang mit der Mehrheit der Gesellschaft. Dort wachsen, je länger die israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen fortdauern und sich die humanitäre Lage weiter verschärft, die Sympathien für die palästinensische Seite. Der Heilige Stuhl, der sich traditionell als Schutzherr der arabischen Christen und Hüter der biblischen Stätten versteht, geht hingegen immer mehr auf Distanz zur Regierung Netanjahu. Das allerdings hat tiefere Gründe. Die schwierige Gemengelage im Heiligen Land stellt beide Seiten vor Herausforderungen. Eine Analyse.

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Es war Giorgia Meloni, die umgehend reagierte und die Staats- und Regierungschefs der G7-Länder zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenrief, als der iranische Raketenhagel am 13. April 2024 auf Israel herabprasselte. Italien führt gegenwärtig den Vorsitz der Runde. Kein Zaudern, kein Zögern, keine Zwischentöne waren bei der klaren und scharfen Verurteilung Teherans aus Rom zu vernehmen. Die Rechts-Regierung am Tiber steht ohne Vorbehalte an Israels Seite.

Das war nicht unbedingt so zu erwarten, als das nationalkonservative Bündnis aus Fratelli d‘ Italia, Lega und Forza Italia im Herbst 2022 die Macht übernommen hatte. Haben die Fratelli d’Italia nicht neofaschistische Wurzeln? Ist Lega-Chef Salvini nicht ein Gesinnungsgenosse der rechtsextremistischen AfD? Besonders in Deutschland wurde man nicht müde, der neuen Regierungschefin und ihren Kabinettsmitgliedern ein klares Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und eine ebenso klare Verurteilung der Shoah abzufordern. Das ist inzwischen kein Thema mehr. Warum hat sich die Wahrnehmung verändert? Dieser Frage muss man nachgehen, wenn man wissen will, warum ausgerechnet Italiens Regierung heute neben den USA und Deutschland einer der engsten Verbündeten Israels ist, und warum das diplomatisch eine Kehrtwende zur römischen Außenpolitik der letzten Jahrzehnte darstellt.

Um in der Europäischen Union anschlussfähig zu werden, wusste Giorgia Meloni ganz genau, dass sie die zumindest verschwommene Haltung ihrer Partei zur Ära des Faschismus, den Rassegesetzen Mussolinis, der Judenverfolgung in Italien wie auch eventuelle Unklarheiten gegenüber dem Existenzrecht des jüdischen Staates klären musste. Ohne eine fällige Kurskorrektur wäre sie dauerhaft bei ihrem politischen Projekt, Italiens Einfluss in der Europäischen Union zu stärken, mit einer schweren Hypothek belastet gewesen. Auf keinen Fall wollte Meloni zu einer isolierten Randfigur wie etwa Ungarns Premierminister Victor Orban werden, sondern – im Gegenteil – eine Schrittmacherin auf dem Brüsseler Parkett.

Sie selbst identifizierte diese offene Flanke und begann mit dem Kursschwenk bereits im Wahlkampf 2022, als sich für sie die reale Chance abzuzeichnen begann, Italiens neue Regierungschefin zu werden. Um ihr Image aufzuwerten, verurteilte sie zunächst bei mehreren Gelegenheiten die Rassegesetze Mussolinis und die darauffolgenden Deportationen von Italienern jüdischen Glaubens als „absoluten Tiefpunkt in Italiens Geschichte“, der sich niemals wiederholen durfte. Den „Nazifaschismus“, wie man in Italien die Zusammenarbeit zwischen dem Regime Mussolinis und Hitlers in Abgrenzung zum Faschismus der 1920er und der frühen 1930er Jahre nennt, sei für sie „das Angesicht menschlicher Schlechtigkeit“. Mit der Shoah habe „die Menschheit in den Abgrund der Hölle geblickt“. Derartige Zitate ließen sich fortsetzen.

Nur wenige Tage nach ihrer Wahl zur Regierungschefin besuchte Meloni die Hauptsynagoge in Rom. Meloni sprach bei mehreren Reden vom Antisemitismus als „Pest, die es auszurotten gelte“. Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 war sie eine der ersten ausländischen Regierungschefs, die Jerusalem einen Solidaritätsbesuch abstatteten und sich von den Gräueltaten der Terroristen persönlich ein Bild machten. In Rom traf sie mehrmals Angehörige der von der Hamas verschleppten Geiseln und schämte sich dabei ihrer persönlichen Emotionen nicht.

Etwas schwieriger gestaltet es sich mit ein paar Hintersassen der eigenen Partei, die der Vergangenheit verhaftet scheinen, wie etwa der Mitbegründer ihrer Fratelli d‘Italia und heutige Senatspräsident Ignazio La Russa, der zuhause eine Sammlung von Mussolini-Büsten beherbergt. Aber auch der protokollarisch zweithöchste Mann im Staate hat sich mittlerweile von der Vergangenheit distanziert. Eine seiner ersten offiziellen Auslandsreisen führte ihn nach Israel. Bei einer Gedenkveranstaltung Im Januar 2024 in Mailand bezeichnete er den Holocaust als Inkarnation des „absolut Bösen überhaupt“, der sich niemals wiederholen dürfe. Bei Gedenkveranstaltungen zeigte er sich häufig an der Seite von Liliana Segre, Holocaust-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit, die in Italien als große moralische Autorität gilt.

Ist die Haltung von Meloni ehrlich oder opportunistisch?

 

Ist die Haltung von Meloni und ihrem Spitzenpersonal ehrlich oder opportunistisch?

Diese Frage stellen sich in Rom viele Beobachter, doch zählen die Fakten. Seit der Übernahme der Regierung im Herbst 2022 gehört das Bekenntnis zum Schutz jüdischer Bürger und Einrichtungen in Italien, zum Existenzrecht Israels und die enge Partnerschaft mit Israel zur politischen Linie Melonis. Und genau mit dieser klaren Linie steht sie nun paradoxerweise im Gegensatz zur Mehrheit der Italiener.

Seit mehreren Wochen kommt es in den italienischen Metropolen und Universitätsstädten zu teils militanten Demonstrationen und Protestaktionen von Studenten, engagierten Bürgern, Menschenrechtsorganisationen und propalästinensischen Gruppen, die Israels massives militärisches Vorgehen in Gaza anprangern und heftige Kritik an der pro-israelischen Parteinahme Roms üben. Dabei kam es teilweise auch zu gewalttätigen antisemitischen Ausschreitungen, gegen welche die Polizeikräfte auf Anweisung des Innenministeriums mit aller Härte vorgingen. Ausgerechnet von den politischen Gruppierungen links der Mitte, etwa von Exponenten des sozialdemokratischen Partito Democratico und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, wurden die Sicherheitskräfte dafür kritisiert und teils diffamiert.

Man könnte all diese Vorkommnisse als lautstarken Protest kleiner Gruppen abtun, aber anhand von Meinungsumfragen und mit Blick auf die Berichterstattung der führenden Medien ist davon auszugehen, dass eine klare Mehrheit die Militäraktion Israels im Gaza-Krieg für überzogen und gegenüber der Zivilbevölkerung als inhuman hält und ein sofortiges Ende des Krieges fordert. Die Bilder von der Not in Gaza, das Leid von Frauen und Kindern und die schwierige Lage für die Hilfskräfte zeigen Wirkung. Besonders erbost war man in Italien über die Bombentreffer in der katholischen Pfarrkirche von Gaza während einer Andacht. Zwei Gläubige starben in den Trümmern. Die Sympathien für einen souveränen Staat Palästina dürften in den vergangenen Monaten unterm Strich gewachsen sein; der Imageschaden für Israel hingegen ist enorm. Das bedeutet, die offizielle Haltung der amtierenden Rechts-Regierung befindet sich nicht im Einklang mit der Einschätzung weiter Teile der Wählerschaft. Für Meloni könnte dieser Spagat, je länger er sich hinzieht, zu einem ernsten Problem werden, ähnlich etwa wie für US-Präsident Joe Biden im Hinblick auf den Wahltermin im November.

 

Vatikan übt vorsichtige Äquidistanz

Einen diplomatischen Drahtseilakt muss derzeit auch der Heilige Stuhl absolvieren. Am 9. Juni 2024 wird sich zum zehnten Mal eine ikonische Szene in den vatikanischen Gärten jähren: der damalige israelische Staatspräsident Shimon Peres, Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas und Papst Franziskus pflanzen gemeinsam einen Ölbaum und beten interkonfessionell für den Frieden im Heiligen Land. Heute scheint die Szene Lichtjahre entfernt. Franziskus mag sich wehmütig daran erinnern, wenn er jeden Tag, wie er versichert, für den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern betet. Er hoffe, dass sich für beide Völker bald ein Ausweg aus dem Leiden auftue.

Der Pontifex versucht mit derartigen Formulierungen, eine vorsichtige Äquidistanz zur Regierung Netanjahu und zur palästinensischen Zivilbevölkerung zu halten. Schon 2013 hatte der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen mit der Autonomiebehörde im Westjordanland aufgenommen und damit die völkerrechtliche Anerkennung des Palästinenser-Staates vollzogen. Nach dem 7. Oktober 2023 hat Franziskus mehrmals Angehörige der von der Hamas entführten Geiseln empfangen und ihnen Trost und Unterstützung versprochen. Hinter den Kulissen ist auch der Vatikan in die Bemühungen um eine Freilassung eingebunden. Dass es bisher nicht zu einem Geiselaustausch gekommen ist, schreibt man in der Kurie der kompromisslosen Haltung der Regierung Netanjahu zu. Mit der waren die Beziehungen bereits vor dem Terrorüberfall angespannt. Dabei geht es um verschiedene Aspekte der christlichen Präsenz im Heiligen Land sowie den Status von Jerusalem, die die Verantwortlichen im Vatikan umtreiben.

 

Sorge um christliche Präsenz im Heiligen Land

Einer der Protagonisten vor Ort ist der lateinische Patriarch von Jerusalem, der aus Italien stammende Kardinal Pierbattista Pizzaballa; ein Franziskaner, der schon seit 34 Jahren im Heiligen Land lebt und zuvor „Kustos der heiligen Stätten“ war. Er wird in Rom unter die „Papabili“ gezählt, die möglichen Papst-Nachfolger. Nach dem Massaker der Hamas bot er sich selbst zum Austausch für die verschleppten israelischen Geiseln an. Er unterstreicht stets aufs Neue die einzigartige Bedeutung Jerusalems für die Christen – als historischer Ort der Heilsgeschichte. Die Heilige Stadt sei nur komplett durch die Präsenz und das Mit- und Nebeneinander der drei abrahamitischen Weltreligionen. Jerusalem sei eben nicht das Zentrum allein des Judentums. Wenn eine oder zwei Religionen fehlten oder ausgeklammert würden oder wenn eine Religion auf Kosten oder zu Lasten der anderen Vorteile für sich in Anspruch nehme und durchsetze, so folgert Pizzaballa in einem seiner jüngsten Interviews, sei Jerusalem nicht mehr die Heilige Stadt. Es gehe dabei nicht um eine Internationalisierung Jerusalems, sondern um seine Universalität, stellt der Kardinal klar. Die Christen seien seit jeher Bürger Jerusalems und nicht nur willkommene Gäste. Er betont, dass Religion und Politik hier eng, ja untrennbar miteinander verflochten seien. Religiöse Vorgänge und Maßnahmen hätten immer auch eine politische Dimension.

Genauso ringt der Patriarch um die christliche Präsenz im Heiligen Land; abgesehen von Zugereisten besteht die immer kleiner werdende Herde der Gläubigen fast ausschließlich aus arabischen Christen, zu deren Schutz sich der Vatikan berufen fühlt. Durch den Krieg fürchtet man, dass auch noch die letzten Christen das Heilige Land verlassen. Beispiel Bethlehem: In der Geburtsstadt Jesu stellten die arabischen Christen früher die große Mehrheit der Bevölkerung, heute sind sie zu einer kleinen Minderheit geschrumpft. Es ist ein schleichender Exodus, der nicht erst mit dem Krieg begonnen hat. Die Präsenz der Christen wird zunehmend durch militante, ultraorthodoxe Gruppen bedroht. Ein enger Mitarbeiter des Patriarchats sieht es so: „Nicht nur in Jerusalem sehen wir Bedrohungen des christlichen Lebens durch politische Entscheidungen der israelischen Regierung, die extreme Siedlerorganisationen und die Tempelberg-Bewegung unterstützt, welche die christliche, muslimische und palästinensische Präsenz gefährden und den Charakter des Landes erheblich verändern“. Das führt zu großer Unruhe und Sorge, so der Anwalt des Patriarchats für Landstreitigkeiten in Ostjerusalem, der bereits mehrere Fälle vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt hat. Und selbst tätliche Attacken auf Priester und Ordensleute nehmen zu, wie der Vatikan immer wieder moniert.

Diese komplexe Gemengelage mag erklären, warum man beim Vatikan sicher nicht von einer „uneingeschränkten Solidarität“ mit Israel sprechen kann. Solidarisch zeige man sich, so die Linie der vatikanischen Diplomaten, mit den leidenden Menschen in ihrer Not, egal welchen Glaubens oder welcher Staatsangehörigkeit – nicht aber mit Regierungen und ihrer jeweiligen Politik. Patriarch Pizzaballa fordert daher ein völliges Umdenken für die Zukunft. Man könne nicht mehr so weitermachen wie bisher: „In diesem Land haben in der Vergangenheit Mutige den politischen Weg des Friedens versucht. Aber es waren immer Versuche, die von oben nach unten verliefen: Vereinbarungen, Verhandlungen, Kompromisse. Sie sind alle kläglich gescheitert. Denken Sie zum Beispiel an Oslo. Es ist also an der Zeit, die Richtung umzukehren und einen Weg einzuschlagen, der von unten nach oben führt. Es wird anstrengend sein, aber ich sehe keinen anderen Weg“. Zum Projekt zweier getrennter souveräner Staaten gebe es nur die schreckliche Alternative einer endlosen Fortsetzung des Krieges.

Und nicht nur das: Der iranische Raketenangriff auf Israel hat aus Sicht des Heiligen Stuhls der Welt drastisch vor Augen geführt, dass es jederzeit zu einem Flächenbrand im Nahen Osten kommen kann. Papst Franziskus warnt vor einem Spiel mit dem Feuer: „Ich appelliere dringend, jegliche Aktion einzustellen, die dazu geeignet ist, eine Spirale der Gewalt zu fördern und die Gefahr beinhaltet, den Konflikt im Nahen Osten in eine noch größere militärische Auseinandersetzung hineinzuziehen“, so die Mahnung des Pontifex bei einer Audienz Ende April.

Man kann davon ausgehen, dass die Kurie die Botschaft auch direkt an Teheran übermittelt hat. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden sind niemals abgerissen. Denn im Vatikan weiß man: Im Sinne des Schutzes der Christen im gesamten Nahen und Mittleren Osten wie auch einer Lösung der Palästinenserfrage geht am Mullah-Regime bis auf weiteres kein Weg vorbei. Franziskus appelliert an alle Seiten: „Niemand hat das Recht, dem anderen das Existenzrecht abzusprechen. Alle Nationen sollten sich auf die Seite des Friedens stellen und Palästinenser und Israelis dazu ermutigen, in zwei Staaten in Sicherheit nebeneinander zu leben.“ Dies sei das Recht beider Völker.

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Dr. Nino Galetti

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