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Die Welthandelsorganisation (WTO) – reformbedürftig, aber unverzichtbar

Neue Dynamik der WTO in schwieriger globaler Großwetterlage

Die WTO ist ein zentrales Instrument zur Förderung des regelbasierten Handels. Trotz widriger Umstände gelangen bei der Ministerkonferenz im Juni 2022 einige unerwartete Erfolge. Um auf Dauer zukunftsfähig zu sein und eine Rolle bei der Bewältigung neuer Herausforderungen zu spielen, bedarf sie jedoch einer umfassenden Reform. Der EU kommt eine entscheidende Rolle zu, dieses Gelegenheitsfenster zu nutzen.

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Ziel der Welthandelsorganisation (WTO) ist die Förderung regelbasierten Handels und die Senkung bzw. Abschaffung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen. Dies erfolgt durch Vereinbarung und Überwachung multilateraler Handelsregeln, die Herstellung von Transparenz über die Handelspraktiken ihrer Mitglieder und durch Schlichtung von Handelsstreitigkeiten. Trotz ihres Reformbedarfs bleibt die WTO eine zentrale Organisation zur Sicherung von Wohlstand und ein wichtiges Instrument für das Verfolgen einiger Ziele der Agenda 2030.

 

Washington fordert umfassende Reform der Berufungsinstanz

Seit 2019 blockieren die USA die Nachnominierung von Mitgliedern für die WTO-Berufungsinstanz, der sie eine zu weite Auslegung ihres Mandats vorwerfen. Damit ist ein zentraler Pfeiler der WTO, ihr Streitschlichtungsmechanismus, schwer beschädigt. Auch unter der Präsidentschaft Joe Bidens fordert Washington nicht nur eine umfassende Reform der Berufungsinstanz, sondern auch anderer Regeln der WTO, um den Praktiken und der Subventionspolitik nicht-marktwirtschaftlich orientierter Mitgliedstaaten – u. a. Chinas – entgegenzutreten. Weiterer Kritikpunkt: Um von Sonderregelungen zu profitieren, deklarieren sich viele Länder als Entwicklungsland, obwohl sie diesem Status längst entwachsen seien. Auch andere WTO-Mitglieder (darunter die EU) teilen einige dieser Kritikpunkte. Ein konsensfähiger Reformvorschlag liegt bislang jedoch nicht vor.

 

Mehrwert trotz angespannter geopolitischer Lage verdeutlicht

Dennoch hat die WTO zuletzt ihren Mehrwert verdeutlicht: Während der Corona-Pandemie deckte sie protektionistische Maßnahmen ihrer Mitglieder auf und trug dazu bei, essentielle Lieferketten für Nahrungsmittel und medizinische Produkte aufrechtzuerhalten. Unter der Führung ihrer Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala erzielte sie bei ihrer 12. Ministerkonferenz im Juni – trotz angespannter geopolitischer Lage – mehrere Durchbrüche: Ihre Mitglieder einigten sich nach 21(!) Jahren Verhandlung auf Maßnahmen zum Abbau schädlicher Fischereisubventionen – ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Überfischung. In letzter Sekunde gelang es, das Moratorium für Zölle auf elektronische Übertragungen zu verlängern.

 

Schwerwiegende Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit durch konfrontativen Kurs 

Trotzdem stehen viele Kontroversen an: Protektionistische Strömungen bleiben stark, u. a. bei Diskussionen über Landwirtschaft und öffentliche Vorratshaltung, was schwerwiegende Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit haben kann. Auch bei der Diskussion über die Aussetzung des Patentschutzes für Corona-Medikamente und Diagnostika fahren Indien und Südafrika einen gegenüber der EU sehr konfrontativen Kurs und geben vor, Sprachrohr der Entwicklungsländer zu sein. 

 

WTO bleibt zur Verhinderung neuer Protektionismus-Spiralen wichtig

Dennoch bleibt die WTO wichtig: Sie ist Hüterin eines beachtlichen Regelwerks und von zentraler Bedeutung zur Verhinderung neuer Protektionismus-Spiralen. Den gesamten Mehrwert der WTO würden Staaten, Unternehmen und Bürger erst wahrnehmen, wenn sie nicht mehr da wäre. Ein Beispiel dafür ist das Moratorium für Zölle auf elektronische Übertragungen. Dessen Abschaffung hätte massive Folgen für Nutzerinnen und Nutzer sowie Unternehmen und würde weltweit für Planungsunsicherheit sorgen. Die Haupt-Leidtragenden wären kleine und mittlere Unternehmen, die auf den freien internationalen Datenverkehr (z. B. Datenbanken, digitale Dienstleistungen) angewiesen sind.

 

Zunehmend spielen Nachhaltigkeitsthemen eine wachsende Rolle

Angesichts der Schwierigkeit, zwischen allen Staaten Konsens zu erzielen, sieht eine zunehmende Anzahl von WTO-Mitgliedern die WTO künftig als Plattform für Koalitionen der Willigen, so genannte plurilaterale Vereinbarungen, zwischen ihren Mitgliedern. Zunehmend spielen im Rahmen der WTO Nachhaltigkeitsthemen eine wachsende Rolle, wie Diskussionen zu Plastikverschmutzung oder zum Abbau von Subventionen für fossile Brennstoffe zeigen.

 

Die EU sollte politische Führung für Reform der Berufungsinstanz übernehmen

Derzeit gibt es ein kleines Gelegenheitsfenster für eine (Teil-)Reform der WTO. Da sowohl die EU als auch Deutschland starke Nutzer der Streitbeilegungsfunktion der WTO sind, sollten sie politische Führung für eine Reform der Berufungsinstanz und damit des Streitbeilegungsmechanismus übernehmen. Die Durchsetzung eigener Interessen hängt auch von der Partnerfähigkeit ab. Oftmals ist das Mittun bei pluri- oder multilateralen Vereinbarungen eine Frage personeller und fachlicher Kapazitäten. Berlin und Brüssel sollten daher den Kapazitätsaufbau für kleine und mittlere Länder mit ähnlichen ordnungspolitischen Vorstellungen unterstützen. 

 

Bilateraler und multilateraler Parlamentarierdialog gefordert 

WTO-Streitthemen sollten auch im bilateralen und multilateralen Parlamentarierdialog angesprochen werden. Trotz der zähen Diskussionen bei der WTO sollten sich Akteure aus Wirtschaft und Industrie aktiv in die WTO einbringen: Viele der diskutierten Themen – sei es zum elektronischen Handel, sei es zu Nachhaltigkeit – werden sie im Positiven wie im Negativen unmittelbar betreffen. 

 

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Andrea Ellen Ostheimer

Andrea Ostheimer

Leiterin des Multilateralen Dialogs Genf

andrea.ostheimer@kas.de +41 79 318 9841
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Dr. Jan Cernicky

Dr. Jan Cernicky

Leiter der Abteilung Wirtschaft und Innovation

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