דוח אירועים
Am Abend des 9. November 1989 löste eine Falschmeldung eines der wichtigsten Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte, ja der Weltgeschichte aus. Während einer Pressekonferenz zum Verlauf einer Tagung des Zentralkomitees der SED (ZK) in Berlin verkündete Günter Schabowski, der Sprecher des ZK: „Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VP – der Volkspolizeikreisämter – in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen.“ Wenige Minuten später melden internationale Presseagenturen, dass die Ausreise aus der DDR ab sofort ohne besondere Beantragung möglich sei. Der Rest ist Geschichte: Noch in der gleichen Nacht stürmten Bürger der DDR die Grenzanlagen in Berlin und lösten damit die Ereignisse aus, die zum Ende des DDR-Regimes und ein Jahr später zur deutschen Wiedervereinigung führten.
Die Journalisten Sven Felix Kellerhoff und Lars-Broder Keil beschreiben in ihrem 2017 erschienenen Buch „Fake News machen Geschichte: Gerüchte und Falschmeldungen im 20. und 21. Jahrhundert“ den Mauerfall als eines von elf Beispielen für die Wirkungsweise von Falschmeldungen „im Spannungsfeld zwischen Politik, Medien und Öffentlichkeit“. Am 24. April wurde das Buch in einer Kooperationsveranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen vorgestellt und diskutiert. Dabei stand die Frage im Raum, ob das Phänomen der massenhaften Verbreitung von „Fake News“ wirklich eine neue Erscheinung ist oder nicht vielmehr im Kern altbekannt ist und aktuell bloß in neuem Gewand daherkommt. Was daran, so der Moderator des Abends, Dr. Jan-Philipp Wölbern (KAS), ist wirklich neu, was ein alter Hut?
„Fake News sind so alt wie die menschliche Kommunikation“, meinte der Mitautor des Buches, Sven Felix Kellerhoff. Bedeutend werden sie aber erst, wenn eine große Zahl von Menschen daran glaubt. In der Situation des 9. November 1989 sei dies der Fall gewesen, weil die innere Erosion der DDR bereits so weit fortgeschritten war, dass die Menschen sich die Maueröffnung vorstellen konnten. Dabei ist es eher selten, dass Falschmeldungen und Gerüchte zu positiven Ereignissen führen. Vielmehr gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass diese destabilisierend auf Gesellschaften wirken, das Leben einzelner Menschen massiv beeinträchtigen oder sogar Gewalt auslösen. Als Beispiel dafür verwies Kellerhoff auf die Behauptung von Mitgliedern der Gründergeneration der RAF, sie würden in Gefängnissen der Bundesrepublik „Isolationsfolter“ erleiden. Da die Behörden auf die Vorwürfe mit einer ungeschickten Informationspolitik reagierten und weil die Folterbehauptung auf einen „Resonanzraum“ in linksintellektuell geprägten Teilen der Öffentlichkeit in Deutschland und Europa stieß, kam es zu weiteren Gewalttaten und zur Formierung der Zweiten Generation der RAF. Schaut man auf die Fakten, so zeigt sich, dass der Vorwurf einer angeblichen Isolation jeglicher Grundlage entbehrte, denn die Häftlinge erhielten regelmäßige Besuche von Familienangehörigen und Anwälten. „Isolationsfolter gab es in Hohenschönhausen, nicht in Stammheim“, so Kellerhoff.
Lilo Fuchs, die Ehefrau des Schriftstellers und Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs musste zusammen mit ihrem Mann die DDR verlassen, nachdem dieser 1976 im Stasi-Gefängnis Berlin Hohenschönhausen inhaftiert und beide zu „Staatsfeinden“ erklärt worden waren. Nach ihrer zwangsweisen Übersiedelung nach West-Berlin war ihr Leben, wie Fuchs sehr eindrücklich schilderte, weiter überschattet von Zersetzungsmaßnahmen der Stasi. In Nachbarschaft und Freundkreis verbreitete sie gezielt Gerüchte, um die Familie Fuchs zu diskreditieren und ihre private und berufliche Existenz zu zerstören. Bei der Stasi war eine ganze Abteilung damit beauftragt, falsche oder verfälschte Nachrichten über „Regimegegner“ im In- und Ausland zu verbreiten, erklärte Dr. Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Solche Fake News müssten nicht von allen geglaubt werden, es reiche schon, wenn sie Zweifel auslösen. Um zu verstehen, welche politischen Folgen das gezielte Verbreiten von Gerüchten und falschen Behauptungen habe, sei kontinuierliche Bildungs- und Aufklärungsarbeit nötig. „Man muss immer wieder von vorne anfangen, die Menschen aufzuklären.“
Die anschließende Diskussion mit den Journalisten Hans-Ulrich Jörges und Karolin Schwarz drehte sich um aktuelle politische Ereignisse, bei denen versucht wurde, durch die Verbreitung von Fake News in Sozialen Medien und Internetplattformen Prozesse demokratischer Willensbildung zu beeinflussen, etwa im französischen und im US-Präsidentschaftswahlkampf. Als Mittel dagegen empfahl Jörges „Faktentreue und Unabhängigkeit als oberstes Gebot des Journalismus“. Bewusste Falschmeldungen und Gerüchte habe es zwar stets gegeben, heute habe man es jedoch, bedingt durch die technischen Möglichkeiten der immer schnelleren und gezielteren Verbreitung von Daten im Internet, mit einer „neuen Qualität“ von Fake News zu tun. Eine Kontroverse entzündete sich an der Frage, wie Journalisten mit Situationen umgehen sollten, in denen die Faktenlage unübersichtlich ist: Zweifel und Sichtweisen, die nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen, müssten artikuliert werden können, sagte Hans-Ulrich Jörges, sonst könne man „die freien Medien abschaffen“. Dr. Hubertus Knabe wies demgegenüber darauf hin, dass die Medien jedoch nicht an der Verbreitung von Verschwörungstheorien, der Vermischung von Fakten und Unwahrheiten und schiefen Gewichtungen mitwirken dürften. Damit würden sie denjenigen Vorschub leisten, die mit Fake News politische Debatten in ihrem Sinne beeinflussen wollten.
Da die politische Willensbildung in liberal und demokratisch verfassten Staaten wesentlich vom Informationsstand und Bildungsstand der Bürger abhängt, wird es eine zentrale Aufgabe der politischen Bildung und des Journalismus sein, die Standards der eigenen Arbeit weiter kritisch zu hinterfragen und am Anspruch auf den Wahrheitsgehalt von Informationen im Sinne von Überprüfbarkeit festzuhalten.
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