Am 7. Oktober 2020 lud die Konrad- Adenauer- Stiftung zu einer Abendveranstaltung zu dem Thema ,, Polen – Ein Rechtsstaat in Gefahr" ein. Nach der Begrüßung von Manuel Ley, der für diesen Abend die Moderation übernahm, folgte ein Vortrag von Dr. Kamil Marcinkieweicz.
Er erläuterte in seinem Vortrag das Parteiensystem und das Wählerverhalten in Polen, sowie die politische Geschichte, wie die liberalen Transformationsprozesse in den 1990er Jahren. Daraufhin folgte eine Diskussionsrunde mit unseren Referenten Dr. Kamil Macinkiewicz und Mareike zum Felde. Anknüpftend an dem Vortrag begann diese mit den 1980er Jahren, welche den Übergang vom Sozalismus zum Kapitalismus darstellten. Danach wurde über die Transformation nach 1989 und die Umwandlung des sozialistischen Systems in eine Marktwirtschaft nach US-amerikanischem Vorbild auf – mit vielen Freiheiten für die Unternehmen und wenig staatlicher Regulierung, keine "soziale Marktwirtschaft" nach deutschem Vorbild. Dabei betonten die Referenten, dass das liberale Transformationsprojekt, das mit hohen und in manchen Regionen wirklich sehr hohen sozialen Kosten einherging, bereits in den 1990er Jahren kritisiert wurde.
Weiteres Thema waren die Umgestaltung der PiS Regierung unter Führung von Herrn Kazcinksi. Patriotismus. Vaterlandsliebe und Fragen der polnischen Identität waren jahrzehntelang kein Bestandteil einer aktiven Politik in Polen: In den 1990er-Jahren ging es vor allem um den wirtschaftlichen Aufbau des Landes. Danach wurde zunehmend der EU-Beitritt wichtig. Ein europäisches "Wir-Gefühl" überlagerte die polnische, nationale Identität. Die politischen Vorgänger der heutigen Opposition hielten Patriotismus für etwas Überkommenes. Dabei hatten viele Polen durchaus ein starkes Bedürfnis nach einem "Wir-Gefühl" oder etwas Nationalstolz. Dieses nutze die Regierung um einen Wandel im natioalen Narrativ vorzunehmen. Dafür werden die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten personel und das Schulsystem mit einer großen Reform umstrukturiert, sodass die Polen ein neues nationales Identitätsgefühl bekommen.
Weiteres zentrales Thema war die Justizreform der PiS Regierung. Direkt nach den Parlamentswahlen 2015, aus denen die Partei mit einer absoluten Mehrheit im Sejm, dem polnischen Parlament, hervorgegangen ist, attackierte sie den Verfassungsgerichtshof – die Institution, die die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze kontrollieren soll. Zur Wahrheit gehört aber auch, so Dr. Marcinkiewicz: Die zuvor regierende Koalition aus liberalkonservativer Bürgerplattform und Bauernpartei hatte einen Fehler gemacht. Sie wollte den auslaufenden Amtszeiten von fünf Richtern vorgreifen und noch in ihrer eigenen Legislaturperiode Nachfolger bestimmen, um die Personalentscheidung politisch beeinflussen zu können. Nur drei dieser Entscheidungen waren, wie sich später herausstellte, im Einklang mit der Verfassung. Staatspräsident Andrzej Duda weigerte sich, die Ernannten zu vereidigen. Die PiS ernannte ihre eigenen Verfassungsrichter, die wiederum von den Altkollegen nicht zur Rechtssprechung zugelassen wurden. Am Obersten Gericht sollten Richter plötzlich nicht mehr bis zum 70. Lebensjahr amtieren, sondern mit 65 abtreten. Eine willkürliche Altersgrenze mit Folgen: Die EU-Kommission leitete ein dreistufiges Sanktionsverfahren gegen Polen ein, das noch immer läuft. Theoretisch könnte das Land dabei seine Stimmrechte auf EU-Ebene verlieren. Weil dies aber alle Mitgliedsstaaten einstimmig beschließen müssten, gilt es als unwahrscheinlich. Ungarn hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Polen nicht mitzutragen. Allerdings hat das harte Auftreten der EU Polen ein Stück weit zum Einlenken bewegt: Die Altersgrenze wurde zurückgenommen, die Richter arbeiten weiter. PiS-nahe Richter bestimmen das Geschehen. Inzwischen wird das Verfassungsgericht von PiS-nahen Richtern dominiert. Anträge werden chronologisch nach ihrem Eingang geprüft, nicht nach Relevanz. Der Justizminister fungiert in Personalunion als Generalstaatsanwalt. Er kann Gerichtsvorsitzende ohne Rücksprache mit dem Landesjustizrat abberufen. Er kann Richtern ein höheres Gehalt gewähren. Die Richter im Landesjustizrat werden nun nicht mehr von anderen Richtern ernannt, sondern mit einer Dreifünftelmehrheit im Parlament bestimmt – eine unzulässige Politisierung, wie etwa die Venedig-Kommission der EU befand. Staatspräsident und Justizminister können Disziplinarverfahren gegen Richter einleiten - dies hat die EU-Kommission Anfang Oktober veranlasst, Polen vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Der Schritt, so die Begründung, untergrabe die Unabhängigkeit der Richter. Justiz und Regierung verschränken sich miteinander, statt voneinander unabhängige Instanzen zu sein. Wer dagegen vorgehen will, scheitert an den linientreuen Richtern, so die Referenten der Diskussion. Weiteres Thema war die Spaltung der polnischen Gesellschaft in Ost und West, Stadt und Land, Jung und Alt. Dies führt zu einer Zweiteilung des Landes, welche durch die aktuelle Regierung gefördert wird.
Die Diskussion fand unter reger Beteiligung des Publikums statt.
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Hermann-Ehlers-Bildungsforum Weser-Ems
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