Lehren und Lernen neu denken – ist dieser Anspruch an eine öffentliche Debatte im 90-Minuten Format nicht doch zu hoch gegriffen? Es ging natürlich nicht darum, die Schule von Grund auf neu zu erfinden. Ebenso wenig aber sollte es darum gehen, ein weiteres Mal die bekannten Defizite zu benennen und die Verantwortung an jene weiterzuleiten, die nicht im Raum saßen, die kommunalen Träger, die Schulaufsichten und die Bildungsministerien. Der Blick sollte durch die Debatte vielmehr geweitet und auf die Rolle der Schule als Bildungs-, Ermöglichungs- und Befähigungsagentur gerichtet werden. Wie muss Schule sozial organisiert und architektonisch gebaut sein, um diesen Auftrag zu erfüllen? Wie muss die Schule von den kommunalen und privaten Trägern gedacht, konzipiert und ausgerüstet werden und was müssen Lehrerinnen und Lehrer in fachlicher und methodischer Hinsicht, Stichwort digitale und pädagogische Kompetenzen, aber auch mit Blick auf die Vernetzung zwischen Schülern, Kollegen und außerschulischen Akteuren eigentlich an Kompetenzen mitbringen? Reichen die aktuellen Fähigkeiten für eine im Wandel befindliche Schule aus?
Niemand hatte fertige Lösungen erwartet. Der Austausch über Ideen und mit der Politik in in Person von Jonathan Grunwald, Sprecher der unlängst im Landtag von Nordrhein-Westfalen eingerichteten Enquêtekommission „Chancengleichheit in der Bildung“, standen im Mittelpunkt. Er konzentrierte sich in seinem Grundsatzstatement denn auch auf eine Kernforderung an die Schule der Zukunft: Sie müsse sich zu einer Ermöglichungsinstanz wandeln und verband diese Überlegung mit fünf Bedingungen, die uns diesem Verständnis von Schule näher brächten.
- Mehr Chancengleichheit und soziale Durchlässigkeit, um auf unterschiedliche Befähigungen individueller reagieren zu können.
- Innovative Lernorte durch interaktionsfreundliche pädagogische Architektur. Schulen sollten als Leuchttürme Strahlkraft nach innen und außen entwickeln können.
- Mehr Autonomie der Schule, Stärkung ihrer Selbstorganisation und Vertrauen in das Wissen vor Ort sowie die Verwendung finanzieller Ressourcen.
- Stärkung der digitalen Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer sowie
- Fortbildungspflichten und Freiheit für kreative und individualisiertere Vernetzung zwischen Fächer, Themen und Lerngruppen.
Unterstützung fand der Bildungspolitiker bei der Wissenschaftlerin Maennig-Fortmann und dem stellvertretenden Schulleiter Bernd Ulrich Schaefer. Die Berliner Bildungsexpertin betonte, dass eine zunehmende Heterogenität der Schülerschaft und Komplexität auf der inhaltlichen (Unterricht) und organisatorischen Seite (Schule) alle Beteiligten – innerhalb und außerhalb der Schule – nur auf der Grundlage einer Kultur der gegenseitigen Wertschätzung gelinge.
Bernd Ulrich Schaefer wurde aus dem Publikum mit seinen Anregungen unterstützt, dass auch am Selbstverständnis von Lehrerinnen und Lehrern gearbeitet werden und Schule sich mehr am individualisierten Lernen und nicht am Lehren ausrichten müsse. Dazu sei auch die Abkehr von den architektonischen „Legebatterien“ der Schulräume eine wichtige Maßnahme. Aus Schulleitungssicht wurde auch darauf hingewiesen, dass die Digitalisierung organisatorische und soziale Prozesse funktionaler gestalten müsse, um das stärker am individualisierten Lernen orientierte Lehren zu entlasten. Denn zeitintensiver innovativer und individualisierter, mit anderen Fächern und Lerngruppen vernetzter Unterricht, so sekundierte ein Kollege, brauche Entlastung beim Lehrdeputat. Anders könne sich der Schulalltag nicht auf den Weg zur Schule der Zukunft machen.
Unter den weit über 60 der Diskussion folgenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren etwa die Hälfte Schülerinnen und Lehrerinnen der umliegenden Schulen anwesend. Sie wurden mit vorbereiteten Stellungnahmen aus Schülersicht auf das Podium gebeten und eingeladen, über ihre Erfahrungen, Wünsche und Anregungen zu berichten. Auch Schüler und Schülerinnen, die in ihrer Schule bereits verantwortliche Aufgaben übernommen haben, nahmen aktiv an der Diskussion teil. Kritisch wurde von ihrer Seite dabei angemerkt, dass die Vorstellungen des Podiums ihnen noch zu wenig erlebbar und operativ umsetzbar erschienen. Dass nicht jeder Wunsch an diesem Abend befriedigt werden konnte, ist angesichts eines ersten Aufbruchs und erster Schritte, "Lehren und Lernen neu zu denken“ nur zu verständlich. Wichtig war aber, dass ein lebendiger Dialog zwischen Schule und Politik entstand und Jonathan Grundwald sich im Anschluss der Veranstaltung viel Zeit für die kritischen Stimmen nahm und die Schülerinnen und Schüler zur Fortsetzung der Diskussion im Landtag und vor Ort ermunterte.
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