דוח אירועים
Unter dem Titel „Ein europäisch-jüdischer Blick auf das Israel von heute“ veranstaltete die KAS Israel zusammen mit dem Center for the Study of European Politics and Society (CSEPS) und dem Israel Council on Foreign Relations ein sehr gut besuchtes Seminar im Jerusalemer Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum. Die beiden in Paris lebenden Referenten Dr. Diana Pinto und Prof. Dominique Moïsi wurden von Michael Mertes, dem Leiter der KAS Israel, als „herausragende europäische Intellektuelle“ begrüßt. Der Direktor des CSEPS, Dr. Sharon Pardo, hob in seinen einleitenden Worten hervor, dass Juden „die ersten überzeugten Europäer“ gewesen seien – zu einer Zeit, als noch regionale und nationale Identitäten das Selbstverständnis der meisten Bewohner Europas geprägt hätten.
Diana Pinto, die 1996 mit ihrem vielbeachteten Essay „A new Jewish identity for post-1989 Europe“ das (Wieder-)Erstehen eines europäischen Judentums vorhergesagt hatte und von der soeben das Buch „Israël a déménagé“ erschienen ist, begann ihre Ausführungen mit der Frage, ob es angesichts der Pluralität des Judentums in Europa überhaupt einen gemeinsamen „europäisch-jüdischen Blick“ auf das Israel von heute geben könne.
In Europa habe sich jüdisches Leben nach der Shoah neu entfalten können, weil „das europäische ‚Nie wieder!’“ die einst ethnisch-religiös geprägten Identitäten, durch die die Juden in Europa als Fremde ausgegrenzt wurden, durch ein inklusives, auf dem Primat der Menschen- und Bürgerrechte fußendes Selbstverständnis ersetzt habe. Demgegenüber habe Israel – ebenfalls im Zeichen des „Nie wieder!“ – einen Weg eingeschlagen, der es paradoxerweise sowohl in die Enge ethnisch-religiöser Exklusion als auch in die Weltliga der Globalisierungsgewinner führe. Mit seinem religiös grundierten „Ethno-Nationalismus“ stehe das Israel von heute den ökonomisch erfolgreichsten Ländern Asiens näher als der säkular-postnationalen, unter der Euro-Krise ächzenden EU. Während der israelkritische Diskurs in Europa sich vor allem auf den Maßstab der Menschenrechte stütze, zählten zum Beispiel aus chinesischer Sicht allein Faktoren wie der Erfindergeist und die Wachstumsdynamik Israels.
In seinem Beitrag nahm Dominique Moïsi, von dem 2010 das international erfolgreiche Buch „The Geopolitics of Emotion: How Cultures of Fear, Humiliation, and Hope are Reshaping the World“ und 2011 das autobiographische Werk „Un Juif improbable“ erschienen sind, Bezug auf diese These. Israel solle sich keinen Illusionen hingeben: Die rund sechs Millionen israelischen Juden und die insgesamt 13,5 Millionen Juden weltweit wären „bloß eine statistische Fehlermarge“ in einer chinesischen oder indischen Volkszählung. In China werde Israel zwar als technologisch führende Nation geschätzt und bewundert, aber China werde keinen Finger rühren, sollte eines Tages die Existenz Israels auf dem Spiel stehen.
Moïsi kritisierte, dass bei den israelischen Eliten das Denken in den Kategorien langfristiger politischer Entwicklungen nur schwach ausgeprägt sei. „Israel ist europäischen Ursprungs, verliert aber mehr und mehr seinen europäischen Charakter.“ (Israel is of Europe, but it is becoming less and less European.) Er warne vor herablassenden Einstellungen gegenüber der europäisch-jüdischen Diaspora. „Israel ist der äußerste Westen, mit allen Stärken und Schwächen des Westens.“ (Israel is the ultimate West with its strengths and weaknesses.) Als Teil des Westens brauche Israel den Westen. Was bedeute es dann für Israel, wenn im Jahr 2050 nur noch zehn Prozent der Weltbevölkerung einer westlichen Nation angehören? Moïsi bezweifelte auch, ob man in Israel schon begriffen habe, dass mit dem „Arabischen Frühling“ ein revolutionärer Prozess begonnen habe, der sich noch über viele Jahre hinziehen werde. Im Blick auf das europäisch-israelische Verhältnis merkte er an, dass immer weniger Europäer sich von einem Schuldgefühl angesichts der Shoah leiten ließen – Deutschland sei die große Ausnahme.
In seinem Kommentar zu beiden Vorträgen betonte Dr. Laurence Weinbaum, Chefredakteur des vom Israel Council on Foreign Relations herausgegebenen Israel Journal of Foreign Affairs, die Hauptursachen der europäisch-israelischen Entfremdung lägen nicht in Israel, sondern in Europa. Die Europäer hätten kein Verständnis für die großen Bedrohungen der Sicherheit, ja der Existenz Israels. Viele Europäer täten so, als müssten die Israelis ihnen dankbar dafür sein, dass sie das Existenzrecht Israels anerkennen; das sei ungefähr so, als würde Israel das Existenzrecht Litauens anerkennen und dies als einen Akt besonderer Großmut gewürdigt wissen wollen. Im Übrigen messe Europa mit zweierlei Maß, wenn es Israel wegen der Verletzung ethischer Standards kritisiere, die die Europäer bis vor Kurzem mit Füßen getreten hätten.
Die anschließende Diskussion, kundig geleitet von Gisela Dachs, der Israel-Korrespondentin der Wochenzeitung Die Zeit, konzentrierte sich unter anderem auf die Frage, ob und wie die die Einwanderung von Muslimen nach Europa das europäisch-israelische Verhältnis beeinflussen werde. Während im Publikum eine skeptische Haltung zu überwiegen schien, betonten sowohl Diana Pinto als auch Dominique Moïsi, dass sie von der Integrationskraft Europas und der Integrationsbereitschaft der meisten europäischen Muslime überzeugt seien.
Nach zwei Stunden endete der offizielle Teil einer sehr intensiven Veranstaltung, die dank der zugespitzten Thesen beider Referenten lebhafte Diskussionen auch während des anschließenden Empfangs auszulösen vermochte und das Verständnis für die Komplexität des europäisch-israelischen Verhältnisses vertieft hat.