Die Konferenz wurde von Prof. Sharon Pardo, Vorsitzender des National Jean Monnet Centre of Excellence – Centre for the Study of European Politics and Society (CSEPS), und Dr. Michael Borchard, Leiter des Auslandsbüros Israel der Konrad-Adenauer-Stiftung, eröffnet. Beide Redner wiesen in ihrer Ansprache auf die umfassende Bedeutung des Themas hin. Prof. Sharon Pardo lenkte die Aufmerksamkeit zunächst auf die signifikant steigende Einwanderung aus Afrika und die sich somit weiter verschärfende humanitäre Krise im Mittelmeer. Im Hinblick auf die Bemühungen westlicher Staaten zur Reduzierung von Immigration unterstrich er darüber hinaus die Relevanz von fundierten Informationen für die Entscheidungsträger. Dr. Michael Borchard stellte insbesondere die Dringlichkeit sowie heutige Ansätze zum Umgang mit dem Thema heraus. Dabei machte er klar, dass Migration sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die Politik bereithält. Sodann spannte er mit Blick auf die gemeinsame Geschichte der beiden Kontinente eine Brücke zwischen Europa und Afrika und führte schließlich die Hauptredner Andrea Ostheimer und Dr. Marie Rodet ein.
Programm:
Dr. Marie Rodet, SOAS (London): (Re)Thinking African Migration from and Inter-sectional Perspective.
In ihrem Vortrag schlug Dr. Marie Rodet vor, die afrikanische Migration aus intersektionaler Perspektive neu zu betrachten. Zu Beginn arbeitete sie die Verbindung der beiden Studienfelder European und African Studies heraus, um einen multidisziplinären Ansatz herzuleiten. Nachdem Rodet betont hatte, dass die meiste Migration in Afrika auf Binnenmigration zurückzuführen sei, kritisierte sie den oft fehlenden Dialog zwischen den beiden Arbeitsfeldern und die bisher dürftige Forschung aus afrikanischer Sicht. Weiterhin hob sie den Wert der Analyse bisheriger Migrationsprozesse in der afrikanischen Geschichte für unser heutiges Verständnis der komplexen Natur der Prozesse hervor. Die hauptsächlich diskutierte illegale Wirtschaftsmigration lasse andere Migrationsakteure dabei unsichtbar scheinen. Allerdings, so Rodet, sei ein ausgeprägtes Verständnis aller Migrationsakteure für eine heterogene Perspektive auf afrikanische Migration von Bedeutung. Der referierte historische und intersektionale Ansatz trage in diesem Sinne zur Analyse des Netzwerks zwischen den Herkunfts- und Zielregionen bei. Nach dem Vortrag gab es für die Zuhörer Gelegenheit, Fragen an Dr. Rodet zu adressieren. Unter anderem wurde dabei die Frage aufgeworfen, ob die Perspektive afrikanischer Gesellschaften auf Migranten von jener europäischer Gesellschaften divergiert. Die Referentin erklärte daraufhin, dass die Definitionen von Migranten und Migration von Ort zu Ort sowie im Laufe der Zeit variieren. Aufgrund dieser Dynamik gebe es auch Differenzen zwischen afrikanischen und europäischen Definitionen.
Mrs. Andrea E. Ostheimer (Abteilungsleiterin Sub-Sahara Afrika, Konrad-Adenauer-Stiftung): Migration Flows from and within Sub-Saharan Africa. How Does Europe Cope and Assist?
Ostheimer leitete ihre Präsentation mit einigen Hintergrundinformationen über afrikanisch-europäische Beziehungen ein. Im weiteren Verlauf legte sie Voraussetzungen, Migrationstrends sowie Push- und Pullfaktoren dar. Aus afrikanischer Sicht werde Migration stets als Gelegenheit wahrgenommen, während das Thema in Europa als Sicherheitsfrage rezipiert werde. Daher sei es nur konsequent, erklärte Ostheimer, dass die EU auf die Etablierung einer stabilen und sicheren Migrationspolitik zielt. Regulierung suche die EU dabei insbesondere durch Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunftsländern. Afrikanische Politiker wollten in den meisten Fällen hingegen keine Verantwortung für die aktuelle Situation übernehmen. Außerdem verwies Ostheimer auf die Destabilisierung zahlreicher Regionen durch die Flüchtlingsströme, die eine Belastung für lokale Gemeinschaften darstellten. Im Anschluss an den Vortrag ergaben sich viele Fragen nach Ostheimers Erfahrung in Afrika. So schilderte sie u.a. die Herausforderungen bei der Implementierung von Projekten, die nach ihrer Einschätzung in der benötigten Zeit und fehlendem politischen Willen der afrikanischen Länder bestünden. Weiterhin sei die Fortführung der Projekte nach offizieller Beendigung problematisch. Für eine signifikante Verbesserung des Migrationsprozesses ist in Ostheimers Augen schließlich eine veritable Verbesserung der europäisch-afrikanischen Beziehung und Interaktion auf politischer Ebene unabdingbar.
Parallel stattfindende Paper-Panels
In den Konferenzpanels standen jedem Teilnehmer 10-15 Minuten zur Präsentation seiner Forschung zur Verfügung. Die restlichen Teilnehmer sowie der Vorsitzende konnten nach Abschluss der Präsentation Kommentare und Fragen in die Runde einbringen. Die vollständige Liste der Redner und Panels lassen sich dem Konferenzprogramm entnehmen. Im Folgenden haben wir eine kleine Auswahl der faszinierenden Studien, die im Laufe der Konferenz vorgestellt wurden, zusammengetragen.
Einwanderer und Gaststaaten
Vorsitz: Dr. Marie Rodet, SOAS (London)
Uri Rosenberg (Universität Tel-Aviv): Geopolitische Ungerechtigkeit, die Krankheit der westlichen Kultur, Erhalt der muslimischen Identität in Deutschland –Millî Görüş Beiträge über “den Westen” für Türken in Deutschland in den 1980‘ern.
Die Studie untersucht die Darstellung des Westens, wie sie in den 1980’er Jahren von der Gruppe Millî Görüş präsentiert wurde. Sie basiert auf einer Analyse der Zeitung Gazete, die sich an türkische Migranten in Deutschland richtete. Millî Görüş Ziel sei dabei gewesen, die Vision Atatürks zu modifizieren und die Türkei religiöser zu machen, so Rosenberg. So habe die Zeitung muslimische Opferrollen und Verschwörungstheorien, z.B. „antisemitischen Pazifismus“ im Sinne von Schuldzuweisungen an Juden für existierende Konflikte, stilisiert. Weiterhin förderte die Zeitung Einheit unter den Muslimen, Islamismus, muslimische Staaten und die Politisierung muslimischer Minderheiten. Die Idee einer Assimilierung der türkischen Migranten in Deutschland wurde hingegen abgelehnt. Zur gleichen Zeit beschrieb das Blatt das wachsende Interesse des Westens am Islam.
Marlous Von Waijenburg (Northwestern University): Is Africa Growing out of Poverty? How Comparative History Can Enrich Contemporary Development Debates.
Zu Beginn ihres Beitrages konstatierte Von Waijenburg trotz disziplinärer Zusammenhänge zwischen Ökonomie und Geschichte eine bemerkenswerte Zurückhaltung der Historiker in der “Armutsdebatte”. In der Folge legte sie dar, dass der wirtschaftliche Boom in Subsahara-Afrika Hoffnung auf die Schließung der Einkommenslücke zum Rest der Welt in den kommenden Jahrzehnten und die strukturelle ökonomische Befreiung der „bottom millions“ geweckt hat. In Ihrem Paper evaluierte Von Waijenburg die aktuellen Wachstumsraten aus einer langfristigen vergleichenden Perspektive mit besonderem Fokus auf relevanten Unterschieden und Analogien zum ökonomischen Wachstum von Ghana, Japan und Großbritannien – drei Pioniere des regionsspezifischen wirtschaftlichen Aufschwungs seit 1750. Auf dieser Grundlage, bemerkte die Referentin, seien die in der Entwicklungsdebatte dominierenden Zeitrelationen zu kurz, um tiefgreifenden Wandel in der afrikanischen Wirtschaft zu identifizieren.
Politik, Gesellschaft, Gesundheit
Vorsitz: Dr. Anat Rosental, Ben-Gurion Universität des Negev
Mr. Einav Levy (Vrije Universiteit Brussels): On Their Way- Medical and Communal Aspects of Migration from the Middle East and Afghanistan – Case Study from a Transit Camp in Serbia.
Levy unterstrich zunächst die Bedeutung der Forschung, da ihr Ziel die Bereitstellung von Werkzeugen für die Entscheidungsträger in der präventiven Planung von medizinischer Versorgung, interkulturellen Themen, Ressourcen und Expertise sei. Die Flüchtlingslager in Europa, so Levy weiter, befänden sich im Hinblick auf Hygiene, Gesundheit und Nahrungsversorgung in schlechtem Zustand, wie am Beispiel des Transitlagers Presvo in Serbien deutlich werde. Die medizinische Versorgung im Lager sei rudimentär, jedoch verweigerten die Flüchtlinge selbst in extremen Situationen aus Furcht, alleine zurückgelassen zu werden, einen Krankenhausaufenthalt. Durch Untersuchung einiger Flüchtlinge wurde in der vorgelegten Studie die Herkunft, das Geschlecht, das Alter sowie der Gesundheitszustand der Migranten analysiert. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Diagnosen und Behandlung insbesondere durch die kontinuierliche Migration, kulturelle und geschlechterspezifische Faktoren und den Ressourcenmangel beeinflusst werden. Daher sei es die Verpflichtung der gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen des Gastlandes, möglichst optimale Lebensbedingungen für Flüchtlinge, die sich stetig in Bewegung befinden, zu schaffen.
Ms. Rivka Leff, (Ben-Gurion Universität des Negev): Models for Community Health workers in the Care of Repatriated Refugees in Rural Burundi.
Diese Studie betrachtete die Frage nach dem Schicksal der Flüchtlinge einige Jahre nachdem sie ihren Herkunftsort verlassen haben. Der Schwerpunkt der Studie lag dabei auf einem Repatrisierungsprogramm für Flüchtlinge in Burundi, wo es durch Instabilität zeitweise massive Flüchtlingswellen gegeben hatte. Leff untersuchte den medizinischen Zustand der Flüchtlinge und verglich diesen, basierend auf Daten einer „disease map“, mit den politischen Bedingungen der Migranten unter besonderer Beachtung der oft einschlägigen Unkenntnis des Landes und seiner NGOs bezüglich der Gesundheit der Rückkehrer sowie der oft unzureichenden Reichweite von Maßnahmen für bedürftige Regionen. Die Studie bewies daher die bedeutende Rolle der sog. „community health worker“, deren Aufgabe weit über die bloße Pflege von Kranken hinausgeht. So kümmern sich diese nicht nur um Gesundheit und Hygiene, sondern beratschlagen ihre Mitmenschen auch in zahlreichen sozialen Situationen. Die „community health worker“ sind daher ein wichtiger Teil der Situation in Burundi. Sie helfen, Wissenslücken zu füllen und stellen Verbindungen zwischen Flüchtlingen bzw. Rückkehrern und den Behörden her. Am Ende der Präsentation resümiert Leff die Differenzen in den Bedarfen der Flüchtlinge. Jede Krise auf der Welt sei anders. Es müssten daher situative Lösungsansätze gefunden werden.
Identitätsbildung in städtischen Räumen
Vorsitz: Prof. Ruth Ginio, Ben-Gurion Universität des Negev
Ashira Meanshe-Oren (The Hebrew University of Jerusalem): Social Conflict and the Urban Youth Bulge in Sub-Saharan Africa.
Die Referentin erklärte eingangs, dass Subsahara-Afrika die Weltregion mit den größten Wachstumserwartungen im Hinblick auf Bevölkerung und Urbanisierung für die kommenden Jahrzehnte sei. Diese absehbare Entwicklung wecke legitime Bedenken hinsichtlich der potenziellen Rolle der Kohorten junger Männer in sozialen Unruhen und Konflikten. Vorherige Beiträge, bemerkte Meanshe-Oren, hätten die Unterscheidung zwischen demographischen Ausbauchungen jugendlicher Migrantengenerationen und der Migration in die Städte außer Acht gelassen. Der dargelegte Ansatz hingegen nutzt eine innovative Herangehensweise um die genannten Faktoren für Subsahara-Afrika zwischen 1990 und 2014 zu beleuchten und spezifische Auswirkungen einer jugendlichen Migrantengeneration auf die Wahrscheinlichkeit sozialer Konflikte zu analysieren. Die empirische Analyse suggeriert, dass ein sog. „migrant youth bulge“ zu einem niedrigeren Risiko von urbanen sozialen Konflikten, vor allem Demonstrationen, Aufstände und Streiks, führt. Dieser Befund indiziert, dass für Migranten aus ländlichen Gegenden die urbanen Vorteile die Nachteile überwiegen.
Mr. Adam Rotbard, (Ben Gurion Universität): Here We Play, Not Cry - Eritrean Lament Ceremonies in South Tel-Aviv's Public Space as a Space of Struggle and Identity Formation.
Diese Studie betrachtet die Konflikte zwischen Israelis und Eritreern in und um die Parks im Süden Tel Avivs. Zahlreiche israelische Juden protestierten gegen die von Eritreern durchgeführten Zeremonien. Die Zeremonien wurden regelmäßig gestört und die Polizei musste eingreifen, um Gewalt zu verhindern. Eine Facebook-Kampagne, über die Israelis zu den Protesten eingeladen wurden, wurde gestartet. So fanden sich einige Protestierende zur Demonstration gegen, anderen wiederum zur Demonstration für die Eritreer zusammen. Die Gegner behielten jedoch die Oberhand mit der Folge, dass Veranstaltungen auf bestimmte Bereiche begrenzt wurde. Die Studie versucht, die unterschiedlichen Aspekte der Demonstranten sowie der Teilnehmer der Zeremonien durch formale und informale Konversationen, Interviews etc. zu verstehen.
Schlussbemerkungen
Prof. Lynn Schler vom Afrika Center an der Ben-Gurion Universität schloss die Konferenz mit einer positiven Bilanz. Im Laufe des aufregenden Diskussionsforums habe jeder Teilnehmer seine Beiträge in konstruktiver Atmosphäre präsentieren können. Sie unterstrich die Bedeutung der unterschiedlichen Aspekte der Migration und Mobilität, die den gesamten Tag hindurch diskutiert worden waren. Schlussendlich befand Prof. Schler mit Blick auf das Ziel der Konferenz, die Unterstützung der kommenden Forschergenerationen in Israel, gäbe es vielfältige Gründe um in dieser Hinsicht optimistisch in die Zukunft zu schauen
Translated by Tobias Wolf