カントリーレポート
In Bangkok herrscht Notstand. Seit dem Wochenende demonstrieren über hunderttausend Menschen gegen die Regierung. In den Medien variieren die Angaben über die Zahl der Demonstranten zwischen hundert- und siebenhunderttausend. Aufgerufen hat die Thaksin-nahe außerparlamentarische Opposition „United Front for Democracy Against Dictatorship“ (UDD), bekannt als die „Rothemden“. Die Massen strömten mit Bussen, Lastwagen, Motorrädern und in Booten aus den verarmten Regionen des Nordens und Nordostens nach Bangkok. Angeheizt war die Stimmung im Land durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, den Großteil des eingefrorenen Vermögens Thaksins zu beschlagnahmen.
Mehr als 50.000 Soldaten und Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Die Regierung hat über Bangkok und die umliegenden Provinzen das nationale Sicherheitsgesetz in Kraft gesetzt, welches der Armee Sondervollmachten einräumt. Entgegen der Befürchtungen der Regierung, verläuft die Demonstration bislang beispielhaft friedlich. Offensichtlich haben die Rothemden ihre Lehren aus den Protestaktionen im April vergangenen Jahres gezogen, bei denen es zu schweren Ausschreitungen gekommen war.
Die Rothemden wollen mit ihrer Massendemonstration die Regierung zum Rücktritt zwingen. Entweder müsse das Parlament aufgelöst werden oder die Hauptstadt werde lahmlegt, so das Ultimatum an die Regierung.
Masse vs. Macht: Land erhebt sich gegen Elite
Seit der Einführung der konstitutionellen Monarchie gilt in Thailand der Spruch: „Regierungen werden vom Land gewählt und von Bangkok gestürzt“. Die Vielzahl der militärischen Eingriffe gegen gewählte Regierungen ist exemplarisch dafür. Vor diesem Hintergrund haben die derzeitigen Massendemonstrationen eine historische Dimension. Es ist das erste Mal in der Geschichte des thailändischen Königreiches, dass Bauern in die Hauptstadt strömen, um die „Rückgabe der Macht an das Volk“ einzufordern.
Es sind die städtischen und ländlichen Armen, die Mehrheit der Wählerschaft also, die die Bewegung der Rothemden ausmachen. Sie verlangen das Recht, ihre eigene Regierung demokratisch zu wählen, sie fordern gerechte Verteilung von Wohlstand und Entwicklung. Erstmals fordert die gesellschaftliche Unterschicht die privilegierte Elite des Landes heraus.
Für die Roten ist Abhisit eine Marionette der militärisch-bürokratischen Elite. Schließlich kam die Abhisit-Regierung durch eine Kombination von gewaltsamen Protesten der Anti-Thaksin-Bewegung, der Auflösung der Thaksin-nahen Regierungspartei durch das Verfassungsgericht und nicht zuletzt durch die Unterstützung des Militärs an die Macht. Dass die Regierungskoalition im Parlament verfassungsgemäß zustande kam, bedeutete jedoch nicht, dass sie bei den Rothemden und darüber hinaus demokratische Legitimität genießt.
Der alteingesessenen Elite des Landes fällt es schwer, die seit über drei Jahren anhaltende Krise als Kampf um Ideen anzuerkennen. Die bürokratisch-militärische Elite bevorzugt es, die Bewegung der Rothemden auf einen von Thaksin inszenierten Personenkult zu reduzieren. Für sie sind die armen Massen auf dem Land viel zu ungebildet und aufgrund ihrer Armut viel zu anfällig für Stimmenkäufe und finanzielle Versprechungen des Multimillionärs Thaksin. Damit wird den Armen die Fähigkeit abgesprochen, „richtige“ politische Entscheidungen zu treffen. Entsprechend ist die Elite des Landes der Auffassung, dass eine „Thai style Democracy“, in welcher Krone und Militär jenseits demokratischer Prozesse in das politische Geschäft eingreifen, besser geeignet ist für Thailand als eine parlamentarische Demokratie, in welcher der Volkswille über die Zusammensetzung der Regierung entscheidet.
Gewiss ist es noch zu früh, die Rothemden als eine neue Bürgerrechtsbewegung zu klassifizieren. Ihre große Schwäche liegt darin, dass sie über keine Leitfigur im Land verfügen, die Thaksin als treibende Kraft ablösen und die lose Formation in Richtung einer Demokratiebewegung anführen könnte. Klar ist aber auch, dass es inzwischen nicht mehr um Thaksin allein geht, sondern vielmehr um die Frage, wie Thailands künftiges politisches System aussehen soll.
Die Machthaber müssten bereit sein, die andere Seite des politischen Spektrums als gleichberechtigten Gesprächspartner zu akzeptieren. Aber genau das ist nicht der Fall. Im Gegenteil, das Verhalten der Regierung, ihrer Unterstützer und etlicher Massenmedien heizen den Konflikt weiter an.
Die Regierung: Aussitzen als Taktik
Premierminister Abhisit harrt seit Beginn der Demonstrationen in der Kaserne des 11. Infanterie-Regiments aus. Hier sitzt die Kommandozentrale der Regierung. Es sind keine Bemühungen um einen politischen Dialog mit den Anführern der Rothemden erkennbar. Vielmehr will er die Sicherheitsmaßnahmen durch Ausrufung des Notstandsgesetzes verschärfen. Vieles deutet darauf hin, dass die Regierung tatenlos das Ende der Demonstrationen abwarten will. Dies könnte aber die Demonstranten frustrieren und so einen Gewaltausbruch provozieren.
Die gegenwärtige Krise ist u.a. auch ein Resultat der Verdrängungspolitik der Abhisit-Regierung. Sie hatte zwar bei Amtsantritt eine Politik der nationalen Versöhnung angekündigt, hat aber keine Taten folgen lassen. Abhisits Versprechen einer Verfassungsänderung und seine Signale für eine Amnestie für Politiker, die nach Auflösung ihrer Parteien mit politischem Betätigungsverbot belegt wurden, blieben populistische Rhetorik. Damit hat er nicht nur die Opposition verärgert, sondern auch seine Koalitionspartner, die ihm immer wieder mit Austritt aus der Regierung drohen.
Vor allem hat Abhisit die Chance verpasst, Forderungen der Rothemden in seinem angekündigten Reformprogramm zu berücksichtigen und so eine politische Formel zur Überwindung der tiefen politischen Polarisierung zu finden. Seine Regierung steht nun mit dem Rücken zur Wand und wartet nur ab.
Zur Überraschung des Premiers hat der Parlamentspräsident eine gemeinsame Sitzung der beiden Häuser des Parlaments einberufen, offiziell um anstehende Abkommen mit ausländischen Staaten zu beraten. Tatsächlich geht es wohl um die aktuelle Krise. Es ist nicht auszuschließen, dass Abhisit’s Democrat Party mit einem unerwarteten Vorstoß unter Druck gesetzt wird. Es bleibt aber fraglich, ob das Parlament angesichts der Massendemonstrationen überhaupt tagen kann.
Ohnehin ist das Parlament in der seit Jahren andauernden Krise völlig marginalisiert. Politische Konflikte werden in Thailand außerhalb des Parlaments ausgetragen. Demonstrationen auf Bangkoker Straßen sind insbesondere in den letzten Jahren zum entscheidenden Hebel für Machtwechsel avanciert. In 2006 führten die Demonstrationen der Gegner Thaksins zum Militärputsch. 2008, als Thaksins Verbündete für ein Jahr zurück an die Macht kamen, waren es wieder Straßendemonstrationen, die zum Regierungswechsel führten. Seitdem protestieren die Rotenhemden für einen Machtwechsel. Die im Parlament vertretenen politischen Parteien sind nicht in der Lage, einen konstruktiven Dialog zu führen. Es sind die außerparlamentarischen Oppositionsgruppen, die die Agenden der politischen Parteien bestimmen.
Vor diesem Hintergrund versprechen die von den Rothemden geforderten Wahlen keine wirkliche Lösung des politischen Konflikts. Wahlen würden möglicherweise die Thaksin-Anhänger wieder an die Macht bringen, was dessen Gegner wieder auf den Plan rufen würde. Es ist ein Teufelskreis, in dem ein überlebensfähiger Konsens nur schwer zu finden sein wird.
In Thailand zeichnen sich durch wachsendes politisches Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung zwar neue gesellschaftliche Konstellationen ab, aber ein demokratischer Neubeginn, der alle Parteien einschließt und den Weg für eine demokratische Entwicklung ebnen könnte, liegt noch in weiter Ferne.
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