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Chinas Ohnmacht im Roten Meer

Huthi-Angriffe stellen Peking vor ein strategisches Dilemma.

Washington hat Peking um Unterstützung gebeten, um Angriffe der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer einzudämmen, wie die „Financial Times" unter Berufung auf US-amerikanische Regierungskreise am Mittwoch berichtete. Chinas Eigeninteresse an einer Deeskalation und der Sicherung von Handels- und Lieferketten scheint offensichtlich zu sein. Warum sich China jedoch in dem Konflikt zurückhält, obwohl es wirtschaftlich stark vom Export abhängig ist, wirft Fragen auf.

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Trotz Unmut: Pekinger Zurückhaltung

Die jemenitische Huthi-Miliz greift seit Mitte November des vergangenen Jahres Schiffe und somit Lieferketten im Roten Meer an und stellt die Pekinger Führung vor ein strategisches Dilemma: Als Exportnation ist China auf sichere Handelswege angewiesen, gleichwohl strebt die Volksrepublik danach, sich in der Region als Friedens- und Ordnungsmacht zu etablieren. Für die chinesische Führung bedeutet dies einen politischen Drahtseilakt, mit ungewissem Ausgang.

Keine Frage: Die aktuellen Angriffe der Huthi-Miliz auf Handelsschiffe im Roten Meer sind China ein Dorn im Auge. So appellierte unlängst Mao Ning, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, an die Huthi-Miliz, die Angriffe auf Schiffe im Roten Meer zu beenden. Die Huthi-Miliz sieht sich als Teil der gegen Israel gewandten „Achse des Widerstands“, der auch die radikalislamische Hamas angehört. Am 12. und 13. Januar 2024 starteten die Vereinigten Staaten und Großbritannien mit Unterstützung Australiens, Bahrains, Kanadas und der Niederlande eine Reihe von Angriffen gegen die Huthi im Jemen mit Luftangriffen und Marschflugkörpern als Reaktion auf die Angriffe der Terrororganisation.

Rund 60 Prozent der chinesischen Exporte in Richtung Europa passieren den Suezkanal, der das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet. „Durch die Angriffe haben sich bei Rotmeer-Passagen die Preise für Container verdreifacht und die Transitzeiten bei der Umgehung der Huthi-Route um viele Tage verlängert. Der chinesische Autohersteller Geely warnte Ende Dezember vor Lieferverzögerungen seiner E-Autos wegen der ‚Situation‘ im Roten Meer“, berichtet der Pekinger FAZ-Korrespondent Jochen Stahnke.[2] Längst hat die Krise auch den Hafen von Piräus in Griechenland erreicht, an dem die chinesische Staatsreederei COSCO 67 Prozent der Anteile hält. Da es zu Lieferengpässen bei chinesischen Batterien kommt, muss laut rbb-Informationen sogar die Produktion des Tesla-Werkes im brandenburgischen Grünheide Ende des Monats größtenteils ihren Betrieb einstellen.[3]

Die Unterbrechung der Lieferketten trifft die chinesische Wirtschaft zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Die Volksrepublik befindet sich mitten in einer Immobilienkrise, kämpft mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und sieht sich der Bedrohung einer Deflation gegenüber. Angesichts dieser Herausforderungen setzt die chinesische Wirtschaft stark auf den Export. Ein jüngstes Beispiel hierfür ist die Ankündigung des chinesischen Automobilherstellers SAIC, 14 Transportschiffe zu erwerben. Offenbar hat die Unzufriedenheit über die aktuellen Entwicklungen im Roten Meer auch das chinesische Handelsministerium erreicht. Mei Xinyu von der Chinesischen Akademie für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, einem mit dem Handelsministerium verbundenen Think Tank, unterstreicht dies in einem Blogbeitrag mit den Worten: „Es gibt eine Sache, die die Huthi-Rebellen und ihre Unterstützer verstehen müssen: Der größte Nutzer der Suezkanal-Route ist kein anderes Land als China.“[4]

Auffällig ist, dass die Aufforderung des Pekinger Außenministeriums zur Deeskalation im Roten Meer auf eine Erklärung der Huthi folgte, wonach auch künftig keine Angriffe auf russische und chinesische Schiffe stattfinden würden. Dennoch ist Chinas Handel auch auf Schiffe angewiesen, die unter verschiedenen Flaggen fahren. Medienberichten zufolge geben einige Schiffe durch entsprechende Funksignale sogar vor, chinesisch zu sein, obwohl sie nicht aus China stammen – aus Angst vor Angriffen. Die Pekinger Presse preist diese Praxis als Erfolg chinesischer „Soft Power“. Shen Yi, Professor an der Fudan-Universität, erklärt dies gegenüber der Global Times mit den Worten: „Die Houthi-Milizen haben kein Interesse daran, chinesische Schiffe anzugreifen. Der Grund dafür ist einfach: China äußert faire Kommentare und ergreift faire Maßnahmen in Bezug auf Angelegenheiten im Nahen Osten. China hat keine besonderen Interessen in der Region und setzt sich ausschließlich für Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Region ein.“[5] Dabei wird jedoch nicht erwähnt, wie stark die Eskalation den Kerninteressen der chinesischen Wirtschaft schadet.

Die politische Führung in Peking hält sich in Bezug auf den Konflikt derweil überraschend bedeckt. Auffällig ist jedoch, dass die chinesische Staatspropaganda insbesondere den USA und Israel die Verantwortung für die Gewalteskalation zuschreibt und die Volksrepublik als Friedensgarant inszeniert. Die Global Times betont in diesem Kontext: „Die Gerechtigkeit Chinas besteht darin, nicht Partei zu ergreifen oder parteiisch zu sein. China unterstützt nicht den Einsatz von Gewalt durch die Huthi im Roten Meer, um Handelsrouten zu unterbrechen. Gleichzeitig kritisiert es jedoch den voreingenommenen Ansatz und die Doppelmoral der USA in der Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern sowie den Einsatz von Gewalt, um gegen Gewalt vorzugehen."[6] Die Frage bleibt jedoch, wie sich Chinas Bemühung um den Anschein der Neutralität erklärt, besonders vor dem Hintergrund, dass der Konflikt im Roten Meer die Handelsinteressen der Volksrepublik empfindlich stört.

 

Chinas strategisches Dilemma

Die Anfrage der USA an China, Unterstützung im Kampf gegen die Huthi-Rebellen zu leisten, findet in Peking bisher keine Resonanz. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass China irgendwelches Interesse hat, sich an der militärischen Mission unter Führung der US-Amerikaner zu beteiligen – im Gegenteil. Ebenso deutet nichts darauf hin, dass Peking auf diplomatischem Wege versucht, Einfluss auf die Huthi zu nehmen. Dies scheint immerhin möglich, denn die Huthi pflegen enge Verbindungen zu Iran, mit dem China gute Beziehungen unterhält.

Die Zurückhaltung der Regierung in Peking lässt sich auf eine Vielzahl von Gründen zurückführen. China fungiert als bedeutender Handelspartner des Irans, der wiederum die Huthi-Rebellen unterstützt. Etwa ein Zehntel seines Rohölbedarfs bezieht China von den Mullahs, und Peking vermeidet es, Teheran zu verärgern, indem es sich gegen die Huthi wendet. Es scheint auch keine Forderung an den Iran zu geben, auf die Huthi Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus hat sich Peking im Gaza-Krieg ausdrücklich auf die Seite der Palästinenser gestellt. Paul Nantulya von der National Defense University in Washington glaubt, dass auch der Wettstreit zwischen China und den USA eine Rolle spielt: „Die Beteiligung an einer US-Militäroperation würde im politischen und militärischen Establishment Chinas als ‚Kapitulation vor den US-Interessen‘ und ‚Demütigung Chinas‘ angesehen werden“, sagte Nantulya gegenüber der Hongkonger „South China Morning Post“.[7]

Zudem betrachtet sich China als Fürsprecher des „Globalen Südens“, der sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer. Im Nahost-Konflikt manifestiert sich diese Haltung durch Chinas Solidarität mit den Palästinensern. Diese Unterstützung steht im Einklang mit Chinas allgemeiner Ausrichtung als Fürsprecher für Länder außerhalb der westlichen Einflusssphäre, insbesondere in Lateinamerika, Afrika und insgesamt in der arabischen Welt. Dabei positioniert sich China gegen die aus Pekinger Sicht als „imperialistisch" wahrgenommenen Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten. Keine Frage: Israel wird in diesem Zusammenhang trotz vormals guter Beziehungen zur Volksrepublik vor allem als „US-Alliierter“ und als „imperialistische Macht“ im Nahen Osten wahrgenommen.

In seinem Beitrag für die „Frankfurter Rundschau“ erweitert Sven Hauberg diese Beobachtungen um eine weitere Dimension. Er zitiert May-Britt Stumbaum, eine Asien-Expertin am „Center for Intelligence and Security (CISS)“ an der Universität der Bundeswehr München, die erklärt: „Ich glaube, China hält sich da raus, weil sie sehr wenig operationelle Erfahrung haben und die Gefahr sehr groß ist, dass sie sich blamieren.“ Stumbaum betont, dass China möglicherweise aus diesem Grund zurückhaltend agiert, um seine tatsächlichen militärischen Fähigkeiten nicht preiszugeben. „Niemand soll wissen, wie stark das chinesische Militär wirklich ist. Aber das würde nicht mehr funktionieren, wenn China sich an Einsätzen beteiligt und seine Schwächen offen zeigt.“[8]

 

Ausblick: Ordnungsmacht China – hat Peking ausgeträumt?

Für die Führung Chinas ist es derzeit noch äußerst bequem, die Militärangriffe der USA als kriegstreiberisch zu kritisieren, während die Sicherung der Seehandelsrouten tatsächlich auch im Interesse Pekings liegt. Gegenwärtig überlässt China es anderen Staaten, seine eigenen Interessen in der Region zu verteidigen. Die zentrale Frage ist jedoch, wie lange dieses Kosten-Nutzen-Kalkül aus der Sicht Pekings Bestand haben kann. Die Störung der Lieferketten im internationalen Warenverkehr trifft China, das wirtschaftlich in einer unsicheren Lage ist, derzeit an empfindlicher Stelle.

Die Situation ist dabei nicht mit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine vergleichbar. Hier gelang es China, zumindest wirtschaftlich zu profitieren, da Chinas Exporte nach Russland eklatant gestiegen sind. Gleichzeitig profitiert die Volksrepublik von günstigen Energielieferungen aus Russland, wodurch Moskau unlängst zum wichtigsten Rohöllieferanten für die Peking aufgestiegen ist, und Saudi-Arabien überholt hat.

Chinas Hoffnung, zur Ordnungsmacht im Nahen Osten aufzusteigen und den Einfluss der USA in der Region einzudämmen, hat einen Rückschlag erlitten. Vor knapp einem Jahr war Peking zweifelsohne ein diplomatischer Überraschungscoup gelungen: Durch Vermittlung Chinas kam es im April 2023 zu einem unerwarteten Abkommen zwischen Iran und dessen Erzfeind Saudi-Arabien, das die Wiederaufnahme regulärer diplomatischer Beziehungen sowie den Austausch von Botschaftern einschloss. Doch scheint der chinesische Traum, international im Nahen Osten als Einfluss- und Stabilitätsfaktor Anerkennung zu finden, angesichts der chinesischen Ohnmacht im Roten Meer in diesen Tagen sein frühes Ende zu finden.

 

Quellenangaben:

[1] Financial Times 2024: US urges China to help curb Red Sea attacks by Iran-backed Houthis, abrufbar unter: https://www.ft.com/content/bba68661-6c9b-41b5-ab74-d573b3a27c54, letzter Zugriff: 25.01.2024.

[2] Stahnke, Jochen 2024: Wie China mit den Huthi-Angriffen im Roten Meer umgeht, in: FAZ.net, abrufbar unter:  https://www.faz.net/aktuell/israel-krieg/wie-china-mit-den-huthi-angriffen-im-roten-meer-umgeht-19466421.html, 25.01.2024.

[3] rbb24: Tesla muss Ende Januar Fertigung wegen Lücken in Lieferketten stoppen, abrufbar unter: https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2024/01/tesla-gigafactory-produktionsstopp-brandenburg.html, letzter Zugriff: 25.01.2024.

[4] Mei, Xinyu 2024: Huthi-Spiel mit dem Feuer, in chinesischer Sprache abrufbar unter: https://new.qq.com/rain/a/20231217A05WXS00, letzter Zugriff: 25.01.2024.

[5] Global Times 2024: US escalates Red Sea tensions, while China voices fairness, Ausgabe: 17. Januar 2024, S. 5.

[6] Global Times 2024.

[7] Siehe hierzu den lesenswerten Beitrag: Hauberg, Sven 2024: Suezkanal ist wichtige Handelsroute – doch China hält sich im Kampf gegen die Huthi-Rebellen auffallend zurück, Frankfurter Rundschau, abrufbar unter: https://www.fr.de/politik/krieg-china-huthi-miliz-rebellen-rotes-meer-iran-suezkanal-usa-israel-gaza-zr-92782955.html, letzter Zugriff: 25.01.2024.

[8] Hauberg, Sven 2024.

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担当者

Johann C. Fuhrmann

Johann C

Leiter des Auslandsbüros China - Peking

johann.fuhrmann@kas.de +86 10 6462-2207; 2208 +86 10 6462-2209

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