Das übliche Familienmodell orientiert sich heute an ein bis zwei Kindern. Diese Norm hat sich über Jahrzehnte durch Werbung, Immobilienangebot und Autoindustrie in der Gesellschaft etabliert. Als „kinderreich“ werden bereits Familien bezeichnet, die drei und mehr Kinder haben. In den 1979ern sprach man erst ab vier Kindern von Kinderreichtum. Weicht eine Familie von der Norm ab, sieht sie sich häufig mit Stigmata und einem schlechten Image konfrontiert. Doch die vorherrschenden Bilder in den Köpfen greifen zu kurz. „Die kinderreiche Familie gibt es nicht“, erklärte Henry-Huthmacher, Familien seien vielmehr heterogen. Die 2019 veröffentlichte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung „Drei Kinder und mehr – Familien aus der Mitte der Gesellschaft“ unterstreicht dies.
Modell der Familie hoch drei erobert die Mittelschicht
Für Deutschland lassen sich sieben Typen kinderreicher Familien unterscheiden, die sich in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und unterschiedlichem gesellschaftlichen Umfeld befinden. Das Spektrum kinderreicher Familien reicht von Migrationsmilieus über christliche und muslimische Prägungen bis hin zu Patchworkfamilien. Entgegen jeder Klischees entwickelt sich ein Trend: „Kinderreichtum ist ein zunehmendes Phänomen der Mittelschicht“, erläuterte Prof. Dr. Norbert Schneider, Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Insbesondere bei Frauen mit mittlerem und hohen Bildungsabschluss gewinne „Familie hoch drei“ an Attraktivität und der Anteil mache einen hohen Prozentsatz aus.
Blickt man auf Städte und Landkreise, spielt die Region ebenfalls eine entscheidende Rolle. „Insbesondere in Baden-Württemberg, Bayern und im Westen von Niedersachsen ist eine hohe Dichte an kinderreichen Familien festzustellen“, erläuterte Prof. Schneider. Einer der Gründe könne darin liegen, dass die beiden süddeutschen Bundesländer stetig ihre Infrastruktur ausgebaut, aktive Landesentwicklungspolitik betrieben und die ländlichen Regionen gestärkt haben, so Dr. Markus Kerber, Staatssekretär im Ministerium des Innern, für Bau und Heimat. Darüber hinaus belegt die aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, dass Frauen und Männer, die mit mindestens zwei Geschwistern aufgewachsen sind, aus dieser Erfahrung heraus auch selber mehrere Kinder bekommen.
Aufgaben der Politik
„Dennoch kann von einem Zukunftsmodell nicht gesprochen werden“, sagte Prof. Schneider. Derzeit leben in 12 Prozent aller Familienhaushalte in Deutschland mindestens drei Kinder. Die Zahlen von Kinderreichen Familien sei aber rückläufig. In der Diskussion zwischen Kommunalpolitikern, Interessens- und Ministerienvertretern waren sich alle Beteiligten einig, dass bessere Rahmenbedingungen für Eltern und Kinder geschaffen werden müssten. Die Bedürfnisse und die Vielfalt der Familienlebensmodelle müssten noch stärker wahrgenommen werden. Diese neuen Rahmenbedingungen erlaubten dann auch eine freiere Wahl der Männer und Frauen, welches individuell Lebensmodell sie leben wollen. Mobilität, Baukindergeld, Elterngeld oder Work-Life-Balance spielen bei der Familienplanung eine entscheidende Rolle. Aber kinderreiche Familien können auch Hilfe im Kleinen auf kommunaler Ebene gebrauchen. Eine ÖPNV-Karte, die es erlaubt, dass Geschwisterkinder ohne Erwachsenen fahren können, finanzielle Unterstützung für Klassenfahrten oder die Schwimmbadkarte mit Rabatt für alle Kinder und nicht nur für das zweite Kind, waren nur einige Maßnahmen, die als Verbesserungen diskutiert wurden.
Infrastruktur, Zeit und Geld für freie Entscheidung
Doch bei aller technokratischen Überlegungen im politischen Diskurs, dürfe die Emotion nicht vergessen werden. „Der emotionale Kern ist das, was Familie ausmacht“, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer. Wer positive Erfahrungen mit einer großen Familie gemacht habe, dem falle es leichter, selber diesen Schritt zu gehen. „Am besten für die Kinder ist es, wenn sie Stabilität, Zuwendung, Schutz und Liebe erfahren, und das geht am besten mit tiefenentspannten Eltern, die ihr Lebensmodell verwirklichen können“, forderte die CDU-Vorsitzende, die selber drei Kinder hat.
„Wir müssen deutlich machen, dass wir jede Familie, egal wie sie sich zusammensetzt und für wie viele Kinder sie sich entscheidet, wertschätzen und das in unserer konkreten Politik umsetzen“, betonte Kramp-Karrenbauer. Nur wenn man die richtigen Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt bekomme, könne man sich auch frei entscheiden. Bei den Faktoren Infrastruktur, Zeit und Geld verwies sie als gelungene Vorreiter auf die EU-Nachbarländer im Norden oder Österreich. In den nordischen Ländern gebe es ein verändertes Bewusstsein für Arbeitnehmer in der Wirtschaft. Die Familie habe dort einen hohen Stellenwert. Aber auch die automatisierte Zahlung des Elterngeldes in Österreich habe Zukunftscharakter und erleichtere es den Familien. Kramp-Karrenbauer sprach sich für eine Bündelung der Einzelleistungen aus und eine schwellenlose Handhabung in Deutschland. Zudem regte sie an, über ein die veränderten Familienmodelle auch parteipolitisch nachzudenken.
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