Nach Begrüßung und inhaltlicher Einführung durch Moderatorin Marion Sendker ordnete Sebastian Enskat, Leiter des Auslandsbüros in Österreich der Konrad-Adenauer-Stiftung, das Ergebnis der dortigen Nationalratswahlen ein, aus denen die FPÖ erstmals als Stimmenerste hervorging. Neben der klaren Siegerin mit starken Zugewinnen stehen die ÖVP und die Grünen mit schweren Verlusten als Verlierer da. Auch hier sei der europäische Trend erkennbar gewesen, dass die aktuellen multiplen Krisen dazu führten, Regierungsparteien abzustrafen.
Jedoch habe der FPÖ-Erfolg neben einer großen Unzufriedenheit weitere Faktoren, wie die allgemeine Tendenz hin zu (rechts)populistischen Parteien, bei der Österreich keine Ausnahme bilde – anders als bei der Regierungsbeteiligung der FPÖ unter Jörg Haider vor 25 Jahren, die damals für große Aufregung gesorgt habe. Die FPÖ, bereits 1955 gegründet, habe (anders als die AfD in Deutschland) eine lange Geschichte und gelte mithin als „normale“ Partei, zumal sie schon an Bundes- und Landesregierungen beteiligt gewesen sei. Allerdings habe sie sich gerade in den letzten zehn Jahren stark gewandelt und radikalisiert. Ihr derzeitiger Vorsitzender Herbert Kickl sei Ausdruck dessen. Sein Diktum vom „Volkskanzler“ habe eine eindeutige und nicht zufällige Konnotation und trotzdem sei die FPÖ so erfolgreich wie nie – weswegen sie sich wohl kaum von ihm trennen werde, nur um „koalitionsfähig“ zu werden. Denn es sei eben keine Personen-, sondern eine Themenwahl gewesen: Über allem stehe die große Unzufriedenheit beim Thema Migration, aber ebenfalls habe bei vielen nach wie vor die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen eine Rolle gespielt, für die sie auch jetzt noch einen „Denkzettel“ hätten verpassen wollen.
Indes gehe an der ÖVP kein Weg vorbei, da sie nun bestimmen müsse, welche Regierungsrichtung eingeschlagen werde. Ihr Umgang mit den Themen, die die Menschen umtreiben, sei entscheidend – mit allen Herausforderungen, die mit Koalitionen, aber auch mit dem komplizierten europäischen Kontext, einhergingen.
Sebastian Enskat erläuterte das Dilemma: würde die FPÖ eingebunden, sei zu befürchten, dass sie sich mit der neu gewonnenen Stärke nicht mehr „einhegen“ lasse und eher zu einer „Opposition in der Regierung“ werde – ohne dafür bei Ihren Wählern federn lassen zu müssen; würde sie aber als stärkste Kraft andersherum in die Opposition gezwungen, müsse davon ausgegangen werden, dass sie bei der nächsten Wahl in fünf Jahren noch besser abschneiden werde. Die FPÖ befinde sich aus ihrer Sicht damit in einer komfortablen Lage, in der sie nichts verlieren kann: entweder werde sie maßgeblicher Regierungsakteur oder sie könne sich als die betrogene Wahlsiegerin inszenieren.
Das zweite große Gesprächsthema war der Vergleich zwischen Deutschland und der Alpenrepublik im Umgang mit AfD bzw. FPÖ. Auf der einen Seite stehe die Strategie, sie auszuschließen und zu verunmöglichen, auf der anderen Seite sie einzubinden und zu beteiligen, um dadurch eine „Entzauberung“ zu erreichen. Beide Wege seinen offenkundig nicht erfolgreich, weil sie keine hinreichenden Antworten auf die Herausforderungen durch den Rechtspopulismus anböten. Der Schlüssel liege auf der Policy-Ebene, denn die Lösung von Problemen schade denen, die von diesen profitierten.
Marion Sendker kam in diesem Zusammenhang auf die kürzlich vom Auslandsbüro in Auftrag gegebene und erschienene Studie „Nicht gleich, aber sehr ähnlich!“ über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von AfD und FPÖ zu sprechen. So bestehe z.B. eine Verschiedenheit in der Wählerzusammensetzung (AfD: 65% Männer, 35% Frauen: FPÖ: 51% Männer, 49% Frauen), aber beide Parteien seien rechtspopulistisch, radikal, antieuropäisch, affin zu rechtsautoritären Regierungen in Europa und hätten personelle Verflechtungen in das rechtsextremistische Milieu. Allerdings würden sie häufig anders wahrgenommen. In Österreich gebe es deutlich weniger Aufregung in Bezug zur FPÖ als in Deutschland in Bezug zur AfD. Dies liege einerseits an der fast 70jährigen Existenz der FPÖ, andererseits aber auch in der Unterschiedlichkeit bei der politischen Kultur, die zweifellos vorhanden sei, auch wenn man in Deutschland „dazu neige, die Ähnlichkeiten zu über-, und die Differenzen zu unterschätzen“. Die gesellschaftlich-kulturellen Unterschiede äußerten sich z.B. auch im Wahlkampf, der in Österreich zugespitzter, robuster sei und mehr geprägt von Inszenierung und Eventisierung.
Zusammenfassend konstatierte Sebastian Enskat, Österreich stehe am Scheideweg, für sich und die EU. Bis eine neue Regierung stehe, könnten allerdings einige Monate vergehen.
Das ganze Gespräch können Sie hier sehen.
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