カントリーレポート
Von den insgesamt 475 Sitzen im Unterhaus entfallen nach den vorliegenden Ergebnissen 291 (-4) auf die LDP und 35 (+4) auf New Komeito. Die Oppositionsparteien gewannen insgesamt nur 149 Sitze, davon 73 (+11) für die Democratic Party of Japan (DPJ), 41 (-1) für die Japan Innovation Party (JIP) und 21 für die Kommunistische Partei (JCP), die damit erheblich besser abschnitt als bei der letzten Wahl 2012 (damals 8 Sitze). Die Social Democratic Party (SDP), die People’s Life Party (PLP) und die Party for Future Generations (PFG) mussten sich jeweils mit nur zwei Sitzen begnügen. Zusätzlich ziehen acht unabhängige Kandidaten ins Unterhaus ein.
Damit behauptet die Regierungskoalition ihre nahezu uneingeschränkte Machtposition. Denn mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Unterhaus kann sie Gesetze auch dann durchsetzen, wenn diese vom Oberhaus abgelehnt wurden. Die sozialliberale DPJ bleibt zwar die stärkste Oppositionspartei im japanischen Unterhaus, musste ihre Hoffnung auf bis zu 100 Sitze aber begraben. Am Morgen nach der Wahl stellte sich dann heraus, dass DPJ-Chef Banri Kaieda den Einzug ins Parlament ebenfalls verpasst hat und deshalb Medienberichten zufolge wohl zurücktreten wird.
Abe hatte die Auflösung des Parlaments und vorgezogene Neuwahlen erst Mitte November angekündigt. Damit reagierte der rechtskonservative Premierminister auf wachsende Kritik an seinem wirtschaftspolitischen Reformkurs. Denn kurz vor der plötzlichen Festlegung auf Neuwahlen musste die japanische Regierung einen Konjunktureinbruch vermelden. Demnach schrumpfte das reale Bruttoinlandsprodukt zwischen Juni und September aufs Jahr hochgerechnet um 1,6 Prozent zum Vorquartal. Für das zweite Vierteljahr in Folge verzeichnete die japanische Wirtschaft mithin ein Minus-Wachstum. Ökonomen sprechen in dem Fall von einer Rezession. Inzwischen wurden die Zahlen sogar auf minus 1,9 Prozent nach unten korrigiert.
Parlamentswahl als „Referendum über die Abenomics“
Das war für viele Beobachter ein Schock. Denn überwiegend hatten sie für das dritte Quartal mit einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts gerechnet. Schnell stand dann fest, dass der unerwartete Konjunktureinbruch auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent zurückzuführen sei. Denn dadurch stiegen seit April die Preise. Das trübt die Konsumlaune der Japaner erheblich. Die für Oktober 2015 vorgesehene zweite Erhöhung der Mehrwertsteuer auf dann zehn Prozent wurde von der japanischen Regierung deshalb schon jetzt um 18 Monate verschoben. Premierminister Abe nannte den Aufschub eine „schwere, schwere Entscheidung“, für die er mit der Parlamentswahl ein „neues Mandat der Bevölkerung“ anstrebe.
In den Medien wurde die Abstimmung am Sonntag deshalb wiederholt als „Referendum über die Abenomics“ angekündigt. Denn die schlechten Wirtschaftsdaten gelten vielen Kritikern als Beleg dafür, dass die nach dem Premierminister benannten Reformen im letzten Jahr zwar kurzfristig Erfolge erzielen konnten, langfristig aber keine Lösung für die anhaltende ökonomische Stagnation der drittgrößten Industrienation der Erde bedeuten. Im Gegensatz dazu betont die Regierung in Tokio unbeirrt, dass sich die japanische Wirtschaft aufgrund der Reformen „auf dem Weg der Erholung“ befinde. Warum wollte der Premierminister jetzt dann aber die Wähler darüber entscheiden lassen, „ob die Nation die Abenomics vorantreiben oder stoppen sollte“? Zur Aufrechterhaltung der Regierungsfähigkeit wäre die Abstimmung am Sonntag jedenfalls nicht „nötig“ gewesen.
Mehrheit der Bevölkerung betrachtete die Wahl als „überflüssig“
Denn sowohl im japanischen Ober- als auch im Unterhaus verfügt die Regierungskoalition aus LDP und New Komeito bereits seit 2013 über eine komfortable Mehrheit. In den sechs Jahren zuvor hatten sich die beiden Kammern des Parlaments aufgrund unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse politisch gegenseitig blockiert. Bis zum Ende der regulären Legislaturperiode hätte die japanische Regierung ihre Reformvorhaben nahezu unangefochten, also auch ohne vorgezogene Neuwahlen, vorantreiben können.
Die Gründe für die gestrige Abstimmung werden angesichts der bisherigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament noch undurchsichtiger, wenn man berücksichtigt, dass Premierminister Abe das anscheinend größte Risiko für eine möglichst rasche Erholung der Wirtschaft, nämlich die zweite Erhöhung der Mehrwertsteuer, im November vorerst ja bereits aus dem Weg geräumt hat. Wozu suchte er für diese Entscheidung nachträglich ein „neues Mandat“ der Wähler? So sah das nach Umfragen auch die Mehrheit der japanischen Bevölkerung. Fast die Hälfte aller Wahlberechtigten sparte sich deshalb den Gang zur Urne.
Popularität der Regierungskoalition ist seit Monaten rückläufig
Der Termin für die Abstimmung fiel sogar in eine Zeit, die für Premierminister Abe nicht nur aus wirtschaftspolitischen Gründen eher schwierig ist. Denn erst im November musste die LDP bei der Lokalwahl in Okinawa eine empfindliche Niederlage einstecken. Der neue Gouverneur Takeshi Onaga ist ein erklärter Gegner der US-amerikanischen Militärstützpunkte auf der südwestjapanischen Insel. Onaga widersetzt sich auch gegen den Umzug des US-Stützpunkts in Futenma aus einer städtischen Umgebung aufs Land. Damit bringt der neue Gouverneur den Premierminister gegenüber Washington unter Umständen in Verlegenheit. Denn die japanische Regierung hatte ihrem Verbündeten für den Umzug im letzten Jahr bereits grünes Licht signalisiert.
Als mögliche Risiken galten für den Wahlerfolg überdies die von der japanischen Regierung vorgesehene Wiederinbetriebnahme einiger Atomreaktoren und das neue Geheimhaltungsgesetz. Die japanischen Atomkraftwerke waren nach der Fukushima-Katastrophe abgeschaltet worden. Um die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren, sollen die Anlagen auf der Grundlage neuer Sicherheitsstandards aber so schnell wie möglich wieder ans Netz gehen. Das Geheimhaltungsgesetz gibt staatlichen Institutionen und Behörden seit diesem Monat das Recht, Informationen für vertraulich zu erklären, wenn eine Veröffentlichung die nationale Sicherheit gefährden könnte. Beide Entscheidungen sind in der japanischen Bevölkerung höchst umstritten.
Hinzu kam Ende Oktober, dass gleich zwei japanische Ministerinnen nach Skandalen ihren Hut nehmen mussten. Für die japanische Regierung waren die Rücktritte ein herber Schlag. Denn nur zwei Monate zuvor hatte Premierminister Abe die Zahl der Ministerinnen im Kabinett auf fünf erhöht, um seinen Wunsch nach mehr Frauen in Führungspositionen zu unterstreichen („Womenomics“). Stattdessen musste sich Abe nach den beiden Rücktritten nicht nur Vorwürfe der Opposition gefallen lassen, sondern fühlten sich auch in den eigenen Reihen all jene bestätigt, die die Regierungsumbildung von vorneherein abgelehnt hatten. Denn seit dem Machtantritt von Shinzo Abe im Dezember 2012 war kein Mitglied seiner Regierungsmannschaft ernsthaft unter Beschuss geraten. Das zweite Kabinett Abe galt bis dato als die stabilste Regierung Japans seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ebenso wie im Vorfeld der vorgezogenen Neuwahlen, fragten sich deshalb einige LDP-Vertreter, warum der Premierminister sein Kabinett „ohne Not“ umbilden wolle. Und dann erwiesen sich gerade die beiden gefeierten Ministerinnen auch noch als Fehlbesetzung.
In der Summe war die Ausgangsposition für die Neuwahlen also eher schwierig. Die Unterstützung der Regierungskoalition in der japanischen Bevölkerung fiel nach Medienumfragen von etwas über 60 Prozent im September auf 49 Prozent im November. Im April 2013 lag sie noch bei 74 Prozent. Da die Mehrheit der Japaner die Abstimmung am Sonntag ohnehin für unnötig hielt, war darüber hinaus zu erwarten, dass die Wahlbeteiligung noch niedriger sein würde als bei der letzten Unterhauswahl Ende 2012. Die etwa 59 Prozent bei der damaligen Abstimmung waren das schwächste Ergebnis in der japanischen Nachkriegsgeschichte. Mit nur etwa 52 Prozent Wahlbeteiligung wurde der Negativrekord am Sonntag sogar noch unterboten. Bei so viel Desinteresse am Urnengang stellt sich natürlich zu Recht die Frage, ob das gestern erzielte Wahlergebnis tatsächlich als Referendum über die Abenomics und als Mandat der Bevölkerung für die Verschiebung der zweiten Mehrwertsteuererhöhung gewertet werden kann. Vieles spricht also dafür, dass die vorgezogenen Neuwahlen noch andere Gründe hatten.
Desolate Opposition spielte Abe in die Hände
Dazu gehört natürlich, dass Abe die Oppositionsparteien mit der gestrigen Parlamentswahl praktisch „überfahren“ hat. Denn die Ankündigung vorgezogener Neuwahlen traf die Opposition nicht nur unvorbereitet, sondern auch in einer Phase tiefer Zerrissenheit. Die neo-liberale Your Party hatte sich nur fünf Jahre nach ihrer Gründung und anhaltenden internen Streitigkeiten über den künftigen parteipolitischen Kurs erst vor wenigen Wochen aufgelöst. Das gleiche Schicksal ereilte im September die neo-konservative Japan Restoration Party (JRP) und – weniger als ein Jahr nach ihrer Gründung – die Unity Party. Beide schlossen sich zur Japan Innovation Party (JIP) zusammen. Einige JRP-Abgeordnete waren damit jedoch nicht einverstanden und spalteten sich fast zeitgleich zur Party for Future Generations (PFG) ab. Die Democratic Party of Japan (DPJ), weiterhin Japans größte Oppositionspartei, entging im September nach monatelangen internen Konflikten wohl nur dadurch einer Aufspaltung, dass DPJ-Präsident Banri Kaieda einige seiner Kritiker noch rasch in die Parteiführung aufnahm. Der Gründer der People’s Life Party (PLP), Ichiro Ozawa, riet den Mitgliedern seiner Gruppierung im Wahlkampf sogar, ihr politisches Überleben notfalls dadurch zu sichern, dass sie noch schnell zu einer anderen Partei wechseln.
Zwar haben sowohl der Premierminister als auch seine Regierungskoalition in den letzten Monaten an Popularität verloren; die Opposition steht aber noch deutlich schlechter da. Das Abstimmungsergebnis vom Sonntag ist dafür der beste Beweis. Vorgezogene Neuwahlen waren für die Liberaldemokraten und ihren kleinen Koalitionspartner New Komeito zum jetzigen Zeitpunkt also die richtige Entscheidung. Das Regierungsbündnis kann seine Amtszeit nun auf weitere vier Jahre verlängern. Andernfalls hätte es sich nach Ablauf der regulären Legislaturperiode bereits in zwei Jahren zur Wiederwahl stellen müssen, und dann vielleicht unter deutlich schlechteren Vorzeichen. LDP und New Komeito haben für die im Rahmen der Abenomics vorgesehenen Strukturreformen („dritter Pfeil“) insofern mehr Zeit gewonnen. Andererseits weiß natürlich niemand, ob die neue Wahlperiode auch wirklich voll ausgeschöpft wird. Denn mit Ausnahme von 1976 waren vorgezogene Neuwahlen in der japanischen Nachkriegsgeschichte die Regel.
Die desolate Lage der Oppositionsparteien erklärt zwar, warum die Regierungskoalition trotz rückläufiger Popularitätswerte und zunehmender Kritik an den Abenomics gestern einen triumphalen Wahlsieg erzielen konnte. Die eigentliche Bedeutung der vorgezogenen Neuwahlen wird aber erst dann verständlich, wenn man sie auch unter innerparteilichen Gesichtspunkten betrachtet.
Neuwahlen stärken dem Premierminister in der eigenen Partei den Rücken
Aus dieser Perspektive erklärt sich zum Beispiel, warum Premierminister Abe die zweite Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht ohne Neuwahlen verschieben wollte. Der Hintergrund ist, dass seine Entscheidung innerhalb der LDP keineswegs unumstritten ist. Ein Teil der Liberaldemokraten hätte an der für 2015 vorgesehenen Erhöhung von acht auf zehn Prozent lieber festgehalten. Auf diesen Termin hatten sich die damals regierende DPJ, die LDP und New Komeito bereits Mitte 2012 geeinigt, also einige Monate vor dem Amtsantritt von Premierminister Abe. Während die eigene Partei damals versprach, an der geplanten Steuererhöhung festhalten zu wollen, ließ Abe als Parteivorsitzender und anschließend auch als Regierungschef wiederholt durchblicken, dass eine höhere Mehrwertsteuer aus seiner Sicht ein Risiko für das Wirtschaftswachstum bedeute. Auf die erste Mehrwertsteuererhöhung im April folgte bis Ende des zweiten Quartals dann auch prompt ein Konjunktureinbruch. Und nachdem die japanische Regierung im November für das dritte Quartal erneut ein Minus-Wachstum verkünden musste, war für Abe die Zeit gekommen, die neuerliche Erhöhung der Mehrwertsteuer auch gegen parteiinterne Widerstände um 18 Monate zu verschieben. Das mit den Neuwahlen angestrebte „neue Mandat der Bevölkerung“ für diese „schwere, schwere Entscheidung“ hatte insofern auch das Ziel, dem Premierminister innerhalb der LDP den Rücken zu stärken.
Das war gerade zum jetzigen Zeitpunkt überaus wichtig. Der gestrige Wahlsieg hat nämlich nicht nur bestätigt, dass aus Sicht der japanischen Bevölkerung derzeit keine Alternative zum wirtschaftspolitischen Kurs des Premierministers besteht. Vielmehr dürfte sich damit auch Abes Verhandlungsposition bei der Diskussion über die weiterhin angestrebte Verfassungsänderung verbessert haben. Nach zähem Ringen innerhalb der Regierungskoalition konnte der Kabinettschef in diese Richtung bereits einen Teilerfolg erzielen. Denn vor einigen Monaten setzte Abe eine Neuinterpretation der japanischen Verfassung durch. Unter strengen Auflagen hat Japan in Zukunft demnach das Recht auf kollektive Selbstverteidigung. Bis jetzt handelt es sich dabei, wie gesagt, aber nur um eine Neuinterpretation. Eine regelrechte Änderung der Verfassung ist am Widerstand innerhalb der Regierungskoalition bisher hingegen gescheitert.
Für die Festigung seiner Machtposition innerhalb der LDP war das Abstimmungsergebnis vom Sonntag insofern bedeutsam, weil 2015 die Verhandlungen über das Abkommen für eine Transpazifische Partnerschaft (TPP) zum Abschluss kommen sollen. Premierminister Abe befürwortet das Abkommen, weil er sich davon zusätzlich Impulse für die japanische Wirtschaft verspricht. Die für eine Übereinkunft mit den elf anderen beteiligten Staaten erforderliche Öffnung des japanischen Agrarsektors stößt in den Reihen seiner eigenen Partei aber auf erheblichen Widerstand. Zwar hat Abe jetzt also die Wähler auf seine Seite ziehen können; Konflikte mit seinen politischen Weggefährten sind aber bereits programmiert.
Die Situation erinnert mithin ein wenig an die innenpolitische Lage im Jahr 2005. Damals hatte Premierminister Junichiro Koizumi (LDP) das Parlament aufgelöst und als Votum für seinen Reformkurs ebenfalls vorgezogene Neuwahlen durchgesetzt. Denn Widersacher in der eigenen Partei hatten im Vorfeld gegen die von der Regierung beschlossene Zerschlagung und Privatisierung der Post votiert. So wie jetzt für Premierminister Abe, war die Rechnung damals auch für Koizumi aufgegangen: Seine Liberaldemokraten gewannen zusätzliche Mandate und damit die absolute Mehrheit. Die Opposition musste erhebliche Einbußen verkraften. Die LDP hat sich den damaligen Wahlkampf für die jetzige Abstimmung sogar zum Vorbild erkoren. Denn so wie Koizumi 2005 ausschließlich mit dem Thema „Postprivatisierung“ angetreten war, konzentrierte sich der Wahlkampf der LDP jetzt auf das Einzelthema „Abenomics“.
Zwischen damals und heute besteht gleichzeitig aber ein entscheidender Unterschied: Koizumi gewann seine vorgezogenen Neuwahlen, trat ein Jahr später bei der Wahl des LDP-Vorsitzenden aber nicht mehr an. Shinzo Abe ging aus der gestrigen Abstimmung ebenfalls als haushoher Sieger hervor, wird 2015 aber erneut für den Parteivorsitz kandidieren. Die aus Sicht der Kritiker „unnötige“ Regierungsumbildung vom August sollte dafür bereits die Weichen stellen. Denn Abe erhöhte dabei nicht nur die Zahl der Ministerinnen im Kabinett. Wichtiger, wenn auch weniger öffentlichkeitswirksam, war vielmehr, dass er den bisherigen LDP-Generalsekretär Shigeru Ishiba bei der Kabinettsumbildung zum Minister für „nationale strategische Sonderzonen“ ernannte. Ishiba galt zwischenzeitlich als Abes möglicher Gegenkandidat um das Amt des LDP-Parteivorsitzenden. In seiner derzeitigen Funktion hätte er bei einer Kandidatur gegen den Premierminister aus heutiger Sicht deutlich geringere Erfolgsaussichten. Und nachdem ihm die Wähler bei der gestrigen Abstimmung mit großem Vorsprung erneut ihr Vertrauen ausgesprochen haben, dürfte Shinzo Abe seinen Führungsanspruch innerhalb der eigenen Partei zusätzlich gefestigt haben.