Asset Publisher

IMAGO / ZUMA Press Wire

ქვეყნის ამბები

Ein neuer Präsident für den krisengebeutelten Libanon

Nach über zwei Jahren Blockade ist das Amt des Präsidenten wieder besetzt. Der erste Schritt eines weiten Wegs der staatlichen Erneuerung?

Der Libanon hat einen neuen Präsidenten. Mit 99 von 128 Stimmen wurde Joseph Aoun, der bisherige militärische Oberbefehlshaber der libanesischen Armee (LAF), am 9. Januar vom libanesischen Parlament zum 14. Präsidenten des Landes gewählt. Vorausgegangen waren intensive internationale Vermittlungsbemühungen, diplomatischer Druck sowie innerlibanesische Debatten darüber, wie und mit wem die über zwei Jahre andauernde Vakanz im Präsidentenpalast beendet werden kann. Die Erwartungen an den neuen Präsidenten sind hoch und die Herausforderungen, vor denen er und das Land stehen, groß.

Asset Publisher

Wer ist Joseph Aoun?

Joseph Aoun, der neue Präsident des Libanon, hat sich einen untadeligen Ruf als militärischer Oberbefehlshaber erworben. Er übernimmt die Führung des Landes in einer Zeit tiefgreifender politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Krisen. Als Armeechef
stand der 60-jährige seit 2017 einer der wenigen staatlichen Institutionen vor, die in der libanesischen Bevölkerung Ansehen und Respekt genießen. Im Kontext der sozioökonomischen Krise seit 2019 und dem damit einhergehenden Zerfall staatlicher Strukturen ist es ihm in dieser Funktion gelungen, die Handlungsfähigkeit der Armee zu wahren und mit ihr einen wichtigen Beitrag zur Einhegung gesellschaftlicher Konflikte zu leisten. Er stellte zudem sicher, dass die Armee nicht in Hisbollahs Krieg gegen Israel ab Oktober 2023 hineingezogen wurde und sich stattdessen um die Versorgung der rund eine Million Binnenflüchtlinge, die der Krieg erzeugte, und die Aufrechterhaltung eines Grundmaßes an öffentlicher Ordnung kümmerte.

International steht er im Ruf ein strategischer Denker, integer und zuverlässig zu sein. Als maronitischer Christ erfüllt er zudem auch die konfessionelle Voraussetzung für das Amt des Staatspräsidenten, das im von religiösem Proporz geprägten politischen System des Libanons immer für einen Christen reserviert ist.1

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sein Name immer wieder in der Diskussion möglicher Kandidaten für das Präsidentenamt auftauchte, ohne dass sich jedoch eine der politischen Parteien voll hinter ihn gestellt hätte. Jetzt ist seine Zeit gekommen und er muss sich im politischen Dickicht des Libanons beweisen.



Nach dem Krieg und vor der Amtsübernahme Donald Trumps – neue Interessenskonstellationen

Seit Ende der Amtszeit des Vorgängers im Präsidentenpalast, Michel Aoun (weder verwandt noch verschwägert mit dem neuen Präsidenten gleichen Nachnamens), Ende Oktober 2022 waren zwölf Versuche der Wahl eines neuen Präsidenten erfolglos verlaufen. Hisbollah und Parlamentspräsident Nabih Berri hatten den Prozess wiederholt blockiert und auch die Opposition war in der Kandidatenfrage oft gespalten. Nach dem Krieg zwischen Israel und Hisbollah und mit Blick auf die anstehende Amtsübernahme von Donald Trump als nächstem US-Präsidenten hat sich die Ausgangslage nun geändert.

In Anbetracht der Zerstörung unzähliger Dörfer im Süden des Landes und in der Bekaa-Ebene sowie der vor allem schiitisch bewohnten Stadtteile Beiruts durch Angriffe der israelischen Armee, war der Druck auch für Hisbollah und Berri zu groß geworden und sie mussten ihre Blockadehaltung aufgeben: Wiederaufbauhilfe aus Iran ist kaum zu erwarten und mit dem Sturz des Assad-Regimes ist ein weiterer wichtiger Verbündeter Hisbollahs von der Bildfläche verschwunden. Die USA, Frankreich, Saudi-Arabien und Katar haben wiederum deutlich gemacht, dass die Wahl eines Präsidenten Voraussetzung für weitere Unterstützung des krisengebeutelten Libanons ist.

Auch die Anti-Hisbollah-Opposition, angeführt von den Parteien Lebanese Forces und Kataeb, sowie die zahlreichen unabhängigen Abgeordneten im fragmentierten Parlament hatten sich aufgrund der dramatischen Zuspitzung der Lage im Libanon sowie vor dem Hintergrund des internationalen Drucks nun hinter Joseph Aoun als Kandidaten gestellt.

Der Umstand, dass Joseph Aoun im zweiten Wahlgang 99 von 128 Stimmen erhalten hat, legt nahe, dass nicht nur das Lager der Souveränisten und viele der unabhängigen Parlamentarier für ihn gestimmt haben, sondern auch Abgeordnete der Amal Bewegung Nabih Berris und wohl auch einige Hisbollah-Abgeordnete.

Einzig die christliche Partei Freie Patriotische Bewegung (Free Patriotic Movement, FPM) hatte von Anfang an klar gemacht, dass sie Joseph Aoun entschieden ablehnt. V.a. machtpolitische Erwägungen spielten hierbei eine wichtige Rolle: Sollte Aoun sich entschließen, eine über die Präsidentschaft hinausgehende politische Karriere anzustreben und eine eigene Partei zu gründen, so würde diese vermutlich insbesondere mit der FPM um Wähler konkurrieren, da deren Anhänger traditionell als nah an der Armee gelten.

Eine besondere Herausforderung für den Kandidaten Joseph Aoun stellte eine juristische Vorgabe dar: Laut Artikel 49 der Verfassung dürfen hochrangige Staatsbedienstete – wie der Armeechef – frühestens zwei Jahre nach dem Ende ihrer Amtszeit ins Präsidentenamt gewählt werden. Um etwaige juristische Anfechtungen der Präsidentschaft zu verhindern, war es daher wichtig, dass Aoun mehr als zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinigen konnte, da dies auch die für Verfassungsänderungen notwendige Mehrheit ist. Dies war der Fall. Die Verfassungsänderung wird somit implizit mit der Wahl des Präsidenten vollzogen, ohne sie jedoch explizit im Verfassungstext umzusetzen. Eine im libanesischen politischen Kontext nicht unübliche Herangehensweise – auch Präsident Michel Sleiman war 2008 so ins Amt gewählt worden – die dennoch bei einige Abgeordnete auf Kritik stieß.



Amtsübernahme und Regierungsbildung: ein erster Lackmustest

Die Amtsübernahme Joseph Aouns erfolgte unmittelbar nach seiner Wahl. Der neue Präsident hat bereits seine Antrittsrede gehalten und Quartier im Präsidentenpalast bezogen. Seine Rede macht deutlich, dass er den Libanon als Staat stärken will; dies entspricht auch seiner bisherigen Herangehensweise als Armee-Chef. Er erklärte u.a., dass er das staatliche Gewaltmonopol errichten, die Armee stärken, eine Verteidigungsstrategie erarbeiten und außenpolitisch eine positive Neutralität einnehmen will; im libanesischen Kontext sind dies Chiffren für die Entwaffnung Hisbollahs und einer Abkehr vom Iran; er machte aber auch deutlich, dass der libanesische Staat eine Besetzung libanesischen Territoriums durch Israel nicht hinnehmen will. Weitere wichtige Punkte seiner Antrittsrede beinhalteten: die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und die Bekämpfung von Korruption; der Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Teile des Landes; die Annäherung an Syrien mit dem Ziel der Aufklärung des Verbleibs durch das Assad Regime verschleppter Libanesen sowie einer Vorbereitung der Rückführung der rund 1,7 Millionen syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon nach Syrien; die Bekämpfung von Schmuggel und Terrorismus; die Durchführung wirtschaftlicher Reformen; eine Modernisierung des Wahlrechts und eine Umsetzung der seit langem geplanten Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen.

Unmittelbar als nächster Schritt steht nun die Bildung einer neuen Regierung an. Es ist davon auszugehen, dass Aoun innerhalb der nächsten Tage Konsultationen mit den verschiedenen Parlamentsblöcken aufnehmen wird, um festzustellen, welcher mögliche Kandidat für das Amt des Premierministers den größten Rückhalt im Parlament hat. Dieser Prozess wird ein erster Lackmustest für das Zusammenspiel von Präsident und Parlament und damit die Erfolgsaussichten der Umsetzung einer Reformagenda sein. Die Bildung der derzeitigen (geschäftsführenden) Regierung unter Führung von Premierminister Najib Mikati zog sich über ein Jahr lang hin. Nach Bildung der Regierung wird eine Reihe von Spitzenämtern neu zu besetzen sein, u.a. das des Zentralbankchefs und auch das Amt des Armeechefs, das Aoun selbst innehatte und das nun stellvertretend besetzt ist. Auch die seit drei Jahren überfälligen Kommunalwahlen wird die neue Regierung vorbereiten müssen. Im Jahr 2026 stehen dann auch schon wieder Parlamentswahlen an.

 

Sicherheit, Staatlichkeit und eine lange Reformagenda

Auf der sicherheitspolitischen Agenda ganz oben steht die Konsolidierung des Waffenstillstands mit Israel. Hier wird es darum gehen, dass die libanesische Armee in den Gebieten südlich des Litani-Flusses die Kontrolle übernimmt und Hisbollah dort keine militärische Präsenz mehr hat, bzw. dass ein militärisches Wiedererstarken Hisbollahs dort verhindert wird.

In diesem Zusammenhang muss der libanesische Staat auch die Kontrolle über die Landgrenze zu Syrien sowie über die Häfen und Flughafen übernehmen. Kontrolle über Grenzen und Territorium ist Kernelement eines souveränen Staates, die Voraussetzung für die Bekämpfung von Schmuggel und Schleuserkriminalität sowie für die Erfüllung der einschlägigen UN-Resolutionen, insbesondere 1701 und 1559, die eine Entwaffnung aller Milizen vorsehen. Auch Versuchen der Machtdemonstration und der Erzeugung von öffentlichem Druck durch Hisbollah – wie jüngst durch Motorradgangs, die gegen die Inspektion eines iranischen Flugzeugs am Flughafen protestierten – müssen unterbunden werden.

Auch mit Blick auf den Wiederaufbau und die Unterstützung der notleidenden Bevölkerung wird es darum gehen, dass der libanesische Staat der zentrale handelnde Akteur ist und dass keine Mittel an Institutionen gehen bzw. über diese verteilt werden, die unter Kontrolle Dritter sind, wie etwa der Council of the South, der unter Kontrolle Nabih Berris steht, oder über Hisbollah-kontrollierte Organisationen. Hier kommt den internationalen Unterstützern des Libanons eine wichtige Rolle zu.

Diese sicherheitspolitischen Maßnahmen und Schritte zur Konsolidierung der libanesischen Staatlichkeit sind Teil und teilweise auch Voraussetzung weiterer politischer und wirtschaftlicher sowie gesellschaftlicher Reformen für den Libanon. Auf der Agenda findet sich auch die Durchführung der längst überfälligen wirtschaftlichen Reformen, die u.a. im Staff-Level-Agreement mit dem Internationalen Währungsfund im April 2022 vereinbart wurden, um die seit 2019 grassierende Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Auch gilt es, die juristische Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten im Kontext der Hafenexplosion in Beirut im August 2020 wieder aufzunehmen und so ein deutliches Signal zu Stärkung
rechtsstaatlicher Prinzipien und der Unabhängigkeit der Justiz zu senden.

Die Liste der Aufgaben ließe sich fortsetzen… klar ist: der Libanon und sein neuer Präsident stehen vor großen Herausforderungen, die durch die humanitären und wirtschaftlichen Nachwirkungen des Kriegs mit Israel noch größer geworden sind. Die politische Konstellation im Land war aber schon lange nicht mehr so aussichtsreich für die Verfolgung einer Reformagenda, die das Land vom Kopf wieder auf die Füße stellen muss.

 


 

1 Das politische System des Libanons wird als „consociational democracy“ bezeichnet an dessen Spitze ein christlicher Präsident, ein schiitischer Parlamentspräsident und ein sunnitischer Premierminister stehen. Der religiöse Proporz bei der Ämterverteilung setzt sich in allen exekutiven, legislativen und judikativen Institutionen fort.

Asset Publisher

Kontakt

Michael Bauer

Michael Bauer bild

Leiter des Auslandsbüros Libanon

michael.bauer@kas.de +961 (0)1 388 095/6 +961 (0) 1388097

comment-portlet

Asset Publisher

Über diese Reihe

კონრად ადენაუერის ფონს აქვს თავისი ბიურო და წარმომადგენლობა ხუთი კონტინენტის 70 ქვეყანაში. ადგილობრივი თანამშრომლები მოგაწვდითინფორმაციას აქტუალურ მოვლებეზე და თქვენთვის სასურველ ქვეყანაზე.E"ქვეყნების შესახებ ინფორმაციის მისაღებად" მოსარგებლეს გთავაზობთ კონრად ადენაუერის ფონდის ვებ გვერდზე ექსკლუზიურ ანალიზს, შემდგომი გეგმების შესახებ ინფორმაციებს და შეფასებებს.