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Holzmafia im Senegal?

Bluttat in der Casamance und viele Fragen

Der Senegal gilt als stabiles und wirtschaftlich aufsteigendes Land in Westafrika. Das Wirtschaftswachstum des Landes dürfte 2018 vermutlich sieben Prozent betragen, die Wahlbeteiligung bei der Parlamentswahl im Juli 2017 betrug über 54 Prozent und die Zivilgesellschaft ist heterogen und sehr aktiv.

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Das Land gilt als Stabilitätsanker in einer fragilen Nachbarschaft, auch da der seit 1982 währende Konflikt in der krisenanfälligen Region Casamance im Süden des Landes seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Macky Sall im Frühjahr 2012 beigelegt bzw. zumindest die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Region beendet werden konnten. Inzwischen gibt es Verhandlungen zwischen den Rebellen und der Regierung.

Casamance-Konflikt beigelegt?

Seit fünf Jahren gab es keine Meldungen mehr über Opfer des Casamance-Konflikts und keine gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der „Movement des Forces Démocratiques de la Casamance“ (MFDC), die für eine Unabhängigkeit der Region vom Zentralstaat eintreten, und der senegalesischen Armee. Die Anwohner der Casamance erholten sich von einem jahrzehntelangen Konflikt, auch wenn Militärkontrollen an den Ein- und Ausfahrtstraßen überall in den Dörfern der Casamance sowie verminte Landstriche nach wie vor zur Wirklichkeit der Region zählen. Der Tourismus in dieser von atemberaubenden Stränden und schönen Landschaften geprägten Region begann langsam wieder an Attraktivität zu gewinnen. Auch staatliche Entwicklungspläne für die Region zielen mit der Förderung von Fischerei und der Verarbeitung von Mangos auf neue Wirtschaftszweige und die Schaffung von Arbeitsplätzen und somit von Perspektiven, um die aus dieser Region anhaltend hohe Abwanderungsbewegung der jungen Bevölkerung zu verringern.

Kurzum: Die Region, die seit 35 Jahren als Konflikt- und Krisenregion Senegals international bekannt ist, befand sich in den letzten Jahren auf dem Weg der Normalisierung. Dazu trug auch der von der katholischen Laienorganisation Sant´Egidio moderierte Prozess zur Versöhnung zwischen den Rebellen und der Regierung bei. Umso entsetzter war die senegalesische Bevölkerung zu Jahresbeginn, als am 6. Januar Berichte über ein Blutbad südlich von Ziguinchor, der Regionalhauptstadt der Casamance, landesweit für Aufmerksamkeit sorgten.

Was war geschehen?

Am Nachmittag des 6. Januar wurden nach bisherigen Erkenntnissen Holzfäller im Wald von Bourofaye Nahe der Gemeinde Nyassia beim Einsammeln von Brennholz überrascht und in einem erbarmungslosen Massaker 14 Männer hingerichtet. Nach Angaben des senegalesischen Regierungssprechers habe eine Frauengruppe, die unweit des Tatorts auf einem Reisfeld arbeitete, die ermordeten Männer später gefunden. Zehn der zuerst 13 aufgefundenen toten Männer seien durch Schüsse, zwei an den Folgen von Machetenangriffen und ein weiterer durch Brandwunden verstorben. Im Verlauf der Woche wurde ein weiterer Holzfäller ermordet im Wald aufgefunden und erhöhte die Zahl der Opfer schließlich auf 14 Menschen. Drei der 14 Toten besaßen die Staatsbürgerschaft des direkt an die Region angrenzenden Guinea-Bissaus, alle weiteren Opfer waren Senegalesen.

Sieben Männer entkamen dem Angriff verletzt und berichteten später, dass es sich bei den Angreifern um eine Gruppe von 15 bis 30 teils vermummten, teils uniformierten Männern gehandelt habe, die in einer lokal bekannten Sprache kommunizierten. Die späteren Opfer seien zur Herausgabe ihrer Mobiltelefone und Fahrräder aufgefordert worden, bevor sie ohne Vorwarnung hingerichtet bzw. verletzt wurden.

MFDC-Rebellen hinter der Tat?

Schnell lenkte sich bei der Suche nach den Tätern die Aufmerksamkeit auf die Rebellen der „Movement des Forces Démocratiques de la Casamance“ (MFDC), die im Verdacht standen, die Friedensverhandlungen durch eine solche Tat fahrlässig gefährden und neue gewaltsame Auseinandersetzungen initiieren zu wollen. Keine 48 Stunden nach der Bluttat distanzierte sich ein Sprecher der fragmentierten MDFC jedoch eindeutig von dieser Attacke und wies jede Verstrickung seiner Organisation vehement zurück. „Die Frage der Casamance muss am Verhandlungstisch und nicht durch Barbarei geklärt werden“, so Omar Ampoy Bodian, einer der vielen Sprecher der MFDC.

Hintergrund des Casamance-Konflikts

Der Konflikt in der Casamance ist einer der am längsten anhaltenden Konflikte Afrikas und prägt seit über 35 Jahren die Region. Nach unterschiedlichen Angaben sollen mindestens 5.000 Menschen Opfer und mehr als 100.000 Menschen zu regionalen Binnenflüchtlingen dieses Konflikts geworden sein. Die Ursprünge des Konflikts sind komplex und lassen sich auf das Jahr 1982 datieren. Am 28. Dezember 1982 wurde auf einem öffentlichen Gebäude in Ziguinchor die senegalesische Flagge von Demonstranten durch die weiße Flagge der Casamance ersetzt, nachdem bereits am 26. Dezember erste Demonstrationen in der Stadt begannen. Daraufhin wurden Funktionäre, der bereits 1945 gegründeten politischen Bewegung „Movement des Forces Démocratiques de la Casamance“ (MFDC), inhaftiert. Blutige Auseinandersetzungen folgten, u.a. am 16. Dezember 1983, der als „roter Sonntag“ in die Geschichte einging, da mehr als 200 Menschen aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen MDFC-Anhängern und dem senegalesischen Militär starben. Ziguinchor blieb über all die Jahre ein Zentrum des Casamance-Konflikts.

MFDC: Politischer und militärischer Akteur in der Region

Seit 1982 entwickelte sich die MFDC auch zu einem militärischen Akteur in der Re-gion, die ihrem Streben nach Unabhängigkeit auch gewaltsam Ausdruck verlieh. Der militärische Arm der MDFC, die „Attika“ (Diola für Kämpfer oder Pfeil), griff vor allem seit Mai 1990 offensiv senegalesische Militäreinrichtungen an, was 1991 einen ersten Waffelstillstand zwischen den verfeindeten Parteien (MFDC einerseits und senegalesischer Staat andererseits) zur Folge hatte.

Auch wenn seit 2012 Verhandlungen zur Befriedung der Region geführt werden, bleiben zahlreiche Ungewissheiten, die den Konflikt weiter schwelen lassen. Die genaue Anzahl der MFDC-Rebellen war und ist nicht bekannt. Es kursieren Zahlen zwischen 5.000 bis 10.000 Rebellen, sie bleiben jedoch rein spekulativ. Ein Faktum ist hingegen die Fragmentierung des MFDC in mehrere, sich gegenseitig kritisch beäugende, Lager. Es gibt keine eindeutige MFDC-Hierarchie, inzwischen gibt es mindestens fünf unterschiedliche MFDC-Einheiten, die mitunter verschiedene Ziele verfolgen.

Salif Sadio, der mit der Regierung offiziell verhandelt, leitet eine Einheit im Grenzgebiet zu Gambia. Er gilt zwar als radikal in seinen Ansichten und unnachgiebig in der Forderung nach einer Unabhängigkeit der Region, willigte allerdings einem Waffenstillstand mit der Regierung bei. Ein weiterer Protagonist der MFCD, der etwa 75 Prozent der Rebellen führt und Regionen an der Grenze zu Guinea-Bissau kontrolliert, ist César Atoute Badiate. Badiate gilt als ursprünglicher Kommandant des MFDC, zu dem die Regierung offiziell keinerlei Kontakte unterhält.

„Weder Sieger, noch Besiegte“

Die Regierung unter Staatspräsident Macky Sall scheint nicht unbedingt davon auszugehen, dass die MFDC mit der Tat von Anfang Januar in Verbindung gebracht werden kann. Noch in seiner Neujahrsansprache vom 31. Dezember 2017 betonte Macky Sall vor allem die Erfolge des Friedensprozesses mit der MFDC und unterstrich, dass ein einheitlicher und friedvoller Senegal das Ziel aller Verhandlungen sei. Dabei solle es „weder Sieger, noch Besiegte“ in diesem Prozess geben. Am 1. Januar 2018 wurden zwei MFDC-Rebellen aus der Haft entlassen. Keine offizielle staatliche Stelle hat bisher die MFDC beschuldigt, hinter dieser Tat zu stecken – vermutlich auch um einen wesentlichen Erfolg der Regierung Salls, nämlich die Befriedung der Situation in der Casamance, nicht unnötig zu gefährden.

Der Staatspräsident ist bestrebt, im Jahr vor den Präsidentschafts- und Kommunalwahlen 2019 Stärke zu demonstrieren. So wurde neben einer zweitägigen Staatstrauer nach der Bluttat vom 6. Januar vor allem eine starke Militärpräsenz in der Region angeordnet. Mindestens 150 Soldaten wurden direkt in die Casamance versetzt, zudem flogen Hubschrauber über den Wäldern der Region. Der Armeechef und der Innenminister machten sich vor Ort ein Bild der Lage, letzterer überbrachte den Angehörigen der Opfer die Zusage von einer Soforthilfe in Höhe von je 1 Mio. FCFA (ca. 1500 Euro) pro Familie.

Regionale Holzmafia in der Casamance aktiv?

Am 14. Januar wurden in der Gemeinde Toubacouta in der Casamance 22 Tatverdächtige festgenommen – allesamt Mitglieder des Dorfkomitees zur Bewachung und des Schutzes des Waldes. Bisher gab es keine Verurteilungen, jedoch setzt sich der Ver-dacht durch, dass es sich bei der Bluttat um die Folge einer Fehde der lokalen Holzmafia handeln könnte. Der Reichtum der Region Casamance ist offensichtlich. Neben Fischerei und Früchten (Mangos) gibt vor allem der Holzreichtum der Region eine traditionell wichtige Bedeutung.

Wandert senegalesisches Holz über Gambia nach China?

Bis zur politischen Transformation in Gambia im Januar 2017 wurde der damalige gambische Diktator Yaya Jammeh wiederholt beschuldigt, den Auftrag zur illegalen Abholzung von Wäldern auf senegalesischem Territorium gegeben und das Holz in Gambia anschließend verkauft zu haben. Dabei soll China inzwischen einer der größten Abnehmer von Holz aus Gambia sein. Der ehemalige senegalesische Umweltminister, Haidar El Ali, geht davon aus, dass mindestens 5000 Container voller Holz jährlich von Gambia aus nach China gelangen – dabei soll es sich um illegal in der Casamance abgerodetes Holz handeln. Jährlich sollen auf diese Weise über gambische Häfen Geschäfte mit China in Höhe von mehreren Hundertmillionen Euro abgewickelt werden, so der heutige Umweltaktivist El Ali.

Der Wald im Norden der Casamance an der Grenze zu Gambia ist durch die jahrelange Abholzung inzwischen stark minimiert. Daher, so vermutet etwa der Journalist Ibrahima Gassama, könnte sich eine Verlagerung der illegalen Abholzungsaktivitäten in den Süden der Casamance in das Grenzgebiet zu Guinea-Bissau vollzogen haben. Durch die porösen Grenzen zwischen den Ländern der Region ist eine vollumfassende Grenzkontrolle ohnehin eine Utopie und ermöglicht neben Drogen- und Waffenhandel auch der internationalen Holzmafia problemlos die begehrte Ressource Holz ohne Genehmigung zu roden und auf dem internationalen Markt zu verkaufen.

Täter bleiben unbekannt – Zahl-reiche Theorien kursieren

Bisher bleibt ungewiss, wer die Täter der Bluttat vom 6. Januar sind. Es kursieren unterschiedliche Spekulationen. Handelt es sich um Bewohner der Region, die ihren Wald gegen die voranschreitende Verwüstung und den Raubbau schützen wollten – zumal der Wald bei zahlreichen traditionellen Religionen vor Ort eine heilige Bedeutung einnimmt? Handelt es sich vielleicht doch um Rebellen der MFDC, die in ihrer genauen Anzahl und Abspaltung ohnehin nicht nachvollziehbar sind? Womöglich kamen einige MFDC-Rebellen auch auf Bitten der lokalen Bevölkerung hinzu, da sie über Waffen und Kampferfahrung verfügen?

Oder waren doch illegal agierende Gruppen der Holzmafia, die ihr Revier markieren oder mögliche Konkurrenten ausschalten wollten am Werk? Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die Täter ausfindig und zur Rechenschaft gezogen werden können oder ob die Region nach wenigen Jahren der Konso-lidierung erneut von Destabilisierung und Unsicherheit heimgesucht werden wird. Am Samstag, dem 20. Januar gab es erneute Festnahmen in der Region um Ziguinchor, 17 Tatverdächtige – auch aus der Gruppe der unmittelbar nach der Tat 22 Festgenommenen – wurden inzwischen angeklagt, u.a. wegen des unerlaubten Waffenbesitzes.

Entschlossener Staat setzt Friedensprozess mit MFDC fort

Am 17. Januar beschloss das Kabinett, bis auf Weiteres Waldrodungen in der Region zu verbieten und den Schutz der Wälder stärker zu kontrollieren. Ferner wurde eine Revision des Forstgesetzes angekündigt. Gleichzeitig wurde betont, den „inklusiven Dialog“ in der Region sowie die Friedensverhandlungen mit der MFDC fortsetzen zu wollen. Festzustehen scheint, dass sich in der Casamance jenseits der Probleme mit MFDC-Rebellen eine ausgeprägte Bandenkriminalität etablieren konnte. Neben Waffen-, Drogen- und Menschenhandel, nimmt dabei der illegale Holzhandel eine zentrale Rolle zwischen Guinea-Bissau, Gambia und der Casamance ein.

Die Armee und Gendarmerie sind damit beauftragt, alle bewaffneten Banden dauerhaft zu „neutralisieren“ und die öffentliche Ordnung zu garantieren. Der Tourismussektor verzeichnet bereits erste Einbußen in der Region. Die aktuelle Lage in der Casamance bleibt derzeit ungewiss und könnte die politische Agenda Senegals 2018 stärker prägen als noch vor wenigen Wochen erwartet.

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