Das PARLACEN
Das Zentralamerikanische Parlament („Parlamento Centroamericano“ -PARLACEN) ist Teil des „Systems der Integration Zentralamerikas“ („Sistema de la Integración Centroamericana“ - SICA) und entstand aus den Friedensabkommen von Esquipulas, die zur Beendigung der Bürgerkriege in Zentralamerika führten. Das PARLACEN, gegründet 1991, hat seinen Sitz in Guatemala. Vertreten sind die Mitgliedsstaaten des SICA Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Panama und die Dominikanische Republik (mit Ausnahme von Belize und Costa Rica) mit je 20 direkt gewählten Abgeordneten. Hinzu kommen jeweils die Staats- und Vizepräsidenten nach ihrer aktiven Amtsperiode. Das PARLACEN ist jedoch nicht mit einem klassischen Parlament zu vergleichen, da es keine Gesetzgebungskompetenzen hat, sondern im Wesentlichen auf Analysen, Vorschläge und Empfehlungen beschränkt ist. Sein Ruf ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht der beste. Die Abgeordnetendiäten, deutlich höher als die jeweils nationalen Bezüge, stehen immer wieder in der Kritik. Vor allem aber gilt das PARLACEN aufgrund der Abgeordnetenimmunität als Rückzugs- und Schutzort, gleichsam als „Abklingbecken“ für diejenigen, die sich der nationalen Gerichtsbarkeit für einige Zeit entziehen wollen.
Die Aufnahme Russlands als „Ständiger Beobachter“
Obwohl die Kompetenzen des PARLACEN wie gesagt begrenzt sind, sorgte die Entscheidung zur Aufnahme Russlands als „Ständiger Beobachter“ für Schlagzeilen.
Nachdem wenig vorher 76 Abgeordnete die Aufnahme Russlands gefordert hatten, stimmten in der entscheidenden Plenarsitzung vom 25. September 65 Abgeordnete dafür, 36 waren dagegen und drei enthielten sich.
Betrieben wurde die „Operation Russland“ vor allem von Nicaragua aus. Führend ist dabei ein Sohn des nicaraguanischen Diktators Daniel Ortega, Guillermo Ortega. Die Entscheidung des PARLACEN wurde auf der Grundlage eines Berichts der russischen Botschaft in Managua getroffen. Dies wurde ebenso kritisiert wie der Entscheidungsprozess selbst. Zum einen bekannten Abgeordnete, darunter der vormalige Vize-Präsident Guatemalas, Carlos Castillo, dass sie nicht über diese Vorlage informiert waren. Andere sprachen davon, dass Fraktionen diese nicht gekannt haben. Dieses wie auch immer entstandene, zumindest partielle Kommunikationsvakuum, machte sich der linke honduranische Abgeordnete Engels Martín Pineda García zu Nutze und lancierte im Wege eines Dringlichkeitsantrages (sic!) die Abstimmung auf die Tagesordnung des Plenums.
Auch dies ist Ausdruck einer unverhüllten Machtstrategie dieser russlandfreundlichen Koalition. Politik, das lernt man eigentlich schon in politischen Kindertagen, wird eben auch, und manchmal vorrangig, mit der Geschäftsordnung gemacht. Die Unerfahrenheit vieler Abgeordneter machen solche Vorgehensweisen möglich. Es bleibt, sofern politisch gewollt, erheblicher Aufklärungsbedarf, wie es zu dieser Entscheidung kam.
Begründet wurde die Aufnahme Russlands mit den „fruchtbaren und freundschaftlichen Verbindungen und der interparlamentarischen Kooperation seit 2018“. In der Tat hat Russland dem Vernehmen nach seit Jahren intensiv in diese Beziehungen investiert. Einladungen zu Reisen nach Russland nicht nur für Abgeordnete, sondern auch die Arbeitsebene des Parlaments haben den Boden für die jetzige Entscheidung vorbereitet. Der Phantasie bleiben daher vermutlich keine Grenzen gesetzt. Dass Russland sich zur Zahlung von 350 000 US-Dollar pro Jahr sowie der Finanzierung von Projekten und Maßnahmen verpflichtet, kommt dem PARLACEN natürlich entgegen.
Die Aufnahme Russlands spricht der vertraglich verankerten Zielsetzung des PARLACEN Hohn und ist der pure politische Zynismus. Das PARLACEN soll zu einem friedlichen Zusammenleben in der Region beitragen, „beruhend auf der repräsentativen und partizipativen Demokratie, dem Pluralismus (…) und dem Internationalen Recht“. Es bleibt das Geheimnis der zustimmenden Abgeordneten, wie Russland in dieses Anforderungsprofil passt, wobei sich Parlamentarier der vorangehenden Legislaturperiode diese Frage auch mit Blick auf die Aufnahme Chinas als ständigen Beobachter hätten stellen müssen.
Die Reaktionen – erfolgt eine erneute Entscheidung?
Die Entscheidung des PARLACEN erfuhr unmittelbar Gegenreaktionen. Das guatemaltekische Außenministerium charakterisierte die Einbeziehung Russlands als „besorgniserregend und bedauerlich“. Der guatemaltekische Staatspräsident Bernardo Arévalo legte einen Tag später nach. Die „Aufnahme eines Staates, der nicht die Normen des Internationalen Rechts respektiert“ sei „inkonsistent“.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des PARLACEN der Partei von Arévalo, SEMILLA, angehört. Ob es nun an einer Koordination zwischen Präsidentschaft und Abgeordneten der Regierungspartei gefehlt hat oder darin Spannungen zwischen einem eher fundamentalistischen linken Flügel und einem moderaten Staatspräsidenten zu sehen ist, kann aktuell von außen nicht beurteilt werden. In den Kommentaren der guatemaltekischen Presse wird die Entscheidung hart kritisiert. Es sei Zeit, dass Guatemala das PARLACEN verlasse, es sei “überflüssig, teuer und in Wirklichkeit nicht mehr als ein Schlupfwinkel für ehemalige Staatspräsidenten und ihre Verwandtschaft angesichts ernsthafter Aussichten, im Gefängnis zu landen“. Die panamaische Regierung charakterisierte die Aufnahme Russlands als „nicht-opportun“ und forderte eine neue Entscheidung. Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten, dürfte aber eher unwahrscheinlich sein.
Auch wenn dies für europäische Ohren etwas absonderlich klingen mag, evidenzbasiert lässt sich auch folgende Einschätzung rechtfertigen: Es ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung des PARLACEN auch eine Form antizipierter Loyalität gegenüber dem Motor dieser Entscheidung, Nicaragua, darstellt. Nicaragua gilt in der Region als das Land, das bei entsprechender Gegenleistung auch denjenigen Asyl gewährt, die in ihren jeweiligen Heimatländern wegen Korruption oder sonstiger Delikte verfolgt werden. Deren ideologische Ausrichtung spielt dabei keine Rolle.
Langfristige Strategie
Die Entscheidung des PARLACEN sollte nicht überraschen und ist, legislaturperiodenübergreifend, in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Bereits 2023 hatte das vorherige PARLACEN die Volksrepublik China aufgenommen und Taiwan nach über 20 Jahren den Status als „Ständiger Beobachter“ aberkannt. Dies wiederum ist auch nicht isoliert zu sehen. In den vergangenen sechs Jahren haben fünf der PARLACEN-Mitgliedsstaaten die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abgebrochen, zuletzt Honduras 2023 unter der Links-Regierung von Xiomara Castro, besser gesagt ihrem Ehemann, dem ehemaligen Staatspräsidenten Zelaya.
In Zentralamerika unterhält lediglich noch Guatemala diplomatische Beziehungen mit Taiwan. Soweit erkennbar, ist auch keine Änderung dieser Haltung ersichtlich. Erkennbar ist, dass zwei Strategien ineinander-greifen: Zum einen die sehr erfolgreiche chinesische, die massiv versucht, in einer Kombination aus Verlockung und Druck auf lateinamerikanische Länder die sog. Ein-China-Politik durchzusetzen. Zum andern ist Russland seit geraumer Zeit auf Expansionskurs in Lateinamerika. Neben seinen Verbündeten wie Kuba, Venezuela oder Bolivien setzt es mit Blick auf Zentralamerika auf seinen operativen Satrapenstaat Nicaragua.
Diese russische Strategie blieb allzu lange unter dem Radar, da sie in der Wahrnehmung vom russischen Engagement in Afrika und dem Nahen Osten und dem vorrangig sichtbaren Interesse Chinas an Lateinamerika überlagert wurde.
In einem guatemaltekischen Kommentar wird es auf den Punkt gebracht: Waren es in den sechziger Jahren die hard power, die Stationierung russischer Raketen auf Kuba und die Penetration zentralamerikanischer Staaten mit dem Kommunismus, so komme nun die „viel effizientere und rentablere soft power zum Einsatz“. Es handelt sich dabei auch um signifikant mehr als eine bloße „Provokation“ der USA, wie zunächst auch kommentiert wurde. Es geht um die Beeinflussung einer zwischen Nordamerika und Südamerika, sowie dem Atlantik und Pazifik gelegenen Region, die geopolitisch - wie geo-ökonomisch von hoher Bedeutung ist.
Einschätzung
Abzuwarten bleibt, inwieweit die mit dieser Entscheidung nicht einverstandenen Parlamentarier im Zusammenwirken mit den ablehnenden Regierungen versuchen, die Entscheidung des PARLACEN rückgängig zu machen. Klar erkennbar ist die Strategie sowohl Chinas wie Russlands, sich in dieser Region weiter festzusetzen. Zwar sollte das PARLACEN als Institution nicht überbewertet werden, es spielt weder im SICA noch in den Einzelstaaten eine besondere Rolle. Es wird kaum wahrgenommen und es bedarf schon Beschlüssen wie der Russland-Aufnahme, damit das PARLACEN in die Schlagzeilen kommt.
Daraus zu schließen, die Aufnahme Russlands sei nicht allzu tragisch, wäre jedoch eine fatale Fehleinschätzung: Zum einen ist es für das völkerrechtsverletzende und kriegführende Russland gerade in seiner aktuellen partiellen internationalen Isolierung und Ächtung ein nicht zu unterschätzender und mehr als symbolischer Erfolg. Vor allem aber ist mit Blick auf die Strategie, sich breiter in Zentral- und Lateinamerika festzusetzen, folgendes ernst zu nehmen: Das PARLACEN ist ein politischer Kontakt-, Resonanz- und Aktionsraum von sechs Staaten mit über 120 Vertretern aus über 50 Parteien und bietet hinreichend Ansatzpunkte für eine politische Penetrationsstrategie in die einzelnen Länder und weitere subregionale Kooperationsstrukturen.
Die Besorgnis von Beobachtern geht zudem dahin, dass Russland versuchen wird, nicht nur durch direkte Einmischung in die Kommissionsarbeit, sondern darüber hinaus das weitere Institutionensystem von SICA und seine verschiedenen Arbeitsbereiche zu beeinflussen.
Dies trifft auf eine Situation, in der sich das SICA insgesamt nicht nur in einer institutionellen Krise, sondern, wie es ein guatemaltekischer Analyst formuliert, im „freien Fall“ befindet. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung über die seit fast einem Jahr vakante Position des Generalsekretärs, nachdem der von Ortega 2023 durchgedrückte Kandidat nach wenigen Monaten wieder das Handtuch warf.
Das Vorgehen im PARLACEN dürfte, auch wenn es nicht gelingen sollte, dessen Russland-Entscheidung zu revidieren, Auswirkungen auf die künftige Arbeit im SICA haben. Dort sind die Regierungen vertreten und unterliegen dem Konsensprinzip. Die Konsensfindung dürfte erheblich schwieriger werden.
Die chinesische wie die russische Strategie ist langfristig, mehrdimensional und massiv. Und sie zahlt sich erkennbar aus. Sie setzt auf die Schaffung von staatlichen wie persönlichen Abhängigkeiten und Loyalitätsstrukturen, die es in der Folge erleichtern, subregionale und internationale Kooperationsstrukturen zu unterwandern und im Eigeninteresse zu beeinflussen und zu nutzen. Damit geht eine zielgerichtete Erosion demokratischer Systeme einher. Allein ein Blick auf die innenpolitische Entwicklung in Honduras bestätigt diese Befürchtungen.
Die Strategie Russlands wurde bislang nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Es bedarf auch in Europa und Deutschland einer politisch-strategischen Neubewertung unterbewerteter subregionaler Zusammenschlüsse und kleinerer Staaten. Auch diese haben Sitz und Stimme in internationalen Organisationen. Für demokratische Regierungen wie Parlamente sollte diese Entwicklung ein Weck- und Warnruf sein: Zwei diktatorische und globale Player sind auf Expansionskurs, in allen Ecken dieser Welt, auf allen Ebenen. Demokratische Regime müssen eine abgestimmte Gegenstrategie entwickeln.
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