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"Weißbuch" über die Regierung der ODS veröffentlicht

von Josef Gruber
Die Regierung von Simeon Sakskoburggotski veröffentlichte am 5. Dezember das längere Zeit zuvor angekündigte "Weißbuch" über die Tätigkeit der Regierung Iwan Kostovs. Darin wird eine kritische Bestandsaufnahme des vorgefundenen "Erbes" versucht. Auf Beschluß des Premiers wird auch eine spezielle "weiße Kommission" unter Vorsitz des Justizministers Anton Stankov eingesetzt. Sie soll zeitlich unbegrenzt nach Belegen für unredliche und ungesetzliche Praktiken der Vorgängerregierung fahnden.

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Im Vorwort zum Weißbuch heißt es u.a.: Die neue bulgarische Regierung hat eine Verpflichtung gegenüber den Wählern: Vor mehr als vier Monaten haben wir das Engagement übernommen, öffentlich Rechenschaft über den Zustand, in dem wir die Regierung des Landes übernahmen, zu geben Die politische Ethik erlaubte es uns nicht, vor den Wahlen recht dunkle Seiten aus der neuen Geschichte Bulgariens zu lesen "Der zweite Grund ist wesentlich - der Maßstab der skrupellosen Ausraubung Und um restlos aufrichtig zu sein: Jeder neue skandalöse Fall öffnet die Türen für neue, beschämende Überraschungen in vielen Fällen sind die Materialien der Staatsanwaltschaft übergeben worden" Nicht alle Handlungen stellen jedoch Straftaten und Gesetzesverletzungen dar. Oft hat die vorherige Regierung im Einklang mit dem Gesetz, aber unzweckmäßig agiert.

Danach werden auf 63 Seiten eine Fülle konkreter Beispiele, Fakten und Zahlen angeführt. Einige der grundlegenden Akzente sind:

  • In der Regierungszeit der Vereinigten Demokratischen Kräfte (ODS) 1997-2001 wurde umfangreich, aber ineffektiv privatisiert. Laut Expertenschätzungen beläuft sich der Preis der privatisierten Aktiva auf 20 Mrd. DM, die Erlöse betragen aber nur 2 Mrd. DM. In vielen nichtprivatisierten Unternehmen ist eine Verschlechterung des wirtschaftlichen und finanziellen Zustand zu beobachten.

  • Die schädliche Praxis der Subventionierung verlustbringender Unternehmen wurde fortgesetzt.

  • Haushaltsgelder wurden oft unzweckmäßig ausgegeben.

  • Die Außenverschuldung und die Devisenreserven wurden schlecht gemanagt.
Politiker der oppositionellen ODS verwahrten sich erwartungsgemäß gegen die im Weißbuch vorgebrachten Anklagen. Die SDS-Vorsitzende Ekaterina Michailova glaubt, daß sich das Kabinett mit dem Weißbuch Funktionen anmaßt, die ihm nicht zustehen.

Wenn es Hinweise auf ungesetzliche Praktiken gebe, so fielen diese in die Kompetenz der unabhängigen Justiz. Das Dokument sei inhaltlich unhaltbar und ein Versuch des Kabinetts, seine Unfähigkeit zu verschleiern und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit abzulenken.

Ex-Finanzminister Murawej Radev sieht im Weißbuch ein "Gelbes Buch" von Stojan Ganev, der Kabinettschef des Premiers ist. (Ganev war in seiner Zeit als Außenminister 1991/92 in eine Affäre mit einem "gelben Briefumschlag" verwickelt). Er rief Simeon Sakskoburggotski auf, die Anschuldigungen gegen seinen Vorgänger Iwan Kostov von der Parlamentstribüne aus zu formulieren, "indem er ihm dabei in die Augen schaut."

Die Vorsitzende der Bauernpartei in der Volksunion und Abgeordnete der ODS, Anastassija Moser, erklärte, daß es immer am einfachsten ist, die vorherige Regierung für die eigenen Mißerfolge anzuklagen. Im vorliegenden Fall sei jedoch das Erbe nicht zu vergleichen mit dem Nachlaß der BSP 1997, das die ODS vorgefunden hätten.

Der stellv. Fraktionsvorsitzende der regierenden Simeons-Bewegung (NDS II), Wladimir Dontschev, äußerte, daß das Buch sehr ausgewogen sei und nicht von der Staatsanwaltschaft verwertet werden könne. Es sei die Einlösung einer Zusage der Regierung und ziele auf keinen Fall darauf ab, die Aufmerksamkeit der Menschen abzulenken.

Die Medien kommentierten das Weißbuch vorwiegend in einem eher ironischen-sarkastischen Ton, aus dem jedoch ihre Enttäuschung über das Werk abzulesen war. Darin würden nicht so sehr illegale als vielmehr unzweckmäßige Praktiken erwähnt, es fehlten konkrete Namen von Ministern. Die Journalisten hatten sich wahrscheinlich bombastische Enthüllungen über die Tätigkeit der vergangenen Regierung erhofft und mußten ernüchtert feststellen, daß das Weißbuch ihren Erwartungen in dieser Hinsicht nicht gerecht wird.

Manche unabhängigen Experten sind gegenüber dem Weißbuch skeptisch. Der Ex-Stellv. Finanzminister Plamen Orescharski ist der Ansicht, daß Bulgariens öffentliche Finanzen bei der Amtsübernahme der Regierungsgeschäfte durch die Simeons-Bewegung im besten Zustand nicht nur nach der friedlichen Revolution 1989, sondern in den letzten 15 Jahren gewesen seien.

Der Direktor des Instituts für Marktwirtschaft, Krassen Stantschev, sieht im Weißbuch vornehmlich "Irrglauben, Prophezeiungen und Widersinnigkeiten". Seiner Ansicht nach ist die verfehlte Leitidee des Buches, daß Staat, Regierung und Wirtschaft zusammenfallen. Es werde jedoch die elementare Wahrheit vergessen, daß die Regierung nichts schafft, sondern die Bürger und Geschäftskreise den Reichtum produzieren. Aus diesem verkehrten Postulat resultierten eine Reihe von Denkfehlern, wie z.B. daß infolge der Privatisierung der Nationalreichtum abgenommen habe usw.

Es ist eine in der Politik häufig anzutreffende Praxis, daß man die Tätigkeit von Vorgängerregierungen kritisch prüft. Fraglich bleibt dabei, ob das unbedingt zur Popularitätssteigerung des eigenen Kabinetts beiträgt.

Die sozialistischen Regierungen Andrej Lukanovs und Jean Widenovs hatten 1990 bzw. 1994 Weißbücher über ihre Vorgänger abgefaßt. Hingegen verzichtete die ODS-Regierung von Iwan Kostov, die 1997 nach der katastrophalen Entwicklung unter Widenov an die Macht gelangte, auf die Erstellung eines solchen Papiers. Simeon Sakskoburggotski hatte bei der Amtsübernahme zu seinem Vorgänger Iwan Kostov gesagt, daß er die Meßlatte sehr hoch angesetzt habe und es für das neue Kabinett schwierig sein werde, diesen Maßstäben zu genügen. Vizepremier und Wirtschaftsminister Nikolaj Wassilev meinte sogar, daß das Kabinett Kostov die beste Regierung seit 1990 gewesen sei.

Das Weißbuch vertritt jedoch nunmehr eine diametral entgegengesetzte These. Es sei beiläufig auch auf einen weiteren logischen Widerspruch hingewiesen: Die Simeons-Bewegung war vor allem mit dem Anspruch angetreten, die Einkommen der Bevölkerung "unverzüglich und nichtsymbolisch" anzuheben. Aus dem Weißbuch wird ersichtlich, daß das infolge der Hinterlassenschaft unmöglich sein dürfte. Das würde jedoch bedeuten, daß die Simeons-Bewegung darauf gebaut hat, ein Erbe vorzufinden, daß diese umgehende und spürbare Einkommenssteigerung zuläßt. Es fragt sich dann, warum nicht bereits die vorherige Regierung diese Erhöhung vorgenommen hat.

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Thorsten Geißler

Thorsten Geißler

Leiter des Auslandsbüros Bulgarien

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