(K)eine Zeitenwende in Peking
„Hunderte Millionen Menschen lieben ihren Führer!“, mit diesen Worten zitierte die Partei-Zeitschrift Qiushi („Suche nach Wahrheit“) Mitte Januar Delegierte des örtlichen Volkskongresses der Provinz Jiangsu. Diese hatten kurz zuvor einstimmig für die Entsendung des Staats- und Parteichefs Xi Jinping als Abgeordneter für den 14. Nationalen Volkskongress gestimmt. Trotz der Erwartbarkeit des Ereignisses bezeichneten die Staatsmedien das Abstimmungsergebnis als „historisch“: Es habe tosenden Applaus gegeben[i].
Staatschef Xi ist somit einer der rund 3.000 Delegierten, die am Sonntag in der Großen Halle des Volkes in der chinesischen Hauptstadt zusammenkommen werden. Der Nationale Volkskongress tagt einmal im Jahr und gilt als die größte gesetzgebende Versammlung der Welt. Doch geht es bei der mehrtägigen „Demokratie-Show“ in Peking nicht um freie Wahlen oder kontroverse Beratungen: „Die Abgeordneten sind nicht demokratisch gewählt und stimmen traditionell allem zu, was vorgeschlagen wird,“ so die Einschätzung des Tagesschau-Korrespondenten Benjamin Eyssel[ii].
Warum kann man beim diesjährigen Volkskongress dennoch von einer historischen Zäsur sprechen? Seit Mao wird Xi der erste Politiker sein, der mehr als zwei Amtszeiten als Staatspräsident bestreitet. Eine entsprechende Begrenzung wurde vom Nationalen Volkskongress am 11. März 2018 abgeschafft. Auch ist das Zeitalter der kollektiven Führung innerhalb der Partei spätestens seit dem Parteitag der Kommunisten im Oktober vergangenen Jahres beendet. Eiskalt wurde die wirtschaftsliberale Gruppierung um Ex-Präsident Hu Jintao und den bisherigen Premierminister Li Keqiang, die sogenannte „Fraktion der Jugendliga“, abserviert. Unter Xis direktem Vorgänger, Hu Jintao, so sagt man, seien Entscheidungen innerhalb des Führungsgremiums der Partei, dem Ständigen Ausschuss, per Mehrheitsentscheid herbeigeführt worden. Doch ist es Xi gelungen, sämtliche innerparteiliche Widersacher zu verdrängen. Sinnbild hierfür waren auch die Fernsehbilder, die zeigten, wie Ex-Präsident Hu Jintao beim Parteitag im Oktober vor laufenden Kameras aus dem vollen Sitzungssaal geleitet wurde.
Großes Stühlerücken und die Schaffung von Parallelstrukturen
Es war nicht weniger als ein politischer Paukenschlag: Im Vorfeld des 20. Parteitages war viel über die Machtfülle von Staats- und Parteichef Xi spekuliert worden. Dass er seine Kandidaten in der Partei scheinbar mühelos gegen andere Fraktionen durchsetzen konnte, hat selbst Experten überrascht. So war sein designierter Premierminister Li Qiang als Schanghaier Parteichef für den desaströsen, mehrmonatigen Lockdown in der Millionen-Metropole verantwortlich. Doch Li Qiang war einst enger Mitarbeiter Xi Jinpings und gilt als ausgesprochen loyal gegenüber seinem einstigen Chef. Xi konnte seinen Protegé auf dem Parteitag im Oktober durchsetzen und ihn direkt hinter sich selbst als „Nummer 2“ im Ständigen Ausschuss, dem engsten Führungszirkel der Partei, installieren. Nun soll Li Qiang auf dem Nationalen Volkskongresss als Premierminister auf Li Keqiang folgen und künftig Chinas Regierung anführen. Für Kritiker ist seine Wahl ein Zeichen dafür, dass ideologische Eignung und Loyalität gegenüber dem Präsidenten wichtiger sind als die Qualifikation der Kandidaten.
Keine Frage: Dass China nicht nur innenpolitisch auf treue Gefolgsleute des Präsidenten setzt, zeigen derweil auch weitere Personalien. Bereits Ende Dezember 2022 wurde Qin Gang als neuer chinesischer Außenminister berufen. Er gilt als Hardliner („Wolfskrieger“) und diente zuletzt als Vize-Außenminister sowie als Chinas Botschafter in Washington[iii]. Für Spekulationen sorgte unlängst auch eine weitere Personalentscheidung. So wurde Ende Januar bekannt, dass Wang Huning von Staatschef Xi beauftragt wurde, eine neue „Vereinigungs-Strategie“ für Taiwan auszuarbeiten. Aus der Sicht Pekings ist Taiwan eine abtrünnige chinesische Provinz. Bis vor Kurzem diente Wang als Chefideologe der Partei. Anders als Außenminister Qin Gang gehört er dem Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem engsten Machtzirkel der Partei, an. „Wangs Auftrag könnte das Ende von Deng Xiaopings Idee von "Ein Land, zwei Systeme" bedeuten, die Peking seit Jahrzehnten für eine friedliche Vereinigung mit Taiwan propagiert. Nach dem Scheitern der Idee in Hongkong steht Peking unter Druck, einen neuen Plan zu entwerfen, wobei Wang nun den theoretischen Unterbau liefern soll“, so die Einschätzung von Experten[iv]. Dass sich mit Huning der Chefideologe der Partei, ein Spin-Doctor, dem Thema annehmen soll, könnte also eine Kehrtwende einläuten. Fraglich dabei ist, ob die friedliche Wiedervereinigung weiterhin propagiertes Ziel der chinesischen Führung bleibt und somit das favorisierte Szenario aus der Perspektive Pekings.
Jenseits von Personen ist gerade die Veränderung in den Machtstrukturen interessant, mit der Xi seit Jahren systematisch die Trennung zwischen Staat und Partei aufbricht. Dazu gründete er in der Kommunistischen Partei ein Geflecht aus Kleinen Führungsgruppen und Zentralen Kommissionen, die sich unterschiedlichen Politikfeldern, wie etwa der Wirtschafts- oder Klimapolitik, widmen. Den meisten dieser Kommissionen sitzt Xi persönlich vor und durchbricht beziehungsweise unterläuft damit die formale Trennung zwischen Staat und Partei, die auch in China existiert. Ob diese parallelen Machstrukturen innerhalb der Kommunistischen Partei ausgebaut werden, bleibt abzuwarten.
Einschätzung und Ausblick
Xi Jinping steht trotz seiner Machtfülle innenpolitisch unter Druck. Die chinesische Wirtschaft leidet weiterhin unter den Folgen der strikten Zero-Covid-Kampagne. Zudem gilt es, die heimische Immobilienkrise zu entschärfen. Ob dies angesichts eines gigantischen Leerstands überhaupt möglich ist, scheint mehr als fraglich. Zugleich ist es den USA unlängst gelungen, gemeinsam mit Japan und den Niederlanden den Export von hochwertiger Halbleiter-Technologie nach China zu begrenzen[v]. Außenpoltisch wird auch die dritte Amtszeit Xis durch den Systemkonflikt mit den USA geprägt sein und es ist davon auszugehen, dass die Spannungen um Taiwan weiter zunehmen werden. Demzufolge wird die Weltöffentlichkeit genau hinhören, welche Wachstumsziele die Politik beim Nationalen Volkskongress für 2023 vorgeben wird und ob neue Zwischentöne zum Konflikt im Südchinesischen Meer zu hören seien werden. Keine Frage: Chinas künftige Regierung steuert ungewissen Zeiten entgegen.
[i] Qiushi 2023: Xi Jinping einstimmig gewählt, Xinhua (Hrsg.), abrufbar unter: http://www.qstheory.cn/yaowen/2023-01/19/c_1129301239.htm, letzter Zugriff: 01.03.2023.
[ii] Eyssel, Benjamin 2022: Volkskongress in China: Vollversammlung im Schatten des Krieges, ARD (Hrsg.), abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ausland/asien/volkskongress-china-129.html, letzter Zugriff: 01.03.2023.
[iii] Anmerkung: Sein Vorgänger, Wang Yi, wurde ins Politbüro befördert und ist somit zum mächtigsten Außenpolitiker des Landes aufgestiegen.
[iv] China.Table 2023: Chefideologe Wang Huning soll neue Taiwan-Strategie ausarbeiten, abrufbar unter: https://table.media/china/news/chefideologe-wang-huning-soll-neue-taiwan-strategie-ausarbeiten/, letzter Zugriff 01.03.2023.
[v] Langer, Marie-Astrid 2023: Chip-Konflikt mit China: Japan und Niederlande schliessen sich den USA an, NZZ (Hrsg.), abrufbar unter: https://www.nzz.ch/technologie/usa-gewinnen-japan-und-die-niederlande-fuer-sich-im-chip-konflikt-mit-china-ld.1723585?reduced=true, letzter Zugriff: 01.03.2023.
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