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Das türkische Gesetz zu den elektronischen Medien (RTÜK-Gesetz) vor dem Verfassungsgericht

von Dr. Wulf Eberhard Schönbohm
"Alles, was ihr durch dieses Gesetz nun noch zu verdienen hofft, sei euch nicht gegönnt!" Mit diesem Kommentar in der islamischen Tageszeitung Yeni Safak vom 22. Mai 02 wurde in einer der wenigen Zeitungen, die nicht zum Dogan-Medienkonzern (70% der Medien) gehören, die Kritik am RTÜK-Gesetz zum Ausdruck gebracht, das kürzlich vom türkischen Parlament verabschiedet wurde.

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"Alles, was ihr durch dieses Gesetz nun noch zu verdienen hofft, sei euch nicht gegönnt!"

Mit diesem Kommentar in der islamischen Tageszeitung Yeni Safak vom 22. Mai 02 wurde in einer der wenigen Zeitungen, die nicht zum Dogan-Medienkonzern (70% der Medien) gehören, die Kritik am RTÜK-Gesetz zum Ausdruck gebracht, das kürzlich vom türkischen Parlament verabschiedet wurde. Staatspräsident Sezer, der schon vor einem Jahr gegen dieses Gesetz ein Veto eingelegt hatte, hat nunmehr - entsprechend der Verfassung - wegen 8 Artikeln des Gesetzes das Verfassungsgericht angerufen, von denen er glaubt, dass sie der Verfassung widersprechen.

Das RTÜK-Gesetz, das am 15.05. im türkischen Parlament verabschiedet wurde, ist von Anfang an außerordentlich umstritten gewesen. Es wurde mit 202 Stimmen gegen 87 Stimmen angenommen. Von den 550 Abgeordneten haben 245 an der Abstimmung überhaupt nicht teilgenommen, davon 117 von der Opposition und 128 von der Koalition. Drei Gegenstimmen kamen sogar aus der Partei von Ministerpräsident Ecevit. Von der ANAP-Fraktion haben nur 50% der Abgeordneten an der Abstimmung teilgenommen, von den beiden übrigen Koalitionsfraktionen nur etwa ein Drittel. Obwohl die drei Vorsitzenden der Koalitionsparteien großen Druck auf ihre Abgeordneten ausgeübt haben, hat sich eine große Zahl ihrer Abgeordneten dem durch Nichtteilnahme entzogen. Insbesondere der ANAP-Vorsitzende Mesut Yilmaz, dem enge und gute Beziehungen zum Dogankonzern nachgesagt werden, hat sich für die Verabschiedung dieses Gesetzes stark gemacht.

Aus zwei Gründen war und ist dieses Gesetz von Anfang an stark umstritten gewesen: Der eine Grund ist, dass es in der Vergangenheit Medienkonzernen verboten war, sich an öffentlichen Ausschreibungen zur Privatisierung staatlicher Unternehmen zu beteiligen. Trotz dieser Vorschrift hat sich der Dogankonzern an der Ausschreibung einer staatlichen Tankstellenfirma beteiligt. Diese Vorschrift wurde nun aufgehoben, so dass die Medienkonzerne, die ja ohnehin große Wirtschaftskonzerne sind und außerhalb des Medienbereichs auch im Versicherungsgeschäft, im Ölgeschäft, in der Bauindustrie usw. tätig sind, nun zusätzliche wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet werden. Darauf spielte der Yeni Safak-Kommentar an.

Der zweite Grund ist darin zu sehen, dass von Seiten der Regierung - insbesondere von Seiten der DSP und MP Ecevits - die elektronischen Medien stärker kontrolliert werden sollen, denn nach dem schweren Erdbeben im Jahre 1999 hatten die Medien die türkische Regierung und das Militär wegen Unfähigkeit massiv kritisiert.

Positiv am neuen Gesetz ist, dass künftig die wahren Inhaber der TV-Konzerne benannt werden müssen. Bei TV-Sendern, deren Einschaltquoten höher als 20% liegen, dürfen die Anteile einer natürlichen oder juristischen Person oder einer der Kapitalgruppen nicht über 50% betragen. Staatspräsident Sezer hält die 20%-Hürde für zu hoch und will sie senken. Ausländische Personen dürfen lediglich an einem Radio- und TV-Sender beteiligt sein und dürfen nicht mehr als 25% des hinterlegten Kapitals eines Senders besitzen.

Die in der Vergangenheit gegebene Möglichkeit, dass die RTÜK-Behörde TV- und Rundfunksender bei Verstößen gegen Gesetze mit tagelangen oder wochenlangen generellen Sendeverboten belegen konnte, wurde abgeschafft. Künftig wird nur noch das Programm, das gegen Gesetze verstoßen hat, gesperrt, und der betroffene Sender muss stattdessen ein von RTÜK vorgegebenes allgemeinbildendes Kulturprogramm senden. Wer sich nicht an die von RTÜK erlassenen Sendesperren hält, kann mit Haftstrafen zwischen 6 und 24 Monaten belangt werden.

Verstoßen landesweite TV-Sender mehrfach gegen gesetzliche Vorschriften, können sie mit Geldbußen bis zu 175.000,-- Euro, regionale TV-Sender mit ca. 20.000,-- Euro bis 100.000,-- Euro Strafe belegt werden. Gegen diese Regelung hat der Staatspräsident auch das Verfassungsgericht angerufen, weil er glaubt, dass diese Strafen viel zu hoch sind. Gegen diese hohen Strafen haben auch alle Journalistenverbände und der türkische Presserat schärfstens protestiert, weil insbesondere ein Regional- oder Lokalsender, der mit solch einer hohen Strafe belegt wird, Konkurs anmelden muss, denn die wirtschaftliche Lage aller dieser Sender ist außerordentlich prekär.

Eine besonders umstrittene Vorschrift im alten RTÜK-Gesetz findet sich auch wieder im neuen RTÜK-Gesetz, nämlich die Vorschrift, dass nur in türkischer Sprache gesendet werden darf; allerdings dürfen Musik-, Nachrichten- und Unterrichtsprogramme auch in anderen Sprachen gesendet werden, sofern es sich um Sprachen handelt, die zur Entstehung universaler Kultur- und Wissenschaftswerke beitragen. Damit sind Sendungen in kurdischer Sprache, die auch von der Europaeischen Union verlangt werden, verboten.

Durch das neue RTÜK-Gesetz werden erstmals Maßnahmen gegen im Internet begangene strafbare Handlung eingeführt. Die im Pressegesetz genannten Bestimmungen über "materielle und personenrechtliche Schäden, die durch Lügennachrichten, Anschuldigungen und ähnliche Handlungen entstehen", werden im neuen Gesetz auch auf das Internet angewandt. Auch gegen diese Vorschrift gibt es heftige Proteste, denn gerade im Internet haben sich zahlreiche kritische und oppositionelle Zeitungen gebildet, die nun gefährdet sind, zumal die Internetprovider verantwortlich gemacht werden sollen für alle Beiträge, die darin erscheinen.

Die Radio- und TV-Sender müssen ihre Programmbänder ein Jahr lang aufbewahren und diese auf Anforderung der RTÜK-Behörde oder der Staatsanwalt vorlegen. Verstöße dagegen werden mit einem Jahr Haft und bis zu 10 Milliarden TL Geldbusse bestraft.

Besonders problematisch ist, dass künftig Äußerungen in den elektronischen Medien verboten sind, die Angst hervorrufen, die Pessimismus und Hoffnungslosigkeit einflössen oder "Schwarzmalerei" bedeuten. Außerdem sind Beiträge verboten, die sich gegen die "nationalen und geistigen Werte der türkischen Familienstruktur" richten. Solche vagen und unscharfen Begriffe laden gerade dazu ein, willkürlich gegen missliebige Berichte und Kommentare strafrechtlich vorzugehen.

Dieses RTÜK-Gesetz bedeutet einen Rückschritt in Punkto Medien- und Meinungsfreiheit. Es widerspricht den von der EU aufgestellten politischen Aufnahmebedingungen in die Europäische Union. Mesut Yilmaz, der zuständig ist für die Türkei-EU-Beziehungen, hat dies selbst festgestellt und angekündigt, dass dieses Gesetz baldmöglichst wieder novelliert wird. Nunmehr liegt das Gesetz beim Verfassungsgericht und wird einige Monate lang geprüft; erst nach dessen Entscheidung wird klar sein, wie die Rechtslage für die elektronischen Medien künftig in der Türkei sein wird.

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