Мемлекет есептері
Auf Grund des binominalen Wahlsystems sind die Gesamtergebnisse bei chilenischen Parlamentswahlen in der Regel frei von größeren Überraschungen, da sogenannte "Erdrutsche" fast unmöglich sind.
So meinte denn auch dieser Tage der Parteivorsitzende der UDI, Pablo Longueira, dass man nach der Festlegung der Kandidaten im Grunde auf die Wahl verzichten könne und man sich doch einfach die Sitze im Parlament 50:50 teilen solle.
Halb im Scherz und halb im Ernst entsprach diese These einerseits den Realitäten des Wahlsystems und andererseits einer (nicht unberechtigten) Hochrechnung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 1999/2000 und der Kommunalwahl 2000, bei denen die rechten Oppositionsparteien UDI und RN wichtige Zuwächse verzeichnen konnte und die Concertación z. T. empfindliche Einbußen erlitten hatte, so dass eine Patt-Situation bei der Parlamentswahl mehr als nur im Bereich des Möglichen lag.
Hinzu kamen wichtige Faktoren, die dies untermauerten: Die Reibungsverluste innerhalb der Regierungskoalition Concertación, die bei der Kommunalwahl im Kontext der Kandidatenaufstellung und den nachfolgenden Schuldzuweisungen (v.a. zwischen PDC und PPD) offenkundig wurden, setzten sich bei der komplizierten Definition von Kandidaten für die Wahlbezirke der Abgeordneten und Senatoren fort.
In jedem Wahlbezirk werden zwei Kandidaten gewählt. Das binominale System bedingt, daß die erste Minderheit (gemessen an Koalitionsblöcken) proportional bevorteilt wird, wobei i.d.R. je ein Kandidat pro Koalitionsblock gewählt wird. Dies kann nur durchbrochen werden, wenn die zwei besten Kandidaten einer Koalition mehr als doppelt soviel Stimmen haben wie der beste Kandidat der anderen Koalition.
Der Frage, wer innerhalb der Koalition der Spitzenkandidat ist, kommt demzufolge in den meisten Fällen eine de facto Nominierung ins Parlament gleich. Von daher sind die Diskussionen innerhalb der Koalition z.T. heftiger als der Streit mit dem politischen Gegner aus dem anderen Lager.
Höhepunkt dieser Diskussionen war die Frage eines formalen Wahlbündnisses mit der Kommunistischen Partei (die auf Grund dieses Wahlsystems keine reale Chance hat einen Sitz im Parlament zu gewinnen, es sei denn eine der beiden großen Koalitionen bietet ihr einen sicheren Platz an), was von PS und PPD betrieben, von der PDC aber dezidiert abgelehnt wurde. Dies hätte nicht nur die Koalition in ihrer inhaltlichen Bandbreite in Frage gestellt, sondern mit Sicherheit auch den Christdemokraten wesentliche Stimmen im konservativen Flügel gekostet, so dass die Ablehnung der PDC zweifelsohne konsequent und politisch klug war.
Alle diese Elemente, gepaart mit einer nur sehr zögerlichen wirtschaftlichen Erholung und nach wie vor besorgniserregenden Arbeitslosenzahlen, weckten eher Skepsis denn Optimismus im Regierungslager und den ihr angehörenden Parteien.
Auf der anderen Seite herrschte bei der "Alianza por Chile" eitel Sonnenschein. Nach dem beachtlichen Ergebnis ihres Spitzenkandidaten Lavin bei den Präsidentschaftswahlen (und dann auch bei der Kommunalwahl), konnte der personelle Führungsanspruch untermauert werden.
Bestätigt wurde dies u.a. auch durch die Umfrage des CERC, veröffentlicht am 3. Mai in El Mercurio, bei der Lavín unangefochten mit 58% als der Politiker mit den meisten Zukunftschancen bewertet wurde, gefolgt von der Außenministerin Soledad Alvear mit 23%.
Bei den Kommunalwahlen konnte wichtige Kommunen gewonnen und erhebliche Zuwächse in der Wählergunst verzeichnet werden. Hinzu kam ein deutlich verjüngtes Profil der Kandidaten, das auch in die Parlamentswahl transportiert werden sollte.
Die Koalitionsdisziplin war bei der Präsidentschaftswahl und auch bei der Kommunalwahl beispielhaft, wobei sich jedoch die Kräfteverhältnisse innerhalb der Koalition deutlich verschoben hatten. Bestand vorher eine ausgewogene Situation zwischen RN und UDI so verschob sie sich (u.a. durch Lavin bedingt, dann aber auch durch die Zugewinne der UDI bei der Kommunalwahl und durch das gesamte Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit) in den letzten 2 Jahren eindeutig zu Gunsten der UDI.
Dies wurde auch durch die letzte Meinungsumfrage des CERC unterstrichen , die ein konstantes Ansteigen der UDI in der Wählergunst diagnostizierte, offenbar zu Lasten von RN und auch der PDC:
Frage: Für welche Partei würden Sie stimmen, wenn am nächsten Sonntag Parlamentswahlen wären ? (Ergebnisse in Prozent)
Mai 2000 | Juli 2000 | Sept. 2000 | Dez. 2000 | April 2001 | |
PDC | 15 | 18 | 15 | 15 | 14 |
UDI | 18 | 10 | 13 | 14 | 24 |
PS | 9 | 7 | 7 | 10 | 11 |
PPD | 13 | 10 | 11 | 8 | 12 |
RN | 12 | 13 | 10 | 8 | 7 |
Inwieweit dieses Stimmungsbild konsistent ist bleibt abzuwarten, da die Frage nach der Wahl einer Partei hypothetischer Natur ist (eine Listenwahl gibt es in Chile nicht). Erfahrungsgemäß steigt der Trend auch in Chile, Personen unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit zu wählen. Als Stimmungsbild, wie die Parteien in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, ist diese Umfrage aber sicherlich aussagekräftig.
Renovación Nacional schien vor diesem Hintergrund zunehmend zu kapitulieren und sich mit der Rolle des Juniorpartners in der Koalition abzufinden, ohne Macht und Kraft, den Rhythmus und die politischen Inhalte und Strategien nachhaltig beeinflussen zu können.
Höhepunkt dieser schleichenden Machtverschiebung und damit auch der Beginn einer ernsten strukturellen und politischen Krise innerhalb der Alianza por Chile war die Ankündigung des Rücktrittes des gesamten Vorstandes von Renovación Nacional unter Alberto Cardemil am 10. Mai. Hintergrund des Rücktrittes waren die in einigen wesentlichen (personellen) Punkten gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit der UDI bei der Kandidatenfrage um die Senatsposten, bei denen einige wesentliche Führungspersönlichkeiten der RN außen vor geblieben wären (Cardemil, Piñera, Espina).
Dies wurde noch ergänzt durch das am 7. Juni veröffentlichte Rücktrittsschreiben Cardemils, in dem er auch auf seine Kandidatur um einen Senatssitz in der VII. Region-Nord verzichtete, wobei er hierfür v.a. wirtschaftliche Gründe verantwortlich machte.
Dies entfachte erneut die Diskussion um die Finanzierung von Politik und Wahlkämpfen in Chile, die angesichts einer fehlenden öffentlichen Finanzierung und auch jedweder Regulierung und Transparenz zu einem erheblichen verzerrenden Faktor in der politischen Wettbewerbsfähigkeit und Chancengleichheit führt.
Die Regierung brachte darauf erneut einen Gesetzesvorlage im Parlament ein, durch die die Parteien verpflichtet werden sollen ihre Quellen und die Verwendung der Mittel im Wahlkampf offenzulegen. Ob diese Initiative noch vor der Wahl verabschiedet werden kann, ist derzeit noch unklar.
Hinzu kommt ein offener Brief des RN-Senators Sergio Romero, der ebenfalls mangelnde Loyalität des Koalitionspartners UDI bei der Kandidatendefinition beklagte, da er in seinem Wahlbezirk intern gegen den UDI Vorsitzenden und aktuellen Abgeordneten Pablo Longueira antreten müsste und damit das Risiko läuft, nur an zweiter Stelle zu landen und damit seinen Senatssitz zu verlieren.
In dieser desolaten Situation versucht Renovación Nacional nun mit Sebastián Piñera einen Neuanfang.
Als erfolgreicher und finanziell bestens situierter Unternehmer (u.a. Aktienmehrheit der Fluggesellschaft LAN CHILE) sowie ehemaliger Senator übernahm er nicht nur den Vorsitz bei RN, sondern untermauerte diesen neuen Führungsanspruch auch gleich mit der Ankündigung für einen Senatssitz in der V. Region-Küste zu kandidieren.
Damit war klar, dass zwischen RN und UDI jegliche Absprachen fallen gelassen wurden und nun in allen Wahlbezirken ein offener Wettbewerb herrscht.
Dieser Wettstreit ist jedoch alles andere als harmonisch. Die beiden Parteivorsitzenden Pablo Longueira und Sebastian Piñera tauschten in den letzten Tagen mehrfach Vorwürfe der heftigen Art aus.
Der bisherige Höhepunkt in dieser politischen Auseinandersetzung im Vorfeld der Parlamentswahlen kann jedoch durchaus als mittleres politisches Erdbeben gewertet werden. Es kam ohne jede Vorankündigung und hat somit alle Beteiligten überrascht und weitreichende politische Implikationen mit sich gebracht.
Admiral Jorge Arancibia, Oberkommandierender der chilenischen Marine hatte um eine "normale" Audienz beim Staatspräsidenten Lagos ersucht und diese auch am 13. Juni erhalten. Bei dieser Audienz teilte er Lagos mit, dass er nach 47 Jahren im Dienst der Marine vorzeitig zurücktreten wolle (seine reguläre Amtszeit wäre im November abgelaufen), um sich privaten Angelegenheiten zu widmen. Dabei habe er, so Lagos im Anschluss gegenüber der Presse, auch seine Absicht geäußert, weiterhin "dem Land zu dienen".
Auch Verteidigungsminister Mario Fernandez wurde von der Rücktrittsnachricht überrascht und bezeichnete den Vorgang als "eine bisher einmalige Situation in der Geschichte Chiles, die die Bemühungen erschwere, Militärs und Politik zu trennen".
Die Spekulationen um die Gründe dieses Rücktritts wurden zunächst durch eine Untersuchungskommission des Verteidigungsausschusses im Parlament genährt, der sich mit Zahlungen von über 2 Mio. US Dollar an eine Consultingfirma befassen soll, die für das französisch-spanische Konsortium Lobbyarbeit in Chile beim Verkauf von zwei U-Booten betrieben haben soll.
Sehr schnell kam dann jedoch durch Erklärungen gegenüber Radio Cooperativa Klarheit in diese Angelegenheit. Durch den Verzicht des UDI-Kandidaten Gonzalo Ibañez auf die Kandidatur für einen Senatssitz in der V. Region-Küste war der Weg für eine Kandidatur des Admiral frei gemacht worden.
Dies platzte wie eine Bombe in die politische Landschaft.
Auf Regierungsseite herrschte Empörung über die fehlende Offenheit von Arancibia bei seinen Gesprächen im Regierungspalast. Staatspräsident Lagos konterte deshalb auch umgehend und revidierte seine ursprüngliche Zustimmung den Rücktritt auf Wunsch Arancibias erst zum 6. Juli wirksam werden zu lassen, mit der sofortigen Benennung eines Nachfolgers (Vizeadmiral Miguel Vergara Villalobos) mit Amtsantritt am 18. Juni und setzte damit Admiral Arancibia unter Druck, unverzüglich zurückzutreten.
Dies entbehrt nicht einer gewissen Brisanz, da der Staatspräsident nach geltender Verfassung keine Befugnis hat, einen Oberkommandierenden der Streitkräfte zu entlassen (eine der längs überfälligen Verfassungsreformen in Chile !) und somit Arancibia formell sein Rücktrittsdatum (innerhalb seiner Amtszeit) selbst bestimmen kann.
Ob er es allerdings auf diese Kraftprobe (und damit einen handfesten Eklat) ankommen lassen wird, darf man bezweifeln.
Im Lager von Renovación Nacional wurde dies als eine klare Provokation empfunden, die das Bündnis einer weiteren Belastung aussetzt. Schließlich würde bei dieser Konstellation im Wahlbezirk 5. Region Küste die Entscheidung zwischen Admiral Arancibia und keinem geringeren als dem Parteivorsitzenden Sebastian Piñera erfolgen. Piñera selbst bezeichnete diese Entscheidung der UDI deshalb auch als einen "Akt der Revanche".
Im Lager der Regierungsparteien macht sich ebenfalls Empörung breit. Eine solch offensichtliches Zusammenspiel von Streitkräften und Politik offenbare den Einfluss der UDI als politischer Kraft auf die Streitkräfte und außerdem deren fehlende politische Neutralität, so führende Christdemokraten in Radio und Fernsehen. Damit bezogen sie sich insbesondere auf die offenen Frage, inwieweit es Gespräche zwischen der UDI und dem amtierenden Admiral gegeben habe, bei denen die Möglichkeit seiner Kandidatur erörtert wurde.
Der Abgeordnete Ibañez bestätigte dies zunächst durch seine Äußerungen gegenüber der Presse, während Longueira dies später heftig bestritt. Man muß sich allerdings fragen, wie und warum Arancibia zu seiner Kandidatur kam, wenn nicht auf der Basis vorhergehender Gespräche mit der UDI.
Auch steht eine detaillierte rechtliche Prüfung aus. Ministern und Staatssekretären sowie weiteren wichtigen Amtsträgern sind klare Fristen gesetzt, wann sie ihr Staatsamt niederlegen müssen, wenn sie um ein politische Amt kandidieren wollen. Die Offiziere sind hier (wie bei vielen anderen Fragen) ausgenommen bzw. diese Frage wird nicht einmal gestellt.
Diese Episode verdeutlicht nicht zuletzt, dass im Verhältnis zwischen Streitkräften und Politik verfassungsrechtliche Regelungen bestehen, die dringend einer Reform bedürfen, damit das Militär institutionell und personell klarer in das demokratische System eingebunden werden kann.
Es bleibt die Frage, wer hier wem einen Gefallen oder einen Bärendienst erwiesen hat. Für die Regierungsparteien der Concertación (und insbesondere für die Christdemokraten) ist die Situation allemal günstiger als noch vor wenigen Wochen. D ie Reibungsflächen innerhalb der Alianza por Chile schwächen das von Pablo Longueira deklarierte Ziel der "Zerstörung der PDC" und der Gründung einer Partido Popular (Volkspartei), da es dazu eines gesammelten Blocks von UDI und RN bedürfte.
Das Abrücken von RN und die Suche nach einem eigenständigen liberal-demokratischen Profil (ohne bisher die Koalition formal zu kündigen) und das politisch moderate Profil von Piñera als Parteivorsitzender (im Kontrast zu seinem Vorgänger Cardemil) bringen zweifelsohne Bewegung in die politische Landschaft Chiles und eröffnen Chancen für kurzfristige Koalitionen im Parlament (beispielsweise bei Verfassungsreformen).Langfristig bietet dies auch Alternativen bei zukünftigen politischen Allianzen. Nicht zuletzt bringt dies auch Bewegung in die Frage zukünftiger Präsidentschaftskandidaturen, da Piñera nun als Gegenkandidat zu Lavin im rechten Lager erscheint und damit dessen alleinigen Anspruch zumindest gegenwärtig in Frage stellt.
Es bleibt allerdings zunächst abzuwarten, wie das Kräftespiel zwischen UDI und RN ausgeht. Von entscheidender Bedeutung ist dabei das Schicksal des RN-Vorsitzenden Piñera bei der Wahl im Dezember. Ein Sieg ist Pflicht, gegen wen auch immer. Und eigentlich sitzen derzeit schon genügend ehemalige Oberkommandierende der Streitkräfte im chilenischen Senat.
Über diese Reihe
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