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Die Schweiz. Zwischen eidgenössischer Neutralität und europäischer Integration

Ralph Fautz

Veranstaltungsbericht zum Seminar vom 23. bis 25. Juni 2023 in Eriskirch am Bodensee (bei Friedrichshafen)

Was wissen wir eigentlich über die Schweiz? Am Seminar in Eriskirch bei Friedrichshafen lernten wir unser Nachbarland neu kennen und ein bisschen verstehen. Europa und Neutralität sind Schlagworte von Debatten, die wir mit unseren Referenten tiefer und mit spannenden Erkenntnissen analysierten.

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Die schweizerische Neutralitätspolitik kommt derzeit wiedermal nicht gut weg. Der Publizist Roger de Weck bezeichnete sie in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung im April als "identitätsstiftende Lebenslüge". Eine pointierte Aussage, der wir bei diesem Seminar genauer auf den Grund gegangen sind. Das die Schweizerische Geschichte und Politik bestimmende Prinzip der Neutralität ist politisch nicht nur umstritten, es hat praktische Auswirkungen auf das Verhältnis des 8,7-Millionen-Landes zur Europäischen Union und gegenüber Russland und der Ukraine. Doch warum?

Beim Seminar am Bodensee lernten die Teilnehmenden die Geschichte und das politische System der Schweiz kennen. Letzteres ist ein Resultat jahrhundertelang gewachsener föderaler und ausgeprägt dezentraler Strukturen. Die ausgebauten Volksrechte sind ein Resultat politischer Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, nach dem der Bundesstaat gegründet wurde. Sie folgen dem Prinzip ausgeprägter Machtteilung und des integrativ wirkenden Interessenausgleichs in einem System, das keine politische Opposition kennt.

Neutralität und Souveränität bestimmen das schwierige Verhältnis zu Europa, wie Markus Kaempf, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Uni Sankt Gallen herausarbeitete. Die Etappen und Zäsuren der Schweiz auf ihrem noch lange nicht vollendeten Weg nach Europa erklärte er anschaulich. Im anschließenden Kamingespräch stellten die Teilnehmer rege Fragen und diskutierten engagiert und kontrovers. 

Sankt Gallen, die Stadt der Tücher und Texte. An der Uni Sankt Gallen genossen wir wieder einen sehr guten Vortrag von Prof. Dr. Christoph Frei. Der Staatswissenschaftler ging mit der Anwendung des Neutralitätsprinzips durch die Schweizer Politik, aber auch mit der Schweizer Gesellschaft hart aber fundiert ins Gericht. Er zeigte die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und der EU, dekonstruierte zahlreiche Mythen und begründete so objektiv seine pro-europäische Haltung, wenngleich er dabei auch die Defizite der Union nicht aussparte.

"Etwas dunkel, nicht?" Stadtführerin Erika Akermann deutete an die Deckengemälde der Sankt Galler Kathedrale, die dort im späten 18. Jahrhundert angebracht wurden. Als Vorbild dienten die Fresken der Sixtinischen Kapelle, die allerdings zu diesem Zeitpunkt durch die Jahrhunderte an Kerzenlicht rußgeschwärzt gewesen seien. Die beeindruckende Stiftsbibliothek wartete mit dicken Handschriften und ihrer Architektur, dem Süddeutschen Bodenseebarock, auf. Die Stadtführung offenbarte Spuren des vergangenen Glanzes als Handels- und Kulturzentrum der Ostschweiz, wie die vielen verschnörkelten und aufwendig gestalteten Holzerker in Steinoptik zeigten. Der Blick auf den Bodensee vom klimatisierten Reisebus auf dem Weg zurück in die Tagungsstätte war ein schöner Abschluss einer anstrengenden, aber unvergesslichen und schönen Exkursion.

Die schweizerische Verteidigungspolitik thematisierte Dr. Joachim Adler aus dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport in einer Zoom-Schalte am Sonntagmorgen. Herausfordernd für die Sicherheitserfordernisse des 21. Jahrhunderts seien bis heute wirkmächtige Traditionen des 19. Jahrhunderts. Das Milizprinzip in einem Großteil der Schweizer Armee stehe der dringend notwendigen Professionalisierung der Streitkräfte entgegen. Kooperation mit der NATO sei ebenso wichtig, wie eine Positionsbestimmung in Sachen Sicherheitspolitik. Die Nachwirkungen des Söldnerexports zeigten sich darin, dass der Bundesrat einer Entsendung einer Handvoll Soldaten ins Ausland zustimmen müsse. Sicherheitspolitisch, so Adler, sei die Zeitenwende in der Schweiz eher eine "Gezeitenwende".

Wir konnten unser Nachbarland, seine Besonderheiten und Probleme an diesem Seminar kennen- und verstehen lernen. Es wurde deutlich, dass die Schweiz ihren Weg in einer Welt von heute mit den vielen Herausforderungen weiter suchen muss. Es bleibt zu fragen, ob die politischen Mechanismen des 19. Jahrhunderts, in dem sie zweifelsohne ihre Berechtigung und sich bewährt hatten, den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind. Sie muss aushandeln und sich einig werden, was sie unter handlungsleitenden Begriffen wie "Neutralität" und "Souveränität" unter den gegenwärtigen Bedingungen verstehen will. Nur so bleibt sie ein international verlässlicher Partner. Ist ein politisches System, was den Konsens zum Wesensbestandteil hat in der Lage, Richtungsentscheidungen zu treffen? 

 

 

 

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