AGERPRES / Wikimedia / CC BY 3.0
Hintergrund der 2018 erfolgten Entlassung Kövesis
Das nun abgeschlossene Verfahren vor dem EGMR muss im Kontext des 2016 erfolgten Regierungswechsels in Rumänien betrachtet werden. Danach hatte eine sozialdemokratisch-liberale Regierungskoalition auf verschiedene Weise versucht, die in den Jahren zuvor in Rumänien erreichten Fortschritte, speziell auf dem Feld der Korruptionsbekämpfung, zu bremsen. Dazu zählte bspw. die (im Januar 2017 im Eilverfahren eingeführte und nach Massenprotesten rasch zurückgenommene) Änderung des Schwellenwerts für die Korruptions-Strafbarkeit.
Bis 2016 hatte Rumänien deutliche Fortschritte bei der Strafverfolgung von Korruptionsdelikten erzielen können. Die von Kövesi geleitete rumänische Antikorruptionsbehörde „DNA“ spielte dabei eine zentrale Rolle. Die 2016 von der damaligen PSD-ALDE-Regierungskoalition angekündigte Justizreform stieß auf Kritik und Widerstand nicht nur der Zivilgesellschaft, sondern auch der Mehrheit der rumänischen Richter und Staatanwälte, einschließlich des Obersten Magistratur-Rats (Rat der Richter und Staatsanwälte; „CSM“): Kritisiert wurden u.a. die von der Regierung geplante gesetzliche Änderung des richterlichen Status. Auch Kövesi positionierte sich gegen diese Reformpläne.
In der Folge ließ der damalige Justizminister Toader einen umfangreichen Bericht erstellen, mit dem Kövesis fachliche Kompetenz als Behördenleiterin eingeschätzt werden sollte. Kövesi befand sich damals schon in ihrer zweiten Amtszeit als DNA-Leiterin. Der in scharfem Ton verfasste Prüfbericht griff ihre öffentlich geäußerte Kritik gegen die 2017 begonnene Justizreform hervor. Kritisiert wurde auch ihre Weigerung, vor einem parlamentarischen Gremium zu erscheinen. Obwohl der Oberste Magistraturrat die Gründe und Schlussfolgerungen des vom Justizminister vorgelegten Berichtes weitgehend zurückwies, empfahl der Minister dem rumänischen Staatspräsidenten, Kövesi aus ihrem Amt zu entlassen. Staatspräsident Johannis weigerte sich zunächst. In einem von der damaligen Regierung angestrengten Organstreitverfahren verpflichtete das rumänische Verfassungsgericht in einer umstrittenen Entscheidung jedoch das Staatsoberhaupt, dem Entlassungsersuchen des Justizministers nachzukommen und nahm dem Präsidenten damit jegliches Ermessen in Entscheidungen dieser Art und reduzierte das Mitspracherecht des Obersten Magistratur-Rats als Vertretung der Judikative.
Die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung endete mit Kövesis Entlassung. Nach Interpretation des Rumänischen Verfassungsgerichts hätte Kövesi nur die formellen Voraussetzungen der Entlassung vor einer unteren Instanz nachprüfen lassen könnte. Die vom Justizministerium vorgelegten Entlassungsgründe blieben jedoch gerichtlich unanfechtbar. Die Entscheidung des Rumänischen Verfassungsgerichts verschob nach Ansicht vieler Beobachter die Balance in der Gewaltenteilung deutlich zugunsten der Exekutive und wurde auf internationaler Ebene als ein zusätzliches Risiko für die Unabhängigkeit der Staatanwaltschaft in Rumänien wahrgenommen. Auch der EGMR selbst übte Kritik an der rumänischen Gerichtsentscheidung.
Zulässigkeit der Beschwerde
Die zwei wichtigsten Rechtsgüter im Fall „Kövesi gegen Rumänien“ betreffen die freie Meinungsäußerung (Artikel 10 EMRK) und die Geltendmachung zivilrechtlichen Schutzes im nationalen Rechtssystem. Beide stehen hier in direktem Zusammenhang. Denn die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft setzt die Möglichkeit zu einer gemäßigten öffentlichen Kritik und Analyse voraus. Der Staat soll gleichzeitig den gerichtlichen Schutz gegen unzulässige Entlassungen auch in Fällen von (hochrangigen) Justizbeamten sicherstellen. Erst bei effektiver Gewährleistung dieses Schutzes kann von rechtsstaatlichen Standards gesprochen werden.
Das rumänische Justizministerium vertrat im Verfahren vor dem Straßburger Gerichtshof die Auffassung, es handele sich um eine innerstaatlich bereits gelöste, verfassungsrechtliche Streitigkeit, weswegen Kövesis Antrag gar nicht zulässig sei.
Der EGMR verwendete den sogenannten Vilho Eskelinnen-Test, um festzustellen, ob der betroffene Beamte einen Anspruch auf eine (arbeits-)rechtliche gerichtliche Entscheidung im Sinne von Artikel 6 EMRK über seine Entlassung hätte. Nach diesem Test ist der Ausschluss des Rechtsschutzes nur dann EMRK-konform, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt werden: dessen ausdrücklicher Ausschluss im nationalen Recht sowie die Notwendigkeit des Schutzes eines nationalen Rechtsgutes. Die Straßburger Richter kamen im Falle Kövesis zum Schluss, dass beide Voraussetzungen nicht erfüllt seien: das nationale Recht betrachtete die Anstellung Kövesis auch aus zivilrechtlicher Perspektive, wobei es ihr möglich gewesen wäre, die formellen Voraussetzungen ihrer Entlassung gerichtlich nachprüfen zu lassen, was auch vom rumänischen Verfassungsgericht bestätigt wurde. Was das zweite Kriterium betrifft, stellt der EGMR fest:
„Das Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Entlassung kann nicht im Interesse des Staates liegen. Hochrangige Mitglieder der Justiz sollten - wie andere Bürger - vor Willkür vor der Exekutive geschützt werden, und nur die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer solchen [...] Entscheidung durch eine unabhängige Justizbehörde kann ein solches Recht wirksam machen.“
Zentrale Erwägungen des Gerichtshofs
Die Beschwerdeführerin, Laura Kövesi, beklage sich zunächst darüber, dass sie im rumänischen Rechtssystem kein Recht auf eine wirksame Beschwerde hatte, um ihre Entlassung anzufechten. Ihr blieb der Rechtsweg nur bezüglich der formellen Voraussetzungen offen, die Entlassung gerichtlich in Rumänien anzufechten. Dabei hatte sie jedoch keine Möglichkeit, auch die im Bericht des Justizministeriums erwähnten Entlassungsgründe vor einem nationalen Gericht prüfen zu lassen. Im Laufe des Verfahrens vor dem rumänischen Verfassungsgericht hatte sie außerdem keine Rechtsstellung, die ihr erlaubt hätte, ihre Argumente zu äußern.
Andererseits aber, betonte der EGMR, dass der Bericht des Justizministeriums an sich nur vorläufiger Natur gewesen sei, was heißt, dass er nicht automatisch die Entlassung hätte nach sich ziehen können. Erst der von Staatspräsident Johannis unterzeichnete Präsidial-Erlass habe eine solche Wirkung gehabt. Der EGMR führte aus, dass einige Nichtregierungsorganisationen in Rumänien bereits vor dem EGMR-Verfahren versucht hätten, den besagten Bericht des Justizministers anzufechten, dies wurde jedoch immer gerichtlich abgelehnt. Daraus zieht der Gerichtshof folgenden Schluss:
„Ein solcher Rechtsweg wäre keine wirksame Beschwerde gegen […] die Tatsache - dass ihre Entfernung eine rechtswidrige Disziplinarstrafe gewesen war, die durch ihre in Zusammenhang mit Gesetzesreformen öffentlich geäußerten Meinungen ausgelöst worden war -, die eine Prüfung von Gründen und die interne Rechtmäßigkeit des fraglichen Dekrets ausgelöst hätte.”
Dies sei mit dem durch Artikel 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) gewährten Schutz nicht vereinbar. Darüber hinaus betont der EGMR auch die steigende Wichtigkeit von Instrumenten „der Verfahrensgerechtigkeit in Fällen, in denen Staatsanwälte abberufen oder entlassen werden, einschließlich der Intervention einer von der Exekutive und dem Gesetzgeber unabhängigen Behörde in Bezug auf Entscheidungen, die die Ernennung und Abberufung von Staatsanwälten betreffen“.
Dadurch habe Rumänien den Kern des Rechts der Beschwerdeführerin auf Zugang zu einem Gericht verletzt: „aufgrund der spezifischen Grenzen für eine Überprüfung ihres Falls, die in der Entscheidung des Verfassungsgerichts festgelegt wurden“.
Die damalige Leiterin der rumänischen Antikorruptions-Behörde fühlte sich auch dadurch in ihren Rechten verletzt, dass der wahre Grund ihrer Entlassung ihre kritischen Äußerungen zu den vom Justizministerium initiierten Justizreformen gewesen sei. Sie sah ihr Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten.
Im Verfahren in Straßburg trug der Vertreter der rumänischen Regierung vor, dass die Hauptgründe der Entlassung die mangelnde Qualifikation Kövesis u.a. in den Bereichen Management und Kommunikation gewesen seien. Der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof betonte dagegen, dass - obwohl die (hochrangigen) Justizbeamten zu einer bestimmten Loyalität verpflichtet seien und ihre Kritik mit Augenmaß äußern müssten - sich ein (Justiz-)Beamter gegen eine Verletzung seines Rechtes auf freie Meinungsäußerung zur Wehr setzen dürfe. In diesem Zusammenhang weist der EGMR darauf hin, dass die im Bericht enthaltenen Hauptgründe (für die Entlassung) ihre kritischen Äußerungen zur Justizreform beträfen, was eine Vermutung des Bestehens eines Zusammenhangs zwischen den kritischen Äußerungen und der Entlassung nahelege. Die Behauptung der rumänischen Regierung, dass die Entlassung Kövesis wegen ihrer mangelnden Fähigkeiten erfolgt sei, wurde vom EGMR für nicht überzeugend gehalten.
Der EGMR hat in diesem Fall den klassischen Verhältnismäßigkeitstest angewendet, der schrittweise prüft, ob die Verletzung gesetzlich vorgeschrieben werde, ob sie einen legitimen Zweck verfolge, und ob schließlich die Verletzung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei.
Obwohl der EGMR hier keinen legitimen Zweck finden konnte, hat er versucht, die Interessen des Staates und der Beschwerdeführerin in Ausgleich zu bringen. Erwähnenswert ist, dass die Regierung die „Verteidigung des Rechtsstaats“ als ein Ziel der Entlassung nannte, mit der Begründung, dass Kövesis Äußerungen einen rechtsstaatlichen Konflikt ausgelöst hätten. Der EGMR merkte dazu das Gegenteil an: nämlich, dass die Äußerungen Kövesis die Verteidigung des Rechtsstaats in Rumänien bezweckt hätten, was auch durch zahlreiche nationale und internationale Berichte bestätigt werde. Infolgedessen habe die Regierung keinen legitimen Zweck verfolgt.
Der EGMR geht trotzdem weiter und hält es „in Anbetracht aller Umstände des Falles“ für „nützlich“ die Balance zwischen den Interessen der Beschwerdeführerin und der Regierung zu analysieren. Dabei betont der Gerichtshof, „dass Fragen zur Funktionsweise des Justizsystems im öffentlichen Interesse liegen, dessen Debatte nach Artikel 10 im Allgemeinen ein hohes Maß an Schutz genießt“. In diesem Zusammenhang weist der EGMR auf die Rolle der Staatanwälte in Justizreformdebatten hin:
„In diesem Zusammenhang wird auf die Empfehlung (REC (2000) 19) des Ministerkomitees des Europarates hingewiesen, in der anerkannt wird, dass Staatsanwälte das Recht haben sollten, an öffentlichen Diskussionen über Fragen des Rechts, der Rechtspflege und der Justiz teilzunehmen […], und sie sollten in der Lage sein, Beamte wegen von ihnen begangener Straftaten, insbesondere Korruption, ungehindert zu verfolgen.“
Dabei seien die Justizreform und Korruptionsbekämpfung Angelegenheiten, die dem öffentlichen Interesse dienen. Folglich sei die erfolgte Entlassung Kövesis nur schwer mit der Unabhängigkeit der Justiz zu vereinbaren, vor allem mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Staatsanwälte. Der EGMR schließt daraus, dass „die vorzeitige Entlassung […] aus der Position als Generalstaatsanwalt der DNA […] den eigentlichen Zweck der Bewahrung der Unabhängigkeit der Justiz zunichtegemacht [habe]“. Dies hätte auch eine abschreckende Wirkung auch auf andere Justizbeamten gehabt, indem diese durch die Entlassung der Spitzenbeamtin davon abgehalten worden seien, an ähnlichen Diskussionen teilzunehmen.
Bewertung
Mit seiner Entscheidung beweist der seit 1959 bestehende Gerichtshof einmal mehr seine wichtige Rolle beim Schutz grundlegender Rechte von Bürgern europäischer Länder, deren Justizsysteme jüngst starken Veränderungen unterlagen oder in denen Individualbeschwerden an ein Verfassungsgericht nicht möglich sind.
Innenpolitisch spielt die Entscheidung aktuell zwar keine herausragende Rolle in Rumänien, da bereits 2019 ein Regierungswechsel erfolgt ist und alle zentralen Akteure der Justizreformen 2017-2018 nicht mehr im Amt sind. Dennoch setzt die Straßburger Entscheidung einen gewissen Schlussstrich unter jahrelange Diskussionen um die Rechtsstaatsreformen in Rumänien. Im innerrumänischen Diskurs war stark um die Deutungshoheit gerungen worden, ob die Reformen der letzten drei Jahre die Unabhängigkeit der Justiz stärken oder in Wahrheit schwächen sollten.
Auch für Laura Kövesi bringt diese Entscheidung wohl eher nur (eine fraglos grundsätzliche) Genugtuung und gewissermaßen Rehabilitation. Kövesi hatte bewusst keinen Schadenersatz beantragt. Die Entscheidung vom 05. Mai 2020 ist für sie der Abschluss jahrelangen Streits (mit unzähligen Disziplinarverfahren) in Rumänien um ihre Tätigkeit. Ihre derzeitige Aufgabe beeinflusst dies nicht. Sie ist seit 2019 (die erste) Europäische Generalstaatsanwältin und derzeit intensiv damit befasst, diese neu geschaffene Behörde in Luxemburg aufzubauen, so dass bis zum Jahresende die Europäische Staatsanwaltschaft ihre Tätigkeit aufnehmen kann.
Das nun abgeschlossene Verfahren vor dem EGMR muss im Kontext des 2016 erfolgten Regierungswechsels in Rumänien betrachtet werden. Danach hatte eine sozialdemokratisch-liberale Regierungskoalition auf verschiedene Weise versucht, die in den Jahren zuvor in Rumänien erreichten Fortschritte, speziell auf dem Feld der Korruptionsbekämpfung, zu bremsen. Dazu zählte bspw. die (im Januar 2017 im Eilverfahren eingeführte und nach Massenprotesten rasch zurückgenommene) Änderung des Schwellenwerts für die Korruptions-Strafbarkeit.
Bis 2016 hatte Rumänien deutliche Fortschritte bei der Strafverfolgung von Korruptionsdelikten erzielen können. Die von Kövesi geleitete rumänische Antikorruptionsbehörde „DNA“ spielte dabei eine zentrale Rolle. Die 2016 von der damaligen PSD-ALDE-Regierungskoalition angekündigte Justizreform stieß auf Kritik und Widerstand nicht nur der Zivilgesellschaft, sondern auch der Mehrheit der rumänischen Richter und Staatanwälte, einschließlich des Obersten Magistratur-Rats (Rat der Richter und Staatsanwälte; „CSM“): Kritisiert wurden u.a. die von der Regierung geplante gesetzliche Änderung des richterlichen Status. Auch Kövesi positionierte sich gegen diese Reformpläne.
In der Folge ließ der damalige Justizminister Toader einen umfangreichen Bericht erstellen, mit dem Kövesis fachliche Kompetenz als Behördenleiterin eingeschätzt werden sollte. Kövesi befand sich damals schon in ihrer zweiten Amtszeit als DNA-Leiterin. Der in scharfem Ton verfasste Prüfbericht griff ihre öffentlich geäußerte Kritik gegen die 2017 begonnene Justizreform hervor. Kritisiert wurde auch ihre Weigerung, vor einem parlamentarischen Gremium zu erscheinen. Obwohl der Oberste Magistraturrat die Gründe und Schlussfolgerungen des vom Justizminister vorgelegten Berichtes weitgehend zurückwies, empfahl der Minister dem rumänischen Staatspräsidenten, Kövesi aus ihrem Amt zu entlassen. Staatspräsident Johannis weigerte sich zunächst. In einem von der damaligen Regierung angestrengten Organstreitverfahren verpflichtete das rumänische Verfassungsgericht in einer umstrittenen Entscheidung jedoch das Staatsoberhaupt, dem Entlassungsersuchen des Justizministers nachzukommen und nahm dem Präsidenten damit jegliches Ermessen in Entscheidungen dieser Art und reduzierte das Mitspracherecht des Obersten Magistratur-Rats als Vertretung der Judikative.
Die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung endete mit Kövesis Entlassung. Nach Interpretation des Rumänischen Verfassungsgerichts hätte Kövesi nur die formellen Voraussetzungen der Entlassung vor einer unteren Instanz nachprüfen lassen könnte. Die vom Justizministerium vorgelegten Entlassungsgründe blieben jedoch gerichtlich unanfechtbar. Die Entscheidung des Rumänischen Verfassungsgerichts verschob nach Ansicht vieler Beobachter die Balance in der Gewaltenteilung deutlich zugunsten der Exekutive und wurde auf internationaler Ebene als ein zusätzliches Risiko für die Unabhängigkeit der Staatanwaltschaft in Rumänien wahrgenommen. Auch der EGMR selbst übte Kritik an der rumänischen Gerichtsentscheidung.
Zulässigkeit der Beschwerde
Die zwei wichtigsten Rechtsgüter im Fall „Kövesi gegen Rumänien“ betreffen die freie Meinungsäußerung (Artikel 10 EMRK) und die Geltendmachung zivilrechtlichen Schutzes im nationalen Rechtssystem. Beide stehen hier in direktem Zusammenhang. Denn die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft setzt die Möglichkeit zu einer gemäßigten öffentlichen Kritik und Analyse voraus. Der Staat soll gleichzeitig den gerichtlichen Schutz gegen unzulässige Entlassungen auch in Fällen von (hochrangigen) Justizbeamten sicherstellen. Erst bei effektiver Gewährleistung dieses Schutzes kann von rechtsstaatlichen Standards gesprochen werden.
Das rumänische Justizministerium vertrat im Verfahren vor dem Straßburger Gerichtshof die Auffassung, es handele sich um eine innerstaatlich bereits gelöste, verfassungsrechtliche Streitigkeit, weswegen Kövesis Antrag gar nicht zulässig sei.
Der EGMR verwendete den sogenannten Vilho Eskelinnen-Test, um festzustellen, ob der betroffene Beamte einen Anspruch auf eine (arbeits-)rechtliche gerichtliche Entscheidung im Sinne von Artikel 6 EMRK über seine Entlassung hätte. Nach diesem Test ist der Ausschluss des Rechtsschutzes nur dann EMRK-konform, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt werden: dessen ausdrücklicher Ausschluss im nationalen Recht sowie die Notwendigkeit des Schutzes eines nationalen Rechtsgutes. Die Straßburger Richter kamen im Falle Kövesis zum Schluss, dass beide Voraussetzungen nicht erfüllt seien: das nationale Recht betrachtete die Anstellung Kövesis auch aus zivilrechtlicher Perspektive, wobei es ihr möglich gewesen wäre, die formellen Voraussetzungen ihrer Entlassung gerichtlich nachprüfen zu lassen, was auch vom rumänischen Verfassungsgericht bestätigt wurde. Was das zweite Kriterium betrifft, stellt der EGMR fest:
„Das Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Entlassung kann nicht im Interesse des Staates liegen. Hochrangige Mitglieder der Justiz sollten - wie andere Bürger - vor Willkür vor der Exekutive geschützt werden, und nur die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer solchen [...] Entscheidung durch eine unabhängige Justizbehörde kann ein solches Recht wirksam machen.“
Zentrale Erwägungen des Gerichtshofs
Die Beschwerdeführerin, Laura Kövesi, beklage sich zunächst darüber, dass sie im rumänischen Rechtssystem kein Recht auf eine wirksame Beschwerde hatte, um ihre Entlassung anzufechten. Ihr blieb der Rechtsweg nur bezüglich der formellen Voraussetzungen offen, die Entlassung gerichtlich in Rumänien anzufechten. Dabei hatte sie jedoch keine Möglichkeit, auch die im Bericht des Justizministeriums erwähnten Entlassungsgründe vor einem nationalen Gericht prüfen zu lassen. Im Laufe des Verfahrens vor dem rumänischen Verfassungsgericht hatte sie außerdem keine Rechtsstellung, die ihr erlaubt hätte, ihre Argumente zu äußern.
Andererseits aber, betonte der EGMR, dass der Bericht des Justizministeriums an sich nur vorläufiger Natur gewesen sei, was heißt, dass er nicht automatisch die Entlassung hätte nach sich ziehen können. Erst der von Staatspräsident Johannis unterzeichnete Präsidial-Erlass habe eine solche Wirkung gehabt. Der EGMR führte aus, dass einige Nichtregierungsorganisationen in Rumänien bereits vor dem EGMR-Verfahren versucht hätten, den besagten Bericht des Justizministers anzufechten, dies wurde jedoch immer gerichtlich abgelehnt. Daraus zieht der Gerichtshof folgenden Schluss:
„Ein solcher Rechtsweg wäre keine wirksame Beschwerde gegen […] die Tatsache - dass ihre Entfernung eine rechtswidrige Disziplinarstrafe gewesen war, die durch ihre in Zusammenhang mit Gesetzesreformen öffentlich geäußerten Meinungen ausgelöst worden war -, die eine Prüfung von Gründen und die interne Rechtmäßigkeit des fraglichen Dekrets ausgelöst hätte.”
Dies sei mit dem durch Artikel 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) gewährten Schutz nicht vereinbar. Darüber hinaus betont der EGMR auch die steigende Wichtigkeit von Instrumenten „der Verfahrensgerechtigkeit in Fällen, in denen Staatsanwälte abberufen oder entlassen werden, einschließlich der Intervention einer von der Exekutive und dem Gesetzgeber unabhängigen Behörde in Bezug auf Entscheidungen, die die Ernennung und Abberufung von Staatsanwälten betreffen“.
Dadurch habe Rumänien den Kern des Rechts der Beschwerdeführerin auf Zugang zu einem Gericht verletzt: „aufgrund der spezifischen Grenzen für eine Überprüfung ihres Falls, die in der Entscheidung des Verfassungsgerichts festgelegt wurden“.
Die damalige Leiterin der rumänischen Antikorruptions-Behörde fühlte sich auch dadurch in ihren Rechten verletzt, dass der wahre Grund ihrer Entlassung ihre kritischen Äußerungen zu den vom Justizministerium initiierten Justizreformen gewesen sei. Sie sah ihr Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten.
Im Verfahren in Straßburg trug der Vertreter der rumänischen Regierung vor, dass die Hauptgründe der Entlassung die mangelnde Qualifikation Kövesis u.a. in den Bereichen Management und Kommunikation gewesen seien. Der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof betonte dagegen, dass - obwohl die (hochrangigen) Justizbeamten zu einer bestimmten Loyalität verpflichtet seien und ihre Kritik mit Augenmaß äußern müssten - sich ein (Justiz-)Beamter gegen eine Verletzung seines Rechtes auf freie Meinungsäußerung zur Wehr setzen dürfe. In diesem Zusammenhang weist der EGMR darauf hin, dass die im Bericht enthaltenen Hauptgründe (für die Entlassung) ihre kritischen Äußerungen zur Justizreform beträfen, was eine Vermutung des Bestehens eines Zusammenhangs zwischen den kritischen Äußerungen und der Entlassung nahelege. Die Behauptung der rumänischen Regierung, dass die Entlassung Kövesis wegen ihrer mangelnden Fähigkeiten erfolgt sei, wurde vom EGMR für nicht überzeugend gehalten.
Der EGMR hat in diesem Fall den klassischen Verhältnismäßigkeitstest angewendet, der schrittweise prüft, ob die Verletzung gesetzlich vorgeschrieben werde, ob sie einen legitimen Zweck verfolge, und ob schließlich die Verletzung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei.
Obwohl der EGMR hier keinen legitimen Zweck finden konnte, hat er versucht, die Interessen des Staates und der Beschwerdeführerin in Ausgleich zu bringen. Erwähnenswert ist, dass die Regierung die „Verteidigung des Rechtsstaats“ als ein Ziel der Entlassung nannte, mit der Begründung, dass Kövesis Äußerungen einen rechtsstaatlichen Konflikt ausgelöst hätten. Der EGMR merkte dazu das Gegenteil an: nämlich, dass die Äußerungen Kövesis die Verteidigung des Rechtsstaats in Rumänien bezweckt hätten, was auch durch zahlreiche nationale und internationale Berichte bestätigt werde. Infolgedessen habe die Regierung keinen legitimen Zweck verfolgt.
Der EGMR geht trotzdem weiter und hält es „in Anbetracht aller Umstände des Falles“ für „nützlich“ die Balance zwischen den Interessen der Beschwerdeführerin und der Regierung zu analysieren. Dabei betont der Gerichtshof, „dass Fragen zur Funktionsweise des Justizsystems im öffentlichen Interesse liegen, dessen Debatte nach Artikel 10 im Allgemeinen ein hohes Maß an Schutz genießt“. In diesem Zusammenhang weist der EGMR auf die Rolle der Staatanwälte in Justizreformdebatten hin:
„In diesem Zusammenhang wird auf die Empfehlung (REC (2000) 19) des Ministerkomitees des Europarates hingewiesen, in der anerkannt wird, dass Staatsanwälte das Recht haben sollten, an öffentlichen Diskussionen über Fragen des Rechts, der Rechtspflege und der Justiz teilzunehmen […], und sie sollten in der Lage sein, Beamte wegen von ihnen begangener Straftaten, insbesondere Korruption, ungehindert zu verfolgen.“
Dabei seien die Justizreform und Korruptionsbekämpfung Angelegenheiten, die dem öffentlichen Interesse dienen. Folglich sei die erfolgte Entlassung Kövesis nur schwer mit der Unabhängigkeit der Justiz zu vereinbaren, vor allem mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Staatsanwälte. Der EGMR schließt daraus, dass „die vorzeitige Entlassung […] aus der Position als Generalstaatsanwalt der DNA […] den eigentlichen Zweck der Bewahrung der Unabhängigkeit der Justiz zunichtegemacht [habe]“. Dies hätte auch eine abschreckende Wirkung auch auf andere Justizbeamten gehabt, indem diese durch die Entlassung der Spitzenbeamtin davon abgehalten worden seien, an ähnlichen Diskussionen teilzunehmen.
Bewertung
Mit seiner Entscheidung beweist der seit 1959 bestehende Gerichtshof einmal mehr seine wichtige Rolle beim Schutz grundlegender Rechte von Bürgern europäischer Länder, deren Justizsysteme jüngst starken Veränderungen unterlagen oder in denen Individualbeschwerden an ein Verfassungsgericht nicht möglich sind.
Innenpolitisch spielt die Entscheidung aktuell zwar keine herausragende Rolle in Rumänien, da bereits 2019 ein Regierungswechsel erfolgt ist und alle zentralen Akteure der Justizreformen 2017-2018 nicht mehr im Amt sind. Dennoch setzt die Straßburger Entscheidung einen gewissen Schlussstrich unter jahrelange Diskussionen um die Rechtsstaatsreformen in Rumänien. Im innerrumänischen Diskurs war stark um die Deutungshoheit gerungen worden, ob die Reformen der letzten drei Jahre die Unabhängigkeit der Justiz stärken oder in Wahrheit schwächen sollten.
Auch für Laura Kövesi bringt diese Entscheidung wohl eher nur (eine fraglos grundsätzliche) Genugtuung und gewissermaßen Rehabilitation. Kövesi hatte bewusst keinen Schadenersatz beantragt. Die Entscheidung vom 05. Mai 2020 ist für sie der Abschluss jahrelangen Streits (mit unzähligen Disziplinarverfahren) in Rumänien um ihre Tätigkeit. Ihre derzeitige Aufgabe beeinflusst dies nicht. Sie ist seit 2019 (die erste) Europäische Generalstaatsanwältin und derzeit intensiv damit befasst, diese neu geschaffene Behörde in Luxemburg aufzubauen, so dass bis zum Jahresende die Europäische Staatsanwaltschaft ihre Tätigkeit aufnehmen kann.
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Länderbüro Rumänien
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