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보고서

Neudefinition der Rolle des Militärs in der Türkei

Dr. Wulf Eberhard Schönbohm
Am vergangenen Freitag hat das türkische Parlament mit großer Mehrheit das 6. Reformpaket zur Anpassung an die EU-Gesetze und -Prinzipien verabschiedet. Dieses Programm ist deshalb bemerkenswert, weil die Politik erstmalig besonders heikle Fragestellungen aufgreift und damit den Widerstand von Teilen des Militärs und der Bürokratie herausgefordert hat.

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Obwohl das Militär, vertreten durch den Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates, General Tuncer Kilinç, deutlich seine Bedenken gegenüber Teilen des Reformprogramms geäußert hatte, beschloss das Parlament dieses Programm ohne vorherige Beratung im Nationalen Sicherheitsrat. Damit demonstrierte die politische Führung, dass sie sich nicht von Seiten des Militärs in jedem Fall bremsen oder blockieren lassen werde.

Folgende Inhalte dieses Reformprogramms sind besonders hervorhebenswert:

  • Erstmalig seit Gründung der Republik im Jahre 1923 wird der Bau von Gotteshäusern, also auch von Kirchen und Synagogen, gesetzlich erlaubt. Dies ist ein ganz entscheidender Fortschritt, der vor allem für die christlichen Minderheiten in der Türkei von großer Bedeutung ist. Denn bisher war es ihnen praktisch unmöglich, die Genehmigung für den Bau einer Kirche zu erhalten. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die Regierung, die von manchen Kritikern fälschlicherweise als „islamistisch“ bezeichnet wird, diesen Beschluss durchgesetzt hat.
  • In privaten Apartments wird künftig die Errichtung von Gebetsstätten ermöglicht. Von kemalistischer Seite war diese Vorschrift scharf kritisiert worden mit der Unterstellung, dass die Regierung vorhabe, trotz der großen Zahl der Moscheen auch noch in privaten Wohnhäusern islamische Gebetsräume einzurichten. Die Regierung hat dies zurückgewiesen und erklärt, dass insbesondere die christlichen und jüdischen Minderheiten häufig genug nicht die Möglichkeit haben, eine eigene Kirche zu bauen oder zu betreiben, weshalb es für diese nicht-muslimischen Minderheiten wichtig sei, dass sie Gebetsräume in nichtöffentlichen Gebäuden einrichten dürfen. In der Tat ist dies in der Vergangenheit für christliche Glaubensgruppen ein Problem gewesen und entspricht daher deren Forderungen.
  • Die Frist für Stiftungen von nichtmuslimischen Minderheiten für die Beantragung der Anerkennung von Grundstücken wird von 6 auf 18 Monate verlängert. Hintergrund für diese Änderung ist, dass zahlreiche nichtmuslimische Minderheiten, die noch aus osmanischer Zeit Grundbucheintragung für Eigentum besitzen, deren rechtliche Anerkennung beantragen müssen, damit sie offiziell Eigentümer werden. Aber da die Unterlagen oft unklar sind oder ganz fehlen, wirft dies große Schwierigkeiten auf und hat schon dazu geführt, dass zahlreichen Stiftungen ihr Eigentumsanspruch aberkannt wurde. In der Vergangenheit wurden die Eigentumsansprüche dieser Stiftungen gar nicht anerkannt, sondern nur für Personen war dies möglich. Erst durch eine frühere Reform ist ihnen die Möglichkeit eröffnet worden, als Institution Eigentümer zu werden. Davon sind vor allen Dingen die Institutionen der griechisch-orthodoxen Kirche und der christlichen Kirchen aus Europa betroffen.
  • Kurdischsprachige Sendungen werden in den privaten Rundfunk- und Fernsehstationen sowie im öffentlich-rechtlichen TRT erlaubt. Die dazu notwendigen Ausführungsbestimmungen müssen innerhalb von vier Monaten vorgelegt werden.
  • Das Verbot, Kindern kurdische Vornamen zu geben, ist aufgehoben.
  • Unehelich geborene Kinder können künftig den Nachnahmen der Familie erhalten.
  • Der berüchtigte Artikel 8 des Antiterrorgesetzes, auf dessen Basis in der Vergangenheit zahlreiche Intellektuelle und Journalisten wegen Separatismus-Propaganda verurteilt wurden, ist erheblich entschärft worden. Danach liegt ein Terrorakt nur noch dann vor, wenn eine Gewaltanwendung oder Drohung damit bewiesen ist, aber nicht mehr eine Meinungsäußerung. Allerdings sind auf Wunsch des Militärs im Strafgesetzbuch die Artikel 312 und 356 verschärft worden, sodass künftig auch noch jemand verurteilt werden kann, der Propaganda macht, „die dem Zweck dient, zu strafbaren Handlungen gegen den Staat aufzurufen“; darunter fällt zum Beispiel auch Separatismus. Ob auch künftig mit Hilfe dieser Paragrafen des Strafgesetzbuches die Meinungsfreiheit faktisch wieder eingeschränkt wird, muss abgewartet werden. Im Augenblick sieht es eher so aus, als wenn die restriktive Interpretation von Strafvorschriften durch die Gerichte, die in der Vergangenheit üblich war, nicht mehr praktiziert wird.
  • Personen, die von der Staatsanwalt eines Staatssicherheitsgerichts beschuldigt werden, haben sofort Anspruch auf Beziehung eines Anwalts. Verhöre, die ohne Rechtsanwälte stattgefunden haben, werden als Beweismittel nicht mehr anerkannt. Damit sind Beschuldigte und Angeklagte vor Staatssicherheitsgerichten mit denen anderer Gerichte gleichgestellt. Dies könnte ein erster Schritt zur Abschaffung der kritisierten Staatssicherheitsgerichte sein.
  • Künftig wird in den Kontroll- und Überwachungsgremien für Funk, Fernsehen und Film das Militär nicht mehr vertreten sein. Diese für einen Europäer selbstverständliche Regel hat natürlich den Widerstand des Militärs hervorgerufen, aber die Regierung hat sich darüber hinweggesetzt.
  • Strafdelikte werden dann aus der Personalakte des Betroffenen gestrichen, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das türkische Strafurteil aufgehoben und als Verstoß gegen die Menschenrechte qualifiziert hat.
  • Die bisherige Strafmilderung für Mordtaten unter Berufung auf Ehre, Sitte und Familie werden abgeschafft.
  • Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte türkische Gerichtsurteile aufhebt, haben die Betroffenen einen Anspruch auf Wiederaufnahme des Gerichtsverfahren in der Türkei.
Im Zusammenhang mit der Verabschiedung dieses 6. Reformprogramms zur Erfüllung der EU-Aufnahmekriterien muss die Ratifizierung von zwei wichtigen UN-Konventionen hervorgehoben werden, die sich auf die „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte“ der Bürger sowie auf deren „zivile und politischen Rechte“ beziehen. Besonders umstritten in der Türkei war dabei das in der zweiten Konvention besonders hervorgehobene Recht auf Selbstbestimmung. Trotz deutlich geäußerter Bedenken von Seiten des Militärs wurde die Konvention vom Parlament ratifiziert und auch von Staatspräsident Sezer unterzeichnet.

Der Senat der Istanbuler Universität, dessen Rektor ein ganz strenger Kemalist und Kämpfer gegen das Kopftuch an Universitäten ist, hatte noch kurz vorher dramatisch vor der Verabschiedung dieser Konvention gewarnt, weil er eine Gefahr für die territoriale Einheit und Integrität des Landes befürchtete. Dies ist die klassische Argumentation gegen diese und andere Reformen im Zusammenhang mit der türkischen EU-Perspektive, die von Teilen des Militärs und der Bürokratie, die sich als Hüter der objektiven Interessen des „Staates“ verstehen, vorgebracht wird. Andererseits haben aber die großen Wirtschaftverbände zum Beispiel mit einer Anzeige in den wichtigsten türkischen Tageszeitungen das 6. Reformprogramm unterstützt.

Die AKP-Regierung befindet sich im Augenblick in einer politisch guten Position. Sie hat den EU-Reformprozess zum absoluten politischen Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Dies kann sie deshalb tun, weil der Irak-Krieg vorbei ist und die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise als überwunden gilt, sodass sie sich nun dem innenpolitischen Reformprozess zuwenden kann. Sie wird dabei von der großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, die die türkische EU-Mitgliedschaft positiv beurteilt. Deshalb wird es für die Kräfte im Militär und in der Bürokratie, die diesen Reformprozess bremsen oder gar blockieren wollen, immer schwerer, in der Öffentlichkeit dafür eine positive Resonanz zu bekommen. Denn auch das Militär unterstützt grundsätzlich das Ziel der türkischen EU-Mitgliedschaft.

Deshalb hat die türkische Regierung auch ihr Reformtempo beschleunigt. Schon im Juli soll ein 7. Reformprogramm vorgelegt werden, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Militärausgaben einer vollständigen parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen und die Zusammensetzung des Nationalen Sicherheitsrates dahingehend zu ändern, dass nur noch der Generalstabschef darin vertreten ist und der Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates künftig ein ziviler Beamter und kein General mehr ist. Damit würde die Regierung ein Tabu brechen, weil sie die unkontrollierte Sonderstellung des Militärs und dessen politischen Einfluss infrage stellen würde. Die Türkei befindet sich damit in einem politisch äußerst wichtigen und längst überfälligen Prozess der „Neudefinition der Rolle des Militärs“, wie es der Journalist Ali Bayramoğlu von Yeni Şafak kürzlich formuliert hat. Dies könnte zu schweren Auseinandersetzungen führen, deren Ausgang offen ist. Aber dieser Prozess ist unumgänglich, denn die Europäische Union kann kein Land aufnehmen, dessen Militär nicht politisch kontrolliert ist.

Natürlich wird es nach Verabschiedung dieser und auch der künftigen Gesetze darauf ankommen, dass die Ausführungsbestimmungen dieser Gesetze auch ihren politischen Intentionen entsprechen. Leider gibt es aus der Vergangenheit genügend Beispiele, die belegen, dass die türkische Bürokratie die Ausführungsbestimmungen besonders restriktiv formuliert und dadurch der politischen Intention des Gesetzgebers nicht entspricht. Dies ist deshalb möglich, weil sich Teile der staatlichen Bürokratie immer noch als die wahren Repräsentanten und Garanten „des Staates“ verstehen, während sie der Regierung und dem Parlament politische Inkompetenz oder eigensüchtige Interessen unterstellen. Die Auseinandersetzung zwischen den politisch Verantwortlichen und Teilen der Bürokratie, der Justiz und des Militärs wird also weitergehen. Die türkische politische Führung hat in dieser Auseinandersetzung die volle Unterstützung der EU verdient.

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Sven-Joachim Irmer

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